Zur Debatte über den Klappentext: ich ärgere mich auch oft, dass ein Verlag entweder schon zu viel verrät im Klappentext oder Dinge sogar verfälscht, aber hier hat es mich mal gar nicht gestört! Mir geht es da eher wie
@RuLeka oder
@ThomasWien, mich interessiert vor allem, war uns dadurch enthüllt wird, was die Großmutter erzählt oder worüber die Menschen rund um Zisk sprechen und was sie beschäftigt.
Die Gesellschaftskritik kommt an vielen Stellen durch. Polizisten verdienen viel Geld, alle wollen dahin. Umgezogen wird im Rettungswagen, weil der billiger ist als ein Möbelwagen
Das hat mich verwundert, denn hier wäre es ja umgekehrt – wenn man einen Rettungswagen selber bezahlen müsste, wäre das definitiv teurer als ein Möbelwagen... Das erfüllt mich nicht unbedingt mit Hoffnung, dass die Rettungswagen dort auf dem technisch neusten Stand sind und die Möbelpacker, äh, Rettungssanitäter fachlich geschult.
ich bin zwar kein Freund von Monologen, aber diese hier haben es mir echt angetan. Ich finde die sind mit einer ungemeinen Dynamik geschrieben mit unheimlich viel Inhalt.
Ditto! Ich habe zwischendurch gedacht: warum stört mich das sonst aber hier stört es mich nicht? Sie sind ja nicht immer "realistisch", im Sinne von "so drücken sich Menschen in Gedanken aus, wenn sie mit sich selber sprechen", aber es passt sehr gut zur Geschichte. Und wie du sagst, tolle Dynamik.
Allerdings ist es erzählerisch nicht schlecht gemacht, dass die Oma ihm von bestimmten Ereignissen erzählt. So bekommen wir die Informationen ganz einfach geliefert.
Ja, genau, und nach meinem Empfinden wirkt das gar nicht so gekünstelt, wie man befürchten könnte. Passt, liest sich wie aus einem Guss.
Die Oma dekoriert alles mit Zeitungsartikeln, die sie vorliest, um uns damit erneut zu informieren. Wir befinden uns immer noch Anfang der 2000er Jahre. Mir ist das zu konstruiert. Wie geht es euch mit diesem Stil?
Ich finde das ganz einleuchtend: so wie sie ihm Musik vorspielt, damit er später leichter wieder den Einstieg findet, um Cellospieler zu werden, versucht sie so, ihn immer auf dem neusten Stand zu halten, damit er leichter wieder ins Leben findet. Ob er davon viel mitbekommt oder einfach nur wahrnimmt, DASS sie mit ihm redet, das ist natürlich die Frage. Obwohl es ja durchaus auch schon Komapatienten gab, die nach ihrem Erwachsen sagten, sie hätten durchaus mitbekommen, was in ihrem Umfeld gesagt wurde.
Nun wird noch eine Prostituierte engagiert. Die Oma lässt nichts unversucht. Soll das eine Art Humor sein, die ich nicht verstehe?
Ich finde, es zeigt vor allem, wie verzweifelt sie ist. Ihr fällt langsam nichts mehr ein, um ihren Enkel zu erwecken, da greift sie nach jedem Strohalm...
Allerdings kommt Filipenko auch hier nicht ohne sehr stereotype Charaktere aus. Gleich am Beginn des Abschnittes ist es Freundin Nastja, eine total oberflächliche Göre, die offenbar kein bisschen geschockt war über Zisks Unfall. Schwupps, hat sie sich einen Neuen geangelt und bittet dafür auch noch um Vergebung (!). Außerdem ist sie stolz, "Den Jackpot geknackt" zu haben.
So weit denkt sie nicht, dass, wenn sie pünktlich gewesen wäre, Zisk vielleicht schon nicht mehr ins Gedränge geraten wäre...
Niemand erwartet von einem jungen Mädchen ewige Treue - Aber dieser Monolog war schon arg konstruiert und empathielos.
Ja, da habe ich meinem Mann (der als Lehrer in Klasse 7 bis 10 ja viel mit Teeniemädeln zu tun hat) gefragt: gibt's das? Gibt es Mädchen, die wirklich SO oberflächlich sind, dass ihnen, wenn der eigene Freund ins Koma fällt, nichts besseres einfällt als Disko und Kosmetikbeutel und der heiße Junge, den sie sich jetzt angeln wollen? Er meinte: Das ist aber auch eine heftige Situation, mit der sie vielleicht einfach nicht umgehen kann und die sie deswegen nicht an sich ranlässt.
Vielleicht, aber so liest es sich für mich nicht... Sie wirkt, man möge es mir verzeihen, wie ein kleines Hohlbrötchen.
Mir ist das aber in positiver Erinnerung. Was man damit möglicherweise in Familien dort ausgelöst hat, oder was das für Kinder hieß, die nicht hierher durften, habe ich mir nicht überlegt. Das zeigt mal wieder, dass Hilfsangebote nicht immer das bewirken, was man möchte bzw. unerwünschte Nebenwirkungen haben kann.
Ich kenne die Debatten über Promis, die Kinder aus Dritteweltländern adoptieren, was für die Familien der Kinder oft das ultimative Opfer ist. Sie lassen ihre Kinder ziehen, damit die es später mal besser haben. Da wird ja oft gesagt (sicher nicht zu Unrecht): stattdessen sollte man die Familien vor Ort unterstützen, damit die Familieneinheit zusammenbleiben kann und die Kinder es trotzdem besser haben.
Vielleicht ist das hier ähnlich? Aber die Frage ist, ob es in anderer Form möglich gewesen wäre.
Die Großmutter ist und war ihnen gegenüber skeptisch, sieht die, ich nenne es mal, Vereinnahmung der Reichen, als Bedrohung für ihren familiären Frieden, in der mit diesen Besuchen immer das Fenster zu Alternativen aufgestoßen scheint und die Zufriedenheit mit dem Möglichen in Minsk nicht größer gemacht hat. Diese Figurenkonstellation mit dem dazugehörigen Konfliktpotential fand ich sehr gut dargestellt.
Und das ist doch auch ein Beweis dafür, wie sehr die Großmutter Zisk liebt – trotz aller Vorbehalte sparte sie sich das Geld vom Mund ab, um ihn nach Deutschland schicken zu können, im Wissen, dass er es nicht IHR danken würde, sondern den Deutschen.
Vielleicht wäre es ihm in Deutschland behandlungsmäßig sogar besser gegangen? Den eigentlich braucht er ja ständig Therapie, damit die Sehnen und Muskeln nicht verkümmern. Ich weiß nicht ob das in der Ukraine wirklich alles so geschieht, nach der ganzen Einschätzung der Ärzte denke ich eher nicht.
Ich vermute, die Großmutter tut selber, was sie kann, um ihn rund um die Uhr zu pflegen. Es wurde ja schon gesagt, dass sie ihn mithilfe der Krankenschwester regelmäßig umdreht und auch badet, ich könnte mir vorstellen, dass sie auch versucht, seine Sehnen und Muskeln zu dehnen und zu strecken. Vielleicht überschätzt sie sich da (wahrscheinlich), aber ich kann beide Seiten verstehen – beiden wollen für Zisk das Beste, haben aber komplett unterschiedliche Ansichten, was für ihn das Beste ist.
De Großmutter (Tradition, altes System) streitet mit den Deutschen (Deutschland, EU?) über das Fortkommen des "Patienten" Belarus, während sich die Mutter (Russland?) sich anderen neuen Projekten mit attraktiven Kapitalgebern zuwendet?
Interessante Interpretation! Ich habe es tatsächlich gar nicht als Analogie gesehen, nur als Konflikt, der in Zisk frühem Leben eine große Rolle gespielt hat.
Sind wirklich alle Belarussen nur auf ihren Vorteil aus? Was will uns der Autor mit dieser Figurenzeichnung sagen?
Vielleicht genau das. Ein unmenschliches System bringt rücksichtslose Menschen hervor. Dazu passt wahrscheinlich auch die derbe Sprache in den Dialogen
Das kann natürlich sein, RuLeka. Ich fand zum Beispiel die Sprache des Arztes oft zu übertrieben fies und menschenverachtend, aber das stimmt, es kann einfach ein Sinnbild sein für genau das.
Ich glaube nicht das er so arg übertreibt, den wie gesagt sein Buch ist anscheinend sehr umstritten in der Sowjetunion. Vielleicht gerade weil er da so viel wahres preisgibt.
Ja, das spricht dafür, dass da viel Wahrheit drinsteckt.
Ja den Schwiegersohn finde ich auch entsetzlich, besonders in Anbetracht das er Arzt ist geht sowas gar nicht.
Wie sich dagegen die Oma für Zisk einsetzt und alles macht, finde ich eher menschlich. Ich glaube ohne seine Großmutter wäre er schon längst tot oder abgeschoben.
Mit Sicherheit... Bestenfalls irgendwo "verwahrt" und ohne Pflege dahinvegetieren gelassen, bis er hoffentlich bald stirbt.