2. Leseabschnitt: S. 56 bis 117

KrimiElse

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Dann ist der Nationalsozialismus schon unmittelbar nach der Wende aufgebrochen im Osten. Ich hatte immer gedacht, er sei erst später, als die Leute keine Arbeit mehr hatten, nicht Schritt halten könnten, unzufrieden waren.... entstanden.

Dann gab es auch Fremdenfeindlichkeit viel eher?

Woher kommt das? Hat man den Nazi-Terror nicht richtig verarbeitet im Osten?
Oh, ich sehe schon, ich drifte wieder ab o_O
Nazis gab es im Osten und im Westen auch vor der Wende, böse Nazis im Osten allerdings nur sehr vereinzelt und oft versteckt. Ich kenne aus Plauen einen Typen, der in den 1980er Jahren eine Nazi-Wehrsportgruppe betrieb (die erstaunlicherweise Zulauf hatte), zu meinem Unverständnis damals geduldet wurde. Und natürlich gab es Ausländerfeindlichkeit im Osten auch schon vorher. Die viele Arbeiter aus Marokko, Cuba und Vietnam waren nicht allerorts beliebt, wie es die Medien darstellten. Allerdings waren das in meinen (noch sehr jungen) Augen Rangeleien, kein echter nationalsozialistischer Fremdenhass wie später.
Im Spät-Herbst 1989 standen an der TU Chemnitz, wo ich damals studierte, Studenten aus Coburg vor der Tür unseres Studentenclubs und gründeten kurz darauf mit Hilfe der alten Coburger Herren und deren Geld rechtsextreme Burschenschaften (oft schlagende Verbindungen), kauften Wohnungen und Häuser und brachten ihre Anhänger dort unter. Zu denen kamen die „Glatzen“ gelaufen oder wurden gelockt, und wir munkelten, dass dies die Köpfe der rechten Bewegung in den Unistädten waren, straff organisiert und mit äußerst schlagkräftiger „Executive“. Ich glaube, aus der Luft gegriffen war das nicht.
Städte mit alten und traditionsreichen Unis waren besonders im Fokus, ich weiß das von Weimar, wo ich selbst oft gewesen bin, von der TU Bergakademie Freiberg, wo ich später selbst im Aufbaustudium studierte und von Jena, wo gute Freunde von mir studierten.

Die heutigen Nazis sind in meinen Augen kein Problem, das im Osten um die Wendezeit entstand, es gab sie vorher die ganze Zeit, und ich denke, in den alten Bundesländern wahrscheinlich noch mehr als in den neuen (ich meine damit offener und mitunter auch und Amt und Würden. Ein Freund, der als Journalist arbeitet, hat mich vor vielen Jahren an seinen Recherchen dazu teilhaben lassen, und ich fand das erschreckend und verwirrend, was alles in der ehemaligen BRD frei herumlaufen bzw. agieren durfte, lange vor 1989)
Allerdings war in meinen Augen der Boden im Osten zu Wendezeiten einfacher durch Nazis zu beackern, vieles war im Umbruch und besonders in den nördlichen der neuen Bundesländer ging es den Menschen schlagartig an die Existenz. Die Rechten zeigten mit den Fingern auf Feinde, die sich nicht wehren konnten, und schlugen zu, und ich denke auch, den Politikern war das damals ganz recht so.
 

KrimiElse

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Außerdem hatte ich eine solche Euphorie angesichts der Wiedervereinigung, dass ich das nur für vorübergehend hielt (blühende Landschaften ;))
Letztlich hat sich ja auch vieles gebessert für uns „Ossis“. ;)
Ich hätte es allerdings sehr begrüßt, wenn wir ein paar gute Dinge aus dem Osten übernommen hätten und wenn weniger einfach platt gemacht worden wäre, und nicht mit wehenden Fahnen alles fallengelassen und dem dicken Kanzler in seine hungrigen Arme gelaufen wären. Dann hätten wir vielleicht heute ein bisschen weniger Raubtierkapitalismus, ein bisschen mehr Menschlichkeit und weniger Fremdenhass, denn wenn es den sozial schwachen besser geht, gibt es keine oder kleinere Gründe für Feindbilder, denke ich.
 

Literaturhexle

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Allerdings war in meinen Augen der Boden im Osten zu Wendezeiten einfacher durch Nazis zu beackern, vieles war im Umbruch und besonders in den nördlichen der neuen Bundesländer ging es den Menschen schlagartig an die Existenz.
Danke für deine Einschätzung.
Der Boden für Radikale ist leider immer gut zu beackern, wenn es den Menschen schlecht geht oder sie Angst um ihre Existenz haben müssen. Darin sind sicher auch heute die hohen Umfragewerte der AfD und der Linken im Osten (und auch im Westen) zu sehen. Die etablierten Parteien bröckeln leider immer mehr:confused:
 
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Literaturhexle

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Ich hätte es allerdings sehr begrüßt, wenn wir ein paar gute Dinge aus dem Osten übernommen hätten und wenn weniger einfach platt gemacht worden wäre, und nicht mit wehenden Fahnen alles fallengelassen und dem dicken Kanzler in seine hungrigen Arme gelaufen wären
Das kann ich gut verstehen. Da ist manches passiert, was nicht gabz sauber war. Zu Gute halten muss man wohl, dass es keinen Plan gab. Die Wiedervereinigung kam für alle Beteiligten doch relativ unerwartet. Zudem waren zuvor auch viele wichtige Parameter auch nicht bekannt, so dass man unbekanntes Terrain beackern musste. Wann hatten sich schon einmal zwei über Jahrzehnte getrennte Wirtschaftssysteme wiedervereinigt?

Ich glaube, da waren die Politiker damals ganz schön überfordert, wollten sich das aber nicht anmerken lassen. Schnelle Entscheidungen sind nicht immer gute Entscheidungen. (Damit meine ich aber NICHT die Entscheidung zur Wiedervereinigung an sich;))
 

KrimiElse

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Das kann ich gut verstehen. Da ist manches passiert, was nicht gabz sauber war. Zu Gute halten muss man wohl, dass es keinen Plan gab. Die Wiedervereinigung kam für alle Beteiligten doch relativ unerwartet. Zudem waren zuvor auch viele wichtige Parameter auch nicht bekannt, so dass man unbekanntes Terrain beackern musste. Wann hatten sich schon einmal zwei über Jahrzehnte getrennte Wirtschaftssysteme wiedervereinigt?

Ich glaube, da waren die Politiker damals ganz schön überfordert, wollten sich das aber nicht anmerken lassen. Schnelle Entscheidungen sind nicht immer gute Entscheidungen. (Damit meine ich aber NICHT die Entscheidung zur Wiedervereinigung an sich;))
Es gab/gibt Behauptungen, Franz Josef Strauß hatte einen Schlachtplan für diesen Fall :D aber ich denke, das kann man nicht wirklich ernst nehmen. Außerdem konnte er nicht mehr gefragt werden.
 
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Dann ist der Nationalsozialismus schon unmittelbar nach der Wende aufgebrochen im Osten. Ich hatte immer gedacht, er sei erst später, als die Leute keine Arbeit mehr hatten, nicht Schritt halten könnten, unzufrieden waren.... entstanden.

Dann gab es auch Fremdenfeindlichkeit viel eher?

Woher kommt das? Hat man den Nazi-Terror nicht richtig verarbeitet im Osten?
Oh, ich sehe schon, ich drifte wieder ab o_O

Ich glaube nicht, dass es im Westen und Osten Unterschiede im prozentualen Anteil von Sympathisanten des Nationalsozialismus gibt. Im Osten ist nur der Anteil an unzufriedenen Menschen höher, die ein Ventil für ihre Unzufriedenheit suchen und damit gefährliche Wege beschreiten.

Die Fremdenfeindlichkeit im Osten hat meiner Meinung auch damit zu tun, dass der Kontakt zu Fremden im Osten sehr erschwert war. Durch eine existierende Reiseunfreiheit im Osten war der Kontakt dahingehend schon mal stark eingeschränkt. Auch wurde der Kontakt der einheimischen Bevölkerung zu eingereisten Arbeitskräften aus dem Ausland erschwert/reglementiert. Heutzutage hat sich über dem Gefühl der Benachteiligung auch eine gewisse Angst vor Fremden eingeschlichen. Leider! Aber auch dieses Empfinden ist nicht überall gleich stark zu bemerken. In Unistädten mit stärkerem Kontakt zu Fremden ist ein anderes Empfinden spürbar. Ein Glück!

Ich glaube auch nicht, dass im Osten der Naziterror nicht richtig verarbeitet wurde. Der ist sogar sehr genau aufgearbeitet worden. Vielleicht auch in meinen Augen zu sehr/zu viel. Dadurch dass das herrschende System dies sehr gründlich aufgearbeitet hat, übergründlich bei dem Erstellen der Klassenfeindbilder vorgegangen ist, hat es sich auch durch das eigene Vorgehen bei der eigenen Bevölkerung viele Feinde gemacht. Und vielleicht auch dadurch das Denken mancher Zeitgenossen beeinflusst.
 
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parden

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Wieder sehr interessante Diskussionen hier - für mich ehrlich gesagt spannender zu lesen als das Buch selbst. Der Schreibstil mag locker sein, ich finde die Erzählung einfach sehr distanziert, irgendwie berührt mich hier nichts. Ich bin im tiefsten Westen aufgewachsen und kenne die Zeit vor und nach der Wende nur punktuell aus den Medien. Insofern 'klingelt' bei den Erzählungen aus der Vergangenheit bei mir auch nichts, und das Kapitel, das an Kerstins Fachhochschule spielte, fand ich einfach nur zäh und langweilig. Das einzig Spannende war die Entdeckung von Thomas, dass seine Frau plötzlich bei Daniel auftauchte - was steckt dahinter? Die Handlung in der Gegenwart stagnierte in diesem Abschnitt, ich hoffe, das ändert sich in der Folge. Im Moment finde ich die Lektüre eher mühselig...
 

MRO1975

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Ich stimme Parden zu. Die Diskussion hier ist deutlich interessanter als die Handlung im Moment. Ich war zur Wendezeit erst 14 und kann mich auch an die rennenden Glatzen erinnern, die Zecken oder Vietnamesen „klatschen“ gegangen sind. Ich habe immer versucht, eher unauffällig zu bleiben und nicht in den Fokus zu geraten. Dass Thomas nicht dazwischen gegangen ist, kann ich daher nachvollziehen. Alles andere wäre heldenmütig gewesen und dieser Wesenszug passt nicht zu ihm. Das sieht man auch an der Szene mit seiner Mutter.
 

Literaturhexle

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Nein liebes hexle, das bist du nie.
Danke dir.:rolleyes:
Aber ich halte mich schon für kritisch und speziell. Das mag aber auch am langsamen Tempo liegen. Damit verharrt man länger am Text und hat zwangsläufig höhere Ansprüche. So erkläre ich mir das.

Für den Sander habe ich mich spät angemeldet. Im Grunde befürchtete ich eine Enttäuschung. Andererseits liest man durch die LR Bücher, die sonst an einem vorbei gezogen wären und wird manchmal positiv überrascht . No risk, no fun :D

Alles gut, so ganz schlecht fand ich es ja auch nicht. Nur das Lebensgefühl im Osten kann ich eben nicht nachvollziehen. ;)