In diesem Teil wird in den meisten Kapiteln doch sehr unterstrichen, wie wichtig sich das jeweilige "Wir" nimmt. Eigentlich ist jedes Kapitel eine starke Selbstentlarvung der jeweiligen Erzähler - und deshalb finde ich den Roman in dieser Hinsicht außerordentlich gelungen. Nicht nur der Ton der Erzähler wird getroffen, sondern auch ihr "Charakter" wird enthüllt:
Wie sich hier der Vater zunächst ganz lieb herausnimmt für seine Frau mitzusprechen,
Zudem scheint der Vater ein Patriarch zu sein, der das Zepter in der Hand halten und insbesondere seine Frau dominieren will
Interessant finde ich, dass der Vater noch immer einen fingierten Gleichklang zu seiner Frau im Pflegeheim sucht.
Der Vater, der sich als "Wir sind die Eltern" vorstellt, aber dann die Ansichten seiner Frau kritisiert und sie aus der nun bestehenden Situation heraus nicht mehr ernst nimmt - dies aber auch nie getan hat. "Wir sind die Eltern" im Sinne von "Wir sind eine Einheit" finde ich hier schon sehr die Vergangenheit beschönigend.
Die Rivalität zwischen Klang und Liebe, in der Klang doch deutlich dominant und - verzeiht mir das Wortspiel - "tonangebend" ist, das Cello, das sich allen anderen Instrumenten überlegen fühlt, die Zigaretten, die das Privileg auf "Entspannung" erheben...
Am interessantesten erscheint mir jedoch tatsächlich das Zigaretten-Kapitel, das für mich irgendwie eine subtile Persiflage der Zigarettenwerbung früherer Zeiten ist, nach dem Motto: "Jetzt rauche ich, bin total relaxed und da ist mir dann auch eigentlich der Rest der Welt egal
Bei mir war es der Orangenduft, der für mich am Eindringlichsten war.
Den Orangenduft konnte ich auch am deutlichsten nachvollziehen - ich hatte sofort diesen Geruch in der Nase, wenn unten in der Obstschale eine Mandarine das Zeitliche gesegnet hat. Ich kann also nur zustimmen:
Ich hatte jahrelang ein schimmeliges Mandarinentrauma.
Was die eigentlichen Figuren anbelangt, muss ich feststellen, dass das Cello-Kapitel bei mir ein gewisse Form von Empathie für die junge Melodie ermöglicht hat - auch wenn ich sie insgesamt und gerade in ihrer erwachsenen Ausführung sehr unangenehm und herrisch und auch für gefährlich naiv und orientierungslos halte, ein Laie, der sich ein paar Videos und Bücher zu Psychologie angesehen hat und nun meint, Menschen heilen zu können:
Mich erinnert Melodie an einen „Coach“, diese Schwätzer, die keinerlei Ausbildung mitbringen und den Leuten mit Allgemeinplätzen das Geld aus der Tasche ziehen.
Allerdings habe ich wie Renie den Eindruck, dass sich die Story im Augenblick zu wenig vom Fleck bewegt - das Privatleben von Liesbeth ist sicherlich nicht uninteressant, aber ich sehe die Relevanz derzeit (noch) nicht.
Doch leider habe ich auch den Eindruck, dass wir über das Setting nicht hinauskommen. Ich erhoffe mir im weiteren Verlauf ein paar Erkenntnisse. Bis jetzt wissen wir nur, dass alle Protagonisten gestört sind.