2. Leseabschnitt: „Kostbarkeit“ bis „Sofias Dramen“ (S. 94 bis S. 161)

Renie

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nur dass Woolf die wesentlich begnadetere Schreiberin war.
Na ja, aber Clarice hat in ihren Geschichten auch lichte Momente. Ich bleibe häufig bei einzelnen Sätzen hängen und staune. Leider gehen diese Momente in ihrem kafkaesken Gedankenwirrwarr unter. Aber tatsächlich konnte sie, wenn sie wollte. Hätte sie doch nur häufiger gewollt :smileeye
 

Literaturhexle

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Sofias Dramen
Ist das jetzt der Tiefpunkt dieses Erzählbandes? Den ersten LA empfand ich durchaus noch als nachvollziehbar und inspirierend. Hier fühle ich mich kolossal abgehängt. Warum wird das Alter dieses Kindes erwähnt? 9 Jahre ist dritte Klasse. Das sind noch richtige Kinder. Offenbar lebt sie auch in einer zivilisierten Ecke, sonst würden Mädchen nicht regelmäßig zur Schule gehen. Selbst für eine 13-jährige sind diese Gedankengänge total abgehoben! Da schwingt so viel Pathetik mit, so viel wirres, unverständliches Zeug, so viele Widersprüche, die sich mir nicht erschließen.

Sie liebt den Lehrer (um ihn zu beschützen!), aber tyrannisiert ihn. "Sie verfiel in Scham, Ratlosigkeit und erschreckende Hoffnung. Die Hoffnung war meine größte Sünde. 132" Danach geht es genau so abgehoben weiter. Ich könnte ganze Passagen zitieren. Bedeutungsschwangere Worte werden aneinander gereiht - ohne Sinn und Verstand.

Dieser dumme Aufsatz, der den Lehrer beeindruckt haben soll. Meine Güte, so toll war das nun wirklich nicht! Aber gut: Ohne die Meute im Rücken wird das Kind handzahm und freundlich. Das ist nachvollziehbar. Aber diese ganze Theatralik, dieser Wortschwall, diese Reden von Tod, Verderben, Ekel, Rache und Bibelsprüchen wirkt auf mich total unecht und all das ist überwiegend inhaltlich nicht fassbar.

Mitten drin erfahren wir vom Tod des Lehrers, als Sofiechen 13 Jahre alt war. Auch das steht mitten im Raum. Der letzte Satz ist ein Höhepunkt, aber auch dermaßen kafkaesk, dass ich raus bin.

Das Buch hat das Zeug, mein persönliches geknicktes Eselsohr 2022 zu werden, wenn es so weiter geht.
 

Emswashed

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Ist das Deine Vermutung oder kannst Du das in irgendeiner Form belegen?
Nein, das kann ich nicht. Das war wahrscheinlich reine Assioziation. Mit ihren sexualisierten Karnevalsriten und ihren erotischen Tänzen, wachsen dort die Mädchen mit einem ganz anderen Gesellschaftsbild auf und werden früh auf ihre Ehefrau- und Mutterrolle "getrimmt". Früher wahrscheinlich noch eher als heute, weil sie heute mehr "Berufs-chancen" haben. Gerade Lispektors Texte zeigen aber das Bild der Frau, die zu Hause hockt und auf ihren Mann "wartet".
 

Renie

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Nein, das kann ich nicht. Das war wahrscheinlich reine Assioziation. Mit ihren sexualisierten Karnevalsriten und ihren erotischen Tänzen, wachsen dort die Mädchen mit einem ganz anderen Gesellschaftsbild auf und werden früh auf ihre Ehefrau- und Mutterrolle "getrimmt". Früher wahrscheinlich noch eher als heute, weil sie heute mehr "Berufs-chancen" haben. Gerade Lispektors Texte zeigen aber das Bild der Frau, die zu Hause hockt und auf ihren Mann "wartet".
Jetzt verstehe ich, worauf Du hinauswillst. In Brasilien wird die Weiblichkeit mehr zur Schau gestellt als wir es kennen. Daran habe ich nicht gedacht.:think
 

GAIA

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Hmmm... Langsam fängt es an, sich zu ziehen. Von allen drei Geschichten konnte ich noch mit "Familiäre Verbindungen" am meisten anfangen. Es ist auch wieder die kürzeste Geschichte, die mir "am besten" gefällt.
Sowohl "Kostbarkeiten" als auch (noch viel stärker) "Sofias Dramen" fand ich kryptisch und in vielen Aussagen unverständlich. Also ich habe schon, nehme ich mal an, verstanden, worum es im Groben geht, zumindestens bei der ersten Geschichte. Aufgefallen ist mir: Wieder taucht auch hier das zwanghafte Denken/Verhalten wie in der Geschichte mit dem Rosenstrauß (mir ist schon wieder der Titel entfallen) bei der Protagonistin auf.
"Sofias Dramen" hingegen sind für mich ein großes Fragezeichen. Viel zu viele Sätze und merkwürdige Aphorismen verstehe ich hier einfach nicht. Egal wie aufmerksam ich lese. Auch im Ganzen weiß ich nicht, was uns die Autorin damit sagen möchte. Die Geschichte hat mich dadurch gelangweilt, ich bin zweimal eingeschlafen, ehrlich gesagt. Hoffentlich wird das wieder verständlicher, denn durch diese Geschichte habe ich ein wenig die Lust verloren, das Buch weiterzulesen. :/ Da zitiere ich mal aus der betreffenden Geschichte, ohne dass ich weiß, ob ich das Zitat überhaupt richtig anwende: S.159 "Verstand ich das alles? Nein. Und ich weiß nicht, was ich zu diesem Zeitpunkt verstand." :think
 

GAIA

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Auch nachdem ich eure Kommentare gelesen habe, hat sich mir nicht mehr erschlossen als zuvor. Soll heißen: Auch ihr steigt nicht besser durch. ;)
Auch kann/will ich gar nicht groß kommentieren, da ihr zum einen schon gefühlt alles gesagt habt, was ich auch hätte sagen können und ich mit euch übereinstimme. Sicherlich könnten Literaturwissenschaftler:innen die Texte besser ausschlachten. Aber mir ist die Lust am Ruminterpretieren vergangen. Es ist immer ein schlechtes Zeichen während einer Lektüre, wenn ich während des Lesens darüber nachdenke, welch potentiellen Schätze noch alles auf meinem SuB warten, gelesen zu werden und ich mir gedanklich schon ausmale, was ich danach "zur Erholung" lesen könnte... :confused:
Das Buch hat das Zeug, mein persönliches geknicktes Eselsohr 2022 zu werden, wenn es so weiter geht.
Ich nehme an, das ist ein imaginärer, persönlicher Preis, der vergeben wird? Eigentlich möchte ich diesem hübschen Büchlein diesen Preis nicht verleihen müssen. Aber der Inhalt?! Erläutere mal die "Siegerkriterien" bitte für mich! ;)
 

Emswashed

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Erläutere mal die "Siegerkriterien" bitte für mich!

Das Geknickte Eselsohr ist ein echter Wanda-Orden (Achtung Wortspiel!)).
Du machst einfach in jede Seite, die Du nicht verstanden hast, oder die Du nicht gut fandest, ein Eselsohr und dann kannst Du das Buch auch im geschlossenen Zustand schon beurteilen, ob es für den Orden am Jahresende in Frage kommt.;):apenosee
 

ulrikerabe

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Ich möchte dem Mädchen die ganze Zeit sagen, Kopf hoch, Brust raus, Lippenstift aufgelegt und vor allem lauter werden, so wäre sie weniger Opfer und könnte vielleicht die Welt als das erkennen was sie ist: Fressen und gefressen werden.
Das will ich unterschreiben. Bis auf den Lippenstift. Den braucht es nicht.
 

ulrikerabe

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Ich stelle fest, ich bin nicht allein mit den Verwirrungen.

Ich mochte aus dem ersten Abschnitt zwei Geschichten sehr (Die Flucht und Alles Gute zum Geburtstag).

Aber hier ist die Begeisterung weg. Familiäre (Mutter-Tochter) Konstellationen habe ich selber genug, da habe ich dann innerlich gekündigt.
Sie liebt den Lehrer (um ihn zu beschützen!), aber tyrannisiert ihn
So ein ähnliches Verhalten kenne ich eigentlich nur von präpubertierenden Buben, die Mädchen an den Zöpfen ziehen oder sonst irgendwie sekkieren, bevor sie zugeben, sie würden ein Mädchen mögen.
 

Renie

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So ein ähnliches Verhalten kenne ich eigentlich nur von präpubertierenden Buben, die Mädchen an den Zöpfen ziehen oder sonst irgendwie sekkieren, bevor sie zugeben, sie würden ein Mädchen mögen.
Ach nein, es gibt nicht nur nette und guterzogene Mädchen. Es gibt auch Zicken, die völlig aus dem Ruder laufen. Wehe dem, der ihnen begegnet :smilehorn
 

Lesehorizont

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Mmh, ich weiß noch nicht so recht, was ich von dem Buch und den Geschichten halten soll. Bisher lassen sie sich soweit gut lesen, was aber nicht heißen soll, dass ich alles verstehe.
Kostbarkeit - ich musste irgendwie sofort an Missbrauch denken. Ist es das, worum es im Kern geht und was ihr widerfährt? Die vier Hände... Klassische Symptome werden ja benannt, wie z.B. die Vernachlässigung der Körperhygiene. Das nicht auffallen wollen. Die leisen Schritte. Vermutlich passt sie hervorragend in der Beuteschema eines jeden Pädophilen. Lispector schreibt in Andeutungen, das macht es schwer, zu verstehen, worum es geht.
Familiäre Verbindungen - da geht es irgendwie um diese ganzen Beziehungsgeflechte. Thematisch ist sie ein bissel ähnlich gelagert wie die Geburtstagsgeschichte im letzten Abschnitt, denke ich. Aber auch hier wird nichts konkret herausgearbeitet, das überlässt Lispector der Leserschaft. Hängen bleibt auf jeden Fall, dass die Familie durch den Besuch mächtig durcheinandergewirbelt wird. Aber lebendige Bilder des Familiengefüges entstehen nicht in meinem Kopf.
Sophies Dramen - sollen das typische Dramen pubertierender Mädchen sein? Die Geschichte ist etwas langatmig. Auch hier fühle ich mich wieder an die "Mrs" erinnert... Sophie scheint, sich in den Lehrer verliebt zu haben und versucht wohl auf unterschiedliche Art und Weise, seine Aufmerksamkeit zu erhalten. Doch wie kommt das beim Lehrer an? Und was liest Sophie daraus? Alles Fantasie?? Jedenfalls bleiben die Sehnsüchte wohl unerfüllt. In dieser Gesxchichte ist mir die Stelle zum bösen Wolf besonders aufgefallen. Aber ich kann damit nicht wirklich etwas anfangen. Man muss sich bei den Geschichten wohl sehr viel selbst erschließen, da Lispector offensichtlich die Andeutungen liebt und ihre Texte damit überfrachtet. Mir ist das aber zu viel Rätselei. Ist doch kein Krimi, bei der man auf Tätersuche mitgeht... :grinning
 

Literaturhexle

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Auch hier fühle ich mich wieder an die "Mrs" erinnert...
Ja und nein. Woolf hat schon manche Szene in Zeitlupe beschrieben und Befindlichkeiten langatmig herausgearbeitet. Wenn man aber Zugang hatte, KONNTE man verstehen. Nur das wie der Darstellung war diskussionswürdig.

Bei Lispector stehe ich trotz guten Willens wie der Ochs vorm Berg. Auch ihre Schlusssätze: ???
Insofern tut man Woolf meiner Meinung nach Unrecht, wenn man sie mit der Brasilianerin in einen Topf wirft.