2. Leseabschnitt: Kapitel VI. bis X. (Seite 73 bis 155)

RuLeka

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30. Januar 2018
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Deutlich wurde der Unterschied von Sukihns Fähigkeit gegenüber allen anderen Menschen klar seine Bedürfnisse bzw. "Ärgernisse" auzudrücken,
Ich finde nicht, dass Sukhin anderen gegenüber klar und deutlich sagt, was er möchte. Er weiß es zwar, verheddert sich dann aber doch in sehr widersprüchlichen Aktionen. Bei seinen Eltern scheut er die direkte Konfrontation, von Dennis lässt er sich ständig zu Dingen überreden, die er eigentlich nicht will.
Mit Jinn ist es für ihn noch schwieriger. Witzig, dass er glaubt, nicht verliebt zu sein, weil er nicht die gleichen Symptome zeigt wie die Helden aus der englischen Literatur.
Er lässt auf unangenehme Weise Druck ab.
Genau. Bei ganz Fremden kann er das.
Der Umgangston scheint hier öfter etwas rüde zu sein. Wenn ich lese, wie Dennis ihn ständig tituliert. Wirkt auf uns vielleicht heftiger als es gemeint ist.
Eine Kritik an unserer Wegwerfgesellschaft. Von dem, was entsorgt wird, können viele noch satt werden.
Diese Aktionen gibt es weltweit. Mein Neffe hat schon vor einigen Jahren „ gecontainert“, als mir der Begriff noch fremd war. Ich kann es nur begrüßen, wenn hier ein größeres Bewusstsein geschaffen wird . Jedes Lebensmittel wird mühevoll herangezogen, es bedarf vieler Arbeitsschritte und Ressourcen, bis es zum Verkauf angeboten wird und es ist eine unglaubliche Verschwendung, wenn es dann im Müll landet. Jeder, der selbst einen Garten hat, geht mit großer Sorgfalt damit um, was er angepflanzt hat. Und wenn man dann bedenkt, wie viele Menschen hungern, ist diese Verschwendung unfassbar.
Interessant ist auch, dass er plötzlich großzügig zu den Schüler:innen sein kann und es fühlt sich sogar gut an
Das überrascht ihn selbst.
Zum Titel: Jinn liebt Kuchen, die Frau, mit der ihn seine Eltern verkuppeln wollten, nicht. Das Motiv wird bestimmt noch fortgeführt.
Gehe mit niemandem eine Beziehung ein, der keinen Kuchen mag! Da kann was nicht stimmen.

Wie ihr schon schreibt: Durch die Exkurse in die Vergangenheit werden die Figuren lebendig.
Und: Bei dem Paar in den kursiv gedruckten Textstellen handelt es sich um Sukhin und Jinn. Die nebeneinander herlaufenden Texte werden sich irgendwann treffen.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Auf S. 142 musste ich bei der Schilderung von Sukhins Büchern an @Lesehorizont und ihren Traum einer Lebensbibliothek denken.
Ich habe mich nur gefreut, dass es noch andere gibt, die eine Wohnung voller Bücher haben. Meine okkupieren auch schon andere Möbel und nicht nur die dazu vorgesehenen Regale. Das Sofa aber bleibt verschont. Da liegen nur ab und zu die Bilderbücher meiner Enkel.
Mir wird bewusst, dass ich hier in einer handfesten Lovestory gelandet bin und ich mag keine Liebesgeschichten
Ich mag auch keine breit ausgewalzten Liebesgeschichten mehr ( dazu bin ich anscheinend zu alt), aber das hier ist was anderes. Eine Annäherung , ganz vorsichtig und zweifelnd, v.a. von Sukhins Seite aus. Die Autorin beschreibt das mit so viel Witz und Einfühlungsvermögen, dass es eine Freude ist.

Bevor ich eure Texte weiterlese, muss ich mich um das Leben um mich herum kümmern.
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Kritik am uneingeschränkten Kapitalismus, dem sogar die Zeit untergeordnet wird?

Nichts anderes ist auch das Problem hier in Europa und die unverständliche Situation, warum man nicht einfach diese Sommer- /Winterzeit wieder abschafft. Man möchte sich vorher auf eine möglichst lange gemeinsame Zeit zum Handeln einigen, ohne dass es hier z. Bsp. in Deutschland um 15 Uhr schon zappenduster ist. Europa lässt grüßen.

(Ich habe mir den Satz auch angemarkert, habe ihn aber in meine Sachbuchthemen verortet.)
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Man möchte sich vorher auf eine möglichst lange gemeinsame Zeit zum Handeln einigen
Also diese Argumentation ist mir völlig neu! Zumal an den Börsen mittlerweile vieles online und unabhängig von Tageszeiten abläuft.

Es ist in unserem Fall auch immer nur eine Verschiebung: zu Gunsten USA heißt gleichzeitig zu Lasten Asien.
Bei uns kann man sich schlicht nicht einigen, ob man sich auf Sommer- oder Winterzeit festlegt, nachdem das Energiesparargument (länger hell) geplatzt ist. Meiner Meinung nach.
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Zumal an den Börsen mittlerweile vieles online und unabhängig von Tageszeiten abläuft.

Ja, die Börsen sind in dem Fall (fast) egal, aber denk nur mal an die Warenströme, die auch noch zu Geschäftszeiten angeliefert werden müssen, etc.
Die Mutterfirma meines Mannes sitzt in Kanada, da bleiben für dringende Geschäftsbesprechungen nicht viele Stunden am Tag übrig, das weiß man, damit kann man umgehen. Die "kleinen" Zeitverschiebungen innerhalb Europas kosten Zeit und Geld.
 

Irisblatt

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15. April 2022
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Aber auch eine Art an ihm, die mich besonders als er mit dem Fahrrad zum neuen "Wohnort" von Jinn durch den Park gefahren ist und dort die Leute angepöbelt hat, das erste Mal so richtig gestört hat. War er bisher ein kautziger, grummeliger Mensch, der einfach Oberflächlichkeiten, Unfähigkeit, Small Talk nicht mag, wird er hier zu einem unangenehmen Zeitgenossen. Aber meine Vermutung ist, dass hier eigentlich die Angst, innere Wut und andere noch undefinierte Gefühle um und für Jinn und deren Umzug raus aus seiner Wohnung eine große Rolle spielten. Er lässt auf unangenehme Weise Druck ab.
Diese Seite von Sukhin hat mich überrascht. Es macht ihm sogar Spaß die anderen anzupöbeln. Ich denke auch, dass dieser Ausbruch mit Sukhins Unsicherheiten und ,wie Du sagst, einer Wut und anderen undefinierten Gefühlen in Bezug auf Jinn eine Rolle spielen. Er ist auch neidisch auf Jinns Gelassenheit und Zufriedenheit. Gefallen hat mir an diesem unangenehmen Ausbruch, dass es mir eine neue Facette von Sukhin zeigt, mit der ich nicht gerechnet hätte - er wird für mich dadurch komplexer.
Wie @GAIA hat mich Sukhins Verhalten auf dem Fahrrad gestört. Warum hat er seine Frust und Wut an den Menschen ausgelassen, die die Schilder nicht ordentlich lesen und als Fußgänger einen Radweg benutzen. Sein Sinn für Ordnung schlägt hier durch.
Ich glaube es ist eher Frust - eigentlich möchte er, dass Jinn bei ihm bleibt. So ordentlich ist er nicht. Hat nicht Dennis seine Wohnung aufgeräumt als er einige Wochen bei ihm lebte.
In diesem Leseabschnitt erfahren wir auch sehr viel von Jinn. Sie hat ihr betuchtes Elternhaus offenkundig verlassen, gilt als verschollen. Was hat ihre Flucht ausgelöst? Und warum will sie unbedingt auf die Straße zurück? Sie ist noch ein Mysterium.
Das verstehe ich auch noch nicht völlig. Eigentlich dachte ich, dass sie keine Lust mehr hat Teil dieser konsumorientierten, oberflächlichen Gesellschaft zu sein. Allerdings kann sie ohne Probleme ein Taxi benutzen, um zu ihrem neuen Wohnort zu gelangen. Passt das? Ihren "Abschiedsbrief" kennen wir leider nur bruchstückhaft. Ich hatte schon überlegt, ob sie vielleicht vorgegeben hat tot zu sein, um von ihrer Familie in Ruhe gelassen zu werden und ob wir es gar nicht mit einer am Ende toten Frau zu tun haben wie es der kursive Text nahelegt, sondern nur mit einer Frau, die für die Gesellschaft nicht mehr existiert, weil sie ein Leben am Rande führt, das es so gar nicht geben dürfte. In diesem Zusammenhang fällt mir auch ein, dass sie von den Menschen aus ihrem "neuen" Leben nur X genannt wird.
Interessant finde ich, wie Sukhin Jinns Gleichmut mit Neid betrachtet (S. 153). Offenbar war sie früher mal genauso grummelig wie er.

Sie wird als aufbrausend beschrieben, grummelig erscheint mir zu dezent.
Singapur gilt als eines der reichsten, saubersten und sichersten Länder mit einer extrem hohen Lebensqualität. Nur die Mittel, die dieses Land einsetzt, um diese Standards zu sichern sind fragwürdig. Denn Singapur ist ein autoritärer Stadtstaat, welcher das Leben seiner Einwohner durchtaktet und lenkt. Das Strafrecht ist eigenwillig. Was bei uns als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldstrafe geahndet wird, kann in Singapur mit einer Körperstrafe enden. Es gibt hier noch die Todesstrafe, die regelmäßig praktiziert wird, Amnesty International ist da sehr aussagekräftig. Singapur mag zwar nach Außen den Anschein erwecken, "the place to be" zu sein. Doch ist es das beileibe nicht.
Obdachlosigkeit gibt es offiziell nicht. Denn Singapur sorgt für seine Bürger. So gibt es erschwingliche Wohnungen zum Kauf oder zur Miete für finanziell Minderbemittelte. Bevor also irgendjemand auf der Straße oder am Strand in einem Haus aus Kartons schlafen muss, hat er die Möglichkeit, eine der Wohnungen zu beziehen. Über eine Quotenregelung schafft Singapur übrigens eine Multi-Kulti- Mischung, d. h. es soll verhindert werden, dass Ethnien unter sich bleiben. Wer sich eine derartige Wohnung nicht leisten kann, den gibt es eigentlich nicht bzw. derjenige sollte sich nicht erwischen lassen, weil Schlafen am Strand oder auf der Straße strafbar ist.Mit viel Wohlwollen der Behörden würden diese Leute als "Camper" durchgehen.
Wer ein bisschen über Singapur lesen will:
Und natürlich der Wikipedia-Artikel zu Singapur (s. Recht)
Danke für die Infos.
Jinn hat sich aus dem Zwangskorsett gelöst, wenn auch zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht klar ist, was bei ihr dahintersteckt. Sie lebt ihm also vor, dass es abseits der Norm auch anders geht.
Ich hoffe sehr, den Auslöser bzw. die Gründe für ihre neue Lebensweise zu erfahren.
Momentan sehe ich auch noch nicht die große Liebe zwischen den Beiden. Sukhin fühlt sich der alten Zeiten wegen verpflichtet und verantwortlich. Und der gute Kerl, der er ist, will ihr helfen. Doch sie behält die Oberaufsicht über ihr Leben, lässt ihn nur langsam und sehr kontrolliert hinein. Vielleicht der alten Zeiten wegen. Denn eigentlich braucht sie ihn nicht.
Ich glaube auch, dass Jinn Sukhin weniger braucht als umgekehrt. Allerdings genießt sie seine Gesellschaft, sonst hätte sie ihn vermutlich nicht an all die Orte, die ihr etwas bedeuten, geführt und bestimmt Wege gefunden, ihn abzuwimmeln.
Ich habe richtig Spaß am lesen, ich muss oft herzhaft über Sukhin lachen. Dennis weiß ihn und seine Art wunderbar zu nehmen, und auch Sukhin mag Dennis, auch wenn er das natürlich nicht zugeben würde.
Stimmt!
Die versuchte Verkupplung war ja beinahe filmreif, wie er dann irgendwann abrauscht, nachdem er seinen Tee verschüttet hat, göttlich.
Die Dramatik war notwendig, damit die Familie es endlich kapiert ;). Ja - absolut bollywoodreif.
Wenn der Staat für alles sorgt, wie Renie erläutert hat, fragt man sich, wie es zum kollektiven Lebensmittel Sammeln und Kochen kommen kann.
Theorie und Praxis.
Das liest sich wie "Speisung der Zehntausend". Kritik an der Verschwendung?!
Definitiv - eine krumme Möhre schmeckt ja nicht anders als ein gerades Modell und ist auch nicht weniger nahrhaft. Landet trotzdem auf dem Müll.
Kritik am uneingeschränkten Kapitalismus, dem sogar die Zeit untergeordnet wird?
Den Aspekt fand ich spannend - ein Gedanke, den ich vorher noch nicht hatte.
In der Küche ist mir noch die scharfe Beobachterin Lina (S.103) aufgefallen, die unsere beiden Protas mit wenig Wohlwollen analysiert.
Mir auch. Sie versteht nicht, warum Menschen aus offensichtlich betuchten, gebildeten Gesellschaftsschichten (Jinns Englisch! und Sukhins Kleidung) an der Essensrettungsaktion und Armenspeisung teilnehmen.
Aufgelockert wird das durch die Schulszenen oder die mit der Familie. Die Kombination aus Leichtigkeit und Melancholie / Tiefgründigkeit gefällt mir sehr.
Mir auch.
Ich finde nicht, dass Sukhin anderen gegenüber klar und deutlich sagt, was er möchte. Er weiß es zwar, verheddert sich dann aber doch in sehr widersprüchlichen Aktionen. Bei seinen Eltern scheut er die direkte Konfrontation, von Dennis lässt er sich ständig zu Dingen überreden, die er eigentlich nicht will.
Mit Jinn ist es für ihn noch schwieriger.
Da bin ich komplett bei Dir.
Witzig, dass er glaubt, nicht verliebt zu sein, weil er nicht die gleichen Symptome zeigt wie die Helden aus der englischen Literatur.
Das war mal wieder eine geniale Stelle, über die ich schmunzeln musste.
 

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
In diesem Leseabschnitt erfahren wir auch sehr viel von Jinn. Sie hat ihr betuchtes Elternhaus offenkundig verlassen, gilt als verschollen. Was hat ihre Flucht ausgelöst? Und warum will sie unbedingt auf die Straße zurück? Sie ist noch ein Mysterium.
Und das hält m.E. die Spannung hoch, wir alle wollen schließlich wissen, was hinter Jinns Lebensentscheidung steckt. Mich hat gewundert, wie bereitwillig sie bei Sukhin einzog und sich später auch von ihm ins Taxi setzen ließ. Oftmals wirkte Jinn so geradlinig auf mich, so klar in ihren Entscheidungen und den Dingen, die nicht für sie in Frage kamen, da passte das irgendwie nicht so richtig. Also, genau wie du sagst: ein Mysterium.

Diesen Roman auf eine "Love Story" zu reduzieren, wird ihm nicht gerecht. Wir lassen außer Acht, in welchem Land wir uns befinden.
Singapur gilt als eines der reichsten, saubersten und sichersten Länder mit einer extrem hohen Lebensqualität. Nur die Mittel, die dieses Land einsetzt, um diese Standards zu sichern sind fragwürdig. Denn Singapur ist ein autoritärer Stadtstaat, welcher das Leben seiner Einwohner durchtaktet und lenkt. Das Strafrecht ist eigenwillig. Was bei uns als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldstrafe geahndet wird, kann in Singapur mit einer Körperstrafe enden. Es gibt hier noch die Todesstrafe, die regelmäßig praktiziert wird, Amnesty International ist da sehr aussagekräftig. Singapur mag zwar nach Außen den Anschein erwecken, "the place to be" zu sein. Doch ist es das beileibe nicht.
Obdachlosigkeit gibt es offiziell nicht. Denn Singapur sorgt für seine Bürger. So gibt es erschwingliche Wohnungen zum Kauf oder zur Miete für finanziell Minderbemittelte. Bevor also irgendjemand auf der Straße oder am Strand in einem Haus aus Kartons schlafen muss, hat er die Möglichkeit, eine der Wohnungen zu beziehen. Über eine Quotenregelung schafft Singapur übrigens eine Multi-Kulti- Mischung, d. h. es soll verhindert werden, dass Ethnien unter sich bleiben. Wer sich eine derartige Wohnung nicht leisten kann, den gibt es eigentlich nicht bzw. derjenige sollte sich nicht erwischen lassen, weil Schlafen am Strand oder auf der Straße strafbar ist.Mit viel Wohlwollen der Behörden würden diese Leute als "Camper" durchgehen.
Wer ein bisschen über Singapur lesen will:
Und natürlich der Wikipedia-Artikel zu Singapur (s. Recht)
Interessante Hintergrundinformationen, danke dafür! Unter diesem Aspekt erscheint es kaum vorstellbar, dass Jinn nie von den Ordnungshütern erwischt wird.

Ich habe richtig Spaß am lesen, ich muss oft herzhaft über Sukhin lachen.
Das geht mir ähnlich. Er wirkt halt manchmal recht skurril und unbeholfen, v.a. in sozialen Dingen.

Kritik an der Verschwendung?! Kritik am uneingeschränkten Kapitalismus, dem sogar die Zeit untergeordnet wird?
Beides würde ich bejahen. Und dazu Individualität vs. Konformität. Aber eben sehr unterhaltsam eingebettet in eine soghafte Erzählung.
Witzig, dass er glaubt, nicht verliebt zu sein, weil er nicht die gleichen Symptome zeigt wie die Helden aus der englischen Literatur.
Wenn man das Leben nur aus Büchern kennt... Und da die Eltern in Singapur ja für die Eheschließung ihrer Kinder sorgen: woher soll Sukhin wissen, wie sich Liebe anfühlt?

Ihren "Abschiedsbrief" kennen wir leider nur bruchstückhaft. Ich hatte schon überlegt, ob sie vielleicht vorgegeben hat tot zu sein, um von ihrer Familie in Ruhe gelassen zu werden und ob wir es gar nicht mit einer am Ende toten Frau zu tun haben wie es der kursive Text nahelegt, sondern nur mit einer Frau, die für die Gesellschaft nicht mehr existiert, weil sie ein Leben am Rande führt, das es so gar nicht geben dürfte.
Das wäre noch die erfreulichste Erklärung. Ich bin gespannt, worauf der Roman letztlich hinausläuft...
 

luisa_loves-literature

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9. Januar 2022
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Bevor also irgendjemand auf der Straße oder am Strand in einem Haus aus Kartons schlafen muss, hat er die Möglichkeit, eine der Wohnungen zu beziehen. Über eine Quotenregelung schafft Singapur übrigens eine Multi-Kulti- Mischung, d. h. es soll verhindert werden, dass Ethnien unter sich bleiben. Wer sich eine derartige Wohnung nicht leisten kann, den gibt es eigentlich nicht bzw. derjenige sollte sich nicht erwischen lassen, weil Schlafen am Strand oder auf der Straße strafbar ist.Mit viel Wohlwollen der Behörden würden diese Leute als "Camper" durchgehen.
Das ist für mich tatsächlich der wesentliche Punkt in diesem zweiten LA. In Singapur ist ein "Ausbrechen" aus dem System, eine "Wildheit" und "Freiheit" nicht vorgesehen. Es kostet also einiges an Kraft, sich darüber hinwegzusetzen. Jinn wollte offensichtlich ausbrechen, ihr neuer "Wohnort" ist sogar noch grenzenloser als das Kartonhaus. Ähnlich sehe ich es bei Sukhin. Ich fand die Fahrradszene großartig und sehr amüsant. Ich schwankte zwischen der Ähnlichkeit mit deutschem Verhalten (wir sind ja auch sehr geübt darin, anderen zu sagen, dass sie sich an Regeln zu halten haben - mir ist übrigens das, was den Fußgängern durch Sukhin widerfährt als Fahrradfahrerin schon passiert) und der Tatsache, dass ich sein Verhalten unheimlich befreiend finde. Was muss das guttun, einfach mal alles rauszulassen :rofl Ich stelle mir das doch sehr reinigend und befreiend vor - gerade in der reglementierten, kontrollierten Welt von Singapur und noch dazu in einer Kultur, in der Gesichtsverlust zu vermeiden ist.
Der Mangel an Freiheit ist selbst in den durchgestylten Parkanlagen erkennbar, in denen selbst die Ungezähmtheit inszeniert wird.
 

luisa_loves-literature

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9. Januar 2022
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Also als Liebesgeschichte würde ich den Roman noch überhaupt nicht definieren!
Ich bisher auch nicht. Da ist eher ein Wunsch nach Nähe, gegen das Alleinsein, als Liebe.
Ich finde nicht, dass Sukhin anderen gegenüber klar und deutlich sagt, was er möchte.
Ich auch nicht - die Szene mit der Referendarin ist da doch sehr bezeichnend. Und auch mit Dennis und seinen Eltern hat er da so seine Schwierigkeiten. Ich habe den Eindruck, dass er immer wartet bis es keinen Ausweg mehr gibt und erst dann gezwungenermaßen und unter Druck reagiert. Ansonsten lässt er es gern laufen. Konfrontation ist nicht wirklich seine Stärke - er versteckt sich gern.
Witzig, dass er glaubt, nicht verliebt zu sein, weil er nicht die gleichen Symptome zeigt wie die Helden aus der englischen Literatur.
Das ist gar nicht so weit hergeholt - das hat mir richtig gut gefallen! Es gibt einen wunderbaren australischen Roman vom Anfang des 20. Jahrhunderts, „My Brilliant Career“ von Miles Franklin, da ist die Heldin auch sehr enttäuscht, dass der Mann, der ihr die Ehe anträgt, nicht rot oder blass, nicht gelb oder grün wird, nicht stammelt und zittert, weint oder lacht, nicht heftig oder leidenschaftlich oder zärtlich wird, sondern einfach so bleibt, wie er immer ist. Das hat sie in Romanen anders gelesen. Das kann keine Liebe sein.
Und Jane Austen Romane haben bis heute einen nachhaltigen Effekt auf unsere Vorstellungen von Liebe und Männlichkeitsidealen.
Also diese Argumentation ist mir völlig neu! Zumal an den Börsen mittlerweile vieles online und unabhängig von Tageszeiten abläuft.
In den Emiraten wurde sogar das Wochenende umgestellt. Erst von Do/Fr auf Fr/Sa, mittlerweile sogar auch auf Sa/So.

Ich mag diesen Roman einfach unheimlich gerne - fühle mich total abgeholt. Ich mag den Humor, den Stil und ich mag Sukhin so unheimlich gern, weil ich ich ihm auch sehr verbunden fühle. Die Überlegungen zum "Wuthering Heights"-Quiz, die Korrekturen, die Fragen zu den Prüfungen kurz vorher...ich erkenne da soviel wieder, das ist einfach zu 100% authentisch und perfekt eingefangen. Richtig gut!
 
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