2. Leseabschnitt: Seite 50 bis 109

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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@Literaturhexle

Bei der Mutter habe ich den Eindruck, dass sie generell sehr verbittert ist – nicht "nur" wegen des Krieges, sondern auch wegen einer ganz grundlegenden Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben. Dennoch finde ich sonderbar, dass sie nicht versucht hat, mit Ronnie im Krieg in Kontakt zu bleiben, die Pflegeeltern sind ihr da ja entgegengekommen...

Ronnie hat sich von ihr entfremdet, eigentlich schon seit der Sache mit dem Papagei, als sie ihm etwas wegnahm, was ihm wichtig war. Sie kommt ihm nur wenig entgegen, besucht seine Show nie – welche liebende Mutter lässt sich einen Auftritt des eigenen Sohnes entgehen?

Mein Eindruck war, dass Ronnie sich verliebt hat und Evie eher (unbewusst) verliebt war in ihre Rolle als glamouröse Rolle als Assistentin eines Zauberer. Meines Erachtens hat sie ihn nicht intrigant ausgebootet, aber auch nicht versucht, dem entgegenzuwirken.

Kinder oder deren Abwesenheit (und Eltern und deren Abwesenheit) sind in diesem Roman immer wieder ein Thema. Die kinderlosen Pflegeeltern, die Ronnie aufgenommen haben, spiegeln sich jetzt wieder in der Kinderlosigkeit von Jack und Evie.

@RuLeka

Zum Thema "Tricks": Im Englischen bedeutet "turn tricks" auch, "sich prostituieren". Ich habe mich gefragt, ob es im Niederländischen vielleicht eine ähnliche Konnotation gibt und Ronnie der Begriff "Tricks" daher so unangenehm ist.

@Querleserin

Ich war geradezu traurig, wie sich diese Dreiecksgeschichte entwickelte... Meine Sympathiefigur in diesem Roman war von Anfang an Ronnie, der es nicht verdient hat, so hintergangen zu werden.

"Da bin ich", "Ich bin da", "Da sind wir", das kommt immer und immer wieder. Was steckt dahinter? Dass die Figuren sich ihres Platzes in der Welt behaupten wollen, weil sie sich desssen nicht gewiss sind?

@Renie

Stimmt, die deutsche Übersetzung kann nicht alle Bedeutungsebenen von "Here we are" wiederspiegeln... Schwierig!

@Literaturhexle

Bei dem Klappentext dachte ich mir noch, dass das "zauberhaft verschwunden" alles heißen kann, vielleicht sogar zynisch gemeint ist, weil er in Wirklichkeit von seiner untreuen Freundin ermordet wurde. Aber mir würde es auch besser gefallen, wenn der Klappentext das nicht enthalten würde.

@MRO1975

Ja, die Zeitebenen werden sehr stimmig eingesetzt!

@Barbara62

Na, das erklärt dann wohl so einige Klappentexte, die Dinge behaupten, die völlig falsch sind...

@milkysilvermoon

Ich finde es hier noch ganz gut gelöst, wie die Zeitsprünge nach und nach Dinge enthüllen, aber dennoch das Ende nicht vorwegnehmen.

@SuPro

Die Mütter sind hier ein Thema für sich – entweder sie sind "Bühnenmütter", die ihre Kinder gnadenlos dressieren (bei Evie und Jack), oder sie sind emotional unterkühlt und abwesend (bei Ronnie).

@ulrikerabe

Ich glaube, bei Shakespeare fällt der Name "Robin Goodfellow" tatsächlich nicht, aber in der englischen Folklore ist es ein anderer Name für Puck.

"Faster than you can say Jack Robinson" habe ich schon mal gehört und die Bedeutung ist mir vage geläufig, aber ich weiß nicht, woher der Ausdruck kommt... Das ist für mich so ein Ausdruck wie z.B. "shenanigans", bei denen keiner weiß, wo sie herstammen, aber viele wissen, was es heißt.

@parden

Ab diesem Abschnitt habe ich auch fest damit gerechnet, dass Ronnies Verschwinden etwas mit einer seiner Illusionen zu tun haben wird.

@renee

Dass Ronnie zu spät kam, um seine Mutter noch mal lebend zu sehen, hat mich richtig getroffen. Ich hätte beiden gewünscht, dass es noch eine Art Aussprache gibt.

@Sassenach123

Für mich ist das einfach so diese Vorstellung: ein Mann stellt seiner Mutter eine Freundin nur dann vor, wenn er es ernst mit ihr meint. Vielleicht wollte Evie diese Bestätigung tatsählich erleben, weil sie sich selber unsicher war.
 

KrimiElse

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Das Buch fesselt mich, durch die Geschichte selbst und durch die Art wie sie erzählt wird. Man bekommt zunächst einen kleinen Brocken Information hingeworfen, aber es ist kein wirklicher Cliffhanger, sondern sehr gekonnt greift der Autor das Schnipsel später wieder auf, ohne dass irgendetwas abgehackt oder aus dem Zusammenhang heraus gerissen wirkt. Ich finde es äußerst spannend, weil man zum Beispiel nie weiß, ob er auf einen Faden der Geschichte noch,als zurückkommt und ihn auftrudelt oder ob er das nicht tut. Und die Art zu erzählen, nicht chronologisch sondern mit vielen Blicken nach vorn und zurück schafft sowieso Spannung. Graham Swift beherrscht das meisterhaft.
Die Geschichte selbst gefällt mir ausgezeichnet, eine Mischung aus Sittengemälde mit ein paar kleinen Seitenhieben und einer Studie seiner Charaktere, denen man recht nahe kommt dabei, trotz der Kürze und der scheinbaren Distanz, die für mich durch die vielen kleinen Sprünge entsteht.
Zum Inhalt hat @Literaturhexle wieder ihre wunderbare Zusammenfassung geschrieben.
 
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Die unterschiedlichen Muttertypen und das Verhältnis der drei zu ihren Müttern, die Beziehung zwischen Evie und Ronnie und Evie und Jack, der Unterschied zwischen Zaubertricks und Magie...
Ich sehe es wie ihr, es gibt so vieles, was in diesem wunderbaren Text angetippt wird, der dennoch nicht überladen wirkt. Ich werde das Buch auch mit viel Muse ein zweites Mal lesen.
 

KrimiElse

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Und gerade hier komme ich zu dem Schluss, dass die deutsche 1:1 Übersetzung "Da sind wir" dem englischen Titel "Here we are" nur ansatzweise gerecht wird. Dieses "Here we are" ist eine englische Redewendung, die in England in unzähligen Varianten verwendet wird und auch unterschiedliche Bedeutungen haben kann. Hier sind ein paar Beispiele:
"Bitteschön" (wenn man bspw. etwas präsentiert, Ihr müsst Euch dazu einen Tusch dazu vorstellen - also ein "Tadaaah" :D)
"Sodele" (ich kenne das hochdeutsche Wort nicht dazu :D)
"Da wären wir" (das kommt noch in die Nähe des deutschen Titels)
Das stimmt, und ein Bezug dazu findet sich bei Penny Lawrence, die immer äußert „So, da wären wir“. Ich finde das aber nicht schlimm, denn ein eingängiger passender Titel ist es allemal, und als Leser findet man schnell den Bezug des Titels zur Geschichte. Mir fällt kein wirklich allumfassendes deutsches Pendant zum Englischen Titel ein, das als Buchtitel nicht seltsam klingen würde.
 

KrimiElse

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„Da sind wir“ klingt furchtbar gestelzt, das sagt kein Mensch. Einmal taucht im Roman, „Da wären wir“ auf, als Ronnie seine erste Aufführung gibt. Das passt bedeutend besser - hier sind wir und schauen dir zu.
Das ist tatsächlich so, dass man das im Englischen als weniger gestelzt empfindet als im Deutschen. Auch „Da wären wir“ ist fürchterlich old-fashioned, aber der Roman spielt in dieser Zeit, als zwar bereits der Rock’n’Roll das Land überrollte, der flinke Jack aber an seiner Entertainer-Schmalztolle nach alter Manier hängenbleiben musste, weil es für ihn zu spät für die neue Zeit gewesen ist. Insofern passt für mich ein gestelzter Titel durchaus.
 
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Hier bin ich ( :) ) ganz bei dir.
Und es ist nicht nur der Titel, der sich nicht einfach so übersetzen lässt.
Swift spielt doch auch hier mit den Namen seiner Protagonisten, nennt Ronnie den Zauberer von Oxford, Jacks Puck ist Robin Goodfellow (das war mir aus dem Sommernachtstraum gar nicht geläufig. Ich neige sogar dazu, dem Autor zu unterstellen, dass er Evie White ganz gezielt gewählt hat: Die erste Frau der "Geschichte", die verführt wird und verführt hat mit der Farbe der Unschuld zu versehen.

Und weil ich so an Namen hänge: Es ließ mir keine Ruhe mit "Flinker Jack": Da ist sie, meine Recherche.
So lautet es im Original Text:....Jack Robbins, later to be known as "Jack Robinson" (wird im deutschen Text als "Flinker Jack" übersetzt....)
Nun, wer ist "Jack Robinson": a figure of speech, a phrase
[zitat]Multiple citations explain references to Jack Robinson as meaning quickness of thought or deed. The normal usage is, "(something is done) faster than you can say Jack Robinson", or otherwise, "before you can say Jack Robinson"[/zitat]
https://en.wikipedia.org/wiki/Jack_Robinson_(mythical_person)

da wären wir also mit der deutschen Übersetzung...
Oh wow, danke dir für diese Recherche.
Selbst wenn man das Buch in Originalsprache liest ist es oft so, dass einem derartiges entgeht, sofern man die Bedeutung mancher Idioms nicht kennt...(ich hatte da vor Jahren mal ein Schlüsselerlebnis als mir ein Brite die Herkunft des Wortes „Peeping Tom“ erklärte.)
Ohne dich wäre mir das komplett durchgerutscht...
 
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Und die Art zu erzählen, nicht chronologisch sondern mit vielen Blicken nach vorn und zurück schafft sowieso Spannung. Graham Swift beherrscht das meisterhaft.

Oh ja, absolut! Das muss man erstmal können – bei einem weniger meisterhaften Autor kann das auch schnell verwirrend werden.
 
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