2. Leseabschnitt: Teil 1 - Kapitel 3 (S. 54 bis S. 84)

Literaturhexle

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Mir tut David leid, er ist so unsicher, was seine eigenen Gefühle angeht. Teilweise bekommt das Gefühl, er braucht jemanden der ihm versichert, dass seine Gefühle echt und auch vertretbar sind.
Ich glaube, es ging uns anfangs allen so. Aber spare dir das Mitleid ;)
Die Figur des David hat viele Facetten, die ein Umdenken fordern.
 
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parden

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Mir erging es ähnlich wie vielen hier, gerade was die Pariser Lokalitäten und Sehenswürdigkeiten anbelangt. Ein trister grauer Charme liegt über alledem, und film noir trifft es wirklich gut. Aber auch die Schilderung der Menschen, denen David und seine Kumpane begegnen - viel Klischeehaftes ohne dass die Klischees störend wirken, jeder spielt seine ihm zugedachte Rolle mit vorhersehbaren Verhaltensweisen. Ein interessanter Aufbau des Romans: einerseits ausgerichtet auf eine mögliche Zukunft, die nicht im Desaster endet, andererseits eben in der Zukunft, die Schreckliches ahnen lässt. Nur darüber was genau geschehen ist, lässt Baldwin den Leser noch im Unklaren. Spannend... Auch ich habe mir im übrigen einige Sätze markiert, u.a. den hier bereits viel zitierten auf Seite 67... ;)
 
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Renie

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Hat jemand verstanden, was mit dem letzten Satz auf Seite 64 gemeint ist? "Noch allerdings umgab in die schreckliche Schönheit eines Pferdes und auch ein Hauch von Sturmmann..." Übersetzungsproblem?
Eine gute Frage, diesen Satz habe ich überlesen. Und jetzt kommt er mir auch merkwürdig vor. Denn bei diesem Satz passt gar nichts zusammen. Also, entweder haben wir hier eine kreative Übersetzung oder eine Symbolik, die uns entgeht.
 

Mikka Liest

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@Renie

Oh ja, hier fährt Baldwin wirklich eine ungeheure Sprachgewalt mit ganz viel Atmosphäre auf! Ein Paris wie man es sich vorstellt, aber man sieht auch ein paar der weniger Touristen-tauglichen Ecken.
Giovanni ist eine merkwürdige Mischung: einerseits dominant, andererseits lässt er sich auch auf Dinge ein, die er eigentlich nicht will – wie die merkwürdige 'Beziehung' zu seinem Chef.

@Literturhexle

David kann sich noch nicht lösen von dem Bild, das in der Gesellschaft der Zeit von Schwulen gezeichnet wird. Da kann er sich noch nicht wirklich auf eine Beziehung voll einlassen... (Und wir wissen ja, dass das tragisch enden wird.)

Er steht auf der Kippe, er fühlt sich offensichtlich überfordert und gefährdet – und Tiere, die in die Ecke getrieben werden, beißen... Obwohl ich mir wünschen würde, dass er das Glück findet, fürchte ich das Schlimmste.

@Leseglück

Jacques sagt in diesem Abschnitt einiges, was mich erstaunt und mein Bild von ihm zum Positiven verändert hat! Und er tut mir sehr leid, weil er sich selbst eigentlich für zu alt und zu kaputt hält, um noch die Liebe zu finden.

@RuLeka

Ich denke schon, dass es auch in dieser Zeit echte Liebesbeziehungen zwischen Männern gab, aber unter sehr erschwerten Bedinungen.

@Renie

Ja, hier zeigt Baldwin dem Leser auf, dass der Blick leicht von Vorurteilen und oberflächlichen Annahmen getrübt wird. Jacques entpuppt sich als weitaus tiefgründiger, als ich ihm bisher zugestanden habe.

@Wandablue

Das stimmt, hier passiert im Grunde nich viel, aber unter der Oberfläche so einiges. Die Vermieterin ist für mich so eine Figur wie auch Jacques: als Leser hält man sie erst für lächerlich, und dann zeigen sie doch, dass sie Menschen mit guten und schlechten Eigenschaften sind.

@SuPro

Ich vermute, dass Davids Besuche bei den "Mädchen" darin begründet liegen, dass er verzweifelt versucht, sich seine eigene Männlichkeit zu beweisen. Im Moment kann ich gar nicht sagen, ob ich ihn sympathisch finde, weil er so verkorkst ist, dass man kaum sieht, wer er eigentlich wirklich ist.

Dieser Satz von Jacques hat uns wohl alle beeindruckt! Grandios ausgedrückt. Es macht mich traurig, wie einsam sein Leben im Grunde ist, weil er sich echte Liebe nun mal nicht kaufen kann.

@Sassenach123

Mir tut David auch leid, aber ich sehe es kommen, dass er etwas Schlimmes tun oder zulassen will, um sich nicht outen zu müssen...

@parden

Ich habe den Eindruck, einige der Charaktere spielen ganz bewusst Rollen, die den Klischees entsprechen. Warum? Vielleicht, weil man dann das Gefühl hat, irgendwo hinzugehören.

Im englischen Original heißt die Stelle mit dem Pferd:
"Now, however, he had something of a horse's dreadful beauty; "; covertly, he was watching Guillaume; he knew that both Guillaume and Jacques were watching him."

Das mit dem Pferd ist wohl eine Anspielung auf E. C. Somervilles Roman "Some experiences of an Irish R.M.". Dessen Protagonist wird genötigt, ein Pferd zu kaufen, obwohl er das eigentlich nicht will, und über das Pferd wird gesagt:

"He had the dreadful beauty of a horse in a toy-shop(..)".

Hier ist es ein junger Schwuler, an dem David die "schreckliche Schönheit" bemerkt – und er will das nicht, er will Männer nicht attraktiv finden. Damit ist der junge Mann, stellvertretend für alle schwulen Männer, er ist das Pferd, das David nicht 'kaufen' (sprich: nicht anziehend finden) will – aber muss, weil seine Natur ihn dazu nötigt...

Das mit dem "Sturmmann" ist sicher eine nicht so gelungene Übersetzung von "storm trooper". Ich vermute, dass Baldwin hier tatsächlich auf die deutschen Sturmtruppen anspielt, die massiv und grausam gegen Homosexualität in den eigenen Reihen angingen. Aber möglicherweise auch einfach auf die amerikanischen Storm Troopers, die bestimmt auch nicht toleranter waren...
 

parden

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@parden

Ich habe den Eindruck, einige der Charaktere spielen ganz bewusst Rollen, die den Klischees entsprechen. Warum? Vielleicht, weil man dann das Gefühl hat, irgendwo hinzugehören.

Im englischen Original heißt die Stelle mit dem Pferd:
"Now, however, he had something of a horse's dreadful beauty; "; covertly, he was watching Guillaume; he knew that both Guillaume and Jacques were watching him."

Das mit dem Pferd ist wohl eine Anspielung auf E. C. Somervilles Roman "Some experiences of an Irish R.M.". Dessen Protagonist wird genötigt, ein Pferd zu kaufen, obwohl er das eigentlich nicht will, und über das Pferd wird gesagt:

"He had the dreadful beauty of a horse in a toy-shop(..)".

Hier ist es ein junger Schwuler, an dem David die "schreckliche Schönheit" bemerkt – und er will das nicht, er will Männer nicht attraktiv finden. Damit ist der junge Mann, stellvertretend für alle schwulen Männer, er ist das Pferd, das David nicht 'kaufen' (sprich: nicht anziehend finden) will – aber muss, weil seine Natur ihn dazu nötigt...

Das mit dem "Sturmmann" ist sicher eine nicht so gelungene Übersetzung von "storm trooper". Ich vermute, dass Baldwin hier tatsächlich auf die deutschen Sturmtruppen anspielt, die massiv und grausam gegen Homosexualität in den eigenen Reihen angingen. Aber möglicherweise auch einfach auf die amerikanischen Storm Troopers, die bestimmt auch nicht toleranter waren...


Wow, eine tolle Erklärung. So erscheint der Satz für mich erstmals sinnvoll. Danke! :)
 

Leseglück

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7. Juni 2017
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Das mit dem Pferd ist wohl eine Anspielung auf E. C. Somervilles Roman "Some experiences of an Irish R.M.". Dessen Protagonist wird genötigt, ein Pferd zu kaufen, obwohl er das eigentlich nicht will, und über das Pferd wird gesagt:

"He had the dreadful beauty of a horse in a toy-shop(..)".
Das ist sehr interessant, vielen Dank für den Hinweis!