2. Leseabschnitt: Seite 55 bis 118

RuLeka

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30. Januar 2018
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Ich fürchte auf mehr Schwung in der Geschichte wartet @Literaturhexle vergebens.
Es geht weiter mit Episoden aus dem Leben der Einwohner des Städtchens.
Der Ort hat nichts mehr von seiner einstigen Größe. Das Embargo von 1807 trug dazu bei, außerdem wird der Hafen wegen einer Sandbank immer kleiner. Schiffe verrotten, das Leben scheint stehengeblieben zu sein. Manche Bewohner halten ihren Stolz und ihren Dünkel aufrecht, aber es gibt wenig auf was sich dieser begründen könnte, außer auf Vergangenes.
Die alten Seemänner mit ihren Geschichten faszinieren die jungen Frauen und sie hören ihnen bereitwillig zu. So dürfen wir daran teilnehmen.
Die Geschichte von Danny hat mich auch berührt. Und von Kapitän Sands habe ich mir das alte Sprichwort unterstrichen, wonach ein Krüppel auf dem richtigen Weg schneller ist als ein Läufer auf dem falschen.
Und dann die Sensation: ein Zirkus kommt in die nächste Stadt und alle, alle fahren hin. Die Tiere sind zwar schon ziemlich alt und kaputt, die Artisten und der Clown eher lustlos, doch die Leute haben ihren Spaß. Mrs. Kew macht sogar die Entdeckung, dass die dicke Riesenfrau eine alte Bekannte ist.
Mir tut es gerade richtig gut, in diesen Zeiten, wo eine große Krise von der noch größeren Krise abgelöst wird, dieses ruhige, freundliche Buch zu lesen.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Irgendwie wird in diesem Buch alles auf ein "klein-klein"-Niveau runtergebrochen, die dicke Frau ist eine "arme Riesin", die sich wünscht, sie wäre klug genug, einen Haushalt zu führen, und der Vortrag über wahre Männlichkeit scheint an den Zuhörerinnen einfach vorbeizurauschen.
Ich finde die Grundhaltung der Erzählerin, die alles herrlich findet und mit so wenig zufrieden ist, eigentlich toll, aber in einen Vortrag über die Grundlagen wahrer Männlichkeit zu gehen (ein Thema, das sie nicht im geringsten zu interessieren scheint) und zuzugucken, wie einem eingeschlafenen Kind die Murmeln wegrollen, das ist wirklich ein Muster von Anspruchslosigkeit.
Sehr gut gefallen hat mir das Kapitel mit dem ehemaligen Seemann in der Plunderbude. Seine Geschichte über die gerettete Katze, die er danach bei sich behalten hat, war richtig bewegend; er spricht über die Katze wie über eine Ehefrau. Und die kleine Truhe des verunglückten Italieners ist auch sehr anrührend.

Das Buch ist so schön ruhig und führt so viele nette kleine Szenen vor. Im Grunde wäre es (das meine ich keineswegs herablassend) eine ideale Nachttischlektüre. Ein Kapitel vor dem Schlafengehen, das schenkt freundliche Gedanken und man muss sich nichts merken, da die Episoden beinahe unverbunden sind.
 

Barbara62

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19. März 2020
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Baden-Württemberg
mit-büchern-um-die-welt.de
Ich habe mich sehr gefreut, als der Bezug zu Cranford kam. Allerdings sind die Episoden dort mehr verbunden, die Menschen tauchen immer wieder auf, man verfolgt ihr Leben. Mit dem anvisierten Eisenbahnbau gibt es eine durchgängige Handlung. Und die Hauptfigur, Miss Matty (im Film dargestellt von Judi Dench), ist eine Einheimische.

Ich kann mir den Episodenroman sehr gut vorstellen als Fortsetzungsroman in einer Zeitschrift. Es ist die vollkommene Entschleunigung. Die beiden jungen Frauen scheinen etwas an sich zu haben, das auch Schweiger zum Reden bringt. Sie sammeln diese Episoden einer untergehenden Welt und überliefern sie der Nachwelt - oder zumindest Helen tut das.

Ihren Dünkel können sie trotz ihrer vordergründigen Liebenswürdigkeit nicht ganz verleugnen, beispielsweise bei den "dümmlichen" Kindern...
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Ich hätte nicht gedacht, dass ich das auch einmal schreiben müsste. Ich bin Bernhard Schlinks Nazi-Enkelin mit Unbehagen, aber immerhin einem gewissen Amüsement bis zum Ende gefolgt. Ich habe mich mit Gerard Donovan in die Arme einer überbordenden Flut an Medienkritik begeben, und ich stand Amalia und ihren Freunden beim Ausflug zu den Hillbillys bis zum Ende zur Seite. Aber ich gestehe: Ich würde Deephaven ohne Leserunde abbrechen. Sofort und unverzüglich.

Ich kann es kaum noch aushalten, wenn ich ehrlich bin. Genau das, was der King, das Hexle und Barbara im ersten Abschnitt angemerkt haben, geht mir genauso: Ich schweife vor Langeweile total ab und kann mich nicht auf das Buch konzentrieren. Heute sah ich einen Graureiher im Neckar stehen, der stoisch immer auf dieselbe Stelle starrte, offenbar in der Hoffnung auf einen Fisch oder so. Er tat nichts - und trotzdem war ich dankbar, ihm zusehen und das Buch zur Seite legen zu können.

Vielleicht ist es unfair, denn ich muss gestehen: Die Geschichte von Danny und seiner Katze hat mich durchaus berührt. Das geht bei mir auch schnell mit Tieren. Ansonsten fand ich den zweiten Teil noch schlechter als den ersten, weil es kaum noch diese schönen Beschreibungen gibt, dafür ständig diese uninteressanten Geschichten.

Der Tiefpunkt war für mich der Zirkus. Da zählt Helen auf, wie schlecht das alles ist: traurige Tiere, ein trauriger Clown, uninspirierte Artisten - und am Ende behauptet sie, wie toll alles war. Ein wunderschöner Tag eben. Nee, is klar.

Dann diese ständigen Hinweise darauf, dass alle, die irgendwie von der Norm abweichen, bemitleidenswerte Geschöpfe seien. Die Riesin, der humpelnde Danny etc. Dabei sind deren Geschichten (vermeintlich) um Klassen interessanter als das Leben von Helen und Kate. Die haben in ihrer biederen Langweiligkeit und Naivität nämlich überhaupt nichts zu erzählen. Diese snobistische Attitüde geht mir furchtbar auf die Nerven.

Und so leid es mir tut: Ich finde das nicht einmal gut geschrieben. Das hätte den Roman noch ein wenig retten können.

Ich las letztens erstmals einen Roman von George Sand, die man zeitlich ja ähnlich einsortieren kann, und war überwältigt vom Mut dieser Frau, gesellschaftskritische Themen so anzupacken und zu erzählen. Vielleicht ist es doch nicht überraschend, dass ihr Name noch geläufig ist - und andere Namen eben in Vergessenheit geraten. Vielleicht unfair von mir, aber mir erschließt sich der Wert dieser Veröffentlichung leider nicht.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Dann diese ständigen Hinweise darauf, dass alle, die irgendwie von der Norm abweichen, bemitleidenswerte Geschöpfe seien. Die Riesin, der humpelnde Danny etc.
Nun ja, die Riesin tut sich ja selbst auch recht leid. Das ist keine Einschätzung der Erzählerin, das ist einfach eine Beobachtung.
Gerade bei der Riesin musste ich doch recht schmunzeln, wie sich herausstellte, dass sie nicht - wie das Plakat versprach, sechshundert Pfund wiegt, sondern nur - wieviel waren es noch? Vierhundert? - weil das Plakat eigentlich zu einer anderen Show gehört und der Chef es nur billig bekommen hat.
Es ist kein Buch, in dem rasend viel passiert, aber langweilig finde ich es auch nicht. Nur, wie gesagt, diese ständige Betonung, wie toll das alles ist und wie glücklich die Erzählerin, das ist mir etwas zuviel und wirkt eher so, als rede sie sich das mit aller Macht ein.
 

RuLeka

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Heute sah ich einen Graureiher im Neckar stehen, der stoisch immer auf dieselbe Stelle starrte, offenbar in der Hoffnung auf einen Fisch oder so. Er tat nichts - und trotzdem war ich dankbar, ihm zusehen und das Buch zur Seite legen zu können.
Du siehst, das Buch wirkt. Du bist so was von entschleunigt…
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Vielleicht ist es doch nicht überraschend, dass ihr Name noch geläufig ist - und andere Namen eben in Vergessenheit geraten.
Genau das habe ich schon 20 mal während der Lektüre gedacht.... :rolleyes:

Christian, du bist köstlich. Lautes Gelächter für den Anfang deines Beitrages! Tapfer bist du allen gefolgt und hier ist ein stoischer Reiher spannender als die Lektüre....lol.
Ich kämpfe mich noch durch den Zirkus, habe aber dieselben Anmerkungen wie du. Es ist handlungsarm und völlig unspektakulär geschrieben. Moment. Einen schönen Satz fand ich:
Der Schatten ihrer Enttäuschung fiel auf unser Vergnügen und kühlte es ab. 102
Die wiederholt dümmlichen Kinder und das "absurde mitleiderregende Geschöpf" habe ich auch als reichlich überheblich empfunden. Aber das gehört wohl zum Standesdünkel dazu, der über Jahre anerzogen ist.
Ich kämpfe mich mal durch die letzten drei Seiten. Dann wende ich mich erfreulicheren Büchern zu. Mehr als zwei Geschichtchen schaffe ich nicht, sonst schlummere ich ein.

Ich werde mich sehr schwer mit einer Bewertung tun, wenn es so weiter geht. An sich ist es ja löblich, Klassiker in so feiner Aufmachung herauszubringen...
Aber, aber....
 

Literaturhexle

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das alte Sprichwort unterstrichen, wonach ein Krüppel auf dem richtigen Weg schneller ist als ein Läufer auf dem falschen.
Genau das war der zweite schöne Satz, den ich aber als Sprichwort definiert und deshalb nicht erwähnt habe. Für einen Klassiker gibt es sprachlich wirklich wenig zu entdecken.
aber in einen Vortrag über die Grundlagen wahrer Männlichkeit zu gehen (ein Thema, das sie nicht im geringsten zu interessieren scheint) und zuzugucken, wie einem eingeschlafenen Kind die Murmeln wegrollen, das ist wirklich ein Muster von Anspruchslosigkeit.
Meine Güte: Christian und du solltet ein Essay über dieses Buch schreiben! Ich werfe mich weg vor Lachen! Ich würde die Murmeln gerade auch bevorzugen;)
Die beiden jungen Frauen scheinen etwas an sich zu haben, das auch Schweiger zum Reden bringt.
Ja. Der Ort ist so überaltert, dass diese zwei jungen und gewiss hübschen jungen Frauen eine willkommene Abwechslung sind. Die alten Kapitäne haben ihre Geschichten schon oft erzählt- meist demselben Publikum. Sie fühlen sich geschmeichelt über die Ausmerksamkeit.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Ich werde mich sehr schwer mit einer Bewertung tun, wenn es so weiter geht. An sich ist es ja löblich, Klassiker in so feiner Aufmachung herauszubringen...
Aber, aber....
Ich finde, es ist genau die Art Buch, die man etwa bei einem Krankenbesuch mitbringen kann. Es liegt bequem in der Hand, man liest ein bisschen hier und ein bisschen da, und wenn man zwischendurch einschläft, kann man nach dem Aufmachen einfach weiterlesen, ohne zurückblättern zu müssen.
Ich meine das gar nicht herablassend. Solche Bücher haben auch ihre Zielgruppe.

ps. Jetzt schreibe ich schon zum zweiten Mal "das meine ich nicht herablassend". Vielleicht sollte ich mal in mich gehen.
 

RuLeka

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Mehr als zwei Geschichtchen schaffe ich nicht, sonst schlummere ich ein.
Das ist kein Buch, das man voller Spannung einsaugt. Ich lese eine Geschichte in meiner Mittagspause im Liegestuhl im Garten, dafür sind sie ideal.
Die Autorin beschreibt eine Gesellschaft und eine Zeit, die so weit weg ist von uns. Auch für die Freundinnen ist vieles fremd. Doch das Leben der Menschen interessiert sie. Deshalb ermutigen sie die alten Leute aus ihrem Leben zu erzählen. Die Seebären haben ja einiges Aufregendes erlebt. Ich erlebe ihre Bemerkungen nicht als ( bewussten) Dünkel, aber sie gehören schon einer anderen Gesellschaftsschicht an.
Die Zirkusgeschichte hat mir gezeigt, wie wenig Höhepunkte es gibt in diesem Ort. Wir können uns das kaum vorstellen. (Auch nicht nach zwei Jahren Corona ohne Feste, Veranstaltungen usw. )
Ich lese nach wie vor gerne weiter, auch wenn das Buch nicht an Tania Blixen herankommt . ( Besser als Kurbjuweit ist es auf jeden Fall.)
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Ich finde mich mit meiner gefundenen Überschrift "Gepflegte Langeweile" auch im 2. LA genau wieder. Und die Frage dabei ist nur: Fühlen sich die beiden Freundinnen sowie die Einwohner von Deephaven darin wirklich wohl, oder ist das nur gespielte Ausweglosigkeit. Zunächst macht es den Eindruck, dass Ersteres stimmen könnte. Dafür Zitate:
es schien, als wären alle Uhren in Deephaven schon vor Jahren stehen geblieben, und die Menschen mit ihnen, als würden sie immer nur das wiederholen, was sie bereits in der Vorwoche ihres anspruchslosen Lebens beschäftigt hatte.
und es sei doch wunderbar, dass man hier nie Fabriken gebaut habe. Sie sei überaus dankbar, dass es keine lästigen Ausländer gab
Anspruchslosigkeit sozusagen als Lebensprinzip, um sich vor den Ansprüchen der Welt da draußen schützen zu können.
Aber dann kommt der Zirkus in die Nachbarstadt. Der Zirkus ist ja gleichsam ein Synonym für Andersartigkeit, gleichsam für Exotik. Und alle flippen aus! Ha! Als hätte ich es nicht geahnt! Natürlich warten alle nur auf ein Ausbrechen aus der Anspruchslosigkeit, aus der gepflegten Langeweile!
Die Lektüre war damit zum Ende des 2. LA kurzzeitig etwas unterhaltsamer als zuvor. Ich hoffe, es bleibt so. Ansonsten träume ich, wie @Christian1977 vom Fischreiher am Fluss. ;)
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Wir haben bei "Meinetwegen" gelernt, dass man das Gegenteil meint. Aber: es ist ein wunderbarer Kunstgriff, den ich mir unbedingt einprägen muss ;-).
Das Aufreten des Nicht-herablassend-Seins beinhaltet automatisch eine gewisse Herablassung, ebenso wie die Feststellung "Ich habe keine Vorurteile".
Zu sagen "Dies ist ein Buch für Stunden, wo man sich nicht anstrengen mag" bedeutet eine Verurteilung des Buches. Ein Buch für die Doofen oder auch für intellektuell anspruchsvolle Leute, die gerade mal eine doofe Stunde haben.