Diesen Abschnitt fand ich durchgängig sehr spannend. Norah spürt ihrer Mutter nach. Dabei springt sie durch die Zeit, was jedoch immer mit konkreter Jahreszahl passiert, so dass das Orientieren nicht schwer fällt. Mir gefällt der Tenor des Geschriebenen, in dem eine permanente Melancholie mitschwingt. Norah schreibt ihre Beobachtungen auf, aber überlässt die Wertung (falls es eine gibt) dem Leser.
Der Mann, dem die Mutter in den Fuß schoss, war kein Kollege, sondern ein Produzent und geborener Talentsucher, der geradlinig seine Karriere verfolgte. Offensichtlich hatte er Katherine eine wichtige Rolle verweigert und sie statt dessen an eine rassige Amerikanerin vergeben. War das die Ursache für den Schuss?
Der Vorfall wird beschrieben, auch darin gibt es Fragezeichen. Wollte sie wirklich schießen oder die Pistole nur übergeben?War es ein Unfall? Manches spricht dagegen. Die beiden sollen kein Liebespaar gewesen sein.
Die Tochter versucht, die Mutter, deren Sein und Handeln zu verstehen, das passiert inlch aussagekräftigen Sätzen wie:[zitat]K. glaubte, sie hätte den Massen etwas anzubieten, etwas wie Freude oder Schmerz. In späteren Jahren betrachtete sie sich dann als Opfergabe, in Brand gesteckt durch das grelle Licht der Aufmerksamkeit. Aber wer weiß, vielleicht war sie auch bloß eine heillose Exzentrikerin, die zufällig auf der Bühne stand. (S. 79)[/zitat]
Eine wichtige Rolle in Katherines Leben spielte Pleasance. Sie sei ihre erste große Liebe gewesen. Wie fast zu erwarten lockert sich die Beziehung der beiden jungen Frauen mit dem großen Erfolg. Leben sie doch zunächst beide in einer bescheidenen Bude in Notting Hill, entkommt K. diesem Umfeld, sie wird ein Star, ihr Weg führt sie weit weg bis nach Hollywood. Die Freundinnen entfremden sich. K. hat das Gefühl, der anderen nichts mehr recht machen zu können, P. fühlt sich nicht mehr gesehen: [zitat]Etwas in Pleasance´Stimme ließ K. erschaudern, es fühlte sich an wie Mondlicht auf der Haut (S. 91)[/zitat]
P. wendet sich von der Bühne ab, heiratet und bekommt 3(?) KInder. Paradoxerweise beneidet K. sie um diese Art von Leben.
Sie empfinden zwar weiterhin Loyalität füreinander, tauschen de facto aber nur noch Weihnachtskarten aus.
Ich empfand den Niedergang dieser Frauenfreundschaft wunderbar einfühlsam geschildert. Immer, wenn sich Neid in eine Beziehung schleicht, ist der Grundstein des Übels gelegt.
Das Leben am Broadway sowie die Frauen dort sind weit oberflächlicher. Es geht nicht mehr um Probleme, sondern nur noch um Vergnügen, Shoppen und Lebenslust. Sie ändert ihre Identität, um die Vermarktbarkeit zu verbessern: Die Haare werden rot, der Name zu O´Dell. Schließlich kann man in Amerika sein "wer man will". Katherine ist extrem ehrgeizig, feiert rauschende Bühnenerfolge, aber dennoch verspürt sie auch Heimweh.
Sie wird mit nur 21 Jahren mit ihrem schwulen besten Philip Greenfield verheiratet. Das wird für Philip eine gute Gelegenheit gewesen sein, seine Neigungen zu verbergen, für K. war es angeblich ein Imagegewinn. Norah vermutet, dass Philip den Grundstein für die Alkohol- und Tablettensucht ihrer Mutter gelegt hat.
Katherin benutzte die Bühne und die Kamera. Sie strahlte und stellte andere in den Schatten. Dennoch ist sie kein glücklicher, sondern ein zerrissener Mensch. Hinter der Kamera stand der berühmte Ungar László Molnár (Ich habe ihn gegoogelt: Fehlanzeige), mit dem sich K. so gut verstand, dass Norah ihn sich als möglichen Vater vorstellen kann. Sie sucht ihn ein Jahr nach K.s Tod auf: Er ist weder ihr Vater, noch kann er ihr Hinweise auf ihn geben. Norah scheint mit dem furchbaren Komplex aufgewachsen zu sein, dass sie selbst das Problem war und verantwortlich für die zunehmende Erfolglosigkeit und des Frust ihrer Mutter: [zitat] Ich war eine riesige Unannehmlichkeit, eine Katastrophe. Ich fühlte mich klein und absolut ungewollt. (S. 119)[/zitat]
Zunächst fühlt sich Norah in ihrem Gespräch sehr wohl, wünscht sich fast, Molnar wäre ihr Vater. Als dann aber eine blutjunge Frau mit Baby durchs Zimmer läuft, stellt sie fest, dass offensichtlich auch er zwei Seiten hat....
Man kann die vielen bedeutungsschweren Andeutungen, die in dem Roman vorkommen, unmöglich zusammenfassen. Noch fehlt ein gutes Stück der mütterlichen Biografie. Allerdings hat sie ein Schuldenchaos hinterlassen. Man kann sich den Niedergang also schon vorstellen. Damals wie heute haben viele Stars Probleme mit dem Scheinwerferlicht und dem Druck der Öffentlichkeit. Insofern wirkt die Geschichte sehr glaubwürdig. Katherine wurde ein gutes Stück vermarktet, sie musste sich eine neue Aura/Identität zulegen, sie hatte keine Familie und auch keine Freundin mehr, die ihr Bodenhaftung hätte geben können. Alles war nur noch Oberfläche und Fassade. Man musste funktionieren, das ging mit Alkohol besser - die vermeintliche Welt des Showbusiness...