2. Leseabschnitt: Teil ZWEI (Seite 69 bis 179)

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Gelöschtes Mitglied 2403

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Hier kommt nun ein neuer Charakter hinzu. Und statt von Ilyas' Erfahrungen in der Truppe und vom Krieg zu lesen, lesen wir von Hamza und dessen Erfahrungen. Ilyas ist zwar schon einmal für seine Schwester von den Toten und Verschwundenen wieder aufgetaucht, aber ich befürchte, dass er dieses Mal nicht wieder zurückkommt. Warum hätten wir sonst den Krieg aus Sicht eines neuen Charakters kennengelernt?
Apropos aus Sicht von Hamza: Ich finde auch in diesem zweiten LA gibt es wieder, oder sogar vermehrt, Passagen, die wie aus einem Geschichtslehrbuch klingen. Besonders ist mir das um die Seiten 120-125 herum aufgefallen. Dort werden die Kriegsbewegungen etc. ganz besonders losgelöst vom Romangeschehen erzählt. Mitunter hatte ich das Gefühl, es fehlte nur noch eine erklärende Karte mit Einfärbungen für die Kreigsparteien und Truppenbewegungen in Pfeilform, wie wir es eben aus Geschichtsbüchern kennen. Das ist zwar definitiv interessant und wichtig zu beschreiben, da mir fast alles davon bisher unbekannt war (zumindest im Detail, denn dass sich der 1.Weltkrieg auch in den Kolonien mit einheimischen Soldaten als Kanonenfutter ausgefochten wurde, hatten wir durchaus im Geschichtsunterricht.).
Leider fand ich das Geschehen nicht gut in Romanform gebracht. Da musste ich an die aktuellen Veröffentlichungen von jungen afrikanischen Autroinnen denken, die das meines Erachtens viel besser schafften. z.B. Kopano Matlwa, Yaa Gyasi(!), Imbolo Mbue etc. Bei diesen Autorinnen wurde ich richtig in die Geschichte hineingezogen und habe zusetzlich noch viel gelernt. Hier wird mir zu viel referiert. Obwohl grundsätzlich der zweite Teil definitiv schon mehr in die Tiefe bezüglich einzelner Charaktere geht. Keine Frage. Hoffentlich steigert sich diese Begleitung der Charaktere im Verlauf der zweiten Romanhälfte noch weiter.
Ja, sehe ich genauso und dieses Referieren lässt dieses Buch an mir vorbeiplätschern, obwohl das Thema durchaus interessant ist. Was ich schade finde. Denn eigentlich wollte ich sehr, dass mir dieses Buch gefällt. Aber mir gefällt die Geschichte nicht so sehr, wie ich mir das gewünscht habe. Und eine Nähe zu den Charakteren kann ich leider auch nicht aufbauen. Und brennen kann ich schon gar nicht. Dennoch ist das Buch interessant und vermittelt Wissen, Geschichtswissen und auch Wissen über Tansania/Tanganyika.
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

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Jetzt hat mich Gurnah gepackt. Die Beschreibungen der Beschimpfungen, Demütigungen und Grausamkeiten, mit denen die Askari bzw. die Anwärter behandelt wurden gingen mir nahe. Ebenso Hamzas Zweifel, ob er die richtige Entscheidung getroffen haben mag, dann wieder sein Stolz, einer solchen furchteinflößenden starken Truppe anzugehören.
Ich finde dieses dritte Kapitel auch deshalb so gelungen, weil es verdeutlicht, dass die Kolonialmächte tatsächlich annahmen sie seien etwas besseres und daher im Recht so zu handeln. Nur, wenn Menschen ihr Menschsein abgesprochen wird, sie als unzivilisiert betrachtet werden, gibt es eine zweifelhafte Rechtfertigung für diesen menschenverachtenden Umgang - es kann sogar so gedreht werden, dass all diese Ungeheuerlichkeiten nur zum besten dieser "Wilden" seien. Ganz schlimm. So anschaulich habe ich das in Bezug auf Kolonialismus bisher noch nicht gelesen.
Erstaunt hat mich, dass Frauen und Kinder die Schutztruppe begleiteten, ein Zugeständnis an die einheimische Bevölkerung. Waren diese wirklich immer noch dabei als es die schweren Gefechte und Hinterhalte gab? Vermutlich nicht.
Hamza hatte Glück im Unglück. Wie es wohl Ilyas ergangen ist und ob wir noch von ihm lesen werden?
Die Geschichte um Afiya habe ich gerne gelesen. Sie spürt die Einschränkungen deutlich, die mit ihrem Erwachsenwerden zu tun haben. Jetzt ist bereits im Gespräch, sie zu verheiraten - ich denke, davon ist sie nicht begeistert. Sie ist für mich eine sehr interessante Protagonistin, bei der ich überhaupt nicht einschätzen kann, inwiefern sie sich den gesellschaftlichen Vorstellungen unterordnen wird.
Insgesamt war das ein hart zu lesender Abschnitt. Ob es jetzt erst einmal ein Durchatmen gibt?
Schön, dass dich Gurnah packen kann. Schade für mich, dass es bei mir nicht so ist.

Wegen dem Tross, der mit dem Militär mitzieht. Ich habe mich an früher erinnert gefühlt. Ich dachte, dass Boudiccas Heer auch von den Familien begleitet wurde. Vielleicht auch zum Schutz der Familien. Würden sie am Ort verbleiben, könnten sie ja Gefangene der Gegner werden.

Afiya ist ein interessanter Charakter. Und auch das Miteinander von Bi Asha und Afiya hat Potenzial. Ein Generationenkonflikt. Oder etwas anderes? Mal sehen, was hier noch passiert.
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

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Wieder eine neue Figur: Hamza. Ich war erst ganz verwirrt, weil ich dachte, er wäre vorher schon mal vorgekommen und ich hätte es überlesen ... Am Beispiel Hamza bekommen wir vorgeführt, wie es war, ein Askari zu werden und zu sein. Ein Prozess der Abhärtung, auch der Demütigung und Unterordnung, der in den Stolz mündet, einer der legendären, schreckenerregenden Askari zu sein.

Der Oberleutnant eine interessante Figur, ambivalent und undurchschaubar aus Hamzas Perspektive. Hamza wird gedisst, weil alle ihn für den Loverboy des OLeu´s halten; Hamza fürchtet ständig einen sexuellen Übergriff, der nicht geschieht, und am Ende des LAs erfahren wir, dass die Faszination des OLeu´s auf einer gefühlten Ähnlichkeit mit dessen Bruder herrührte.

Der ganze Abschnitt ein Lehrstück in ostafrikanischer Kolonialgeschichte - die Afrikaner schlagen sich stellvertretend für die europäischen Interessengruppen, zum eigenen Nachteil. Erschütternd. Warum haben sie das gemacht? Nicht dass ich die Deutschen mit ihrem Rassismus in Schutz nehmen will, aber warum haben die Afrikaner so willig mitgemacht?

Das Schiller-Buch steht für die ganze deutsche Kultur - und Hamza ist ihr Erbe.

Khalifa profiliert sich geschäftlich, und Afiya wächst heran - und bekommt die muslimischen Einschränkungen zu spüren, denen Frauen unterworfen sind. Interessanter- und realistischerweise ist Khalifas Frau diejenige, die diese patriarchalen Normen durchsetzen will, während (nicht so typisch) Khalifa die liberale Seite vertritt.

Die ganze Zeit fragt man sich, was aus Iliyas geworden ist, und befürchtet das Schlimmste. Aber gerade WEIL man nichts erfährt, glaube ich, dass er noch lebt und wir bald mehr erfahren werden.

Mittlerweile hat das Buch mich gepackt; ich mag diesen sachlichen, fast dokumentarischen Stil. Gleichzeitig gewinnen die Figuren an Tiefe - und ich nehme lebhaften Anteil an ihrem Schicksal.

Ob Afiya sich auflehnen wird?
Mir ging es ähnlich mit dem Charakter Hamza. Ich musste auch überprüfen, ob ich den Namen vorher schon gelesen hatte. Ich verwechselte Hamza etwas mit Ilyas, warum auch immer. Aber nach dem Eruieren der vergangenen Geschichte war dann wieder alles im Lot.

Das Miteinander von Afiya und Bi Asha scheint einen zentralen Part zu bekommen, eine interessante Konstellation. Und auch das Miteinander von Bi Asha und Khalifa ist interessant gestaltet, ist dem europäischen Denken über die Männer und Frauen in den muslimischen Gebieten konträr gesetzt und damit interessant und lehrreich.

Und klar dieses Buch vermittelt viel Wissen über Tansania/Tanganyika. Das gefällt mir, auch wenn es etwas lehrerhaft vermittelt wird.

Und das Verhalten der Afrikaner, klar das ist schwierig zu verstehen. Vielleicht eine Vermischung von vielen Dingen, Angst vor der Macht, Einschüchterung durch das Grauen und ethnische Konflikte innerhalb der tansanischen Völker. Überlebenswille, wer weiß.
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

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Hamzas auftauche hat mich erst verwirrt. Ganz kurz dachte ich, dass Ilyas Name verändert wurde, was natürlich totaler Quatsch ist, aber das ging mir als erstes durch den Kopf.
Er und der Leutnant……schon makaber das ganz. Das es zwischen den beiden nicht zu sexuellen Handlungen kam, hat mich zuerst überrascht, als ich dann aber erfahren habe, dass er bei dem Ganzen an seinen verstorbenen Bruder dachte, bekam ich einen neuen Blickwinkel. Auch die Lästerei, bald Schiller lesen zu können, bekam damit eine tiefe Bedeutung.

Afiya hat es gut getroffen, es wirkt nicht so, als ob sie daran zu Grunde geht, dass ihr Bruder in den Krieg gezogen ist. Sie weiß nur wenig, und ich frage mich, ob er als Funker, nicht Möglichkeiten gefunden hätte, sich in der langen wenigstens einmal zu melden. Das er dies nicht getan hat, könnte auch bedeuten, dass er tot ist. Wir werden es sehen.
Afiya wird zur Frau, dennoch hoffe ich, dass sie nicht schon verheiratet wird. Auch wenn es natürlich nicht ungewöhnlich wäre, wünscht man sich als Leser doch etwas anderes für sie. Sie kann lesen und schreiben, sie ist anders als die meisten Frauen in ihrer Umgebung, wahrscheinlich denke ich deshalb direkt an eine andere Laufbahn für sie. Doch war das damals überhaupt möglich, ohne an der Seite eines Mannes zu stehen? Wohl eher nicht.
so oder so, die Geschichte hat mich gepackt.
Interessant, dass du Hamza und Ilyas auch miteinander kombinierst/verwechselst. Das ging mir ja auch so.

Dass Ilyas sich so gar nicht meldet, hat mich auch verwundert, sehr sogar, passt dass auch wieder nicht zu dem besorgten Verhalten gegenüber der Schwester, dass er anfänglich zeigte.
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

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Ich war zu Beginn des 2. LA sehr verwirrt, das Buch hat mich irgendwie an der Nase herum geführt, oder ich war einfach zu unaufmerksam. LA1 endet damit dass, Ilyas sich auf den Weg in den Krieg macht. Und so las und las ich den 2. LA zunächst erstmal mit de Verständnis, hier geht es weiter um Ilyas und seine Erlebnisse. Bis ich irgendwann stolperte und dachte "Hamsa, warum Hamsa, wer ist Hamsa?" Wir verlieren Ilyas in LA2 fast ganz aus dem Blick. Und wenden uns diesem Hamsa zu,
Genau das ist der Grund für die Verwechslung. Könnte man dies als Fehler im Aufbau bewerten. Ich bin geneigt dies zu tun.
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

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"Mehr Emotionalität" birgt aber auch immer das Risiko von mehr Effekthascherei, Sentimentalität und Klischee. Damit kann ein Roman an Glaubwürdigkeit verlieren. Diesem Risiko setzt sich Gurnah nicht aus.
Alles ist Geschmackssache. Aber Imbolo Mbue (andere der Genannten kenne ich nicht) würde ich nie als großartige Literatur feiern. Deren Intention steht von Anfang an fest. Gurnah wirkt auf mich viel eindringlicher. Vergleiche sind aber immer heikel.
Als großartige Literatur kommt mir Gurnah aber nicht vor. Ich weiß, das ist alles Geschmackssache. Aber literarisch gibt es für mich deutlich bessere Bücher.
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

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Ich komme hier nur recht langsam voran. Gurnah verpackt in seinen Text viele Informationen, die man einordnen muss. Mir gefällt, dass er versucht, die unterschiedlichen Ansichten,Meinungen und Triebfedern der Leute abzubilden. Es sind nicht alle Deutschen schlecht. Der Pastor zum Beispiel. Hamza erkennt ihn als jemanden, der "von dem äußeren Anspruch auf Dominanz und dem inneren Wunsch zu helfen zerrissen wird". Sämtlichen Europäern wird es in Fleisch und Blut übergegangen sein, dass die Einheimischen minderbemittelt und Untermenschen sind.
Auch gibt es Unterschiede. Der Feldwebel ist der Fieseste, darunter gibt es Abstufungen. Skrupel hat (manchmal) der Oberleutnant, aber auch er ist wetterwendisch wie eine Sturmfahne.

Auch die Einheimischen sind nicht alle "gut". Es wird geschildert, dass sich zum Teil die besonders Brutalen in den Milizen und Askari-Truppen gesammelt haben. Söldner, Handlanger. Bei weitem nicht alle hatten heere Ziele. Bei Hamza war es Not und Angst, bei anderen die Aussicht auf ein Gehalt, Ansehen, Macht und eine Aufgabe. Diese Vielfältigkeit arbeitet Gurnah gut heraus. Gleichfalls herrscht auch unter ihnen eine strenge Rang- und Hackordnung. Kameradschaft und Zusammenhalt sucht man vergebens.

Der Pfarrer hatte vielleicht wirklich missionarische und seelsorgerische Ziele, als er in die Kolonien kam. Die Realität wird ihn im Zweifel aber abgeholt haben. In seiner Krankenstation sieht er ja ständig das fließende Kampfesblut, Brutalität und Willkür...

Genau das habe ich auch vermisst. Ständig versucht man, Begriffe zu googeln, die sich aber als uneindeutig herausstellen. Die Bewegungen, Aufstände und Stämme hätte man zudem gut in einem Anhang zusammenfassen können.

Den Satz habe ich mir auch markiert. Es fällt mir schwer mir vorzustellen, dass es überall dermaßen brutal und menschenverachtend zugegangen ist. Die Deutschen haben zudem eine (zum Glück) relativ kleine, kurze Kolonialgeschichte. Wie mögen erst die Erinnerungen der von Briten, Portugiesen oder Spaniern unterjochten Völker aussehen?! Denn die überlegende Geisteshaltung dürfte bei allen Europäern ähnlich gewesen sein... Man denke nur an "Jenseits von Afrika".

Zu dem ganzen zersetzenden Kriegsgeschehen empfinde ich die Geschichte von Afiya fast entspannend. Bi Asha mochte ich von Anfang an nicht. Sie ist eine extrem gläubige Muslima, dabei aber auch sehr willensstark. In der Ehe übt sie Dominanz aus. Das macht es für Afiya gefährlich. Hoffentlich findet Bi Asha keinen adäquaten Mann für das Mädchen, sonst kann Khalifa kaum nein sagen. Bi Asha ist eine Schlange. Sie gönnt niemandem etwas, was sie selbst nicht hat. Deshalb muss sich Aliya auch verschleiern und wird in ihren Kontakten eingeschränkt. Hoffentlich lebt Ilyas noch.
Für mich war die Einführung einer neuen Figur (Hamza) eine Art Kunstgriff, um das Wesen dieses Kolonialkrieges zu zeigen. Mal schauen, wie ihn Ilyas überstanden hat - wenn er noch am Leben ist.
Stimmt, nicht nur die historische und informative Komponente ist interessant. Auch die nicht Schwarz/Weiß aufgebaute Charakterzeichnung wirkt authentisch und lebensecht.

Ebenso wie ich das Geschehen zwischen Afiya und Bi Asha interessiert verfolge und auch das Miteinander von Khalifa und Bi Asha gut aufgebaut ist. Ich frage mich ob Hamza dort auch einen Platz bekommen wird?
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

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Und muss zudem intensiv recherchiert haben, denn er ist kein Zeitzeuge. Wie wohl die Quellenlage dieser Gräuel aussieht? Es wird ja niemand aufgeschrieben haben, zumal die Betroffenen nicht lesen/schreiben konnten. Das würde mich interessieren.
Ich dachte, dass es im Swahili eine Schrift gibt. Und wenn nicht im Swahili, dann im Arabischen oder in den indischen Sprachen. Also aufgeschrieben worden ist dies denke ich schon, wir kommen da bloß nicht ran, weil wir diese Schriften nicht können. Denke ich zumindest. Ich kann sie jedenfalls nicht. :rofl
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

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Trotzdem würden mich die Quellen interessieren. Wenn du nur eine Seite befragst, ist das Ergebnis natürlich eindeutiger, als wenn du beide Seiten berücksichtigst.

Natürlich handelt es sich um einen 'Roman', in dem alles erlaubt ist. (Der Nobelpreis lässt aber darauf schließen, dass Gurnahs Romane eine hohe Authentizität besitzen.)

Es gab bestimmt alles. Es gab gewiss auch Deutsche, die tatsächlich in gutem Glauben ausgewandert sind und keine Gewalt ausübten, für diese Gruppe steht der Pfarrer. Aber bei den Soldaten geht es unglaublich erschreckend zu: wehe, wenn sie losgelassen!
Eigentlich handeln die Menschen hier nur wie Menschen handeln. Solche Geschehnisse findest du auf jedem Kontinent und von jeder herrschenden Kultur ausgeübt. Der Mensch ist dem anderen Menschen sein Wolf.
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

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Ich komme auch nur langsam voran, aber nicht, weil der Roman uninteressant wäre, sondern weil ich derzeit durch die Woche vor lauter Arbeit kaum zum Lesen komme. Jetzt ist der zweite Abschnitt aber beendet. Etwas irritiert war ich zunächst auch, als plötzlich Hamza im Mittelpunkt des Geschehens war, aber gestört hat es mich letztlich nicht. Sicher verschwindet Hamza jetzt auch nicht in der Versenkung, sondern wird weiterhin eine Rolle spielen. Manchmal finde ich den Ton sehr sachlich, und ich kann nachvollziehen, weshalb einzelne sich in manchen Passagen an ein Geschichtslehrbuch erinnert fühlen. Andererseits bin ich erleichtert, dass die Erzählung nicht emotionaler ausfällt, denn die Gräuel sind auch so schon sehr eindringlich geschildert. Wie andere hier in der LR frage ich mich, wie es sein kann, dass die von den Kolonialherren unterdrückten Afrikaner plötzlich im Krieg mitmarschieren. Aber allein schon von den Schilderungen des Autors entsteht der Eindruck, dass es hier etliche verschiedene Stämme gibt, und im 1. LA hat @RuLeka ja schon darauf hingewiesen, dass es eine Identität als Afrikaner wohl nicht gab. Befremdlich fand ich es trotzdem, und irgendwie erinnert mich das an das Stockholm Syndrom. Gut fand ich, dass Gurnah zwischen den Kriegspassagen immer wieder auch das Geschehen um Afiya eingeblendet hat. So verliert man nicht den Anschluss an die Erzählung davor und bekommt etwas zeitraffermäßig mit, wie das Mädchen sich entwickelt und wie die Situation in der Hafenstadt während des Krieges war.
laut Wikipedia

In Tansania werden insgesamt 125 verschiedene Sprachen gesprochen. Etwa 90 Prozent der Einwohner sprechen Bantusprachen. Im nördlichen Teil des Landes werden Niloten-Sprachen, Kuschitische Sprachen, die Khoinsan-Sprachen Hadsa und Sandawe und insbesondere auf Sansibar Arabisch gesprochen. Im Küstengebiet und auch im Landesinnern ist Swahili, eine arabisch-bantoide Mischsprache, Verkehrs- und Handelssprache.

Schon durch diese kulturellen Unterschiede gibt es Differenzen unter den verschiedenen Völkern, die meistens von den Aggressoren noch geschürt wurden.
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

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Sie wird nicht nur so gesehen, sie ist es schlicht nicht. Die mündliche Überlieferung ist der schriftlichen unterlegen - deshalb ist ja auch Gutenberg so wichtig für die westliche Kultur gewesen - und ist es noch.

Länder mit niedriger Alphabetisierung hinken bis heute dem Weltgeschehen und -markt hinterher.
Swahili war auch eine Schriftsprache, seit dem 8. und/oder 9. Jahrhundert, ebenso auch arabisch (Arabisch und Swahili in der arabischen Schrift) und die Sprachen der indischen Einwanderer.
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Ja schon. Aber man kann nur kultursensibel damit und mit dessen Folgen umgehen, wenn man die Hintergründe in der betreffenden Kultur kennt, warum die Praktiken so weit vertreten sind und welche Bedeutung sie in der betreffenden Kultur haben. Viele Mädchen und Frauen entscheiden sich ja bewusst dafür. Bitte nicht falsch verstehen, im Sinne, ich würde solche Praktiken schön reden. Aber ich denke, es ist auch hier ein Fehler, einseitig unsere "westliche" Sichtweise zuzulassen. Mehr Wissen über kulturspezifische Hintergründe hilft sicher eher, das Problem wirklich an der Wurzel anzugehen.

Das ist eine bewusste Entscheidung des Autors, nachdem er lange Zeit seine Werke erst auf englisch publiziert hatte. Nun schreibt er in seiner Muttersprache Kikuyu und übersetzt dann selbst ins Englische. Das hat eine stärkere Nähe zur oralen Erzähltradition zur Folge. Ich finde es aber durchaus interessant und lohnenswert, diesen Kulturen eine Stimme zu geben, da sie in der Weltliteratur ja leider oft untergehen.
Ich sehe es auch so, man muss manches aus dem kulturellen Aspekt heraus und nicht aus der westlichen Kultur heraus wahrnehmen. Dennoch empfinde ich die Beschneidung auch als eine Unterdrückung der Frau.
 

alasca

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Swahili war auch eine Schriftsprache, ebenso auch arabisch und die Sprachen der indischen Einwanderer.
Ich weiß. Ich erwähne Gutenberg, weil durch ihn der erste Datencontainer, das moderne Buch, möglich wurde. Und somit Wissensweitergabe auch dann, wenn die Träger zu früh starben.
 
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alasca

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13. Juni 2022
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Viele Mädchen und Frauen entscheiden sich ja bewusst dafür.
Das eben bezweifle ich. Der kulturelle Druck (Angst, keinen Mann zu finden) ist so hoch, die Mädchen sind so jung, wissen nicht um die Folgen, und ihr Umfeld übt ebenfalls Druck aus - von freier, bewusster Entscheidung kann absolut keine Rede sein. Einen Wert als Frau an sich haben sie ohne Mann in dieser Kultur nicht. Obwohl die Männer, die ihre Familien verlassen oder nicht versorgen, Legion sind.

Es geht hier auch nicht darum, einer anderen Kultur unsere Sichtweise überzustülpen, sondern um die Verhinderung von Verstümmelung, Körperverletzung und lebenslangem Leiden.

Triggerwarnung: Nicht wenige sterben bei der "Operation". Viele Frauen werden danach zugenäht, das Narbengewebe verwächst miteinander. Sie können nur noch unter Schmerzen Wasserlassen, von der Qual des Geschlechtsverkehrs durch eine enge Öffnung im Wundgewebe hindurch gar nicht zu reden. Für jede Geburt müssen sie aufgeschnitten werden. Hinterher wieder zugenäht. Dazu der völlige Verlust sexuellen Empfindens - das ist subjektiv für die Frauen allerdings das kleinste Problem.

Wenn man hier helfen will, muss man das an die Kultur anpassen. Das bedeutet aber nicht, dass man die Schultern zuckt und sagt, ist halt so. Sondern die Veränderung darf nicht punktuell geschehen, heißt, bei ein oder zwei Mädchen, sondern in einem größeren Gebiet, einem ganzen Dorf, einer Gegend ... denn dann ist das nicht beschnittene Mädchen nicht isoliert und wird nicht ausgegrenzt. Am besten ist es, wenn eine ganze Generation in einer Gegend diese Veränderung erfährt. Ich habe vor einiger Zeit von einem Programm gehört, wo das mit gutem Erfolg so gemacht wird.
 
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luisa_loves-literature

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9. Januar 2022
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Ich habe mal deinen Kommentar gekürzt, will aber einmal ganz global sagen: Danke für deine tollen Beiträge! Du kannst diesbezüglich alles so toll erklären.
DANKE! Das freut mich sehr!
:joy
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