2. Leseabschnitt: Kapitel 8 bis 17 (Seiten 53 bis 112)

luisa_loves-literature

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Mir fehlt dann doch der Knaller am Schluss. Der Wow-Effekt oder der buchstäbliche "kalte Eimer Wasser", der über einem ausgegossen wird. Ich bin einfach ein wenig "enttäuscht", dass Katharina dann doch eine verletzte, einsame Seele ist, die sich ihre Tat nicht wirklich erklären kann und einfach nur ein gutes, neues Leben anfangen will. Das ist natürlich ein positiver Blick auf die Welt und soll wahrscheinlich auch optimistisch stimmen, aber das Thema, die Anlage des Romans...da wäre doch so viel mehr drin gewesen. Wie gesagt, ich bin vielleicht auch schon zu gewöhnt an diese Erzählweise, sodass ich mir dadurch einfach immer eine heftige, überraschende Wendung erwarte.

Erst hat mir die Idee mit den Antwortkärtchen ganz gut gefallen, aber sie führen auch dazu, dass Katharina das Gespräch nicht mehr vollständig lenkt. Ich hatte ja auf eine deutlichere Manipulation ihrerseits im zweiten Abschnitt gehofft, die leider nicht eingetreten ist.

Als Charakterstudie finde ich den Roman dennoch gelungen. Man kann schon deutlich Katharinas Entwicklung, die Einflussgrößen, ihre Enttäuschungen und ihre Abneigung der katholischen Kirche gegenüber erkennen und für sich selbst konstruieren.
 

Christian1977

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Mir ging es ähnlich wie Luisa. Zwar hat mich die Auflösung ihres Verbrechens überrascht, da ich klar damit gerechnet hatte, sie sei für den Tod ihres Vaters verantwortlich. Oder etwas Provokanteres. So traut sich Dagmar Schifferli letztlich nicht einmal das Wagnis, aus Katharina eine wirkliche Mörderin zu machen. Klingt zynisch, aber ihr wisst hoffentlich, wie ich es meine.

Insgesamt gab es für mich in der zweiten Hälfte zu wenig Entwicklung. Das mit den Kärtchen war ganz nett, nutzte sich aber recht schnell ab. Tatsächlich kam mir der Roman trotz seiner 112 Seiten letztlich sogar länger vor, als er war. Muss man auch erstmal schaffen.

Schade irgendwie.
 

luisa_loves-literature

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9. Januar 2022
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Tatsächlich kam mir der Roman trotz seiner 112 Seiten letztlich sogar länger vor, als er war.
Das ging mir ganz genauso. Ich habe auch immer mehr das Interesse verloren. Es kamen zwar noch ein paar schöne Gedanken zu "ver-", aber das war zu dem Zeitpunkt auch schon nichts Neues mehr, da wir es ja schon vom Anfang kannten...
So traut sich Dagmar Schifferli letztlich nicht einmal das Wagnis, aus Katharina eine wirkliche Mörderin zu machen. Klingt zynisch, aber ihr wisst hoffentlich, wie ich es meine.
Ich weiß genau, was du meinst und genau das ist mein "Problem" mit dem Buch. Bei der Wahl einer solchen Erzählform muss ich mich auch insgesamt irgendetwas Verrücktes trauen. Sonst ist es antiklimaktisch und verpufft...Man könnte ja sagen, das es dadurch, dass es so "brav" zu Ende geht wieder etwas Besonderes wäre, aber das funktioniert hier nicht.
 

Querleserin

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Mir fehlt dann doch der Knaller am Schluss
Das ging mir zunächst auch so, allerdings ist der Tötungsversuch an einem unschuldigen, jungen Mädchen fast schlimmer, als ein gewaltsamer Akt gegen ihren Vater. Das war zu erwarten, das mit dem Mädchen hat mich überrascht.

Erst hat mir die Idee mit den Antwortkärtchen
Die einzige Stelle, an der der Monolog und die Karten unterbrochen werden, ist die Schilderung der Tat, die Katharina nicht ohne Hilfe wiedergeben kann. Das fand ich schlüssig erzählt. Es zeigt, dass sie die Tat (noch) verdrängt.
die sich ihre Tat nicht wirklich erklären kann und einfach nur ein gutes, neues Leben anfangen will. Das ist natürlich ein positiver Blick auf die Welt und soll wahrscheinlich auch optimistisch stimmen
Die Frage bleibt, ob sie nicht rückfällig werden wird. Das bleibt meines Erachtens offen, oder seht ihr das anders?
 

Christian1977

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Die Frage bleibt, ob sie nicht rückfällig werden wird. Das bleibt meines Erachtens offen, oder seht ihr das anders?
Ja, aber ehrlich gesagt stand die Frage für mich nicht so im Mittelpunkt. Das weiß man in der Regel ja selten, ob ein:e Straftäter:in rückfällig wird oder nicht.
Ist das mit dem Mädchen nicht verrückt genug?
Überraschend, aber nicht verrückt, finde ich. Es gibt wenig Grund, die Sympathie für Katharina wieder ad acta zu legen, selbst der Psychologe zeigt sich verständnisvoll. Da hätte Dagmar Schifferli schon mehr riskieren und aufrütteln können.
 

Querleserin

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Ja, aber ehrlich gesagt stand die Frage für mich nicht so im Mittelpunkt. Das weiß man in der Regel ja selten, ob ein:e Straftäter:in rückfällig wird oder nicht.
Habe mich falsch ausgedrückt. Die Frage ist, ob sie es wirklich bereut. Können wir ihr vertrauen oder hat sie alle hinters Licht geführt? Zugegeben, das ist jetzt frei interpretiert, aber hat sie nicht erreicht, dass sich alle für sie einsetzen und auch die Leser:innen sie sympathisch finden? Und vielleicht bereut sie auch und ändert sich. Das bleibt jedoch offen.
 

luisa_loves-literature

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Die Frage ist, ob sie es wirklich bereut. Können wir ihr vertrauen oder hat sie alle hinters Licht geführt?
Ja, aber ehrlich gesagt stand die Frage für mich nicht so im Mittelpunkt.
Für mich wirft der Text genau die Frage nicht auf - und das finde ich schade. Da wäre nämlich Potenzial für ein "beeindruckenderes" Ende gewesen.
Es gibt wenig Grund, die Sympathie für Katharina wieder ad acta zu legen, selbst der Psychologe zeigt sich verständnisvoll.
Mir fehlen einfach Hinweise auf eine mögliche Doppeldeutigkeit. Sie manipuliert nicht, sie arbeitet schön mit. Sie ist sehr bemüht. Es gibt keinen "Gesichtsverlust".

Überraschend, aber nicht verrückt, finde ich.
Vor allem schon mit Anlauf...die ganzen Sequenzen über das Mädchen haben ja schon früh angedeutet, dass da etwas kommt. Ich fand es deshalb noch nicht einmal besonders überraschend.
 

luisa_loves-literature

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Ich fand es auch eher überraschend im Hinblick auf die erste Hälfte.
Ja, das stimmt. Da hatte ich auch eher noch den Vater als mögliches Opfer im Blick. Wenn ich es mir recht überlege, dann war es in gewisser Weise doch überraschend, weil auch eine irgendwie überzeugende Verbindung zu dem Mädchen fehlte? Und am Ende hätte ich mir einfach einen Satz à la „Ich sehe tote Menschen“ wie in Sixth Sense gewünscht…
 

Wandablue

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So traut sich Dagmar Schifferli letztlich nicht einmal das Wagnis, aus Katharina eine wirkliche Mörderin zu machen. Klingt zynisch, aber ihr wisst hoffentlich, wie ich es meine.
Leider nicht- Muss es immer am verdorbensten und am schrecklichsten sein? Als sie anfing, ständig von dem kleinen Mädchen zu reden, dachte ich zuerst, sie redet von sich selber, dann dass das Mädchen das Opfer sein wird.

Das Ende stimmt mich milde. Die Geschichte einer kleinen Katastrophe. Eine kleine Katastrophe würde mir in meinem Leben aber völlig ausreichen, um mich aus der Bahn zu werfen. Insofern gefällt es mir.

"Meinetwegen" ist eine Geschichte der Auslassungen. Warum ist der Vater wie er ist, warum mag er seine Tochter nicht; die Tante wird ein bisschen erklärt, aber das wars auch schon. Die Familienkonstellation habe ich nicht ganz verstanden. Sie müssen wohlhabend gewesen sein, wenn sie sich das Internat für 2 Kinder leisten konnten, was war mit dem Bruder?

Ist die Patentante die Schwester von der Mutter, Tante Lotte - oder gab es da noch eine andere Frau?

Ich weiß nicht, wie ich alle diese Auslassungen beurteilen soll. Sind sie genial oder nur Faulheit?

Dann wären das noch die nationalsozialistischen Klischees ... eieieiei.
 

Wandablue

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Ich finde ja nicht, dass sich die Autorin nicht traut!
Wäre mehr passiert, hätte sie auch mehr erzählen, bzw. erklären müssen. Die Story ist eh auf Sparflamme gestrickt (beachtet meine Metapher *gggg*).
 
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Christian1977

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Muss es immer am verdorbensten und am schrecklichsten sein?
Nee, aber ich finde, diese Erzählstruktur lud zum Aufrütteln ein. Dafür fand ich das Ende zu schwach.
Ist die Patentante die Schwester von der Mutter, Tante Lotte - oder gab es da noch eine andere Frau?
Ich bin bei den Frauen auch immer durcheinander gekommen, aber es gibt auf jeden Fall zwei: die Pflegetante aus dem Ruhrpott und die Patin (Schwester der Mutter und damit leibliche Tante).
 

Wandablue

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jaaahaaa, die Autorin versucht, uns einen Innenblick von Katharina zu geben. Aber gleichzeitig will sie uns Leser auch hinhalten. Das ist ein Spagat, der so nicht funktionieren kann.
Ich brauche kein spektakuläres Ende. Aber ich hätte mehr Innensicht gebraucht, damit ich fasziniert bin. Da hätte Frau Schifferli mit Fachkräften sprechen müssen. Hat sie ja vllt. Vllt aber auch nicht.
 

Wandablue

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Die Assoziation/Gleichsetzung Katharinas mit der Todesfuge geht zu weit, finde ich.

Wie beurteilt ihr, dass die Autorin die Geschichte der Namen Katharina und Cäcilie etc. bringt (Katharina erzählen lässt). Da hat doch jemand eine Rechnung mit der Kirche offen - und Katharina ist es nicht. - Es könnte ein Aufspringen auf den momentanen Bashingzug gegen die Katholiken sein. Das wäre billig. Es ist billig.
 
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Wandablue

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Die Frage bleibt, ob sie nicht rückfällig werden wird. Das bleibt meines Erachtens offen, oder seht ihr das anders?
Nein. Das Ganze fängt doch jetzt erst eigentlich an, interessant zu werden - und der Roman endet hier. Das empfinde ich als Widerspruch. Es hätte einen zweiten Teil gebraucht, wo Katharina resozialisiert wird, vllt sogar einen Zeitsprung; evlt. als Ärztin. Wenn sie wieder in eine entspr Situation kommt, ob sie sich dann unter Kontrolle hat.
 

Literaturhexle

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So traut sich Dagmar Schifferli letztlich nicht einmal das Wagnis, aus Katharina eine wirkliche Mörderin zu machen. K
Für mich ist dieses Büchlein eine perfekte Schullektüre. Es gibt so viele Themen, über die man sprechen kann. Viele Andeutungen, Nebenschauplätze. Hauptthema: Schuld, Strafe, Resozialisierung
In die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen passt die geschilderte Tat weit besser als ein Mord.
Was meinst du, @Querleserin ?
 
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2. April 2017
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Der zweite Teil las sich zum Glück etwas fluffiger als der erste. Ihr habt schon viele kluge Gedanken zusammengetragen.
Ich dachte, die Pflege- und die Patentante wären eins. Katharina hat sie für mich in einem Wortspiel zusammengeworfen. Getrennt machen sie mehr Sinn.

Die Entwicklung der Spielplatzgeschichte verlief schleichend, aber erkennbar. Man spürte, wie das Böse, die Wut, in die Erz. Einzug hält. Die Szene im Klohäuschen wird sehr eindrücklich beschrieben. Welch ein Segen, dass K. gestört wurde.

Die sadistische Tante ist Antisemitin, Rassistin und war eine glühende, noch dazu bigotte Nationalsozialistin. Dazu ist sie brutal, unbeherrscht und eine Ehebrecherin. Noch mehr? Auf alle Fälle kommen mir hier ein paar viele Klischees zusammen. An der Stelle hat Katherina vielleicht auch bewusst übertrieben, um sich stärker in der Opferrolle zu präsentieren. Sie ist eben unzuverlässig.

Auch die ganzen Anspielungen gegen die katholische Kirche. Das alles hat unsere Erzählerin schon gesehen und gehört? Ein Thread, der wenig mit dem eigentlichen Thema zu tun hat und wohl ein bisschen von der aktuellen Missbrauchsdebatte im Buch widerspiegeln soll. Oder die Erzählerin benutzt auch diesen Twist bewusst.
Eebenso der Bezug zum Roman "Kalkwerk" von T. Bernhard. (Ideale Schullektüre;))

Aus der Erzählerin kann man in der Tat nicht recht schlau werden. Mir kam sie von Anfang an manipulativ und überheblich vor. Sie ist klug. Sie hat sich mit den Aufseherinnen gut gestellt, gehört zu ihren Lieblingen. Sie hat das bewusst getan, weil sie keine Scherereien will. Sie hasst die Erwachsenen in gewisser Weise, weil sie sich gegen die Kinder verbünden. Trickst sie die Erwachsenen jetzt aus und manipuliert sie so, dass sie eine Allianz zu ihren Gunsten bilden? Ist ihr Verhalten berechnend? Hat sie den Traum Ärztin zu werden, wirklich oder macht sie der Welt was vor? Man möchte ihr glauben. Tatsächlich wirkt sie auf mich geläuterter als zu Beginn. Aber ob man ihr vertrauen kann?

Ich empfinde dieses Buch bislang als ziemlich neutral, leider nicht mehr.