2. Leseabschnitt: Seite 86 bis Seite 162

Barbara62

Bekanntes Mitglied
19. März 2020
3.773
14.413
49
Baden-Württemberg
mit-büchern-um-die-welt.de
Ich sinne allmählich darüber nach, diesem Roman meinen Wandaorden "Das geknickte Eselsohr" am Ende des Jahres zu verleihen.
Es tut mir so wahnsinnig leid um den Verlag. Ich werde versuchen, alles herauszuholen, was irgendwie geht. Und auf die falsche Zielgruppe abzuheben.
 

Emswashed

Bekanntes Mitglied
9. Mai 2020
2.676
9.514
49
So, ich habe nichts mehr zu meckern!


Habt ihr ja schon gemacht und bekommt meine volle Zustimmung. Diese Versatzstücke wollen sich einfach nicht ins Buch fügen. Es gibt die Biografie Nehers, mit all ihren Bekannt- und Liebschaften. Dann gibts die Mode-Abhandlung der 1920er, mit genauester Längenangabe der Röcke. Dann war da noch die Butyrka mit ihren deutschen Gefängnisinsassinnen und dem wolgadeutschen Vernehmer... Ich neige dazu sie einzeln zu lesen, genießen kann ich sie aber trotzdem nicht.

Wenige Details tauchen auf, die ein wenig Dramatik bringen könnten, wie zum Beispiel Nehers Sohn, der im russischen Heim aufwächst, oder die Unterbrechung des Verhörs durch einen anderen Offizier. Aber die seitenlangen Banalitäten ersticken geradezu meine Neugier.

Ich habe mir Nehers Wiki-Eintrag auch bewusst nicht durchgelesen, aber nach dieser Biografie habe ich auch keine Lust mehr darauf. Das ist der Moment, wo ich mich frage, warum Holger Haase dieses Buch geschrieben hat. Ein tiefes Interesse an dieser Frau kann es nicht gewesen sein. Eine Darstellung der Verhältnisse in russischen Gefängnissen kann es auch nicht sein.

Es bleibt nur eine Möglichkeit. Er will uns irgendein Sensationsknaller, einen besonderen Zusammenhang, eine raffinierte zeitgeschichtliche Erklärung geben. Noch sehe ich dieses Ende nicht, aber ich bin jetzt einfach mal optimistisch.:p
 

luisa_loves-literature

Aktives Mitglied
9. Januar 2022
836
3.350
44
Wie immer bei biografischen Promi-Romanen mag ich das Drumherum, also andere Promis, den Glamour, die Klamotten der damaligen Zeit. Das Frauenbild der damaligen Gesellschaft zeigt sich auch in den "Hosen-Rollen": dekorativ und wenig Text und immer im Hintergrund des Mannes :apenosee
Gute Autoren verbinden das Aussehen und die Klamotten mit einer Handlung. Sie sagen nicht A trug dies und B trug das - sie lassen sich etwas einfallen, um diese Infos spannend zu machen.

Tatsächlich finde ich die "anderen Promis" hier ganz gut eingefügt. Da bin ich normalerweise sehr empfindlich. Das ist für mich fast noch der Part, der noch einigermaßen funktioniert, genauso wie der Blick auf die Kleidung. Beides ist gerade so okay, allerdings sollte Kleidung auch mit Bedeutung aufgeladen werden und nicht nur Deko sein. Da Carola aber hauptsächlich auch überall nur Deko ist, passt es ja wieder.
Wir bekommen eine Menge Informationen und eine Menge an Belehrungen. Wie nennt das Luisa? Didaktik. Mag ich gar nicht. Ich störe mich nach wie vor an der Art der Informationsvermittlung, sogar das Schwarze Brett im Theater muss dafür herhalten, uns mitzuteilen, dass wir eine Währungsreform haben. Grundsätzlich mag ich es natürlich, wenn Historie einfließt, aber doch nicht so plump.
Exakt! Und der politisch-historische Kontext wird hier leider mit Holzhammer rübergebracht. Bin ich auch sehr allergisch. Ludendorff-Putsch und Inflation (immer wieder, mehrfach und ohne Mehrwert ;) ) - wie das eingebracht wird, gefällt mir gar nicht. Kontext ist wichtig, biographische/historische Romane sollen uns was beibringen, aber das geht auch mit Eleganz (ich komme mir vor wie eine Ballettmeisterin, weil ich ständig "Eleganz" predige) - "Viktor" von Judith Fanto oder auch "Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid" von Alena Schröder machen Kontext mit Eleganz.

Die meisten Dialoge sind naiv oder pathetisch überzogen.
Die Dialoge entbehren für mich auch jeglicher Authentizität und könnten glatt aus einer Historien-Schmonzetten-Reihe stammen (die mit den Frauen vor dem Herrenhaus auf dem Cover). Sehr schade. Dazu fehlt mir in den Dialogen die Persönlichkeit der Figuren. Wenn nicht einleitend darauf hingewiesen würde, wer spricht, würde ich (außer bei der berlinernden Emma - die aber auch nur "berlinert", wenn es ihr jrade in den Kram passt) vermutlich nicht wissen, welche Figur gerade dran ist. Es ist sehr austauschbar.
Da wird doch in der Fußnote auf Seite 102 das Ende aufgelöst! Keine Ahnung, warum ich nun noch weiterlesen soll. Wer denkt sich so etwas aus?
Das hat mich auch schockiert. Und warum bitte Fußnoten, die unten auf der Seite aufgelöst werden, in einem Roman? Im Anhang wäre das besser gewesen.
Die Geschichte ist ja per Definition bekannt.
Ja, aber...Carola Neher ist ja nicht so gängig wie Marie-Antoinette oder Sophie Scholl, ich weiß nichts über sie, daher hätte ich mich schon über die Aufrechterhaltung des Spannungsbogens gefreut.
Die Handlung kommt nicht vom Fleck und mehr als "Mädchen mit Bühnensehnsucht, das sich den Aufstieg ertrotzt und erschläft", sehe ich bisher nicht.
Sehe ich auch so. Ich kann auch gar nicht glauben, wie sie sich politisieren kann. Sie ist so oberflächlich und egoistisch und am Weltgeschehen doch völlig uninteressiert.
Es gab ein paar Szenen, die ich mochte, so zum Beispiel die, als sie den Brief vom Kinderheim bekommt. Es muss schrecklich sein, wenn man nichts über das eigene Kind erfährt.
Aber wie oft wurde in dem Zusammenhang erwähnt, dass sie völlig "aufgelöst" war?

Der Autor hat alle notwendigen Informationen, daran liegt es also nicht, er kann sie nur nicht schriftstellerisch genug an die Frau bringen oder sagen wir so, er kann seine Informationen schriftstellerisch nicht umsetzen und verfällt wahlweise ins Belehrende oder ins Kindische. Seine erzählerischen Mittel sind furchtbar eingeschränkt.
Dieser "Kniff" mit dem Verhör erscheint zumindest auf den ersten, zweiten und dritten Blick äußerst banal. Es hätte mir hier eine chronologische Vorgehensweise besser gefallen. Jeder Hansel meint, er müsse mit Rückblenden arbeiten. Das ist keineswegs immer die bessere Wahl; ich fühle mich bei diesem Roman (bisher) veralbert.
Es fehlt einfach die Erzählkomponente. Der Roman ist vorhersehbar und äußerst konventionell aufgebaut, die Figuren sind holzschnittartig einfach und die Dialoge leider seicht. Ich glaube tatsächlich, dass es ein geeignetes Publikum für diese Art Roman gibt ( wer "Die Senfblüten-Saga", an der ich völlig verzweifelt bin und fast schreiend für immer das Feld der historischen Romane verlassen hätte, mochte, wird auch diesen Roman vermutlich lieben).
Alles richtig und trotzdem glaube ich, dass das Buch bei passender Gestaltung an die "richtige Leserschaft" gekommen wäre. Das sagt mir meine Erfahrung als Buchhändlerin. Was wir hier kritisieren, stört manche gar nicht.
Das sehe ich zu 100% auch so. Es gibt für (fast) alles eine Leserschaft.
Nee, ich bin diesmal gnadenlos.
Dafür gibt es ja die Sterne-Einteilung. Ich werde auch bei "Der leisen Last" die Skala voll ausnutzen müssen. ;)
 
Zuletzt bearbeitet:

luisa_loves-literature

Aktives Mitglied
9. Januar 2022
836
3.350
44
Ich kann oben Gesagtem fast nichts hinzufügen, außer vielleicht der Tatsache, dass es für mich ein "Karteikarten"-Roman ist. Es wurde viel sehr recherchiert (siehe Fußnoten), nicht nur zu Carola Neher, sondern auch zu Inflation, Theaterwesen, Kleidung und geographischen Gegebenheiten, aber es wird nicht elegant und literarisch ansprechend zu einem Ganzen gefügt. Zwischendurch wird der Informationseimer ausgegossen und eine Lebensgeschichte nacherzählt, aber es kommt kein Fluß auf. Dabei finde ich die Geschichte der Carola Neher durchaus interessant, vermutlich ist sie auch ungewöhnlich, aber in der vorliegenden Umsetzung fehlt es an Tiefe und, wie von @Barbara62 so treffend bemerkt, an Raffinesse. Die Dynamik zwischen dem Verhörer und dem Häftling ist simpel, im Gefängnis ereignet sich so gut wie nichts und der Aufstieg der Neher erscheint wenig mitreißend und überzeugend. An ihrem Talent zweifle ich immer noch. Die Männer scheinen von ihren Beinen sehr hingerissen - das legt doch stark die fortgesetzte Besetzung als "Eye Candy" nahe und auch als "Armschmuck" war sie ja recht erfolgreich. Ich finde diese Objektifizierung sehr schade, vor allem weil ich nirgendwo ein Indiz für intelligente Berechnung bei ihr sehe. Ich halte sie nicht für clever, sie glaubt nur zu wissen, wie Männer funktionieren.
 

Renie

Moderator
Teammitglied
19. Mai 2014
5.858
12.454
49
Essen
renies-lesetagebuch.blogspot.de
Das ist für mich fast noch der Part, der noch einigermaßen funktioniert, genauso wie der Blick auf die Kleidung.
So erging es mir bis zu diesem Zeitpunkt auch noch. Doch irgendwann waren mir die Beschreibungen der Kleidung zu detailliert und fehl am Platze. Ich bin gespannt, wie Du das mit den Klamotten im weiteren Verlauf des Buches bewerten wirst.
 

Renie

Moderator
Teammitglied
19. Mai 2014
5.858
12.454
49
Essen
renies-lesetagebuch.blogspot.de
Das hat mich auch schockiert. Und warum bitte Fußnoten, die unten auf der Seite aufgelöst werden, in einem Roman? Im Anhang wäre das besser gewesen.
Wohl wahr. Da weise ich alle darauf hin, dass bloß nicht vorab gewikipediat wird. Und was macht der Autor? Liefert uns die Auflösung mit dem Holzhammer. Was hat er sich bloß dabei gedacht.:rolleyes:
 

ulrikerabe

Bekanntes Mitglied
14. August 2017
3.050
7.678
49
Wien
www.facebook.com
Ich bin noch nicht durch, aber gestern Abend hat mich fast der Schlag getroffen. Da wird doch in der Fußnote auf Seite 102 das Ende aufgelöst! Keine Ahnung, warum ich nun noch weiterlesen soll. Wer denkt sich so etwas aus?
Bei Biografien von spoilern zu reden und das als Aufreger zu nehmen, finde ich problematisch. Die Geschichte ist ja per Definition bekannt.
Kann ich beides verstehen.
Ich kannte Carola Nehers Geschichte und genau deswegen finde ich die Idee ein Verhör als Erzählstunde umzumünzen nicht richtig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das so real gewesen ist und hübscht die schreckliche Zeit der Haft unverschämt auf.
Vermutlich sind es die falschen Erwartungen, die ich wegen des Verlags und des Covers hatte. Das Buch würde eher mit buntem Cover in eine Frauen-Biografien-Reihe passen, die es zahlreich gibt.
Es gibt schon eine Romanbiografie über Carola Neher, die diesem IMage entspricht. Ich habe das Buch gelesen vor ca 2 Jahren, war skeptisch, hatte damals so eine "Lädchenbuch" Erwartung und befürchtete romantisierten Kitsch. Dann habe ich festgestellt, dass ich das Buch sehr gerne mochte.
Buchinformationen und Rezensionen zu Die Königin von Berlin von Roth, Charlotte
Kaufen >

Deswegen wollte ich auch dieses Buch hier lesen, denn der letzte Lebensabschnit in stalinistischer Haft wurde nicht mehr detaillitert behandelt. Für mich trifft der Autor leider nicht den erwarteten Ton.
Eiegentlich will ich nur mehr wissen, wie Brecht in diesem (von einem Mann geschriebenen) Buch wegkommt.
 

Emswashed

Bekanntes Mitglied
9. Mai 2020
2.676
9.514
49
Eiegentlich will ich nur mehr wissen, wie Brecht in diesem (von einem Mann geschriebenen) Buch wegkommt.

Laut Wiki ist Brecht dafür ja auch angefeindet worden, dass er sich nicht mehr für Carola eingesetzt hat, aber das kommt in diesem Roman nicht zur Sprache.

Aber der Eindruck, dass Brecht Carolas Umdenken zum Kommunismus "eingeleitet" hat, bleibt.
 
  • Like
Reaktionen: Barbara62

Bartie

Aktives Mitglied
12. Juni 2021
140
301
29
Bisher funktionieren für mich auch die beiden Ebenen nicht. Was von dem Text in den Rückblenden stimmt denn nun und was ist nur für den Offizier passend gemacht? Warum hören wir nicht die Erzählstimme von Carola?
Das stört mich auch, denn es ist tatsächlich nicht zu erkennen, ob Kusnezow alles zu hören bekam, was wir in den Rückblenden lesen können. Um so schwerer ist es auch zu deuten, was davon wirklich geschah.
 

Bartie

Aktives Mitglied
12. Juni 2021
140
301
29
Das Buch lässt sich nur zäh lesen. Nicht nur die Erzählweise des Autors ist schuld daran. Mich stört es, wie er Carola Neher darstellt, und das trägt in großem Maße zu Leseunlust bei. Wenn ich dem Autor glauben soll, war die Frau nicht nur egoistisch, sondern einfach kaltblütig, skrupellos und raffiniert. Bisher konnten mich ihr Lebensstil, ihre Wege zum Erfolg und Ruhm (das Wichtigste im Leben für sie) nicht überzeugen.

Inzwischen (endlich wäre bestimmt korrekter ) habe ich den nächsten Abschnitt durch und kann sagen, dass dieser Teil bisher der schlimmste war.
 
  • Like
Reaktionen: Emswashed