2. Leseabschnitt: Teil ZWEI (Seite 95 bis 159)

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Die Wohngemeinschaft bleibt vereint sogar beim Ortswechsel nach Leipzig. Vereint bleibt sie auch in tiefer Orientierungslosigkeit, in die sie die "moderne" Welt stürzt.
Man wusste nicht, ob man besser unterrichtet war, wenn man allem folgte oder keinem. Manchmal saß Ludwig vor seinem Weltempfänger, hörte abwechselnd die Nachrichten und die Aufnahmen der Symphoniker, bis das Signal nachts mit einem Krächzen verschwand. .... Die Schwingungen des Äthers drangen überall hindurch. Und brachten Dinge mit, die niemand wollte.
War der Herrgott erschöpft? Aber wie war es ihm in früheren Zeiten gelungen, die Menschen mit ihrer Aussichtslosigkeit zu versöhnen?
Die tiefe Orientierungslosigkeit umfasst für Lud das Politische, das Wissenschaftliche und auch das Sexuelle. Nirgendwo findet er die ordnende und helfende Hand, überall nur Verwirrung und offene Fragen. Und auch bei Alma ist es ähnlich. Ihre Schritte in die Sexualität sind zögernd, sie selbst verwirrend und bieten keinen Halt. Dem Arzt fällt dazu nur ein, ihr einen Vibrator zu verordnen, über dessen Anwendung er sie aber vollkommen im Dunkeln lässt. Dabei läge das Gute doch so nah. Natürlich wäre für Alma Lud die Lösung vieler Fragen und Wünsche. Nur eben ist Lud nicht dazu bereit und in der Lage, so auf sie zuzugehen. Und so vertieft sich die bodenlose Orientierungslosigkeit weiter - für beide.
 

wal.li

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1. Mai 2014
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Ich habe den Eindruck, dass Lud homosexuell ist. Zumindest beschäftigt er sich damit. Wohlmöglich kann er deshalb nicht auf Alma zugehen. Alma finde ich dagegen für die damalige Zeit echt forsch. Sie geht in diesen Wald und holt sich die Erfahrungen, die es da zu machen gibt. Ist zwar etwas unromantisch, aber wenn die Neugier oder die Sehnsucht nach Leben groß ist, warum nicht.
Es sind die wilden Zwanziger, zwar geht es in Leipzig eher ruhig zu, aber diese Freiheit oder Modernität dieser kurzen Zeit merkt man schon. Ich glaube, Lud ahnt, dass es damit bald vorbei ist. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob er wegen der Politik den Bruch mit Wilhelm herbeiführen will.
 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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Dass Ludwig homosexuell ist, wurde schon im ersten LA sehr deutlich und hier verstetigt es sich. Alma ist seine liebgewordene Kameradin, aber eben sich mehr. Er verspürt keinerlei sexuelle Anziehung.

Trotz der Orientierungslosigkeit, die Anjuta oben beschrieben hat, wirkt Alma auf mich recht vorwitzig. Aus Neugier auf eine solche Wiese zu gehen, in der festen Absicht, Sex zu haben mit einem Fremden....der dann auch noch recht erquicklich beim ersten Mal vonstatten geht.... Ist das realistisch? Naja, ein Roman eben;)

Vorwitzig ist Alma auch, weil sie Luds Tagebücher liest. Sie tut das selbstverständlich und fast ohne Scham. Es wundert mich, das Alma keine anderen Kontakte hat. Meist arbeitet sie irgendwo. Da muss man doch Freundinnen oder Kolleginnen haben. Die Rede ist nur von Paula Gerner. Mit 24 könnte Alma schon eine alte Jungfer sein oder kurz davor stehen o_O.

So recht weiß ich nicht mehr, was das Buch mir sagen will. Es tritt auf der Stelle. Ein bisschen Zeitkolorit, ein bisschen Politik, Schlafforschung, manchmal mit Humor gespickt. Zwei Menschen auf der Suche, die vielleicht irgendwann doch noch in eine Ehe stolpern?

Es ist mir auch nicht klar, warum sich das Verhältnis zwischen Ludwig und seiner Mutter so merklich abkühlt. Es war doch normal, dass sie von Wilhelms Verlobter erzählt hat. Fühlt Lud sich davon unter Druck gesetzt? Eifersucht auf den Bruder?

Das Gerät scheint mir eher ein Massageteil zu sein, kein Vibrator im engen Sinn. Die Beschreibung passt m. E. nicht. Den Arzttermin hat auch Lud vereinbart. Ich dachte zunächst an eine Schwangerschaft oder Geschlechtskrankheit - aber es scheint was Psychisches zu sein. Komisch: Frauen, deren Gebärmutter nicht regelmäßig mit Emissio seminis gefüllt wird, werden hysterisch... Was nahmen die Männer sich wichtig!
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Das Gerät scheint mir eher ein Massageteil zu sein, kein Vibrator im engen Sinn. Die Beschreibung passt m. E. nicht
Doch. Die ersten Vibratoren der Neuzeit gab es schon Ende des 19. Jahrhunderts. Hab mal nachgeschlagen: Bei der Weltausstellung 1900 in Paris sind anscheinend mehrere Modelle ausgestellt worden. Sie wurden als Massagegeräte gegen Verspannungen beworben.
Ich nehme an, dass Lud sich an Almas Treffen in dem Wäldchen gestört hat, vielleicht hatte er auch Angst um sie. Und er dachte wohl, wenn sie so ihre Bedürfnisse befriedigen kann, werde sie dort nicht mehr hingehen.
Almas Probleme wären gelöst, wenn Ludwig heterosexuell wäre. Er hat ja zweifellos Gefühle für sie, aber eher wie ein großer Bruder. Deshalb schwimmen beide etwas orientierungslos durch ihr Leben.

Lendle zeigt uns die Zwanziger Jahre als eine Umbruchszeit, in der sich alte Gewissheiten auflösen. Er legt bisher weniger den Schwerpunkt auf die politischen Veränderungen ( die zeigen sich bei Wilhelm ), sondern auf seelische Befindlichkeiten. Eine innere Ruhelosigkeit, Zweifel, wo der eigene Platz im Leben zu finden ist usw.
Die Kunst verändert sich, v.a. die Malerei, aber auch die Musik .

Interessant waren für mich die Überlegungen von Ernst Gräfenberg, Ludwigs Kamerad aus dem Krieg. Lendle macht daraus eine Analogie von den Knöchelchen einer Hand zum Inneren des Menschen.
„ Nie wurden die Dinge von Grund auf neu geschaffen, immer lagerte sich das Neue einfach auf der Überlieferung ab, ohne sie ungeschehen zu machen. In ihren Körpern, in der Geschichte und in jedem einzelnen Menschen.“
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Im zweiten Abschnitt kreist der Roman um politische Umbrüche, der Bruch Ludwigs mit seinem Bruder (weil dieser sich verlobt hat, oder seiner politischen Gesinnung wegen?), die Orientierungssuche Almas.
Von Schlafforschung sind nur Andeutungen zu lesen.

Die Hauptrolle scheint mir hier fast ausschließlich Alma zu besetzen und nur durch sie erfahren wir überhaupt etwas über Lendles.
Ist das das Kozept des Romans? Ein Umkreisen der Themen, das sich als Echo in den kleinen Episoden der Scheibenholzaufenthalte, der Arztkonsultation und Ludwigs Grübeln zu vervielfachen scheint.
Alles ergießt sich in Andeutungen. Klar das da viele Menschen auf der Suche nach dem Kern sind. Ein äußerst fruchtbarer Grund für tiefgreifende Veränderungen.
 
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Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
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Inhaltlich habt ihr das Wesentliche schon geschrieben. Dass Alma alleine in den Scheibe Wald geht, um sexuelle Erfahrungen zu sammeln, hat mich allerdings befremdet. War das damals möglich? War es Leipzig so freizügig, so wie es heute mit Tinder ist? Nur dass man weniger Auswahl hatte? Mir fehlt auch etwas der rote Faden. Der Roman liest sich flüssig, plätschert so dahin, zeigt eine ungewöhnliche Familienstruktur.
Das Ausprobieren des Vibrators fand ich allerdings sehr amüsant geschildert ;)
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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So recht weiß ich nicht mehr, was das Buch mir sagen will. Es tritt auf der Stelle. Ein bisschen Zeitkolorit, ein bisschen Politik, Schlafforschung, manchmal mit Humor gespickt. Zwei Menschen auf der Suche, die vielleicht irgendwann doch noch in eine Ehe stolpern?

Mir fehlt auch etwas der rote Faden. Der Roman liest sich flüssig, plätschert so dahin, zeigt eine ungewöhnliche Familienstruktur.

Mich kann der Roman nicht so richtig fesseln bisher, wenn ich ehrlich sein soll. Mir fällt es auch schwer, konzentriert dabei zu bleiben. Mal geht es um dies, mal passiert jenes, aber eine wirklich stringente Handlung kann ich nicht ausmachen. Mir gefällt, dass man viel Zeitgeschichte mitbekommt. Aber die eigentlichen Personen und ihre Erlebnisse finde ich bislang nicht so spannend. Ich hoffe, dass sich der Roman noch steigert.