2. Leseabschnitt: Seite 74 bis 142

Literaturhexle

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2. April 2017
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Hier diskutieren wir ab "Jean-Baptiste Leroux 29. Oktober" bis einschließlich "Ted Garner 31. Oktober", also die Seiten 74 bis 142.
 

Xirxe

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19. Februar 2017
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Der Ausflug ins Reservat erweist sich kriminalistisch betrachtet als wenig erkenntnisreich, was eigentlich auch zu erwarten warten war. Immerhin ist sie vor einem Jahr aus ihrem Heimatdorf verschwunden, also eher unwahrscheinlich, dass der Mörder bzw. Hinweise auf ihn dort zu finden sein sollten.
Ein bisschen unglaubwürdig fand ich die plötzliche Erkenntnis Garners, dass auch die Indianer eine Philosophie des Weltgeistes haben - weshalb denn nicht? Ein gebildeter Mensch wie er und derart ignorant? Und kaum ist er im Reservat geht ihm ein Licht auf? Na ich weiß nicht ...
Auch dass er in der Frau seines Kollegen plötzlich eine Seelenverwandte entdeckt - nein, welch ein Zufall. Wenn die Beiden tatsächlich noch zueinander finden sollten, gibt das auf jeden Fall einen Punkt Abzug ;)
Und jetzt lese ich den nächsten Abschnitt.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Mir gefallen die unterschiedlichen Perspektiven gut, weil sie tatsächlich auf den Charakter des Beobachters schließen lassen. Trotz seiner Vorurteile spürt Garner im Reservat so etwas wie Respekt und Ehrfurcht vor der Kultur und vor allem vor der Schönheit des Landes und der Natur. Ich habe das gar nicht störend empfunden wie du @Xirxe . Auch die Seelenverwandtschaft zu Sophie wurde für mich glaubwürdig hergeleitet: am Anfang steht die Liebe zu den Büchern. Außerdem hat sie allen Grund zu flirten, ihr Mann ist ein notorischer Fremdgänger. Es hat mich als langjährige Ehefrau natürlich auch gefreut, dass Garner der Versuchung (zunächst?) nicht erlegen ist. So ein bisschen Prickeln salzt doch die Suppe;)
(Einzig dieser Satz: "Es schien ihm, als habe er schon sein ganzes Leben auf sie gewartet." - Der ist unnötig pathetisch und mir sauer aufgestoßen, weil er gar nicht zum sonstigen Stil passt.)

Überhaupt gefallen mir die Naturbeschreibungen. Die Wildnis wird vor sem inneren Auge sichtbar. Wir erfahren einiges über die Besonderheiten bei den Indigenen. Die Menschen sind verstockt, haben kein Vertrauen zu den Weißen. Der Lehrer hat sich sehr verdächtig gemacht. Leon will auf eigene Faust ermitteln. Hoffentlich geht das gut. Morel braucht ein Bauernopfer, weil er so sehr unter Erfolgsdruck steht... Ich befürchte, es wird eben Leon sein.

Der Schreibstil macht mir allgemein Freude. In der Perspektive J.B. 's blitzt oft Überzeichnung und Humor hervor, gerade, wenn er über seinen Kollegen spottet. Die tierischen Vergleiche sind ebenfalls nett: Wie Kolkraben auf einem Schneefeld, wie ein gestriegeltes Pferdchen im Schweinestall, sie flüchtet wie das Hermelin vor dem Wolf
...:D

Also: sehr angetan lese ich weiter. Wenn es so weiter geht, werde ich den Krimis vielleicht doch nicht gänzlich abschwören. Mal gucken;)
 

Bibliomarie

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10. September 2015
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Ich weiß immer noch nicht in welche Richtung dieser Roman gehen wird. Als Krimi sehe ich ihn nicht. Das komplizierte Innenleben von LeRoux und Ted Garner nehmen einen großen Raum ein. Ich hatte mir LeRoux wesentlich älter gedacht, aber die Bemerkung, dass er noch 30 Jahre Berufsleben vor sich hat, weist auf einen Mittdreißiger. Garner fühlt sich zu Sophie hingezogen, möchte aber seine gute – wenn auch langweilige – Ehe nicht gefährdenn.

In diesem Leseabschnitt kommt eine dritte Perspektive dazu, die indianische Seite mit Leon Er weiß mehr, als er der Polizei erzählte. Aber warum sollte er auch vom Zettel erzählen? Er hat damals nicht darauf reagiert, weil Jeanette mit seinen Ersparnissen abgehauen ist und fühlt sich jetzt schuldig.

Der Aufenthalt im Reservat ist jedenfalls für die beiden Ermittler sehr unergiebig und scheint mir nur als Anlass für die Beschreibung des Lebens dort.

Ich nehme bisher nur die Verachtung für die indigenen Kanadier wahr. Wenn MacFallon so herablassend über die Sozialhilfe spricht, von der die Indianer leben und auf die sie Anspruch erheben, kann ich nur sagen, die ist nur ein winzig kleiner Ausgleich für das, was ihnen gestohlen wurde. Sie wurden entwurzelt, ihre eigene Sprache und Kultur in den Residential Schools vernichtet und ihnen aber auch kein Anteil an der Gesellschaft zugestanden.

Das dies hier zur Sprache kommt finde ich richtig. Allerdings fehlt mir noch der richtige Zugang zu diesem Buch.
 

Bibliomarie

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10. September 2015
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Der Ausflug ins Reservat erweist sich kriminalistisch betrachtet als wenig erkenntnisreich, was eigentlich auch zu erwarten warten war. Immerhin ist sie vor einem Jahr aus ihrem Heimatdorf verschwunden, also eher unwahrscheinlich, dass der Mörder bzw. Hinweise auf ihn dort zu finden sein sollten.

Ich hatte eh den Eindruck, der Ausflug ins Reservat war nur der notwendige Hintergrund um ein wenig die indianische Lebensweise zu illustrieren.
 

wal.li

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1. Mai 2014
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Mir gefällt die Verquickung der Mordserie mit den urigen Charakteren der Ermittler und die Einblicke in das Leben der Ureinwohner sehr gut. Ich habe den Eindruck, dass die Autorin sich sehr intensiv damit beschäftigt hat. Das geht ja auch aus der Verlagsinformation hervor. Dass tatsächlich indianische Frauen verschwinden und nur halbherzig ermittelt wird, finde ich sehr tragisch. Die Frauen hätten etwas Besseres verdient.
 

Yolande

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13. Februar 2020
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Ich bin auch weiterhin sehr angetan von diesem Buch. Die Charaktere der beiden Ermittler offenbaren sich Stück für Stück.
Ich hatte mir LeRoux wesentlich älter gedacht, aber die Bemerkung, dass er noch 30 Jahre Berufsleben vor sich hat, weist auf einen Mittdreißiger
Genau so ging es mir auch, ich war erstaunt, dass LeRoux doch noch so jung ist, obwohl natürlich seine sexuelle Virilität ein Hinweis war. Ich frage mich, was ihn so desillusioniert hat. Sophie erwähnte einmal, dass er sich sehr verändert habe, ob das nur aufgrund seiner, wahrscheinlich oft sehr frustrierenden und deprimierenden Tätigkeit zu hat? Oder steckt noch etwas anderes dahinter? Reine Sexsucht, scheint mir irgendwie zu billig, das hätte er ja auch schon früher haben müssen.
Garner hat also Tendenzen zu Asperger, wenn man sich sein Verhalten so anschaut, kommt das schon hin. Allerdings gefällt es mir gar nicht, dass er sich mit Sophie getroffen hat, das ist ein gefährlicher Weg.
Ihr seht, die Mordermittlung steht bei mir auch nicht an erster Stelle ;). Hier geht es nur ziemlich zäh voran, der Ausflug in Jeanettes Heimatstadt war nicht besonders ergiebig. Verdächtig fand ich dort nur den Lehrer, aber es wäre sicher aufgefallen, wenn dieser für ein paar Tage Richtung Montreal verschwunden wäre. Dass ausgerechnet die Zeugin, die das Mädchen in einen Truck einsteigen sah, jetzt ebenfalls ermordet wurde, deutet natürlich auf etwas Größeres hin. LeRoux' Chef finde ich unmöglich, was für ein A.... Wie er mit seinen Mitarbeitern umgeht und Jeannettes Cousin soll einfach mal so verhaftet werden - die moralischen Ansprüche dieses Mannes sind unterste Schublade :mad:
 

Xirxe

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19. Februar 2017
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Ich habe das gar nicht störend empfunden wie du @Xirxe . Auch die Seelenverwandtschaft zu Sophie wurde für mich glaubwürdig hergeleitet: am Anfang steht die Liebe zu den Büchern. Außerdem hat sie allen Grund zu flirten, ihr Mann ist ein notorischer Fremdgänger.
Störend empfand ich diese extreme Gegensätzlichkeit: Garner wird ja als totaler Verstandesmensch aufgebaut, für den Gefühle letzten Endes Gedöns ist. Das Ergebnis ist das, was zählt. Und dann, schwuppdiwupp, trifft er auf eine Frau die Schopenhauer liebt und schon überkommen ihn ungeahnte Gefühle. Wenn Garner etwas weniger extrem als Figur dargestellt worden wäre, hätte ich es vermutlich nicht so störend empfunden.
 

Bibliomarie

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10. September 2015
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Das erstaunt mich beim Lesen auch sehr. Irgendwie hat Kanada ein anderes Image.
Im Prinzip haben die Einwanderer den Ureinwohnern alles weggenommen und noch Krankheiten und Alkohol gebracht.

Erst seit ich vor kurzem das Buch von Richard Wagamese gelesen habe und dort zum ersten Mal von den Residential Schools gehört habe, wurde mir klar, dass sich bei der Vernichtung der indigenen Kulturen Kanada genau wie alle anderen Regierungen verhielt.
 
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Reaktionen: Yolande und Emswashed

Emswashed

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9. Mai 2020
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Ich weiß nicht woran es liegt, aber ich hänge mich an Kleinigkeiten auf, wie zum Beispiel die Verladung des Zinksargs in so winzige Maschinen. Mein altes Luftfrachtherz möchte sofort die Ladetabellen überprüfen und "Stopp" schreien.
Ich wäre wahrscheinlich nicht so pendantisch, wenn ich nicht die ganze Zeit das Gefühl hätte, in "a men´s world" gelandet zu sein. Natürlich ist es interessant zu erfahren, wie die Engländer und Franzosen sich gegenseitig bashen, aber wo bleiben die Opfer? Was haben sie "falsch" gemacht und gibt es keine "Kämpferinnen" auf ihrer Seite?

ich will ja nicht unken, aber wenn das alles ist, was wir (Weiße) darüber schreiben können, dann kann ich es voll und ganz verstehen, dass die Indigenen sich abkapseln und lieber ihr eigenes Ding durchziehen.

Trotz allem, es ist und bleibt spannend.
 

Bibliomarie

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10. September 2015
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wie zum Beispiel die Verladung des Zinksargs in so winzige Maschinen. Mein altes Luftfrachtherz möchte sofort die Ladetabellen überprüfen und "Stopp" schreien.

Auch ohne deine speziellen Kenntnisse habe ich bei dieser Szene auch gestutzt, vor allem, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass die Leiche so aufwendig der Familie zugestellt wird. Aber vielleicht sind die Behörden ausnahmsweise so feinfühlig.
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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Grundsätzlich mag ich die Art wie das Buch geschrieben ist. Aber da grummelt etwas in mir: Wenn es um systematische Gewalt gegen Frauen der indigenen Bevölkerung gehen sollte, warum lese ich immer nur aus männlciher Perspektive, noch dazu zweimal aus weißer männlciher Perspektive und deren männlichen Befindlichkeiten.
Und ich gebe @Xirxe recht: wenn jetzt noch eine Garner-Sophie Geschichte kommt, gibt es Abzüge.
 

Amena25

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23. Oktober 2016
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Trotz seiner Vorurteile spürt Garner im Reservat so etwas wie Respekt und Ehrfurcht vor der Kultur und vor allem vor der Schönheit des Landes und der Natur.
Auch wenn es vielleicht etwas erstaunlich ist, dass der abgeklärte Ted Garner so auf das Nordlicht und die Natur reagiert, fand ich das nachvollziehbar und kann mir schon vorstellen, dass so ein Erlebnis eindrücklich ist. Außerdem hat mir die Naturbeschreibung an dieser Stelle gut gefallen.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Mich erinnert diese Mordserie, die es ja offenbar tatsächlich gibt, an die Frauenmorde von Juarez. Vielleicht liegt es daran, dass ich sie (also die Morde) mehr als Femizid sehe denn als Morde an indigenen Menschen, um die sich niemand kümmert.

Es ist unter diesem Gesichtspunkt schon ziemlich nervig, dass die Ermittlungen ausschließlich bornierten Kerlen anvertraut sind, die - so kommt es bei mir an - einen Hass auf die ganze Welt haben, Garner vielleicht ausgenommen (jedenfalls hat er so seine Momente). Aber vielleicht ist das einfach so in Kanada. Ich kann mich erinnern, vor Jahren mal einen Krimi von Fred Vargas gelesen zu haben, der in Kanada spielte, ich glaube in Quebec. Da hatte ich jedenfalls auch den Eindruck, dass die kanadische Polizei (von Vargas mit gewohnter feiner Ironie geschildert) ein Haufen echter Kerle ist. :rolleyes:

Ich stimme dem zu, was hier schon gesagt wurde - bitte jetzt kein Techtelmechtel zwischen Garner und Sophie, die beiden sollen sich um Himmelswillen mal um ihre Ermittlungen kümmern ...

Fast vergessen: ging euch das Bild mit dem Sarg in der vergammelten Wohnküche, neben dem die Kinder TV-Comics glotzen, auch so an die Nieren? Furchtbar.

PS. Powwow-Musik musste ich auch erst mal googeln. Sehr speziell ...
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Ich frage mich, was ihn so desillusioniert hat.
Das klingt doch immer wieder an, dass er seine Arbeit als unbefriedigend empfindet. Die Polizei ermittelt, oftmals ohne Ergebnis und wenn doch, so sind die Verbrecher bald wieder draußen.
Das habe ich hier auch schon von einigen Polizisten gehört. Man bemüht sich und hat endlich Erfolg und drei Tage drauf trifft man die Verhafteten auf der Straße und sie lachen dich aus. Ich bin bestimmt kein Law And Order Typ , aber was sich bei uns oft abspielt, weil die Ämter überlastet oder die Richter zu milde sind, das sendet ein schlechtes Signal v.a. an jugendliche Straftäter. Und die Opfer werden gern vergessen.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Mir gefällt das Buch bisher sehr gut. Es ist ein Krimi, schließlich geht es um Ermittlungen in einem bzw. mehreren Mordfällen. Mir ist das Umfeld dabei sehr wichtig. Dass die Polizisten nur langsam vorankommen, ist doch realistisch. Zwei unterschiedliche Ermittler hat ja auch was Reizvolles.
Ich habe hier jedenfalls einiges über Kanada erfahren, was ich so nicht kannte. Mein Bruder lebt ja dort, allerdings in Nova Scotia, da ist die Bevölkerung vor allem englischsprachig. Das Land ist auch so riesig, da gibt es bestimmt viele regionale Unterschiede.
Das Glossar am Ende des Buches ist auch ganz interessant.