2. Leseabschnitt: Kapitel 7-10 (S. 75 bis S. 159)

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Von der Erzählstruktur her ist dieser zweite Abschnitt dann doch recht konventionell. Nelly erzählt Lockwood einfach die gesamte Geschichte. Schade, das fand ich zu Beginn origineller gelöst. Immerhin spielt Emily Brontë aber selbst ein wenig damit, zB indem sie Nelly sagen lässt, das würde auch kürzer gehen. Oder indem sie es auf Lockwoods Bettlägerigkeit schiebt.

Inhaltlich halte ich Heathcliff für die stärkste, weil ambivalente Figur. Bei Nelly wundere ich mich. Sie warnt jede:n vor dem Umgang mit Heathcliff, ist aber andererseits diejenige, die neben Cathy als Einzige zumindest zeitweise zu ihm hält.

Cathy ist gleichermaßen hinreißend wie nervtötend. Diese überbordende Emotion! So etwas gibt es auch nur in Klassikern. Fast wie ein weiblicher Werther.

Sehr gespannt bin ich darauf, wie es Heathcliff gelingen wird, beide Anwesen in seinen Besitz zu bekommen. Der Anfang ist wohl mit diesen Spielerunden gemacht...
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Sie warnt jede:n vor dem Umgang mit Heathcliff, ist aber andererseits diejenige, die neben Cathy als Einzige zumindest zeitweise zu ihm hält.
Nun ja, sie weiß ja auch, was zwischenzeitlich alles geschehen ist. Heathcliff wird sich nicht mit Ruhm bekleckert haben.
zB indem sie Nelly sagen lässt, das würde auch kürzer gehen.
Das ist doch schön gemacht. So liefert sie gleich die Begründung ihrer ausführlichen Schilderung und lässt die Erzählstimme glaubwürdig erscheinen.
Cathy ist gleichermaßen hinreißend wie nervtötend. Diese überbordende Emotion!
Cathy ist ebenfalls eine sehr komplex gezeichnete Figur. Neben den anderen Männerfiguren wie Hadley und Linton, die eher eindimensional erscheinen, sind Heathcliff und Cathy die interessanteren, die Hauptfiguren einfach.
Auch Isabella scheint Heathcliffs Anziehungskraft erlegen zu sein.

Immer wieder wird Heathcliffs dunkle Hautfarbe erwähnt, das lockige, schwarze Haar. War seine Mutter eine aus den Kolonien und sein Vater ein Engländer? Oder stammt er von den „ Zigeunern“ .
Jedenfalls steht er für das Fremde, Wilde, Ungebändigte, neben dem ein braver Engländer wie Linton verblasst.
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Nun ja, sie weiß ja auch, was zwischenzeitlich alles geschehen ist.
Eigentlich nicht, sie kann höchstens ihre Vermutungen anstellen. Genau wie wir. Dennoch scheint sie irgendwie allen Figuren gegenüber offen zu sein, mal hält sie zu Heathcliff, mal zu Cathy, mal zu Edgar. Da ich sie als Erzählerin für glaubwürdig halte, ist sie mir wegen ihres Verhaltens sehr sympathisch. Andererseits aber auch nicht greifbar. Das macht auch aus ihr eine spannende Figur.
Das ist doch schön gemacht. So liefert sie gleich die Begründung ihrer ausführlichen Schilderung und lässt die Erzählstimme glaubwürdig erscheinen.
Das hat mir auch gefallen. Wenn man es denn schon so machen will mit der ausführlichen Erzählung einer einzigen Stimme, so ist dies zumindest charmant gelöst.

Vergessen hatte ich übrigens noch, explizit die Szene mit dem Sturz des kleinen Hareton zu erwähnen. Für mich auch eine der bislang besten Szenen, die mich ein bisschen daran erinnerte, als Michael Jackson damals seinen Sohn für die Fans aus dem Fenster baumeln ließ. Vielleicht erinnert sich jemand von euch daran. Jedenfalls entpuppt sich Hindley gerade in dieser Szene doch als echte Pfeife. Heathcliff hat Hareton das Leben gerettet.

wie Hadley und Linton
"Hadley" wird wohl die perfekte Symbiose aus Hareton und Hindley sein? ;)
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Vergessen hatte ich übrigens noch, explizit die Szene mit dem Sturz des kleinen Hareton zu erwähnen. Für mich auch eine der bislang besten Szenen, die mich ein bisschen daran erinnerte, als Michael Jackson damals seinen Sohn für die Fans aus dem Fenster baumeln ließ. Vielleicht erinnert sich jemand von euch daran. Jedenfalls entpuppt sich Hindley gerade in dieser Szene doch als echte Pfeife. Heathcliff hat Hareton das Leben gerettet.
Daran erinnere ich mich auch, eine gruselige Szene.
Ja, Heathcliff hat Hareton das Leben gerettet, eine instinktive Reaktion, denn glücklich war er über sein Einschreiten nicht.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Mir gefällt sehr, dass ich mich in die damalige Zeit zurückversetzt fühle. Die Dinge wurden anders gehandhabt, zwischenmenschliches war ganz anderen gesellschaftlichen Zwängen unterworfen.
Die Schilderungen Nellies zu Hintley waren sehr schockierend, auch damals wollte ein Vater doch sicher auch nicht, dass sein Kind solche Angst vor ihm hat. Respekt ist ja in Ordnung, aber das Verhalten das er an den Tag legt ist schon tyrannisch zu nennen. Der Vorfall mit dem Sturz hat dann zwar zur Folge, dass er meint Heathcliff dankbar zu sein, aber wenn dieser wegen der Worte die er belauschte, nicht dort gegangen wäre, hätte es auf dem Anwesen wohl nicht funktioniert.
Das Catherine sich dann Linton tatsächlich zuwendet kam nicht überraschend, da sie ja vorher schon der Vernunft wegen diesen Plan hatte. Das sie dann eine doch harmonische Ehe führen würde, habe ich nicht erwartet.

Nun bin ich gespannt wie es im nächsten Abschnitt mit Heathcliff und Isabella weitergehen wird. Ich lese den Roman wirklich sehr, sehr gerne!
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Da ich sie als Erzählerin für glaubwürdig halte, ist sie mir wegen ihres Verhaltens sehr sympathisch. Andererseits aber auch nicht greifbar. Das macht auch aus ihr eine spannende Figur.
Ich denke auch, das Nelly glaubwürdig ist. Obendrein haben Dienstboten damals glaube ich sehr viel mitbekommen, sie waren ja irgendwie immer an Ort und Stelle. In Nellies Fall stelle ich es mir sehr schwierig vor, da man sicher auch Sympathien für die Kinder entwiCeltics, die man quasi großzieht, und auch nicht mit allem einverstanden ist, was so läuft. Dennoch muss sie sich fügen und kann nicht viel machen. Und nebenbei, für eine Angestellte hat sie schon ein recht lockeres Mundwerk, wenn ich da an einige Dialoge denke. Vorausgesetzt, sie hat da nicht doch hier und da ein wenig ausgeschmückt;)
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Ich finde (und fand immer, es ist ja für mich keine Erstlektüre) diese ganze Atmosphäre von Gewalt, Drohungen und Rumgebrülle furchtbar, eine wahre Invasion toxischer Männlichkeit. Die Szene, wo Hindley Nellie das Messer zwischen die Zähne drückt, ist einfach grauenhaft, und ich habe mich immer gewundert, wie sie das alles doch recht locker hinzunehmen scheint und sich nicht ins Bockshorn jagen lässt. Wie es sich für kleine Kinder auswirken mag, unter solchen Umständen aufzuwachsen, das mag man sich kaum vorstellen ... und wir werden es ja wohl noch erleben.

Abgesehen von der handfesten Nellie ist Catherine die einzige, die man mögen kann. Wobei ich für Heathcliff schon Verständnis habe, aber sympathisch finde ich ihn auch nicht gerade. Und Catherine ist mit ihren Heiratsplänen einfach furchtbar unreif. Der Vortrag über ihre Gefühle für Heathcliff, den sie Nellie hält, ist allerdings sehr bewegend, und da legt sie eine erstaunliche Fähigkeit an den Tag, ihre Gefühle zu benennen - während sie für Edgar, das merkt man ja deutlich, eigentlich gar nichts übrig hat.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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auch damals wollte ein Vater doch sicher auch nicht, dass sein Kind solche Angst vor ihm hat. Respekt ist ja in Ordnung, aber das Verhalten das er an den Tag legt ist schon tyrannisch zu nennen.
Ich glaube, solche Väter lassen sich bis ins 20. Jahrhundert hinein finden. Väter, die sich v.a. als Autorität verstanden, denen man gehorchen musste.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Ein Nachtrag: Es heißt nach Cathys Heirat, dass sie eigentlich glücklich mit Edgar gewesen sei, ein "tiefes wachsendes Glück" heißt es in meiner Ausgabe. Und Nellie fährt fort:
"Es nahm ein Ende. Schließlich muss ein jeder einsam werden; die Sanftmütigen und Großherzigen sind im Grunde selbstgerechter als die Tyrannischen."
Ich frage mich, ob sich das jetzt nur auf diese Ehe bezieht - dass letztlich beide Teile im Grunde gegen ihre eigentliche Natur gelebt haben - oder ob das eine allgemeine Lebensweisheit sein soll. Ehrlich gesagt kann ich keine sanftmütigen und großherzigen Leute in dieser Geschichte ausmachen. Vielleicht haben sich Cathy und Edgar gegenüber dem jeweils anderen sanftmütig und großherzig benommen, wobei beide, wie erwähnt, gegen ihre eigentliche Natur gelebt haben. Die wilde Cathy passt zu Edgar wie die Faust aufs Auge, und ich frage mich, wie es ohne Heathcliffs Wiederankunft mit den beiden weitergegangen wäre.

Jetzt jedenfalls ziehen die beiden begeistert miteinander herum, und Cathy warnt Isabella unausgesetzt, dass Heathcliff ein Drecksack sei, den man nicht heiraten könne. Ist ihr nicht klar, dass ihn das für Isabella nur umso interessanter macht? Über die Beziehung zwischen diesen beiden könnte man dicke Bücher schreiben. Ich habe ein wenig den Eindruck, dass sie Isabella in einem Hinterwinkel ihres Bewusstseins absichtlich Heathcliff in die Arme wirft, um sich in irgendeiner Weise an den beiden zu rächen.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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dass sie Isabella in einem Hinterwinkel ihres Bewusstseins absichtlich Heathcliff in die Arme wirft, um sich in irgendeiner Weise an den beiden zu rächen.
Das wäre wieder eine Verbindung wider die Natur. Denn die beiden passen noch weniger zusammen als Cathy und Edgar.
Wäre Cathy mit Heathcliff glücklich geworden?
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Das wäre wieder eine Verbindung wider die Natur. Denn die beiden passen noch weniger zusammen als Cathy und Edgar.
Wäre Cathy mit Heathcliff glücklich geworden?
Es ist die Frage, was man unter Glück versteht. Ich habe bei Cathy das Gefühl, ihr geht es weniger um Glück als um Aufregung. Hätte sie Heathcliff geheiratet, wären die beiden wohl täglich auf wilden Pferden durch die Heide galoppiert und hätten in jeder freien Minute gestritten - und womöglich ist genau das Cathys Vorstellung von Glück.
 

Christian1977

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Wäre Cathy mit Heathcliff glücklich geworden?
Ich kann in dieser Hinsicht @Die Häsin nur beipflichten. Ich glaube, die Beziehung der beiden wäre wahnsinnig ausschweifend, lebhaft und emotional gewesen. Fast schon extrem im Hinblick auf alle Emotionen. Ich kann mir deshalb zumindest denken, die beiden wäre nicht so unglücklich geworden wie sie es in der Realität leider wurden.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Ich bin nach wie vor erstaunt, wie gut und flüssig sich der Roman lesen lässt. Trotz einiger sprachlich ungewohnten Drehungen und Wendungen - und einigen Druckfehlern, über die ich immer "stolpere" und mich kurz zusammenzucken, dann aber schnell weiterlesen lassen ha ha ha. :cool:
 
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kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Cathy ist gleichermaßen hinreißend wie nervtötend. Diese überbordende Emotion! So etwas gibt es auch nur in Klassikern. Fast wie ein weiblicher Werther.
Darum haben sich die Damen hier bestimmt gewundert, warum zwei Männer den Roman lesen ha ha ha :cool:. Aber so nervtötend finde ich Cathy gar nicht - da gibt es schlimmere :rofl . Außerdem bin ich mir sicher, dass Frau Bronte sich (ähnlich wie Jane Austen) damit über diese "Schicht" zwischen den Zeilen lustig macht.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Darum haben sich die Damen hier bestimmt gewundert, warum zwei Männer den Roman lesen ha ha ha :cool:. Aber so nervtötend finde ich Cathy gar nicht - da gibt es schlimmere :rofl . Außerdem bin ich mir sicher, dass Frau Bronte sich (ähnlich wie Jane Austen) damit über diese "Schicht" zwischen den Zeilen lustig macht.
Nelly scheint ja mehr oder weniger gleichaltrig mit Cathy und Heathcliff zu sein. Das hat mich oft eigenartig berührt. Während die beiden, je nach Veranlagung, sich trotzig oder halb hysterisch aufführen dürfen, ist Nelly stets vernünftig, bändigt den einen, redet der anderen gut zu und macht Heathcliff unter tausend Ermahnungen auch noch hübsch. Kein Wunder, dass ihr Leben viel ruhiger verlief. Sie konnte sich eine derartige Exaltiertheit nicht leisten.