Diese Autorinnen stehen alle noch auf meiner Wunschliste. Gurnahs Stärke liegt nicht darin, einen tief ins Geschehen hineinzuziehen.
Trotzdem mochte ich diesen etwas distanzierteren, berichtenden Blick in diesem Abschnitt - es war sowieso schon grausam genug. Außerdem habe ich den Eindruck, sehr viel von der damaligen Atmosphäre, den Wertvorstellungen und überhaupt dem Kriegsgeschehen mitbekommen zu haben. Ich beende diesen Abschnitt mit zahlreichen, lebendigen Bildern im Kopf. Das mag ich.
Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass Gurnahs distanzierter Blick auf die Geschichte die Stärke des Romans ausmacht. So kann man sich als Leser auch ganz anders dazu selbst positionieren. Mir gefällt es gut.
Ich weiß. Und nicht nur das: Sie wollen es oft auch, weil es schwer auszuhalten ist, wenn die eigene Einschränkung (oder Beschneidung) und das Leiden, das damit einhergeht, plötzlich unnötig und überflüssig - und sogar falsch - sein soll.
Mhm, ich denke man muss auch das Thema Genitalbeschneidung versuchen aus der inneren Kulturlogik heraus zu betrachten. In vielen Kulturen ist es die Normalität, es hat eine besondere Bedeutung. Wir neigen dazu, das Phänomen vorschnell zu verteufeln. So schneiden wir uns aber letztlich von der Möglichkeit selbst ab, ein tieferes Verständnis zu erlangen (und dann auf diesem Hintergrund agieren zu können).
Genau das habe ich auch vermisst. Ständig versucht man, Begriffe zu googeln, die sich aber als uneindeutig herausstellen. Die Bewegungen, Aufstände und Stämme hätte man zudem gut in einem Anhang zusammenfassen können
Stimme zu. Ein Glossar wäre sehr hilfreich.
Für mich war die Einführung einer neuen Figur (Hamza) eine Art Kunstgriff, um das Wesen dieses Kolonialkrieges zu zeigen. Mal schauen, wie ihn Ilyas überstanden hat - wenn er noch am Leben ist
So sehe ich das auch.
Das war nicht nur in Afrika, sondern letztlich in allen Kolonien (egal ob deutsche, britische, französische usw.) so - man unterschätzt u.a. aber auch die Macht und die Autorität, die die Kolonisierten, die sich anpassten, von den Kolonialisten erhielten
Das ist eine Debatte, die unter dem Begriff "innere Kolonisierung" geführt wird. O'Tiongo hat dazu in seinen Essays einige interessante Einblicke gegeben. Er zeigt eben auch auf, wie Machthaber von der Kolonisierung profitierten. Natürlich ein massives Hindernis, sich von Kolonialmächten zu befreien.
Wer "Das verlorene Paradies" gelesen hat, kennt Hamza schon - wenn auch unter dem Namen Yussuf. "Nachleben" ist die Fortsetzung
Das wusste ich gar nicht. Vielen Dank für den Hinweis.
Deshalb ist es so wichtig, Literatur aus Afrika ( oder anderen Kolonien) zu lesen. Dazu muss sie aber erstmal geschrieben, publiziert und übersetzt werden. Gerade letzteres ist oft das Problem, wenn die Autoren nicht auf Englisch oder Französisch schreiben. Literatur in der ursprünglichen Landessprache erhält nie die Aufmerksamkeit, dass sich der Weltmarkt dafür interessiert und wenn, fehlen die Übersetzer.
Da hast Du vollkomen Recht. Letztendlich bedeutet aber auch das Schreiben auf Englisch und Französisch ein Entfernen der Afrikaner von der egienen Kultur. O'Thiongo fordert deswegen vehement zur eigenen oralen Erzähltradition zurückzukehren. Es ist ein spürbares Überbleibsel der Kolonialmacht, dass Kinder in Schulen gezwungen werden, die Sprache der Kolonisierer zu sprechen. Es geht sogar so weit, dass Kinder sanktioniert werden, wenn sie afrikanische Sprachen an Schulen sprechen.