In diesem Teil war zum Glück nicht dieselbe Tristesse vorherrschend wie zuvor, im Gegenteil, wir durften erleben, wie Leentje ihre Chancen nutzt und ergreift. Zunächst ist Groenemans das Trittbrett, der sie aus dem Dorf wegbringt. An dem Abend hat sie ihrem Vater zum ersten Mal die Stirn geboten. Erfolgreich. Die Mutter gönnt ihr die Freiheit. In dem Moment kann sie ihre eigenen Wünsche zurückstellen und entkräftet auch die scheinheiligen Argumente ihres Mannes: "Sie habe lebenslang ihre Pflicht getan. Und sich an die Gebote gehalten. Und auch auf ihrem Leben habe kein Segen gelegen." Sie lebt nur der Kinder wegen weiter. Welch ein trostloses Dasein!
Am ersten Zahltag muss Leentje feststellen, belogen worden zu sein. Sie verdient deutlich weniger als gedacht und bleibt zunächst von Groenmans abhängig. Bewundernwert, wie klar und emotionslos sie das erkennt und ihrem Geliebten gleichzeitig klar macht, dass sie mehr Geld braucht
Sie will nicht billig sein, sie ist sich ihres Wertes bewusst. Tatsächlich scheint sich Groenmans immer mehr in sie zu verlieben, während sie seine Gewöhnlichkeit zu erkennen glaubt und sich ablöst:
[zitat]Ich erkannte, dass er schon die ganze Zeit so gewesen war, da ließ ich ihn fallen, ich ließ ihn los, mit der gleichen Gelassenheit, wie er mein Brotpäckchen über der Gracht fallen gelassen hatte. 94[/zitat]
Die Position in der Luxuswarenabteilung war für damalige Verhältnisse bestimmt sehr außergewöhnlich. Der Chef des Kaufhauses stellt keinerlei sexuelle Erwartungen, sondern hat sie ausschließlich aufgrund ihrer Ausstrahlung und ihrer Fähigkeiten eingestellt. Eigentlich müsste sie sich jetzt glücklich und frei fühlen: Sie ist erfolgreich, kommt rum in der Welt, wird Chefin. Aber in ihrer Freizeit fühlt sie sich einsam und unglücklich...
Auch ist sie mit ihrer Extravaganz anders als andere junge Frauen, sie hat keine Freunde.
Nach ihrer Flucht vor den Blicken des Mannes im Theater, denkt sie etwas Wichtiges:
[zitat]Ich war noch immer das Arme-Leute-Kind von früher. Ich war nicht frei genug zu nehmen, was ich begehrte. Und ich stand nicht hoch genug, um frei zu wählen." 109[/zitat]
Bereits mit 26 hat sie Angst, alt zu werden und heiratet unbedacht den wohlhabenden Charles Gould, an dessen Seite sie nicht mehr arbeiten muss, den sie aber innerlich zutiefst ablehnt, was sehr plastisch erzählt wird. Hinzu kommt, dass er offenbar impotent ist (oder homosexuell???) und Leentje seine Berührungen als abstoßend empfindet. Sie reflektiert selbst, dass sie ihn wohl nur aus Bequemlichkeit geheiratet hat ohne an ihn zu denken...
Vor lauter Ekel wird sie krank, fährt ein paar Tage zu den Eltern, darf weinen und wieder Kind sein. Die Mutter ist jedoch todkrank und nimmt ihr das Versprechen ab, für Lientje zu sorgen.
Lientje geht tatsächlich mit zur Schwester. Doch eskaliert das Eheleben in einer Nacht so drastisch, dass Leen ihren Ehemann verlässt. Ende des 1. Teils.