2. Leseabschnitt: Teil II. Kapitel 1 bis 15 (S. 99 bis 187)

Circlestones Books Blog

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28. Oktober 2018
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Abschnitt II beginnt mit der Besichtigung des Hauses 1979 vor dem Kauf. Bei der Beschreibung des verwahrlosten, feuchten Gebäudes greift der Autor sprachlich ins Volle, Metapher reiht sich an Metapher. Dies behält er, etwas abgemildert, auch bei allen Schilderungen der einzelnen Räume, Details, Empfindungen während der Besichtigung bei, die sich nun mit der chronologisch erzählten Geschichte der Familie Verhulst während der Jahre, die sie in diesem Haus gewohnt hat, abwechseln. Diese Art des Erzählens gefällt mir sehr gut, macht die Geschichte interessant und macht neugierig darauf, wie es weitergeht.

Willem Verhulst kauf das besagte Haus im ersten Kriegsherbst, schon damals war es kalt, feucht und dunkel, kein Haus, in dem man sich wohlfühlen konnte, erinnern sich später die damaligen Kinder. Auch fast vierzig Jahre später, bei der Besichtigung 1979 durch den Autor ist der Keller mit Wasser vollgelaufen. Willem macht unter den Deutschen Karriere, irgendwann trägt er die SS-Uniform. Mir gefält Mientje immer besser, ihr stiller, aber hartnäckiger Widerstand. Ich musste einfach lachen über ihr Staunen, als plötzlich die Hitlerbüste aufgestellt wird – und später auch über Willems Missgeschick.

Wir erfahren viel über Mien, da sie Tagebuch zu führen beginnt, das der Autor beim Schreiben dieses Romans lesen konnte. Die Ehe ist längst eine Enttäuschung geworden, was durch Willems Veränderung sicher noch verstärkt wird. Hier ist für mich Schilderung der nächtlichen Straßenbahn und ihre kurze Idee, was wäre, wenn sie bis zum Hafen ginge und einfach an Bord eines Schiffes, eine Schlüsselszene. Natürlich bleibt sie, vor allem wohl wegen der Kinder.

Eines der Zitate, das ich notiert habe, finder sich auf Seite 186, Besuch 2019 in Neuenstein: „Vielleicht möchte man durch den Besuch eines Ortes der Erinnerung, selbst wenn diese nicht die eigene ist, den Lauf der Geschichte für einen Augenblick aufhalten.“
 

Querleserin

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Metapher reiht sich an Metapher. Dies behält er, etwas abgemildert, auch bei allen Schilderungen der einzelnen Räume, Details, Empfindungen während der Besichtigung bei, die sich nun mit der chronologisch erzählten Geschichte der Familie Verhulst während der Jahre, die sie in diesem Haus gewohnt hat, abwechseln. Diese Art des Erzählens gefällt mir sehr gut, macht die Geschichte interessant und macht neugierig darauf, wie es weitergeht.
Das ist mir aufgefallen, dass die persönlichen Erlebnisse sich sprachlich sehr stark von der eher nüchtern erzählten Biografie der Familie Verhulst unterscheiden. Das bringt sowohl Abwechslung als auch eine sehr persönliche Note in das Erzählte.
Mir gefält Mientje immer besser, ihr stiller, aber hartnäckiger Widerstand
Sie ist die stille Heldin, die heimlich Widerstand übt. In Bezug auf die Uniformen hat sie sich tatsächlich durchgesetzt.
Sehr interessant ist auch, wie sich der Autor auf Spurensuche begibt und z.B. den Ort in Deutschland aufsucht, an dem die Kinder den Sommer 1942 verbracht haben. Es wird immer deutlicher, dass er seine Biografie auf viele Quellen stützt:
Die Interviews mit den beiden noch lebenden Töchtern und den Hinterlassenschaften der Familie:
„die Tagebücher der Mutter, ihre eigene (Lettas) Lebensgeschichte, ein Heft mit einem Läufer, auf dessen Umschlag in der väterlichen Handschrift Wils Kindheit und Jugend geschrieben steht.“ (157)

Der Autor erklärt auch implizit seine Vorgehensweise:
„Symphonein bedeutet zusammenklingen, gemeinsam einen Klang hervorbringen, dessen komplexes Ganzes mehr ist als die Summe seiner Teile.“ (157)
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Eines der Zitate, das ich notiert habe, finder sich auf Seite 186, Besuch 2019 in Neuenstein
Das ist mir auch besonders positiv aufgefallen. Insgesamt spürte ich in diesem Abschnitt, wie nahe es dem Autor geht, die Geschichte zu erzählen und wie wichtig ihm das ist. Das sorgt auch bei mir für große Empathie.
Der Autor erklärt auch implizit seine Vorgehensweise:
„Symphonein bedeutet zusammenklingen
Ein ganz wunderbarer Vergleich, oder? Sympathisch finde ich daran, dass Stefan Hertmans selbst unsicher ist, ob es ihm überhaupt gelingt, all dies in Einklang zu bringen. In meinen Augen gelingt ihm das sehr gut.
 

Christian1977

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Ich bin mittlerweile richtig beeindruckt und dem "Etikettenschwindel" im Nachhinein sogar dankbar, denn sonst hätte ich das Buch wohl nicht gelesen.

Dieser zweite Abschnitt hat mir insgesamt nämlich noch mal um ein Vielfaches besser gefallen, obwohl ich ja schon den Beginn nicht schlecht fand.

Es tut dem Buch in meinen Augen merklich gut, dass Stefan Hertmans das Tempo drosselt, sich vom eher rein biografischen Erzählen des Beginns entfernt und auf mehr Atmosphäre und Beschreibungen setzt. Sprachlich finde ich das großartig. Wie plastisch er das Haus 1979 beschreibt und dessen Verfall, in dem natürlich mehr steckt als der reine Hausverfall. Die Gerüche, Geräusche, die Farben - da hatte ich das Gefühl, richtig eintauchen zu können. Ich liebe diese Detailfreude.

Mehrfach hatte ich Gänsehaut, zum Beispiel, wenn er historische oder fiktive Szenen aus Willems Leben beschreibt und im nächsten Moment sagt, genau dort vor dem Kamin habe er oft mit seiner Freundin gesessen. Wow. Wie hätte er wohl dort gelebt, wenn er das damals schon so detailliert gewusst hätte. Hätte er dort überhaupt leben können?

Dann gefällt mir die oben schon angesprochene Empathie gegenüber den Kindern und der Ehefrau und wie ernst er diese Geschichte nimmt, sich dabei elegant zurücknimmt, obwohl er ungewollt später Teil dieser Geschichte bzw zumindest der des Hauses wird.

Ich kann also gar nicht mehr meckern gerade und hoffe, das bleibt so.
 

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29. März 2022
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In diesem Abschnitt lesen wir parallel über die Eindrücke des AUtpren vom Haus sowie den Einzug von Willems Familie in ebendieses Haus Jahrzehnte zuvor. Beides ist sehr atmosphärisch. Man hat fast das Gefühl dabei zu sein und die Gerüche z.B. nach Schimmel und Feuchtigkeit regelrecht in der Nase zu haben - so eindrücklich und detailliert wird dies beschrieben.

Es geht auch um die Anfangszeit von Willem und seiner Familie in diesem Haus. Zwar empfängt Willem in einem Zimmer des Hauses SS-Kollegen und stellt auch eine Hitler-Büste auf. Seine Frau versucht jedoch so gut wie möglich, die Kinder von all dem fernzuhalten und setzt durch, dass Willem zu Hause keine SS-Uniform trägt. So übt sie Widerstand gegen die politsche Gesinnung Willems, die zunehmend deutlich wird.

Stefan Hartmanns hat wohl sehrt gut recherchiert. Nach wie vor gibt es viele ergänzende Bilddokumente und immer wieder Hinweise darauf, wie die Kinder sich im hohen Alter an das Leben von damals erinnern. Das Buch liest sich ganz gut, aber gerade in diesem Abschnitt "passiert" mir zu wenig. Ich denke aber, dass die Entwicklung und Veränderung der Charaktere (hoffentlich) in den weiteren Abschnitten deutlicher im Vordergrund stehen wird. Ich bin gespannt...
 

Literaturhexle

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Bei der Beschreibung des verwahrlosten, feuchten Gebäudes greift der Autor sprachlich ins Volle, Metapher reiht sich an Metapher.
Atmosphäre kann er wirklich gut!
Auch wenn ich durchaus eine Schwäche für alte Gemäuer habe, kann ich nicht es nicht nachvollziehen, dass der Autor die Hütte völlig schimmlig, verkommen und nass in 1979 übernommen hat. Der Preis erscheint mir nicht günstig. Das Ding ist für normale Leute fast unverkäuflich. Es braucht einen Liebhaber im wahrsten Sinne.
Auch für Familie Verhulst mit drei Kindern dürfte es eine Zumutung gewesen sein. Warum Willem es bezogen hat, ist mir nicht ganz klar. Weil er es haben konnte, weil es eine prestigeträchtige Gegend war, weil es Geschichte hatte und repräsentativ in den Comfortzonen?
Es wird immer deutlicher, dass er seine Biografie auf viele Quellen stützt:
Nicht jeder Schriftsteller kann immer seine eigene Fantasie anzapfen. Im Grunde hat Hertmans die Anregung zur Recherche über den Hauskauf bekommen. Die hinterbliebene Familie hat mitgemacht und Quellen zur Verfügung gestellt. Der Autor schreibt das alles ansprechend zusammen. Wir finden das gut.

Zum Vergleich wurde C. Poschenrieder im Roman "Ein ganzes Leben" stark dafür kritisiert (in unserer LR), dass er einen realen Kriminalfall zur Grundlage seines Romans genommen hat, er hätte mehr oder weniger alle Fakten aus dem www entnommen, hieß es. Poschi hat das Beziehungsgeflecht der Freunde in den Fokus gestellt und einen aus meiner Sicht überzeugenden Roman darüber geschrieben. Wo ist jetzt der Unterschied zu Hertmans? Ein Autor holt sich Themen aus dem Leben und verarbeitet sie literarisch. Der eine darf es, der andere nicht?
und immer wieder Hinweise darauf, wie die Kinder sich im hohen Alter an das Leben von damals erinnern
Interessant in diesem Zusammenhang, wie der Autor die kindliche Sicht stellenweise auch geraderückt mit dem Hinweis, dass sie dies oder jenes vielleicht noch nicht wahrnehmen konnten oder der Blick (durch Liebe zum Vater) getrübt war.
 

Literaturhexle

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Willem ist ein Mann mit mindestens zwei Gesichtern. Er ist nicht nur "irregeführt, verblendet und verworren". Seine nationalistisch gesonnene Ideologie und seine Frankophobie hat sich ja schon frühzeitig gezeigt. Es gibt Menschen, die Angst vor ihm haben. Im Gegenzug schaut er bei massiven Folterungen weg, kann sie nicht ertragen. Geradlinig meidet er die Schwarzmärkte, lässt seine Familie lieber Mangel leiden. Musik und Kunst - die Welt der SS-Schergen.

Das Ehepaar entfernt sich voneinander. Nur selten gibt es offene Konflikte, Mientje beschränkt sich auf das Setzen unumstößlicher Grenzen. Einer davon der weggeworfene Dolch, der Andri direkt betrifft, auch Uniformen dürfen sie nicht tragen. Die erwachsenen Kinder betreiben durch ihr Schreiben Aufarbeitung, der Sohn beschäftigt sich stärker mit der väterlichen Perspektive:
Sohn zu sein mit der Bürde des Vaters auf den Schultern. Die Stille zwischen den Wörtern seines Bekenntnisses ist ein einziges Zeugnis des Schmerzes. 177
Nebenbei wird eingeflochten, dass Willem eine Zeitlang im Gefängnis zugebracht hat. Er wurde also zur Verantwortung gezogen in späteren Jahren.

Neuenstein liegt hier ganz in der Nähe. Wanda, hast du nicht sogar einen persönlichen Bezug zu dem Ort?

Abgesehen davon, dass mich die Thematik nicht wirklich interessiert und ich wirklich einen Roman im herkömmlichen Sinn erwartet habe, muss ich Hertmans Schreibstil loben. Er macht es ganz geschickt, auch mich bei der Stange zu halten, indem er die Perspektiven, Zeiten und Schauplätze miteinander verflechtet und zu (s)einer Geschichte zusammenfügt. Die Bilder schenken dem Ganzen Glaubwürdigkeit.
 
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Christian1977

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kann ich nicht es nicht nachvollziehen, dass der Autor die Hütte völlig schimmlig, verkommen und nass in 1979 übernommen hat.
Ich irgendwie schon, obwohl es Wahnsinn ist. Schon wie morbide und gleichzeitig schön er es beschreibt, übt eine wahnsinnige Faszination auf mich aus.
Ein Autor holt sich Themen aus dem Leben und verarbeitet sie literarisch. Der eine darf es, der andere nicht?
Doch, wir haben doch festgestellt, dass jeder alles und es sogar Roman nennen darf. ;) Aber ich finde, es gibt da große Unterschiede. Stefan Hertmans recherchiert alles selbst, niemand hat die Geschichte vorher so erzählt. Es ist eine Recherche über viele viele Jahre. Und bei Poschi findet man alles wirklich haarklein in kürzester Zeit. Zehn Minuten, wie @Circlestones Books Blog sagte. Das ist wahrscheinlich zu knapp berechnet, aber der Grundaussage stimme ich zu. Die ganze Geschichte gibt es so schon.

Dazu kommen bei mir dann persönliche Befindlichkeiten: Ich finde die Geschichte eines Hauses und seiner Bewohner:innen über Jahre dann doch bewegender als so gestellte Interviews zu einem Mordfall vor 20 Jahren. Und ehrlich gesagt finde ich den Schreibstil hier um Klassen besser. Zum Glück ist das alles aber Geschmackssache. :)
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Das ist wahrscheinlich zu knapp berechnet, aber der Grundaussage stimme ich zu. Die ganze Geschichte gibt es so schon.
Die Fakten. Aber nicht die Psychologie der Freundesgruppe, die Details. Die Fragestellung war eine andere mit mehr fiktionalen Elementen.
Hier wird eine Quelle nach der anderen zitiert und ausgeweitet. Ist leider gar nicht meins:(
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Bevor ich eure Kommentare lese, kurz meine Eindrücke:
Ich verfolge höchst interessiert die Lebensgeschichte des Willem Verhulst und seiner Familie, denn das ist das Buch für mich. Den erzählerischen Rahmen liefert der Gang des Ich- Erzählers mit dem Notar durch das total heruntergekommene Haus.
Ich denke, dass dieses Buch in Belgien eine andere Relevanz hat als für uns deutsche Leser. Das Thema Kollaboration ist bzw. war in den besetzten Ländern ein Tabu- Thema. Insofern ist es sehr beachtlich, einen Kollaborateur zur Hauptfigur seines Buches zu machen.
Spannend ist das Verhältnis zwischen Willem und seiner Frau Meintje. Wie lebt es sich mit einem Mann, der für Dinge eintritt und Dinge tut, die man zutiefst ablehnt? Sie wird v.a. wegen der Kinder bei ihm geblieben sein. Manchmal setzt sie sich auch durch, z.B. erklärt sie sich mit der Kinderverschickung einverstanden ( in der Hoffnung, dass die Kinder dort wenigstens gut versorgt werden), aber sie verbietet, dass sie in Uniformen gesteckt werden.
Beachtlich, wie viel Recherche in dem Buch steckt. Dass Hertmans nach Deutschland reist, wohin die Kinder damals kamen, wäre vielleicht nicht notwendig gewesen. „ Vielleicht möchte man durch den Besuch eines Ortes der Erinnerung, selbst wenn diese Erinnerung nicht die eigene ist, den Lauf der Geschichte für einen Augenblick aufhalten.“
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Mir gefält Mientje immer besser, ihr stiller, aber hartnäckiger Widerstand. Ich musste einfach lachen über ihr Staunen, als plötzlich die Hitlerbüste aufgestellt wird – und später auch über Willems Missgeschick.
Geht mir genauso. Mientje ist für mich die eigentliche Heldin. Ihr Widerstand im Kleinen, sehr schön. Sie gewinnt letztlich durch Willems Fehlschuss.
Sie ist die stille Heldin, die heimlich Widerstand übt. In Bezug auf die Uniformen hat sie sich tatsächlich durchgesetzt
Das sehen wir alle so.
Insgesamt spürte ich in diesem Abschnitt, wie nahe es dem Autor geht, die Geschichte zu erzählen und wie wichtig ihm das ist. Das sorgt auch bei mir für große Empathie.
Ja, und er wundert sich, wie lange ihn der frühere Bewohner nicht interessiert hat.
nd dem "Etikettenschwindel" im Nachhinein sogar dankbar, denn sonst hätte ich das Buch wohl nicht gelesen.
Na siehste!
Wie hätte er wohl dort gelebt, wenn er das damals schon so detailliert gewusst hätte. Hätte er dort überhaupt leben können?
Wahrscheinlich nicht.
Auch wenn ich durchaus eine Schwäche für alte Gemäuer habe, kann ich nicht es nicht nachvollziehen, dass der Autor die Hütte völlig schimmlig, verkommen und nass in 1979 übernommen hat
Ich sehe hier auch v.a. die riesigen Kosten, die durch das Renovieren auf einem zukommen.
Ein Autor holt sich Themen aus dem Leben und verarbeitet sie literarisch.
Jeder Autor greift auf Dinge zurück, die er selbst erlebt, von denen er gehört hat. Er lebt schließlich nicht im luftleeren Raum. Für mich war das auch bei Poschenrieder kein Kritikpunkt.
Interessant in diesem Zusammenhang, wie der Autor die kindliche Sicht stellenweise auch geraderückt mit dem Hinweis, dass sie dies oder jenes vielleicht noch nicht wahrnehmen konnten oder der Blick (durch Liebe zum Vater) getrübt war.
Bei dem Sohn kommt noch hinzu, dass er später als Geschichtsdozent gearbeitet hat. Ihm musste bewusst sein, welche Bedeutung diese Tätigkeit seines Vaters hatte. Doch er wollte es nicht so genau wissen. Nur sonderbar, dass er dann nicht darüber schweigt, sondern ein Buch darüber schreibt.
Gegenzug schaut er bei massiven Folterungen weg, kann sie nicht ertragen.
Da ist er auch nicht allein. Die Schreibtischtäter hatten ihre Leute fürs Grobe. Himmelt betont ja mal in einer Rede, dass er es bewundert, wie die SS ihre Arbeit gemacht hat:

Von euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammenliegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen“, sagte er am 4. Oktober 1943 und fuhr fort: „Dies durchgehalten zu haben, und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte.“

Mich interessiert die Thematik ( schon immer und immer noch und jedes Buch bringt einen zusätzlichen Aspekt hinzu ) und ich finde es toll, wie Hertmans das macht. Sprachlich und literarisch gut umgesetzt.
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Nicht jeder Schriftsteller kann immer seine eigene Fantasie anzapfen. Im Grunde hat Hertmans die Anregung zur Recherche über den Hauskauf bekommen. Die hinterbliebene Familie hat mitgemacht und Quellen zur Verfügung gestellt. Der Autor schreibt das alles ansprechend zusammen. Wir finden das gut.
Ich finde das völlig legitim. Hartmann ist Historiker, hat bei Adrian Verhulst studiert, ist also mit der Auswertung von Quellen vertraut. Die Frage ist, was man daraus macht. Aus meiner Sicht sind die fiktiven Anteile gering, Hertmans erzählt die Geschichte Willems auf der Grundlage dessen, was er herausgefunden hat. Seine Spurensuche ist ebenfalls Gegenstand des Romans sowie seine Annäherung an sein Thema, die mit dem Kauf des Hauses beginnt. Ich finde diese Komposition gelungen. Insofern darf er das ;) und prinzipiell darf Literatur doch fast alles ;)
 

Querleserin

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Hier wird eine Quelle nach der anderen zitiert und ausgeweitet. Ist leider gar nicht mein
ist aber wissenschaftlich sehr fundiert. Er zeigt, dass er sich intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt hat, recherchiert hat, gereist ist, wie @Christian1977 oben auch schon angemerkt hat.
Und das ist der Grund, warum es für mich weniger ein Roman ist, sondern eine Biografie, eine historische Herangehensweise an eine Lebensgeschichte. So, damit schließe ich dieses Thema für mich jetzt ab und genieße den Rest ;)
 

Wandablue

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Brandenburg
"Neuenstein liegt hier ganz in der Nähe. Wanda, hast du nicht sogar einen persönlichen Bezug zu dem Ort?" (Literaturhexle).
Oh ja, meine Mutter kommt von dort und ich war oft dort, die Familie besuchen. Also die von meiner Mutter. Wir sind dann ja weggezogen.
Man muss sich umwenden, eine 180 Grad Wendung machen vor dem Schloss, über die Haupt-Straße gehen und dann kommt man durch einen herrlichen alten Torbogen zu der aufwärtsführenden Straße (Sträßchen) durch den malerischen alten Ort. (Natürlich gibt es auch ein Neubaugebiet, aber das ist uninteressant). Man geht ständig aufwärts, Häuserchen biegen sich in das Sträßchen hinein, weiter hinauf, schnauf, immer hinauf, Kirche, Gasthäuschen, bis man zum Bahnhof kommt, der aber schon lange nicht mehr in Betrieb ist. (Vllt jetzt wieder, wer weiß). Irgendwo unterwegs gibt es einen breiten Platz, von wo aus man einen wundervollen Blick auf das Schloss hat. Ein sehr sehenswerter Ort. Unbedingt hinfahren zum Sonntagnachmittagsausflug! Zu Fuß gehen! Nicht mit dem Auto durchfahren. Das wäre schade.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Ich vermisse ein wenig die Renovierungsabeiten und ihre Schilderungen. Die Verhultsfamilie muss doch einiges gemacht haben. So wie es dargestellt wird, war das Haus kaum bewohnbar. Oder?
Beim Neubesitzer hoffe ich, dass wir noch etwas davon hören, wie er das Haus wieder in Schuß bringt.
 
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Reaktionen: Literaturhexle

Wandablue

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18. September 2019
9.624
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Brandenburg
Ich kann mir jedoch schlecht vorstellen, dass die Kinder im Schloßgarten spazierengingen. Das ist vom Bahnhof ganz ganz oben bis nach unten unten unten, wo das Schloß ist, schon ne ganze Ecke! Das Mädchen wohnt etwas näher, die vllt ging mit der Bürgermeisterfamilie dort flanieren? Aber der Junge nicht. Bauers haben dafür keine Zeit.