2. Leseabschnitt: Seite 91 bis 163

GAIA

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27. Dezember 2021
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10.654
49
Thüringen
Ich gebe zu, dass fehlende Subtilität hin oder her, ich dieses Buch fresse. Die Seiten fleigen nur so dahin, das macht auch mal Spaß zwischendurch.

Grundsätzlich erst einmal: Die Autorin hat die Hirnverletzung Marcelas mit ihren Folgen wirklich sehr gut dargestellt. Eben auch - was vielen Menschen nicht bewusst ist - dass sie sich zwar keine Episoden aus ihrem aktuellen leben merken kann (außer selten in Verbindung mit sehr starken Emotionen, korrekt) dafür aber noch handlungsorientierte Dinge merken bzw. erlernen kann. Das geschieht in unterschiedlichen Hinregionen und ist total spannend zu beobachten.

Nun zum Plot. Ich kann noch nicht einschätzen, ob die Autorin vorhat:
a) Uns auf die falsche Fährte, nämlich die von Carmens Mann (gerade Name vergessen, war so unscheinbar neben der strengen Katholikin), schicken will mit Marcelas Abschnitt und es am Ende alles ganz anders bzw. es jemand ganz anderes war.
b) Das Buch so aufgebaut sein soll, dass man eigentlich jetzt schon weiß (relativ sicher ahnt), wer zumindest für die Abtreibung und eventuell (aber nicht sicher, da könnte auch Carmen drinhängen) die Entsorgung gesorgt hat, und der Spannungsbogen dadurch gehalten wird, dass wir wissen wollen, ob es ans Tageslicht kommt.
oder c) Sie dann doch wieder wenig subtil geschrieben hat, eigentlich Aha-Momente erzielen will, wenn dann rauskommt, dass Carmens (damals noch nicht) Mann der Kindsvater war, und man es einfach nur zu früh rausbekommen hat, was hier los war.

Denn eins ist sicher, ob von der Autorin geplant oder nicht, schon als Marcela das erste Mal erwähnte, dass Ana erst gelb und dann blau, zitternd unter Fieber zusammengebrochen ist, war klar dass es sich um einen Sepsis handelt. Und bei einer ansonsten unauffälligen 17Jährigen auch relativ sicher nach einer Abtreibung. Da gabs jedenfalls keine Überraschung mehr, als Marcela das dann in ihrer Erzählung quasi noch bestätigte.

Exkurs: Kurios ist es, dass ich vor sechs Tagen erst ein Buch beendet habe, in dem es genauso um eine 17Jährige, unerwünscht schwanger, diesmal aber vom Pastorensohn, Abtreibung, er kommt nicht mit, gibt aber das Geld, beste Freundin, etc. pp. geht. Aber zumindest kommt dort kein Tod und Zerstückeln und Anzünden vor!
Große Leseempfehlung an dieser Stelle :thumbsup

Aber kurios daran ist nur, dass ich persönlich erst vor kurzem so eine ähnliche Geschichte gelesen habe. Dass dieser Mist leider immer wieder jungen Frauen passiert, ist leider überhaupt nicht merkwürdig, sondern ein riesiges Problem in manchen Gesellschaftsmilieus mehr in manchen hoffentlich weniger und einfach nur unendlich traurig. Das macht mich mehr als wütend.
 
Zuletzt bearbeitet:

alasca

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13. Juni 2022
3.036
9.662
49
Marcela kommt zu Wort. Das ist ganz gut gemacht, wie sie ihre Erinnerungen zusammenstückelt und sich von Hinweis zu Hinweis hangelt und den Rest mit Phantasie ergänzt.

Allerdings frage ich mich, ob eine solche Hirnverletzung tatsächlich entstehen kann, ohne dass Blut fließt - denn es scheint keins geflossen zu sein, weil alle ja in der Kirche dachten, dass Marcela gar nicht so schwer verwundet sei.

Aber dann wird es schon wieder ärgerlich. Gleich zu Anfang des Kapitels ist klar, dass Ana an einer schweren Sepsis aufgrund einer versauten Abtreibung gestorben ist, die Symptome lassen keinen anderen Schluss zu. Auch ist klar, dass der Vater Julián sein muss. Und sowohl Carmen als auch Julián wollen nicht, dass Alfredo weiter Nachforschungen anstellt. Ein Schelm, der ....

Aber wer hat die Leiche fortgeschafft? Wer war an der Zerstückelung und Verbrennung der Leiche beteiligt? Carmen? Der Priester? Um die Kirche vor Schaden zu bewahren?

Dass Alfredo nicht schnallt, woran seine Tochter gestorben ist - er ist als Figur nicht blöd angelegt, müsste eigentlich anhand der ihm bekannten Details drauf kommen - ist völlig unglaubwürdig. Ich hasse es, wenn die Figuren unter den ihnen zugeschriebenen Möglichkeiten bleiben. Und warum sollte es Marcela peinlich sein, sich mit Alfredo, den sie total mag, fotografieren zu lassen? S. 163

Nein, ich bin immer noch nicht begeistert. Damit sowas wie Spannung aufkommt, darf es nicht ganz so offensichtlich zugehen. Aber wer weiß (und das hoffe ich), vielleicht gibt es ja noch total überraschende Entwicklungen?

Jedenfalls habe ich mal auf die Titel der folgenden Kapitel gespinxt und fürchte nun, dass wir tatsächlich erst im letzten Kapitel erfahren werden, was in den Briefen von Alfredo stand. Wenn dann da drinsteht, was ich denke, dass drinsteht, bin ich stocksauer! :smilehorn:rofl
 
Zuletzt bearbeitet:

alasca

Bekanntes Mitglied
13. Juni 2022
3.036
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Denn eins ist sicher, ob von der Autorin geplant oder nicht, schon als Marcela das erste Mal erwähnte, dass Ana erst gelb und dann blau, zitternd unter Fieber zusammengebrochen ist, war klar dass es sich um einen Sepsis handelt. Und bei einer ansonsten unauffälligen 17Jährigen auch relativ sicher nach einer Abtreibung. Da gabs jedenfalls keine Überraschung mehr, als Marcela das dann in ihrer Erzählung quasi noch bestätigte.
Ja, Überraschung geht anders. :rolleyes:
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Einen Lesesog hat das Buch, keine Frage.

Abschnitt Marcela
Anders als gedacht, war Marcela also nicht Zeugin eines Mords, ihre Kopfverletzung war tatsächlich ein Unfall. Dafür war sie Zeugin der Abtreibung. Und tatsächlich deutet der ganze Text darauf hin, dass Julian eventuell der Kindsvater ist.

Was aber merkwürdig ist, dass Pater Manuel behauptet, Marcela sei allein in der Kirche gewesen. Ist es vielleicht so eine gemeinsame Kirchenvertuschungssache?

Dagegen spricht die unglaubliche Brutalität, mit der Anas Leiche behandelt wurde. Klar, man wollte Untersuchungen verhindern, aber hätte man dann die Leiche nicht einfach vergraben können?

Erst in diesem Abschnitt erfährt man auch den Vornamen von Carmens, Lias und Anas Mutter, nämlich Dolores. Ich hatte mir ein kleines Personenregister angelegt und fand es merkwürdig, sie nicht benennen zu können.

Wie @GAIA schon anmerkte, ist es noch ein wenig zu früh, Fakten zu schaffen. Deshalb frage auch ich mich, wie die Spannung aufrechterhalten werden soll. Auch die Bestätigung durch @GAIA , dass Marcelas Krankheit sehr exakt wiedergegegben wird, feiere ich gerade ein wenig. Danke dafür!:joy

Bei Alfredo laufen also alle Fäden zusammen, er ist die Vertrauensperson, er ist der, der nicht aufgibt - einen eigenen Abschnitt bekommt er allerdings nicht, "nur" den Epilog. Ob es da noch Überraschungsmomente gibt?
 

Emswashed

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9. Mai 2020
2.733
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Aber dann wird es schon wieder ärgerlich. Gleich zu Anfang des Kapitels ist klar, dass Ana an einer schweren Sepsis aufgrund einer versauten Abtreibung gestorben ist, die Symptome lassen keinen anderen Schluss zu.

Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob ich, an Marcelas Stelle, mit 17 die Nerven gehabt hätte, einfach "nur" zu beten, oder doch entgegen allen Versprechungen Hilfe von Erwachsenen gesucht hätte. Auch verstehe ich Anas Mutter nicht, die doch auch bemerkt hat, dass es ihrer Tochter sehr schlecht geht. Wie kaltherzig kann man sein, oder besser gefragt, wie eindimensional wird hier Dolores dargestellt?
 

GAIA

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27. Dezember 2021
2.265
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Thüringen
Allerdings frage ich mich, ob eine solche Hirnverletzung tatsächlich entstehen kann, ohne dass Blut fließt
Tatsächlich gibt es sog. gedeckte Schädel-Hirn-Traumata, da passiert nur etwas im Gehirn (Blutung und entweder Abquetschen einer Hirnregion oder Absterben einer Region). Wenn das Ganze vor 30 Jahren passiert ist, kann es gut sein, dass damals die entsprechende Bildgebung nur in bestimmten Städten möglich war (kann da jetzt nichts genaues zu Argentinien sagen) und je nach Gesundheitssystem viel zu teuer für Anas Eltern zu bezahlen. Ein Neurologe kann dann die Symptome feststellen, ohne die Diagnose mit einer Bildgebung gesichert zu haben. Exkurs: Neurologen sind extrem stolz darauf, dass sie Diagnosen nur mit einem kleinen Hämmerchen und einer Winkelkarte stellen können. ;)

Aber wer hat die Leiche fortgeschafft?
Tja, das wissen wir so schnell nicht. Ich nehme an, dass dieses Geheimnis bis zum Schluss gewahrt wird.

Dass Alfredo nicht schnallt, woran seine Tochter gestorben ist - er ist als Figur nicht blöd angelegt, müsste eigentlich anhand der ihm bekannten Details drauf kommen
Er könnte natürlich auch die Option, dass seine Tochter überhaupt Sex hatte, gänzlich verdrängen wollen und damit nicht auf eine Sepsis aufgrund von Abtreibung denken. Vielleicht um in seiner Erinnerung das Bild seiner kleinsten Tochter, dem Nesthäkchen, halten zu können. Darüber hinaus ist er Geschichtsprofessor, der auch noch gläubig ist. Da muss er nicht unbedingt offen dafür gewesen sein, wie Frauen unter der Hand überhaupt Föten loswerden. Er könnte auf diesem Auge blind und damit unglaublich naiv sein. Ich will die Autorin nicht ständig in Schutz nehmen, mir geht es nur darum, dass ich das alles nicht so vollkommen unwahrscheinlich halte.
vielleicht gibt es ja noch total überraschende Entwicklungen?
Darauf hoffe ich allerdings auch, sonst wär‘ es mir auch zu offensichtlich gestrickt.
Was aber merkwürdig ist, dass Pater Manuel behauptet, Marcela sei allein in der Kirche gewesen. Ist es vielleicht so eine gemeinsame Kirchenvertuschungssache?
Das erkläre ich mir damit, dass Marcela und Ana ja schon auf der hintersten Bank saßen und Ana schon auf Marcelas Schoß lag. Der Pater befand sich ganz vorn und hat da irgendwas rumgeräumt oder so. Dann würde er die liegende Ana nicht sehen und nur ein Mädchen grüßen können.
Erst in diesem Abschnitt erfährt man auch den Vornamen von Carmens, Lias und Anas Mutter, nämlich Dolores.
Den Namen habe ich komplett vergessen. Vielleicht ergeht es mir noch wie Marcela? Hoffentlich nicht. :p
einen eigenen Abschnitt bekommt er allerdings nicht, "nur" den Epilog
Nicht alles verraten! :eek:
 

GAIA

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2021
2.265
10.654
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Thüringen
Auch verstehe ich Anas Mutter nicht, die doch auch bemerkt hat, dass es ihrer Tochter sehr schlecht geht. Wie kaltherzig kann man sein, oder besser gefragt, wie eindimensional wird hier Dolores dargestellt?
In so starren religiösen Milieus kann es sein, dass nicht einmal die Frauen untereinander offen über Befindlichkeiten von „Frauensachen“ sprechen bzw. es sehen wollen. Da hat die Mutter vielleicht einmal mehr weggeschaut. Mal kurz ins Zimmer geguckt, Tochter sagt: „Hab meine Tage“, Mutter: „Ok, dann lass ich dich“ und will gar nichts weiter damit zu tun haben. Das hat Debora Feldman sehr gut geschildert für die jüdisch-orthodoxe Szene in ihrem Buch „Unorthodox“.
Deshalb fand ich es auch tatsächlich gut gemacht, dass im Roman erwähnt wird, dass Marcela an die Tür gegangen ist, als Ana bei ihr klingelte, kurz bevor sie in die Kirche sind. Es wurde Wert darauf gelegt, zu sagen, dass Marcelas Mutter keine Zeit hatte, um an die Tür zu gehen. Meine Vermutung ist, dass damit gezeigt werden sollte, dass dieser Mutter sofort aufgefallen wäre, dass hier was massiv im Argen liegt, wenn sie nur einen Blick auf Ana hätte werfen können.
 

alasca

Bekanntes Mitglied
13. Juni 2022
3.036
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49
Exkurs: Neurologen sind extrem stolz darauf, dass sie Diagnosen nur mit einem kleinen Hämmerchen und einer Winkelkarte stellen können. ;)
Ah ... danke für die Erklärung! Google hätte mich dumm sterben lassen;-)
Er könnte natürlich auch die Option, dass seine Tochter überhaupt Sex hatte, gänzlich verdrängen wollen und damit nicht auf eine Sepsis aufgrund von Abtreibung denken. Vielleicht um in seiner Erinnerung das Bild seiner kleinsten Tochter, dem Nesthäkchen, halten zu können. Darüber hinaus ist er Geschichtsprofessor, der auch noch gläubig ist. Da muss er nicht unbedingt offen dafür gewesen sein, wie Frauen unter der Hand überhaupt Föten loswerden. Er könnte auf diesem Auge blind und damit unglaublich naiv sein. Ich will die Autorin nicht ständig in Schutz nehmen, mir geht es nur darum, dass ich das alles nicht so vollkommen unwahrscheinlich halte.
Das alles könnte natürlich so sein - mein Problem ist, dass es in der Figur nicht angelegt ist. Wir bekommen z. B. keine Szene, die ihn als verklemmten oder naiven Prof outen würde. Im Gegenteil kommt er als der Aufgeschlossenste von allen Familienmitgliedern rüber.
Das erkläre ich mir damit, dass Marcela und Ana ja schon auf der hintersten Bank saßen und Ana schon auf Marcelas Schoß lag. Der Pater befand sich ganz vorn und hat da irgendwas rumgeräumt oder so. Dann würde er die liegende Ana nicht sehen und nur ein Mädchen grüßen können.
Das könnte sein. Vielleicht ist er aber auch an der Beseitigung Anas beteiligt und lügt zum Eigenschutz.
 

alasca

Bekanntes Mitglied
13. Juni 2022
3.036
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Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob ich, an Marcelas Stelle, mit 17 die Nerven gehabt hätte, einfach "nur" zu beten, oder doch entgegen allen Versprechungen Hilfe von Erwachsenen gesucht hätte.
Ja, so ein braver Teenager. Und immer noch hält sie ihr Versprechen, gegen jede Vernunft.
Auch verstehe ich Anas Mutter nicht, die doch auch bemerkt hat, dass es ihrer Tochter sehr schlecht geht. Wie kaltherzig kann man sein, oder besser gefragt, wie eindimensional wird hier Dolores dargestellt?
Dolores wird im Wesentlichen gar nicht dargestellt.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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24.557
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Auch ist klar, dass der Vater Julián sein muss
Das ist natürlich auch meine erste Schlussfolgerung. Ob sie richtig ist, wird sich noch zeigen.
Der Priester? Um die Kirche vor Schaden zu bewahren?
Auf jeden Fall lügt er, denn Marcella ist sich sicher, dass er sie beide gesehen haben muss. Hier gilt es etwas zu vertuschen.
Marcella betont es immer wieder: „ Man kann eine Tote nicht ermorden.“
Ana starb an den Folgen einer verpfuschten Abtreibung. Wer inszenierte hier einen angeblichen Mord?
hätte man dann die Leiche nicht einfach vergraben können?
Dann wäre Ana nur verschwunden. So hatte man einen unbekannten Mörder.
Dass Alfredo nicht schnallt, woran seine Tochter gestorben ist -
So empfindet es Marcella, muss nicht so sein.
Meine Vermutung ist, dass damit gezeigt werden sollte, dass dieser Mutter sofort aufgefallen wäre, dass hier was massiv im Argen liegt, wenn sie nur einen Blick auf Ana hätte werfen können.
Gut beobachtet! Es wird schon deutlich, dass die beiden Mütter extrem verschieden sind.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
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Mich hat dieser Abschnitt wieder beeindruckt. Von so einer Amnesie habe ich noch nie gehört, sehr interessant!
Es zeigt sich hier, wie sehr Erinnerungen einen Menschen ausmachen. Wer bin ich, wenn ich mich an nichts erinnern kann?
Für Marcella gibt es kein normales Leben, keinen Beruf, kein Liebesleben. Ihr bleiben als einzige Vertrauten ihre Eltern, da gibt es eine gemeinsame Vergangenheit.

Ana wird hier sehr lebendig und glaubwürdig geschildert. Ein junges Mädchen, das die erste Liebe erlebt. Aber wie so oft, zahlt die Frau den Preis dafür. Sie muss mit den Folgen klarkommen. Eine alte, vertraute Geschichte. Für Argentinien zu der damaligen Zeit noch nachvollziehbar. Die Vermutung, dass der Kindsvater ein zukünftiger Priester ist, liegt nahe.
Das Buch ist bisher eine einzige Anklage der katholischen Kirche und ihrer dogmatischen Vertreter.
 

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
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16.634
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Rhönrand bei Fulda
Ich fand diesen Abschnitt, den ich eben gerade gelesen habe, sehr bewegend. Wie die Erzählerin um Worte ringt und um jeden Erinnerungsfetzen kämpft. Denn es ist ja nicht nur so, dass sie alles aufschreiben muss und Leerstellen, wie sie immer wieder zugibt, mit Phantasien füllt - selbst das, woran sie sich sicher erinnert, wird in Frage gestellt. Der Pfarrer hat kein zweites Mädchen gesehen (was ich mir gut vorstellen kann - wenn Ana in der Bank lag, konnte er sie nicht sehen). Und alle anderen reden ihr aus, woran sie sich erinnert. Dazu kommt, dass sie Ana Stillschweigen gelobt hat.

So, wie Anas "Verhältnis" dargestellt wird, können wir wohl nicht anders als an einen Priester oder Seminaristen denken. Es weist alles in Julians Richtung. Eine andere Möglichkeit wäre ein Familienmitglied, aber wer sollte das sein? Der Papa mit Sicherheit nicht. Und offensichtlich handelt es sich ja auch nicht um Vergewaltigung.

Ich kann mir durchaus vorstellen, dass noch jemand anderes ins Spiel kommt. Aber mit diesem LA hat die Autorin jedenfalls bei mir Punkte gemacht. Die Tapferkeit der Erzählerin - sowohl bei der Unterstützung ihrer Freundin als auch im Umgang mit ihrem Gedächtnisproblem - ist sehr anrührend.

(Nachtrag noch, ich hatte erst vor ein paar Wochen einen Krimi von Elizabeth George, in dem eine ähnliche Kopfverletzung vorkam. Die Ermordete hatte - im Schlaf! - einen Schlag auf den Kopf bekommen. Kurze Zeit später bekam sie Besuch, machte diesem sogar die Tür auf und sagte, ihr sei schwindlig. Der Besucher brachte sie ins Bett und ging dann wieder. Am nächsten Morgen war die Frau tot, es war kein Tropfen Blut geflossen und primär verdächtig war natürlich erstmal der arme Besucher, dem niemand glauben wollte, dass er wirklich nichts gemerkt hatte ....)
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.444
49.885
49
Ich gebe zu, dass fehlende Subtilität hin oder her, ich dieses Buch fresse. Die Seiten fleigen nur so dahin, das macht auch mal Spaß zwischendurch.
Ganz genau! Ich genieße, dass es mal flutscht;)
aber hätte man dann die Leiche nicht einfach vergraben können?
Dann wäre sie weg und gelte als verschollen - noch schwerer zu ertragen für ihre Nächsten. Vielleicht wollte man nur Spuren verwischen, dem Leichnam dann aber "geweihte Erde" und der Familie einen Abschluss schenken? Der vermeintliche Mörder gehört ja auf alle Fälle zum näheren Umfeld der Familie.
Auch die Bestätigung durch @GAIA , dass Marcelas Krankheit sehr exakt wiedergegegben wird, feiere ich gerade ein wenig.
Unbedingt. Es hat mir mächtig imponiert, wie hier schriftlich die Erinnerungslücken, die Notizen, die Handicaps Marcelas dargelegt werden. Für die Betroffenen ein einziges Spießrutenlaufen, das in die Isolation führen kann.
Er könnte natürlich auch die Option, dass seine Tochter überhaupt Sex hatte, gänzlich verdrängen wollen und damit nicht auf eine Sepsis aufgrund von Abtreibung denken.
Das finde ich vollkommen glaubwürdig in dieser Zeit und in diesem bigotten Umfeld.
dass Marcela und Ana ja schon auf der hintersten Bank saßen und Ana schon auf Marcelas Schoß lag.
An dir ist ja eine Detektivin verloren gegangen!
Aber hat Marcela nicht beteuert, dass er sie BEIDE gesehen hat? Wer hat die Kirche so akribisch geputzt anschließend? Da ist was faul... Die Pfaffen halten alle zusammen (so zumindest das Klischee)
In so starren religiösen Milieus kann es sein, dass nicht einmal die Frauen untereinander offen über Befindlichkeiten von „Frauensachen“ sprechen bzw. es sehen wollen
Man denke daran, dass die Mens auch gerne als "unreine Tage" bezeichnet werden. Von Unreinem muss man sich fern halten... OMG!
Im Gegenteil kommt er als der Aufgeschlossenste von allen Familienmitgliedern rüber.
Ist er auch. Aber mit der Sexualität seiner Tochter will/kann er nichts anfangen, will er nichts zu tun haben. Das ist eine völlig andere Generation. Ana hatte nicht mal eine Beziehung, einen Freund. Wie soll man als Vater da auf eine Schwangerschaft kommen?
Wer inszenierte hier einen angeblichen Mord?
Genau. Hier wurde etwas vertuscht. Die Untersuchung sollte keine Spuren von Schwangerschaft und Abtreibung mehr finden können. Ist das glaubwürdig? Wir wissen noch nicht, wie sehr der Leichnam verbrannt war und die Technik ist vor 30 Jahren auch noch eine andere gewesen. Ich habe auch kurz an "die reinigende Kraft des Feuers" gedacht, das vielleicht die Sünde abwäscht. Aber da kenne ich mich zu schlecht aus.

Außerdem hat Alfredo bemerkt, dass die Polizei auch befangen war. Nur der junge Ermittler, dem der nächste Abschnitt gewidmet ist, scheint tiefer in den Fall eingestiegen zu sein...
Dann wäre Ana nur verschwunden. So hatte man einen unbekannten Mörder.
Genau.
Es zeigt sich hier, wie sehr Erinnerungen einen Menschen ausmachen. Wer bin ich, wenn ich mich an nichts erinnern kann?
Sehr eindrucksvoll geschildert, wieder mit einer anderen Stimme.
Eine andere Möglichkeit wäre ein Familienmitglied, aber wer sollte das sein?
Och, da fiele mir natürlich Carmen ein. Sex vor der Ehe ist eine große Sünde. Da ist es schon besser, die Schwester als komplettes Opfer ohne eigene Schuld zu präsentieren. Mutter Dolores könnte auch etwas geahnt haben und versucht haben, die nachträgliche Schande der Tochter zu verhindern.
 

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
4.622
16.634
49
Rhönrand bei Fulda
Genau. Hier wurde etwas vertuscht. Die Untersuchung sollte keine Spuren von Schwangerschaft und Abtreibung mehr finden können. Ist das glaubwürdig? Wir wissen noch nicht, wie sehr der Leichnam verbrannt war und die Technik ist vor 30 Jahren auch noch eine andere gewesen. Ich habe auch kurz an "die reinigende Kraft des Feuers" gedacht, das vielleicht die Sünde abwäscht. Aber da kenne ich mich zu schlecht aus.
Ich habe sogar schon darüber nachgedacht, dass Ana vielleicht noch lebt und ein anderer Leichnam als ihrer identifiziert wurde. (Ich lese wohl zu viele Krimis ....)

Aber wenn, wie Marcela schreibt, Ana schon in der Kirche an der Sepsis starb, brauchen wir uns wohl in dieser Beziehung keine Hoffnungen mehr zu machen.
 

Emswashed

Bekanntes Mitglied
9. Mai 2020
2.733
9.772
49
Dann wäre sie weg und gelte als verschollen - noch schwerer zu ertragen für ihre Nächsten. Vielleicht wollte man nur Spuren verwischen, dem Leichnam dann aber "geweihte Erde" und der Familie einen Abschluss schenken? Der vermeintliche Mörder gehört ja auf alle Fälle zum näheren Umfeld der Familie.

Und genau im familiären Umfeld kann ich mir nicht vorstellen, dass da jemand die Nerven besitzt eine Verwandte zu zerstückeln und zu verbrennen. Dazu gehört schon eine große Portion Abgebrühtheit und die Kenntnis, was genau und wie es zu vertuschen ist. Setzt ja auch voraus, dass der Täter von der Schwangerschaft wusste.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.444
49.885
49
Und genau im familiären Umfeld kann ich mir nicht vorstellen, dass da jemand die Nerven besitzt eine Verwandte zu zerstückeln und zu verbrennen. Dazu gehört schon eine große Portion Abgebrühtheit und die Kenntnis, was genau und wie es zu vertuschen ist. Setzt ja auch voraus, dass der Täter von der Schwangerschaft wusste.
Ganz bei dir! Aber es ging ja um die Frage, warum der Leichnam nicht einfach auf Nimmerwiedersehen verschwindet und z.B. verbuddelt wird.

Ich habe unbeteiligte Kirchenleute in Verdacht, die auf Teufel komm raus die Kirche reinhalten wollten. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass Julian das Priesterseminar aufgeben musste. Man hat alles vertuschen wollen und deshalb einen brutalen Mord fingiert.
 

Eulenhaus

Aktives Mitglied
13. Juni 2022
329
1.549
44
Marcela begleitet Ana zu ihrer Abtreibung, makaber: das Kreuz an der Wand. Sie ist in der Kirche dabei, als Ana stirbt. Dabei fällt ihr die Erzengel-Gabriel-Statue auf den Kopf - bittere triefende Ironie.
Alfredo nimmt Kontakt zu Marcela auf, weil er Material über Ana gesammelt hat. Sie verschweigt die Abtreibung und dass man eine Tote nicht ermorden kann.