Im Grunde zeigen uns die ersten Seiten, welch Geistes Kind K. ist.
Ja, das erste Kapitel ist unglaublich stark und wirft mit Unzuverlässigkeits-Markern nur so um sich. Wenn es so weitergegangen wäre, wäre es für mich ein herausragendes Buch geworden.
Der erste Satz "Reden tue ich ja gern" ist immer verräterisch, vor allem wenn er zehn Seiten später wieder aufgenommen wird, aber nur wenige Seiten wieder (innerhalb derselben Therapiestunde) wieder zurückgenommen wird: "Noch zehn Minuten. Aber die kann ich jetzt nicht mehr mit Reden ausfüllen." (S. 19). Überhaupt dieser ständige Blick auf die Uhr, der darauf verweist, dass sie die Stunden absolviert und erleichtert ist, wenn sie vorbei sind.
Aber zugegeben, das zwischendurch eintretende Mitleid hat das Gefühl stellenweise wieder verwaschen.
Und da ist dann die Frage, woran das liegt. Manipuliert sie uns und lügt die ganze Zeit wie gedruckt oder stimmen die Geschichten, dass sie verprügelt wurde, ihr Vater sie schlecht behandelt hat und sie hat das Mitleid in dieser Hinsicht verdient. Es ist zwar spannend, dass es dafür keine eindeutige Lösung gibt, aber in einem Roman dieser Art würde ich mir zumindest einen belastbaren Hinweis erhoffen.
Das war gar nicht die Art des Vaters. Buchstaben sind Ks Steckenpferd.
Da bin ich unschlüssig. Man könnte auch sagen, dass der Vater Sprichwörter nutzt (die Uhr hat "geschlagen", "die Leviten gelesen") und die Schreibmaschine ist auch seine, er ist also auf jeden Fall sprachaffin. Dazu kommt diese "Kalkwerk"-Geschichte, die laut Inhaltsangabe davon handelt, dass ein Mann seine Frau immer wieder fast sadistisch durch die Wiederholung von Wörtern quält. Der Vater scheint ja auch ein gewisses Maß an Brutalität besessen zu haben und Katharina übernimmt sein Verhalten in ihr Repertoire (ob es das gibt...@GAIA)
Wahrscheinlich gab es auch damals schon Opfer der Kirchen (und ihrer Erziehungseinrichtungen). Das nutzt K. einfach aus.
Die Kirche nutzt sie noch auf andere Weise aus. Sie übernimmt meiner Meinung nach das katholische (gesellschaftlich akzeptierte) System der Reue und Buße, um wieder Katharina ("die Reine") zu werden.
sie gehöre nicht zu den Kindern, die glauben, dass die Mutter sie nicht mehr liebt, weil sie weggegeben wird.
Doch - genau zu den Kindern gehört sie: sie ist unzuverlässig. Die deutliche Betonung, dass sie nicht zu den Kindern gehört, zeigt, dass das Gegenteil der Fall ist.
Dies ist übrigens einer der Momente der belegbaren unbewussten Selbstcharakterisierung, von denen es mehr hätte geben dürfen. Die Maske von Katharina fällt nicht, Kontrolle ist alles, sie macht sich NOTIZEN für die Gespräche - das ist für Psychopathen vielleicht normal, der gewählte Erzählstil hingegen wird sehr häufig (natürlich auch nicht immer) dadurch bereichert, dass es dem Leser ermöglicht wird (nicht dem Gegenüber im Text!), den Erzähler zu durchschauen.
Der Roman schöpft für mich daher nicht vollends die Möglichkeiten aus, die durch die Erzählform gegeben sind. Die Leserunde und die Rezeption des Buches hat erst durch die Einschätzung von
@GAIA Fahrt aufgenommen und daher finde ich den Roman in seiner Wirkung auf den Leser immer noch etwas problematisch. Wir können diese Informationen über Psychopathie nicht mehr ausblenden (und wollen es auch nicht
), aber unser Leseeindruck wird nun doch von dieser Information gesteuert und manipuliert
. Was ist also wirklich da und was nur ein Produkt unseres neu erlangten Vorwissens? Die Unzuverlässigkeit ist von Anfang an da und das Misstrauen auch, aber ein Ende wie bei Hannibal Lecter oder The Sixth Sense - das hätte ruhig sein können.