2. Leseabschnitt: Kapitel 6 bis 8 (Seite 43 bis 74)

Renie

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Ich werfe mal "standhaft" in den Ring, um euch ein bisschen zu kitzeln.
Wohl wahr. Aber reden wir in diesem Fall
1. von einem Menschen, der prinzipientreu ist und komme, was wolle an seinen (politischen/moralischen) Überzeugungen festhält?
2. Oder handelt es sich bei ihm um einen Menschen, der generell anti ist, dem vielleicht jegliche Kollektivmeinung zuwider ist, unabhängig von Inhalt und Sinnhaftigkeit dieser Meinung?
Ich bin mir noch nicht sicher. Bisher ist mir das durch den Text noch nicht klar geworden. Tatsächlich tendiere ich zu Zweitem, was ich daran festmache, dass der Erzähler kein bisschen Stolz auf seinen Vater erkennen lässt. Ich bilde mir ein, wenn man einen Vater hat, der in der damaligen Zeit den Nazis die Stirn geboten hat und für seine Überzeugungen eingestanden ist, man zurecht Stolz empfinden kann, unabhängig davon, wie das Vater-Sohn-Verhältnis war. Da dieser Stolz in der Erzählung des Jungen nicht durchklingt, sehe ich den Vater eher als notorischen Querulanten und Sturkopf.
 

Literaturhexle

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dass der Erzähler kein bisschen Stolz auf seinen Vater erkennen lässt.
Er ist ein Kind. Er möchte ebenso an den NS Veranstaltungen teilnehmen wie alle anderen Jungen aus seiner Klasse. Er bewundert die Soldaten und die schneidige Uniform des Lehrers. Kritik an den Nazis kommt Kritik an seinen Vorbildern gleich. Da der Vater nichts erklärt und auch über das Politische hinaus sehr despotisch agiert, sehe ich bei dem 10-jährigen keinen Platz für Stolz in dieser Situation. Vielleicht ist dafür Platz, wenn die Zeiten sich ändern.

sehe ich den Vater eher als notorischen Querulanten und Sturkopf.
Auf alle Fälle ist das einer seiner Wesenszüge. Er gefällt sich gut in dieser Rolle. In Bezug auf die Nazis kommt aber durchaus auch innere Überzeugung dazu.
 

Barbara62

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Wohl wahr. Aber reden wir in diesem Fall
1. von einem Menschen, der prinzipientreu ist und komme, was wolle an seinen (politischen/moralischen) Überzeugungen festhält?
2. Oder handelt es sich bei ihm um einen Menschen, der generell anti ist, dem vielleicht jegliche Kollektivmeinung zuwider ist, unabhängig von Inhalt und Sinnhaftigkeit dieser Meinung?
Ich bin mir noch nicht sicher.
Mich erinnert der Vater an den "Remstal-Rebell", den Vater des heutigen Tübinger OB Boris Palmer. Ich weiß nicht, ob er über Baden-Württemberg hinaus ein Begriff ist. Helmut Palmer trat einige Zeit bei sämtlichen OB-Wahlen an, war laut, seine Ansichten nicht unbedingt schlecht, aber er war so etwas wie ein ewiger Querulant. Er nannte sich "Pomologe und Bürgerrechtler". Kennt ihn noch jemand?
 
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Helmut Pöll

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Ich bilde mir ein, wenn man einen Vater hat, der in der damaligen Zeit den Nazis die Stirn geboten hat und für seine Überzeugungen eingestanden ist, man zurecht Stolz empfinden kann
Ja, sehe ich auch so. Aber der Vater macht eher den Eindruck eines Poltergeistes. Wer tatsächlich für unverrückbare moralische Werte einsteht, dem können die Konsequenzen für die eigene Familie dann nicht so völlig egal sein. Für "standhaft", wie @Christian1977 es nannte, ist er mir zu wenig reflektiert. Zumindest erfahren wir das nicht.
 

ulrikerabe

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...um den Schrecken und die Angst von damals wachzurufen. So etwas Unheimliches veschwindet wohl nicht mehr aus dem Kreislauf der Gefühle. Einen verängstigten Jungen hat mich die fein empfindende Großmutter genannt. Ein verängstigter Mann bin ich zeitweilig immer noch.
Für mich einer wichtigsten Absätze in diesem Buch auf Seit 47

Es hilft das Trauma der Elterngeneration zu verstehen. Wohl eigentlich weniger das Trauma ansich, zumal darüber (in meiner Familie) nie gesprochen wird/wurde. Aber zu verstehen, dass es da ein Trauma gibt, das bis heute reicht und alle Ängste nichts mit einem selbst zu tun haben und trotzdem das Trauma in irgendeiner Form bis in die nächste Generation weitergereicht wird.
 

Literaturhexle

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Für mich einer wichtigsten Absätze in diesem Buch auf Seit 47

Es hilft das Trauma der Elterngeneration zu verstehen. Wohl eigentlich weniger das Trauma ansich, zumal darüber (in meiner Familie) nie gesprochen wird/wurde. Aber zu verstehen, dass es da ein Trauma gibt, das bis heute reicht und alle Ängste nichts mit einem selbst zu tun haben und trotzdem das Trauma in irgendeiner Form bis in die nächste Generation weitergereicht wird.
Genau diese Gedanken hatte ich dazu auch. Ich habe meiner Mutter einige Bücher zu diesem Thema geschenkt, die ich jetzt teilweise im Haus habe. Die Kriegskinder haben Traumata erlitten, durften nie darüber sprechen, mussten funktionieren und wurden zu großen Teilen um ihre Jugend, freie Berufswahl und andere Chancen betrogen. Insofern finde ich den Lebensweg, den der Autor genommen hat, mehr als erstaunlich. Vielleicht war ihm die Loslösung aus der kleinbürgerlichen Idylle nur möglich, WEIL die Familienverhältnisse schwierig waren.