2. Leseabschnitt: Seite 50 bis 95

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Hm! Jetzt hatte ich eigentlich gehofft, nicht der Erste zu sein, der den Beitrag zum zweiten Abschnitt verfasst - um mich vielleicht noch von einer positiven Stimme auf den richtigen (?) Weg bringen zu lassen.

Aber leider ist es auch diesmal wieder so, dass mich der Roman im zweiten Abschnitt wieder verloren hat. Momentan geschieht mir das offenbar recht oft. Dabei hatte ich Wandas Ausführungen zum ersten Abschnitt eben erst gelesen, daran kann es also nicht gelegen haben ;).

Ich hatte das Gefühl, dass in diesem zweiten Abschnitt die Grenzen der Realität und der kindlichen Fantasie vollends verschwimmen. Genau wie Leena selbst wusste ich nicht mehr, was wahr ist und was falsch, was echt ist und was nicht. Das finde ich in Ordnung. Nicht so gefallen hat mir jedoch, dass durch dieses fast sphärische Erlebnis die im ersten Abschnitt so melancholisch gezeigte Welt total in den Hintergrund rückte. Manchmal hatte ich das Gefühl, einen Ausschnitt aus der Bibel zu lesen. Nichts gegen die Bibel, die ich vor allem sprachlich sehr schätze, aber in diesem Roman brachte mich das etwas raus. S. 55 z. B.: "Da wusste Leena, dass sie sich nicht mehr zu fürchten brauchte." Oder die zahlreichen Satzanfänge mit "und": "Und sie nahm das Mädchen an der Hand..." (58).

Würdet ihr den Text als "christlichen Roman" bezeichnen? Immerhin gibt es ja auch Leenas zwischenzeitliche Zweifel, ob Gott überhaupt existiert. Doch dann schien es mir, als habe Er sie auf den Weg zu dieser kleinen unwirklichen (?) Kirche gelenkt.

Ich habe sogar schon das Nachwort gelesen, um darauf eine Antwort zu erhalten, aber Antje Ravik Strubel hat mir in dieser Hinsicht keine befriedigende Lösung präsentiert.

Mein Hauptkritikpunkt ist aber die Figur Filemon. Vielleicht ist es etwas Persönliches, aber ich habe ein großes Problem mit Charakteren, die bewusst so schrullig überzeichnet werden, dass sie vermeintlich unglaublich liebevoll und toll sein sollen. Ich vermute mal, die Mehrheit von euch liebt Filemon. Mir ging er furchtbar auf die Nerven. Hinzu kommt, dass bestimmt wahnsinnig viel Philosophisches in seinen Ausführungen steckt, ich aber vieles davon nicht kapiert habe oder nicht nachvollziehen konnte...

Ich bin gespannt, ob im letzten Abschnitt noch einmal der Rückweg zu Leena und ihren Gefühlen und Ängsten oder zum Lieblingsonkel gefunden wird, oder ob sich das Buch weiterhin in diesen fantastischen Sphären bewegt.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Mein Hauptkritikpunkt ist aber die Figur Filemon. Vielleicht ist es etwas Persönliches, aber ich habe ein großes Problem mit Charakteren, die bewusst so schrullig überzeichnet werden, dass sie vermeintlich unglaublich liebevoll und toll sein sollen. Ich vermute mal, die Mehrheit von euch liebt Filemon. Mir ging er furchtbar auf die Nerven. Hinzu kommt, dass bestimmt wahnsinnig viel Philosophisches in seinen Ausführungen steckt, ich aber vieles davon nicht kapiert habe oder nicht nachvollziehen konnte...
Ich bin da exakt bei dir :cool:. Das Einzige, was ich in dem Filemon-Abschnitt RICHTIG genial fand, war die Szene, in der er aus Lehm den Vogel formt und Leena das Gefühl hat, er würde jeden Moment losfliegen. Das fand ich (auch sprachlich) absolut berührend; so hätte ich gerne den ganzen Abschnitt gehabt ha ha ha.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Was für eine Erleichterung, dass ihr es so seht. Ich gestehe, den ersten Teil fand ich sehr schön und überzeugend, aber der zweite LA konnte mich nicht mehr recht bei der Stange halten.
Die Nonne hat mir noch gefallen, aber von dem Moment an, als dieser alte Hausmeister samt Hund eingeführt wurde, hat sich bei mir der Widerspruchsgeist angesammelt. Dieses ganze Gespräch war irgendwie nicht von dieser Welt, eindeutig zuviel des Schwammig-Unschlüssigen und Unverständlich-Metaphorischen.
Als Leena ganz offen von Selbsttötung sprach (S.70 oben), ist das ganze Gespräch für mich in eine irreale, insgesamt metaphorische Richtung gekippt. Ich kann mir die Umstände einfach nicht vorstellen, in denen ein real existierendes Kind von neun im Gespräch mit einem Erwachsenen sagen würde: "Im Traum kann man sich nicht töten". Ich will damit nicht sagen, dass ich es unsinnig finde, aber jedenfalls verlässt die Szene damit die Ebene der Realität und rückt aufs Gebiet des Gleichnishaften, wie in einer Fabel "Der Mönch und das Kind" oder so ähnlich. Damit sind die Figuren keine Menschen aus Fleisch und Blut mehr, sondern symbolische Figuren. Leena als Person verliert dabei einen Großteil meines Mit-Leidens. Schade!
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Was für eine Erleichterung, dass ihr es so seht. Ich gestehe, den ersten Teil fand ich sehr schön und überzeugend, aber der zweite LA konnte mich nicht mehr recht bei der Stange halten.
Da sind wir anders als bei Jakob Franck also einer Meinung diesmal ;). Ich hatte auch gehofft, dass ich mit dieser Stimmungsänderung nicht allein dastehen würde...
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Ich antworte (erstmals) größtenteils auf Krischan:
Es ist kein christlicher Roman im eigentlichen Sinne, aber natürlich ans Christentum angelehnt und theologische Fragen erörternd. Erinnerst du dich an "Die Glocke im See"? Wir haben dieselbe Atmosphäre vor uns.

Die einfachen Leute gingen in die Kirche, wenn man den Roman um die Lebenszeit der Autorin ansiedelt. Wenn die Hexe es mir nicht gesagt hätte, hätte ich nicht bemerkt, dass die Autorin schon von uns gegangen ist.

So ziemlich am Anfang wird gesagt, es ist Kirchzeit und Leena geht davon.. aber Kirchzeit ist morgens und gleichzeitig machen die Leuts Mittagsschlaf. Da stimmt was nicht. Aber egal.

Das Gespräch in der Kirche:
- Es missfällt mir, Nonnen als Pinguine zu bezeichnen.
- Der Inhalt des hochphilosophischen Gesprächs (das NIEMALS so stattgefunden haben kann) dreht sich darum, ob es die Welt gibt oder ob alles nur ein Traum ist. Das haben die hohen (und niedrigen Philosophen) zur Genüge erörtert. Normalerweise zwickt man zur Antwort den Frager und wenn der "Au" ruft, sagt man "siehst du, ganz real". Aber letztlich: gibts darauf keine Antwort.

Nitzsche sagt (Lexikon der Argumente):
Nietzsche betont immer wieder, dass alles falsch sei. Damit meint er, dass es in der Welt keine Ordnung gibt, der die Dinge entsprechen könnten; es existiert nichts, auf das sich – wie die Korrespondenztheorie nahelegt – Aussagen in bestimmter Weise beziehen könnten, um damit wahr zu sein.

Da es keine Realität gebe, gebe es auch keine richtige Perspektive oder Geometrie, wie die Welt abgebildet werden müsste. Es gibt für Nietzsche lediglich rivalisierende Interpretationen.

Nichts anderes ist als real ‚gegeben‘ als unsere Welt der Begierden und Leidenschaften. Wir können zu keiner anderen ‚Realität‘ hinab oder hinauf als gerade zur Realität unserer Triebe.


Also besonders das Letzte bestreite ich!
Jedenfalls - man hat sich der Länge, der Breite und der Höhe nach mit dieser Frage beschäftigt.

So was in ein Gespräch mit einem kleinen Mädchen zu pressen, hätte mehr Fingerspitzengefühls bedurft. Worauf Lizzie sagt, Fil soll in Gleichnissen reden und der Kerl wutentbrannt davonstapft. (was ich verstehe, weil es eben keine Antworten gibt).

- Die zweite Ebene des Gesprächs betrifft die Prädestinationslehre. Ist alles vorbestimmt - hat der Mensch überhaupt einen freien Willen.
Insofern hochtheologisch.

- Die dritte Ebene des Gesprächs ist eine seelsorgerliche - insofern, ja, christlich. Fil und Lizzie sagen Leena, sie sei bedeutsam und hätte einen Sinn. Und viele gute Eigenschaften, sie sei hochmusikalisch.
Woher sie das wissen wollen, weiß ich nicht, ... war aber wohl so. Wenn die Leena aus einem hohlen Halmen tolle Töne machen konnte.

Der Rest des Gesprächs - vergiss es.
Ausserdem: wie verklausuliert!

Was nehme ich mit?
Auf die großen Sinnfragen des Lebens gibt es keine Antworten (das bestreite ich), ein Kind wird aufgebaut (das begrüße ich), Lena lebt in ihrer Welt, dh. sie hat jede Menge Phantasie, wahrscheinlich eher künstlerisch begabt. Und: Lena geht verloren.
 

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
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Brandenburg
Gewürzplanze ?
Mein Hauptkritikpunkt ist aber die Figur Filemon. Vielleicht ist es etwas Persönliches, aber ich habe ein großes Problem mit Charakteren, die bewusst so schrullig überzeichnet werden, dass sie vermeintlich unglaublich liebevoll und toll sein sollen. Ich vermute mal, die Mehrheit von euch liebt Filemon.
Vergiß die Figur, abstrahiere auf die gestellte Problematik. Fil ist nur ein Hilfsmittel. So wie meine Finger gerade.
 

Christian1977

Bekanntes Mitglied
8. Oktober 2021
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Erinnerst du dich an "Die Glocke im See"? Wir haben dieselbe Atmosphäre vor uns.
Ja, ich fühlte mich auch in gewisser Weise daran erinnert. Dennoch habe ich die Atmosphäre der Glocke als handfester wahrgenommen, wenn man das in diesem Zusammenhang überhaupt sagen kann. Sprich: Ich konnte an die Wunder oder rätselhaften Dinge dort eher glauben, ich nahm sie Lars Mytting als Erzähler ab. Hier vermischt sich das so stark mit der kindlichen Fantasie, dass ich einige Stellen mehrfach lesen musste, um überhaupt zu verstehen, was real ist oder in der Geschichte sein soll und was nicht.
Es missfällt mir, Nonnen als Pinguine zu bezeichnen.
In diesem Fall ist es ja Leenas Wahrnehmung und eigentlich keine abfällige Bemerkung eines Erzählers. Sie kannte bisher offenbar keine Nonnen und verbindet lediglich die Farben mit dem erstbesten Tier, das ihr einfällt.

Insgesamt danke für deine Ausführungen im obigen Beitrag, sie waren für mich erhellend.