2. Leseabschnitt: Teil II - Angelegentlich nassen Schnees (Seite 89 - 178)

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Die Geschichte mit dem Offizier, der den Erzähler "umrennt", ist grotesk. Der Erzähler kauft sich extra einen besonderen Mantel bzw. Pelzkragen, spaziert alsdann in dem Bereich herum, den man heute "Fußgängerzone" nennt, und sucht gezielt dem Offizier, der ihn mal gestreift hat, vor die Füße zu laufen. Diesmal wird er nicht ausweichen, sondern seinerseits den Offizier streifen. Doch es klappt nicht, sein unbewusstes Unterlegenheitsgefühl lässt ihn jedesmal, bevor er den anderen anstreift, einen Schlenzer zur Seite machen.
Ich weiß nicht, ist das näher an Kafka oder an Poe, wohl am ehesten eine Mischung aus beiden. Kafka wäre kürzer, Poe wäre romantischer.

So verrückt die Geschichte klingt, ganz wirklichkeitsfremd ist sie wohl nicht. Übertriebene Ehrpussligkeit, die Angst, "das Gesicht zu verlieren", treibt die Menschen zu den seltsamsten Verhaltensweisen.
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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OMG! Es wird aktionsreicher, aber besser wohl kaum. Der arme Kerl, geprägt durch seine ungeliebte Kindheit, hat er Schwierigkeiten, Freundschaften zu schließen. Seine Welt dreht sich nur um ihn, Empathiegefühle scheinen ihm fremd zu sein.
Das Anrempeln des Offiziers, wurde durch die extra Anschaffung des neuen Mantelkragens ja schon zur Groteske, aber das ganze Ausmaß der Absurdität wird mit der Selbsteinladung zum Abschiedsessen eines ehemaligen Schulkollegen deutlich. Was hat dieser Mann nur für ein Problem? Er negiert es zwar und hält nur deutsche, französiche und englische Romantiker für überzogene Misanthropen, aber er gibt geradezu ein Musterbeispiel dafür ab.
 

Emswashed

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Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Ich finde es geradezu irre, wie dieser Mensch bewusst und gewollt genau das tut, was er erklärtermaßen nicht tun will, und wovon er auch vorher weiß, dass nichts Gutes dabei herauskommt.

Er will nicht hingehen, aber er geht hin. Er will nicht bleiben, aber er bleibt. Er zockelt sogar hinterher, als der Standort der Abschiedsveranstaltung verlegt wird. Und das alles ganz bewusst wider besseres Wissen.

Die Widersprüchlichkeit der menschlichen Seele ist hier grotesk übersteigert dargestellt.
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Ich finde es geradezu irre, wie dieser Mensch bewusst und gewollt genau das tut, was er erklärtermaßen nicht tun will, und wovon er auch vorher weiß, dass nichts Gutes dabei herauskommt.

Er ist von Zwängen getrieben. Auch von dem Zwang, alles ins Schlechte zu verkehren. Wie käme man so einem Menschen bei? Denn offensichtlich helfen auch keine guten Gesten, wie dem Leihen des Geldes, oder das Verraten des Treffpunktes.
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Übertriebene Ehrpussligkeit, die Angst, "das Gesicht zu verlieren", treibt die Menschen zu den seltsamsten Verhaltensweisen
Ja und das noch gepaart mit vollkommen mangelndem Selbstbewusstsein bei gleichzeitig überhöhtem Statusdenken. Die Menschen (nicht nur der Held selber) bewerten sich anscheinend nur danach, wie viele "Seelen" (Leibeigene) sie auf ihren Besitzungen haben und welchen Rang sie in Militär oder Verwaltung einnehmen. Darüber hinaus zählt nichts weiter. Da verliert man eben komplett sein Gesicht, wenn einen jemand anrempelt, der gesellschaftlich unter einem steht. Wie schwierig, sich durch diese Welt zu bewegen! Der Rückzug in den Untergrund (ein dunkles Kellerloch) scheint mir da eher konsequent und hilfreich, solange jedenfalls, solange niemand dieses Kellerloch als ehrabschneidend entdeckt. Oh wie gruselig!
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Die Geschichte mit dem Offizier, der den Erzähler "umrennt", ist grotesk. Der Erzähler kauft sich extra einen besonderen Mantel bzw. Pelzkragen, spaziert alsdann in dem Bereich herum, den man heute "Fußgängerzone" nennt, und sucht gezielt dem Offizier, der ihn mal gestreift hat, vor die Füße zu laufen. Diesmal wird er nicht ausweichen, sondern seinerseits den Offizier streifen. Doch es klappt nicht, sein unbewusstes Unterlegenheitsgefühl lässt ihn jedesmal, bevor er den anderen anstreift, einen Schlenzer zur Seite machen.
Ich weiß nicht, ist das näher an Kafka oder an Poe, wohl am ehesten eine Mischung aus beiden. Kafka wäre kürzer, Poe wäre romantischer.

So verrückt die Geschichte klingt, ganz wirklichkeitsfremd ist sie wohl nicht. Übertriebene Ehrpussligkeit, die Angst, "das Gesicht zu verlieren", treibt die Menschen zu den seltsamsten Verhaltensweisen.
Diese Geschichte hat mir gezeigt, dass der Erzähler sehr verbissen sein kann. Ich kann zwar verstehen, dass man sich über diese Art Mensch, die meinen sie haben das Recht andere anzurempeln, weil sie sich als etwas besseres sehen, ärgert. Die Intensität die er an den Tag legte, finde ich wirklich befremdlich. Insgesamt scheint sein gesamtes Leben nur aus solchen Zwischenfällen, und seinem Unmut der deshalb entsteht, zu bestehen.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Er ist von Zwängen getrieben. Auch von dem Zwang, alles ins Schlechte zu verkehren. Wie käme man so einem Menschen bei? Denn offensichtlich helfen auch keine guten Gesten, wie dem Leihen des Geldes, oder das Verraten des Treffpunktes.
Ja, da hast du Recht. So kann man dem Leben nichts abgewinnen. Er ist das beste Beispiel dafür
 
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RuLeka

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30. Januar 2018
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Dieser Mensch nervt mich leider zusehends. Sicher, manche Reaktionen kennt man. Dass man z.B. länger irgendwelchen ( vermeintlichen) Kränkungen nachhängt oder dass man Dinge tut, obwohl man sie eigentlich nicht tun möchte. Aber hier wird alles bis ins Absurde gesteigert. Aber es ist sein ständiges Nur- um - sich- Kreisen, was mir diese Figur so unsympathisch macht. Er verschwendet keinen Gedanken daran, wie sich wohl andere fühlen. Er drängt sich auf, biedert sich an, stößt andere vor den Kopf - was erwartet er hier für Reaktionen? Eigentlich fühlt er sich jedem überlegen und zugleich minderwertig, eine unheilvolle Mischung.
Doch was ist die Botschaft des Buches? Darüber bin ich mir nicht im Klaren.
Es ist Jahrzehnte her, dass ich die „ Brüder Karamasow“ gelesen habe. Ich habe zwar kaum Erinnerungen daran, weiß nur noch, dass ich damals total begeistert und vom Film enttäuscht war ( weil er sich nur auf die Handlung beschränkt hat und die Gedankenwelt nicht herübergebracht hat). Und eine neuerliche Lektüre von „ Der Spieler“ vor kurzem hat mein früheres positives Bild bestätigt.
Warum werde ich mit diesem Buch nicht warm? Vielleicht kommt zum Schluss das große Aha- Erlebnis.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Das Anrempeln des Offiziers, wurde durch die extra Anschaffung des neuen Mantelkragens ja schon zur Groteske,
Aber warum muss man sich zum anrempeln extra einen neuen Mantelkragen kaufen? Um zu demonstrieren, dass man Geld hat - sprich auf einer Ebene mit dem Offizier? Um wahrgenommen zu werden? Ganz verstanden habe ich das nicht...
Selbsteinladung zum Abschiedsessen eines ehemaligen Schulkollegen deutlich

Würde man es in die Moderne übertragen, kämen wir wohl in den Bereich Cyberstalking und -mobbing.
Interessanter Gedanke.
Die Widersprüchlichkeit der menschlichen Seele ist hier grotesk übersteigert dargestellt.
So grotesk übersteigert geht ja noch nicht mal Kafka ans Werk :rolleyes::)
Aber es ist sein ständiges Nur- um - sich- Kreisen, was mir diese Figur so unsympathisch macht. Er verschwendet keinen Gedanken daran, wie sich wohl andere fühlen. Er drängt sich auf, biedert sich an, stößt andere vor den Kopf - was erwartet er hier für Reaktionen? Eigentlich fühlt er sich jedem überlegen und zugleich minderwertig, eine unheilvolle Mischung.
Doch was ist die Botschaft des Buches? Darüber bin ich mir nicht im Klaren.
Vielleicht das zu viel Einsamkeit und Abgeschiedenheit verrückt macht? Vielleicht wollte Dostojewski die Menschen mit diesem "Gruselbild" aus dem Untergrund herauslocken und der Gesellschaft damit einen Bärendienst erweisen ha ha ha.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Ich bin völlig bei RuLeka. Ich habe keine Ahnung, was das alles soll. Hier kreist jemand nur um sich und seine eigenen Befindlichkeiten. Kleine, normale Alltäglichkeiten werden aufgeblasen und es wird ihnen vermeintliche Bedeutsamkeit verliehen. Prestige und Stellung spielen dabei eine große Rolle.
Unser Protagonist ist ein philosophierender Einzelgänger. Ich langweile mich entsetzlich!
 

Literaturhexle

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Och nö, Ems!
Lies mal Schuld und Sühne. Er kann es viel besser. Raschkolnikov führt zwar auch innere Monologe, aber die kann man angesichts der Handlung auch nachvollziehen. Dieses Buch soll er für die großen Werke die Vorlage sein???
Zum Glück ist es nicht dick. Wahrscheinlich muss man Geisteswissenschaften studiert haben, um es zu verstehen.
 

Literaturhexle

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Die Widersprüchlichkeit der menschlichen Seele ist hier grotesk übersteigert dargestellt.
Genau so etwas wollte ich auch sagen. Das erinnert an Freuds Theorien vom Ich und vom Über-Ich. Wobei Letzteres weiß, was gut für unseren Prota ist...
Er tut aber genau das Gegenteil. Die anderen Personen versuchen ihn zu ignorieren, nehmen ihn nicht ernst, versuchen alles, um die Situation nicht eskalieren zu lassen. Ohne Erfolg. Wie ein Terrier heftet er sich an ihre Füße. Entblödet sich nicht, auch noch um Geld zu betteln. Grotesk. Das trifft es wohl.
 
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Reaktionen: Emswashed und RuLeka

Literaturhexle

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2. April 2017
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Eigentlich fühlt er sich jedem überlegen und zugleich minderwertig, eine unheilvolle Mischung.
Doch was ist die Botschaft des Buches?
Ja, diesen empathielosen Kerl kann man nocht mögen! Er kreist nur um sich und seine völlig an den Haaren herbeigezogenen Befindlichkeiten. Vermutlich waren seine Mitschüler früher total nett zu ihm - nur hat er alles fehlinterpretiert und entsprechend in seinen Gedanken gesteigert. Als Erzähler kann er kaum unzuverlässiger sein!


Um wahrgenommen zu werden? Ganz verstanden habe ich das nicht...
Die Gesellschaft ist ist Stände eingeteilt. Der Bürger von geringerem Stand wieselt um die höheren Standes herum. Das scheint dem Gesetz der Straße zu entsprechen. Unser Prota putzt sich heraus, damit sein niederer Stand nicht sofort sichtbar ist und der Mob nicht über ihn herfallen kann wegen seiner Dreistheit. Er will dem General "auf Augenhöhe " begegnen.
Es würde mich freuen, wenn ich wenigstens das richtig verstanden hätte :p