2. Leseabschnitt: Seite 81 bis 149

dracoma

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16. September 2022
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über die Anfänge weiß ich nicht viel.
Sie waren so typisch für die deutsche Nachkriegsgeschichte! Damit will ich die jetzigen Leistungen in keiner Weise schmälern.
Aber die Lobhudelei bei seiner Beerdigung von CDU-Seite war beschämend!
Auch typisch. Sein Satz (bezogen auf die Todesurteile) "Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein" ist mir unvergessen.

Ich hätte gern mehr von Drusts gehabt.
Er hat eben diesen Blick von außen, der oft so demaskierend sein kann. Aber ich habe den Eindruck, dass auch die dursts-losen Geschichten diesen Blick von außen haben, so als ob Dursts der Erzähler wäre.
Ich hätte ihn aber auch gerne wieder, das Aufeinandertreffen ist spannender.
 

dracoma

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16. September 2022
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Fabrikant Emil
aber ihm ist alles egal, Hauptsache, er ist Fabrikant (gewesen)
Eine bizarre Geschichte um Eitelkeit und sozialen Status. Da will einer sogar auf dem Friedhof Bedeutung haben, der Grabstein soll über seinen Tod hinaus Auskunft geben über seine Position.
Ist das so üblich in Schwaben, dass der Beruf auf dem Grabstein steht?
Ich kenne diese Sitte nur von kleineren bäuerlichen Friedhöfen, wo dann stolz steht "Austragsbauer von ..." o. ä.

Ich habe mich amüsiert, wie Emil als Wächter Fabrikant spielt.
ein Unrecht schönreden,
Dieses Schönreden hat der Autor wirklich witzig geschildert! Emils redet sich seine Diebstähle als Sicherungsmaßnahmen schön, außerdem sei es Gewohnheitsrecht, ein paar Spulen mitzunehmen - und überhaupt: da die Demontage drohe, seien seine "Sicherungsmaßnahmen" eine patriotische Tat.
weil Gottlieb Ganser sich selbst ausgetrickst hat.
Strandräuber unter sich...
 

Barbara62

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19. März 2020
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Der Ton hat sich im 2. LA sehr verändert, das Schmunzeln ist mir vergangen, die Begeisterung für das Buch dagegen nicht. Vielleicht ist "Das Geschenk" ein bisschen zu überzeichnet, denn so dumm kann man doch eigentlich gar nicht sein, aber die Schadenfreude gleicht es aus.

Nicht ganz so viel anzufangen wusste ich mit "Die Lederuniformen", außer dass die menschliche Gier keine Grenzen kennen zu scheint.

"Heinz Dieter Faigle" hat mich sehr betroffen gemacht. Ich vermag mir gar nicht vorzustellen, wie schmerzvoll dieser Mann durchs Leben geht, weshalb ich ihm seine unsympathischen Züge zu verzeihen gewillt bin. Über die Straflosigkeit für die Täter (und Mitläufer) hatten wir schon gesprochen. Es muss für alle Opfer unerträglich gewesen sein. Ich erinnere mich an einen Satz in einem Roman, wo einem aus dem KZ heimgekehrten Juden gesagt wird, er solle sich nicht so anstellen, die Deutschen hätten ebenso gelitten. "Schwäbisches Capriccio" ist laut Impressum bereits 1951 im Original erschienen, damals wäre man in Deutschland für eine Geschichte mit einer solch messerscharfen Analyse zu Tätern und Mitläufern vermutlich noch gelyncht worden.

"Fabrikant Emil" ist dagegen weniger politisch, eher ein Fall von übersteigertem Ehrgeiz und Geltungsbedürfnis, wie es ihn überall gibt. Das Verblüffende daran ist, wie sich Emil Maute seine Diebestaten schönredet und sich am Ende gar als Sieger fühlt: Hauptsache die Aufschrift auf dem Grabstein passt.
 
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Barbara62

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19. März 2020
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Das 'Lederkapitel' fand ich jetzt ein wenig übertrieben, aber vielleicht macht das gerade deutlich, dass die Pfifferlinger gar nicht so obrigkeitshörig sind wie sie tun. Sie drehen alles herum und ziehen es ins Lächerliche.
Und sie versuchen, aus allem und jedem den eigenen Vorteil zu ziehen. Für obrigkeitshörig halte ich sie nur so lange, wie es ihnen zum persönlichen Nutzen gereicht.
 
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Barbara62

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19. März 2020
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Fabrikant Emil

Ist das so üblich in Schwaben, dass der Beruf auf dem Grabstein steht?
Ich kenne diese Sitte nur von kleineren bäuerlichen Friedhöfen, wo dann stolz steht "Austragsbauer von ..." o. ä.
Heute nicht mehr, früher auch nicht mehr als anderswo. Ich habe es schon häufiger an verschiedenen Stellen im In- und Ausland auf älteren Friedhöfen gesehen, in Norddeutschland oft für Seeleute.
 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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Die Schelmengeschichte bekommt hier einen sehr deutsch-kritischen Ton
Ich muss sagen, ich habe mit diesen Anzügen gar keine direkte Kritik verbunden. Der Krieg war (fast) vorbei. Man konnte sie nicht irgendwo zusammen lagern, also hat man sie verteilt. Ein pragmatischer, bauernschlauer Ansatz. Vielleicht bin ich aber naiv;)
diese Miniatur finde ich überhaupt nicht schelmenhaft
Nein. Da steckt sehr viel persönliche Tragik drin. Auch wenn man den Prota nicht mögen kann, wird man doch dicht an seine Nöte, seine Prägung und seine Gedanken herangeführt.
Es spricht für ihn, dass er sich nicht zum Mitschwimmer des NS gemacht hat. Das allein macht aber noch keinen liebenswerten, rechtschaffenen Menschen aus. Helenas Nazi-Freund muss trotz seiner Vergangenheit liebenswerte Züge haben, denn sonst wären die drei Frauen ja nicht so im Glück wegen seiner Anwesenheit, das sich auch auf unseren Bürokraten auswirkt.
Der Autor malt nicht schwarz-weiß (was einfach wäre). Das gefällt mir.
"Nie hatte Hitler so viele Gegner gehabt wie nach der Kapitulation". Wie wahr.
Ja, ein wunderbarer Satz. Wir verurteilen das völlig zu Recht. Aber wie man sich selbst verhalten hätte...?
den Spott der Umwelt und den Verlust seiner Wichtigkeit,
Faigle ist ein ambivalenter Charakter. Eglitis hat ihn höchst interessant aufgebaut. Er will zu etwas kommen, Karriere machen. Dazu mutet er seiner Familie einiges zu, jeden Preis zahlt er aber nicht, was ihm Jahre später zu Gute kommt. Zu dem Zeitpunkt hat er nur sein Familienglück schon verspielt.
In diesem Lederkapitel lässt der Autor auch noch mal seine Wut über die Russen ab
Es wirkt übertrieben. In Schwaben haben die Russen vermutlich nicht so heftig gewütet, wie "in den Ostgebieten". Alkohol, (sexuelle) Gewalt und Rowdytum hängt den russischen Soldaten aber immer noch an. Dafür gibt es sogar jüngere traurige Beispiele. Vielleicht hat Eglitis ein bisschen übertrieben, vielleicht hat er lettische Erfahrungen eingeflochten? Insgesamt halte ich diesen Roman für ein gelungenes Gesellschaftsportrait eines außenstehenden, nicht direkt Betroffenen.
ich nicht für typisch schwäbisch,
Die Schwaben haben ja auch innerhalb Deutschlands gegen ihre seit Urzeiten bestehenden Klischees zu kämpfen (Neid auf den wirtschaftlichen Erfolg?). Die meisten dürften Verschärfungen der deutschen Stereotype sein: sauber, gründlich, ordentlich, sparsam, erfolgreich. Dem Ländle geht es durch seinen Mittelstand und seine Industrie überdurchschnittlich gut.
Diese verschiedenen "Typen", die der Autor uns zeigt, wirken glaubwürdig, wenn er auch manches überzeichnet.
sondern so, dass man herzlich lachen muss, weil Gottlieb Ganser sich selbst ausgetrickst hat.
Man ahnt die Tragik aber von Anfang an. Ich hatte da ein Klößchen im Hals... Unrecht tut gedeihet nicht;)
Die ganze Nachbarschaft zeichnet sich durch kalte Berechnung aus.
auf Günter Quandt an: der hat sich erst mit seiner Rüstungsfirma
Ich hab ja den "Reichskanzlerplatz" gelesen. Demnach hat Quandt im Krieg Uniformen in seinen Fabriken gefertigt. Deine Parallele klingt also sehr plausibel.
sehe ich ständig irgendwelche damaligen Nachbarn vor meinem geistigen Auge
Ja, viele Leute waren schon kleine und große Spießerle. Die Erziehung verlief entsprechend und im ländlichen Bereich hat man sich gegenseitig kontrolliert (sich aber auch geholfen). Interessant, dass du Parallelen zu Bekannten siehst. Vieles sind also eher deutsche und nicht nur schwäbische Befindlichkeiten, auch wenn Eglitis explizit die Alb im Fokus hatte. Das sehe ich zumindest so.
 
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Federfee

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13. Januar 2023
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Vielleicht ist "Das Geschenk" ein bisschen zu überzeichnet
Das ja, eigentlich in vielen Geschichten hier. Aber das macht wohl gerade ihren Charme und ihren Humor aus.
Helenas Nazi-Freund muss trotz seiner Vergangenheit liebenswerte Züge haben, denn sonst wären die drei Frauen ja nicht so im Glück wegen seiner Anwesenheit
Durch deine Anmerkung habe ich das (Angedeutete) erst so richtig verstanden.
Vielleicht hat Eglitis ein bisschen übertrieben, vielleicht hat er lettische Erfahrungen eingeflochten?
Ganz bestimmt. Das macht mir auch die heutigen Reaktionen auf russische Absichten und Übergriffe noch mal verständlicher.
Ja, viele Leute waren schon kleine und große Spießerle.
Man hat dann immer die Kittelfrauen auf dem Schirm; die gab's hier auch. Aber wenn ich mich so umsehe oder ins Fernsehprogramm :think das Spießertum ist immer noch da; es sieht nur heute anders aus.
Die Erziehung verlief entsprechend und im ländlichen Bereich hat man sich gegenseitig kontrolliert (sich aber auch geholfen).
Das geht anscheinend immer Hand in Hand; vielleicht bedingt es sich sogar gegenseitig. :think
Vieles sind also eher deutsche und nicht nur schwäbische Befindlichkeiten, auch wenn Eglitis explizit die Alb im Fokus hatte. Das sehe ich zumindest so.
Das sehe ich schon die ganze Zeit so. Für mich geht das über die Schwaben hinaus und ich entdecke ständig Aspekte, die sogar in die heutige Zeit passen.
 

dracoma

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16. September 2022
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das Schmunzeln ist mir vergangen,
ich habe mit diesen Anzügen gar keine direkte Kritik verbunden.
Mir vergeht auch immer wieder das Schmunzeln. Die anfänglichen Schilda-Geschichten schürfen auf einmal etwas auf. Ich habe den Eindruck, dass der Autor immer wieder seine Beobachtungen zum Nachkriegsdeutschland verarbeitet, d. h. er hält seinem Gastland einen Spiegel vor. Genau so wie Eulenspiegel das auch machte.
Und damit es nicht zu weh tut, verpackt er sie in diese Episoden, über die man lachen kann, wenn man will, aber eben auch nicht.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Ich will das Thema jetzt nicht ausreizen, aber bist Du sicher? Meines Wissens hat Hugo Boss für die Nazis geschneidert. Quandt wurde über Rüstungsproduktion reich.
Angefangen hat die Dynastie aber wohl mit Tuchproduktion, die während des NS in die Herstellung von Uniformen mündete. Danach kam dir Rüstung. Schau mal hier.
Ja, aber das stört mich nicht.
Nee, mich auch nicht. Man weiß es ja einzuordnen, wobei der lettische Leser Schwierigkeiten haben dürfte;).
Meine Oma (1912) trug immer selbstgenähte Kittel. Mir zu Ehren hat sie sie ausgezogen, wenn ich kam. Sie war kein bisschen spießig, wollte nur ihre Kleider schützen.
 

Literaturhexle

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dass der Autor immer wieder seine Beobachtungen zum Nachkriegsdeutschland verarbeitet,
Es sind zutiefst menschliche Beobachtungen, die das Zusammenleben betreffen, nicht die große Politik. Es sind ja auch nette Begebenheiten dabei, vom Fremdenhass war z.B. noch nichts zu spüren, dafür von Hilfsbereitschaft dem Flüchtling gegenüber.
 

Federfee

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Meine Oma (1912) trug immer selbstgenähte Kittel. Mir zu Ehren hat sie sie ausgezogen, wenn ich kam. Sie war kein bisschen spießig, wollte nur ihre Kleider schützen.
Ich verurteile das auch gar nicht. Meine Schwiegermutter trug beim Kochen und überhaupt bei der Hausarbeit auch immer Kittel, war wohl praktisch.
Es sind zutiefst menschliche Beobachtungen, die das Zusammenleben betreffen, nicht die große Politik. Es sind ja auch nette Begebenheiten dabei, vom Fremdenhass war z.B. noch nichts zu spüren, dafür von Hilfsbereitschaft dem Flüchtling gegenüber.
Eben und deshalb sind sie heute noch aktuell, diese Beschreibungen typisch menschlicher Verhaltensweisen. Das macht einen Klassiker aus, finde ich: oberflächlich gesehen in Ort und Zeit verhaftet, aber dennoch allgemeingültig, sozusagen zeitlos.
 

Barbara62

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19. März 2020
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Baden-Württemberg
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Ich verurteile das auch gar nicht. Meine Schwiegermutter trug beim Kochen und überhaupt bei der Hausarbeit auch immer Kittel, war wohl praktisch.
Ich kenne das von meiner Oma auch, die sogenannte "Kittelschürze". Man hatte nicht die Möglichkeiten zur Fleckentfernung wie heute und man schonte die Kleider, dachte also gewissermaßen nachhaltig. Spießig wird es in meinen Augen dann, wenn man die Kittelschürze nicht abgelegt hat, damit die Nachbarinnen nicht dachten, man hätte die häusliche Arbeit schon beendet.
 
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Renie

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19. Mai 2014
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Die Schwaben haben ja auch innerhalb Deutschlands gegen ihre seit Urzeiten bestehenden Klischees zu kämpfen
Vieles sind also eher deutsche und nicht nur schwäbische Befindlichkeiten, auch wenn Eglitis explizit die Alb im Fokus hatte.
Trotz des Titels betrachte ich diesen Roman als allgemeingültig, also nicht explizit auf das Schwabenländle bezogen. Natürlich gibt es diese Klischees, die aber doch eher uns Deutschen bekannt sind. Ich glaube nicht, dass ein lettischer Autor, den es in den Kriegsjahren nach Deutschland verschlägt und der per Zufall auf der Durchreise in irgendeinem Nest in Schwaben landet, Kenntnisse über derartige Klischees hat. Er ist in der Lage, einen Unterschied zwischen dem Leben in der Großstadt und dem Leben in der Provinz zu erkennen. Aber was typisch für Schwaben, Bayern, Ostfriesen etc. ist, bzw. was man ihnen nachsagt? Im Leben nicht. Erst recht nicht zu der damaligen Zeit und ohne die Informationsquellen, die man heute hat.
 

Renie

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19. Mai 2014
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renies-lesetagebuch.blogspot.de
Ich will das Thema jetzt nicht ausreizen, aber bist Du sicher? Meines Wissens hat Hugo Boss für die Nazis geschneidert. Quandt wurde über Rüstungsproduktion reich.
Das ist lustig. Ich zerbreche mir auch gerade den Kopf, welche Trikotfirma gemeint ist. Ich tippe auf Trigema. Auf der Firmenwebsite gibt es einen Rückblick auf die Firmengeschichte.
1919
Im Oktober kaufen die Brüder Joseph und Eugen Mayer in Burladingen mit Hilfe ihres Vaters Johann Mayer die stillgelegte Fabrik von Robert Bitzer einschließlich des Maschinenparks.
s. auch https://www.trigema.de/out/pictures/media/Trigema_CHRONIK_1919-1956.pdf
Zum Einen springt natürlich der Name "Bitzer" ins Auge. Zum Anderen liegt dieses Burladingen ebenfalls in der Gegend "Schwäbische Alb", im Umfeld der Orte, die hier immer wieder genannt werden.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
20.807
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Ich glaube, dass die Quandts mit ihren Werken zu weit weg waren.
Deine Recherche mit Trigema und dem Namen Bitzer ist tatsächlich naheliegender. Man muss ja davon ausgehen, dass der Autor Erlebnisse aus seiner unmittelbaren Nachbarschaft beschreibt.

Trotzdem zeigt sich auch hier wieder die Parallele: was im Kleinen in Burlandingen passierte, passierte auch im Großen bei Hugo Boss oder der Quandt-Dynastie. Der Roman wirkt über die schwäbische Alb hinaus. Firmen sind am Krieg gewachsen, ihre Inhaber konnten dieses Geld zwecks Expansion nutzen.