2. Leseabschnitt: Seite 60 bis 113 (MA- zweite Hälfte)

Literaturhexle

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2. April 2017
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Und Amor selbst befindet sich in einer Ausnahmesituation. Für mich war das stimmig, trotz des Symbolcharakters.
Ja. Das habe ich alles verstanden. Mir war es nur ein bisschen viel. Aber ich verstehe, was damit gesagt werden soll. Dieses Mädchen ist insgesamt sehr einsam, hat niemanden zum Reden. Selbst um den Abschied von der Mutter hat man sie gebracht, indem man sie ins Internat steckte.

Galgut prangert mit dieser Sippschaft die weiße Klasse Südafrikas an, die das Land ausgebeutet, die Schwarzen unterdrückt und belogen haben ( auch unter dem Deckmantel des christlichen Glaubens) und sich nicht an ihre Versprechen halten.
Sehr gut auf den Punkt gebracht! Das wollte ich sagen: man hat die Christenlehre als Deckmantel für Unterdrückung und Kolonialisierung benutzt. Das muss bei einem solchen Buch eine Rolle spielen.

Aber ich kann auch Wandas Einwände nachvollziehen. Wenn die Berichterstattung einseitig wird, kann es zuviel werden. Gerade wenn man mehr Bezug zur Sache hat.

In der Sexszene wird er mir nicht sympathischer und auch sonst, wie er mit Menschen umgeht.
Ja. Mit "sympathisch" muss man aufpassen. Er zeigt halt, dass er noch nicht völlig abgestumpft ist. Ansonsten schwebt er irgendwie über allem, beobachtet.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Man weiß es aber nicht, ob es das gibt.
Doch, gibt es. Als eine ehemalige Kollegin vor einigen Jahren im Sterben lag, hat sie sich zum Zeitpunkt ihres Umzugs ins Hospiz (da war ich gerade in Süddeutschland auf einem Festival) in einem Traum von mir verabschiedet, indem ich sie noch einmal genauso gesehen und lachen gehört habe, wie sie wirklich war.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Doch, gibt es. Als eine ehemalige Kollegin vor einigen Jahren im Sterben lag, hat sie sich zum Zeitpunkt ihres Umzugs ins Hospiz (da war ich gerade in Süddeutschland auf einem Festival) in einem Traum von mir verabschiedet, indem ich sie noch einmal genauso gesehen und lachen gehört habe, wie sie wirklich war.
Das warst du. Dein Gehirn. Kein Geist, der dir erschienen ist. Psychologie.
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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ja, das geht mir auch so, eigentlich mag ich es nicht so, wenn die Bücher so gedruckt oder geschrieben sind, aber nach einer Weile fiel es mir nicht mehr weiter auf.
Ich finde es sogar ganz clever, dass nicht immer sofort klar ist, wer was sagt. Manchmal musste ich rätseln, ob es bloße Gedanken sind oder es jemand tatsächlich ausspricht. Die Grenzen sind etwas verschwommen. Aber das passt ganz gut, oder?
 

milkysilvermoon

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Ich mag an sich auch keine Geister in Büchern. Hier hatte ich allerdings eine Art Gänsehautfeeling, weil mir Rachels Geist irgendwie so glaubwürdig erschien.
"Wasserfarbenfrau"
"Auch viele Lebende sind bloße Schatten ohne Ziel, das ist kein Makel, der nur Verstorbenen anhaftet."

Ich hadere noch etwas mit diesem Geister-Aspekt. Das ist eigentlich überhaupt nicht meins. Allerdings ist es sprachlich so gut verpackt, dass ich es dem Autor nicht wirklich krumm nehmen kann..
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Wie @Christian1977 treffend bemerkt, möchte man mit dieser Sippschaft nichts zu tun haben. Die Sympathien für Amor und Anton wachsen.

Nee. Nicht besondes. Es zeigt halt, dass er noch nicht ganz abgestumpft ist. Aber er ist ja auch noch sehr jung. In der Sexszene wird er mir nicht sympathischer und auch sonst, wie er mit Menschen umgeht.

Ich bin, was Anton angeht, eher bei Wanda. Natürlich ist er kein Monster. Er hat zum ersten Mal jemanden getötet. Das reut und beschäftigt ihn. Und er spricht das Versprechen an. Aber sehr setzt er sich nicht für Salome ein. Und im Großen und Ganzen ist mir Anton zu egoistisch und arrogant, um meine Sympathie zu gewinnen.
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Salome (wahrscheinlich die echte Christin)

Siehst Du, die Christen werden nicht nur gebasht. Bei Manie gehts wohl hauptsächlich um seine Person und nicht ums Christentum. Der Glaube an sich, ist in letzter Zeit wohl ein gern gesehener Plot um Geschichten "anzureichern".
Aber der Tod der Mutter macht jedes Kind zu einem Erwachsenen (ab einem gewissen Alter natürlich).

Der Tod lässt viele Menschen reifen, ohne Frage, aber speziell in Amors Fall kommt mit ihrem Eintritt in die Welt der verwirrenden Hormone noch eine Dimension mehr hinzu. Die Gleichzeitigkeit machts noch einmal intensiver.
(Das versöhnt bisserl mich mit des Autors Affinität zu den Geistern).

Ich fühlte mich an Nino Haratischwilis achtes Leben erinnert, wie die beiden verstorbenen Großtanten immer noch unter dem Baum sitzen und Karten spielen (o.Ä.).
Beim Einkaufen wird man auf Bomben gecheckt. Schießereien, Steine, Nachrichtensperre, Ausnahmezustand, Bürgerkriegsähnliche Verhältnisse...

Aber wirklich nur sehr dezent am Rande erwähnt! Über die Geschichte selbst vergesse ich oft das Setting!
"Ich arbeite nur, ich denke nicht." Wie klein er sich aber dafür machen muss.

Jahrzehntelange Übung!
 

Literaturhexle

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Wo wir bei Erinnerungen sind, die Geisterszenen erinnern mich an einen anderen Bookerpreisträger, den wir hier gelesen haben und der uns unglaublich begeistert hat:

Buchinformationen und Rezensionen zu Lincoln im Bardo: Roman von George Saunders
Kaufen >
Nichts für Wanda, aber ansonsten ein ähnlich atmosphärisches Buch wie das Versprechen hier.
 

ulrikerabe

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Die Symbolik der erste Regelblutung geht mmn nach auch ein Stück weiter, als nur das "erwachsenwerden" .
Im Judentum, zumindest bei den strenggläubigen Juden, gilt die Menstruation bzw menstruierende Frauen als "unrein". Frauen verbringen dann oft separiert ihre Tage. Das Eintreten der Blutung ist auch ein Symbol für Tod oder Sterben, das Ausbleiben für (neues) Leben.
 

ulrikerabe

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Die Apartheit in Südafrika endete erst 1994. Ich hatte sie viel früher vermutet, wahrscheinlich weil Mandela bei mir so präsent ist. in den 80ern sagt wiki, sind wir noch in der Hochzeit der Apartheit. Mist. Wollte ich so was lesen? ;-).
Dabei finde ich, dass im Buch zur Zeit viel mehr die Auseinandersetzung innerhalb der Familie und die Auseinandersetzung mit dem Glauben viel mehr im Vordergrund steht. Wir beschäftigen und mehr mit den Befindlichkeiten weißer Menschen untereinander. Die Auseinandersetzung mit der Apartheid, der schwelende Konflikt kommt immer nur en passant daher.
 

Wandablue

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Wo wir bei Erinnerungen sind, die Geisterszenen erinnern mich an einen anderen Bookerpreisträger, den wir hier gelesen haben und der uns unglaublich begeistert hat:

Buchinformationen und Rezensionen zu Lincoln im Bardo: Roman von George Saunders
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Nichts für Wanda, aber ansonsten ein ähnlich atmosphärisches Buch wie das Versprechen hier.
Interessant, dass ich das Buch nach 15 Seiten bereits abbrach. Aber es ist noch im Haus.
 

Sassenach123

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Ich bin teilweise überwältigt von der Fülle an Problemen der Einzelnen, denn jeder, wirklich jeder kommt direkt oder indirekt dazu, dass seine Probleme zumindest angeritzt werden. Geklärt scheint innerhalb der Familie wenig, wurde es auch wohl nie wie mir scheint.
Bei dem Ganzen merke ich allerdings, dass mir die Probleme der meisten nicht nahe gehen. Astrid zum Beispiel, ich nehme ihr Interesse an ihrer aufkommenden Sexualität wahr, aber das ist es dann auch schon gewesen. Bei Amor und Anton empfinde ich es anders, ich möchte mehr über sie erfahren, hoffe, dass sie einennWeg finden mit allem zurecht zuzukommen.
Und dann sind da noch Salome und ihr Sohn Lukas, sowie Lexington. Es ist ungerecht wie sie behandelt werden, dennoch lässt sich erahnen, dass dies auch noch ein wenig so bleiben wird.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Anton hat eine Freundin aus bestem Hause. Die beiden verbindet guter Sex. Es könnte auch etwas Liebe im Spiel sein. Desirees Eltern sind stinkreich und einflussreich. Dekadent.
Es scheint ihm zu gefallen, in das Reich des Vaters einzudringen, er äußert ja sogar, dass nicht nur Desiree ihn scharf macht, sondern auch die Vorstellung, dass ihr Vater diese Stellung inne hat
 

Barbara62

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Ich mag an sich auch keine Geister in Büchern. Hier hatte ich allerdings eine Art Gänsehautfeeling, weil mir Rachels Geist irgendwie so glaubwürdig erschien.
"Wasserfarbenfrau"
"Auch viele Lebende sind bloße Schatten ohne Ziel, das ist kein Makel, der nur Verstorbenen anhaftet."
Da geht es mir wie dir: Geister mag ich eigentlich nicht in der Literatur, aber hier beschreibt es ein Gefühl der Präsenz einer Toten, sehr gelungen.

Anton hat eine Freundin aus bestem Hause. Die beiden verbindet guter Sex. Es könnte auch etwas Liebe im Spiel sein. Desirees Eltern sind stinkreich und einflussreich. Dekadent.
Wie herrlich die Mutter beschrieben wird: "Sie lässt einen winzigen Riss in der Glasur aufscheinen, gerade groß genug, um eine echte Emotion zu simulieren..."
Hier hat Anton wieder Sympathiepunkte verloren. Desirés Vater ist Minister und verstrickt in Verbrechen der Apartheit, was Anton zu seinem eigenen Erstaunen mehr anzieht als abstößt. Sehr unfertig, der Junge.

Der christliche Glaube wird hier nicht verunglimpft, sondern beim Wort genommen. An den Pranger gestellt werden solche Christen, die ständig das Wort „ Gott“ im Mund führen, sich aber überhaupt nicht an dessen Lehre halten. Und von dieser Sorte gab es leider sehr viele. Auch Priester, denen es darum geht, sich ihre Pfründe zu sichern.
Natürlich gibt es genügend Gegenbeispiele, aber das ist nicht Thema dieses Buches. Galgut prangert mit dieser Sippschaft die weiße Klasse Südafrikas an, die das Land ausgebeutet, die Schwarzen unterdrückt und belogen haben ( auch unter dem Deckmantel des christlichen Glaubens) und sich nicht an ihre Versprechen halten.
So sehe ich das auch: Verbrechen unter dem Deckmantel des Christentum. Nicht Galgut verunglimpft die Christen, sondern solche falschen Glaubensbrüder und -schwestern.