2. Leseabschnitt: Kapitel 6 bis 15 (Seite 88 bis 176)

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Anders als zuletzt häufiger bleibe ich diesmal zum Glück auch in diesem Abschnitt noch sehr begeistert.

Benny taucht als Erzähler zwar nur noch selten auf, dafür blüht "das Buch" aber richtig auf und spricht uns Buchverrückte in einer Art Exkurs über den Wert eines Buches direkt an ( ab S. 102). Die Klage über den heutzutage so schnellen Wertverlust eines Buches fand ich klug und absolut nachvollziehbar. "So was mögen unsere Leser nicht" - gilt zumindest nicht für mich.

Auch die weiteren bibliophilen Weisheiten haben mir gefallen: Die Bücher auf dem Stapel des Grauens warten also geduldig, "bis unsere Zeit gekommen ist" (S. 131). Das hat mich beruhigt ;).

Dann das "Buch im Buch". Erinnerte mich an Amy Waldmans "Das ferne Feuer". Ich bin gespannt, ob wir noch mehr Extrakte aus "Tidy Magic" zu Gesicht bekommen werden.

Doch ich bin nicht nur formal, sondern auch inhaltlich sehr angetan und kann so richtig eintauchen in die Geschichte. Diese Mischung aus komischen und berührenden Momenten, die herrlich verschrobenen und liebenswerten Figuren, die warmherzige Atmosphäre mit Szenen, die lange in Erinnerung bleiben: das Rückenkraulen, little Benny unter dem Stuhl der Bibliothekarin, Bennys "Ausbrüche". Und das alles erzählt Ruth Ozeki mit einer fast selbstverständlichen Leichtigkeit, die verhindert, dass sich die Last der Trauer (und der Dinge) auf uns Leser:innen legt.

Ihr merkt also, ich bin beeindruckt. Aber nun mache ich gern Platz für die Pragmatikerinnen unter euch ;).
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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@Christian1977 da wirst du zum jetzigen Zeitpunkt bei mir nicht fündig. Ich mag ebenso wie du, dass das Buch häufig zu Wort kommt, und kann mich seinen Eindrücken komplett anschließen.
Benny durchlebt schreckliches, ständig die Gegenstände um sich herum sprechen zu hören ist schlimm, aber wenn dann noch solche Ereignisse wie das mit der Schere hinzukommen, macht es mir direkt Angst. Menschen, die Stimmen hören, sehen dies als real an, und es kann für sie selbst, oder in dem Fall für die Lehrerin tatsächlich gefährlich werden, denn ob Benny immer so handelt und sich lieber selbst verletzt, ist fraglich. Außerdem birgt auch das ein großes Risiko für ernstere Verletzungen seinerseits.
Mir kommt es manchmal so vor, als ob die Unordnung seiner Mutter das alles ausgelöst hat, denn in seinem Zimmer ist alles penibel aufgeräumt, und dort lassen ihn die Gegenstände in Ruhe……
Von der Psychiaterin halte ich momentan nicht allzu viel, sie scheint vorgefertigte Ansichten zu haben und versucht ihm Dinge in den Mund zu legen. Sollte sie sich nicht unbefangen alles anhören und alles erstmal ernst nehmen?
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Der zweite Abschnitt hat mich jetzt richtig eingefangen. Es ist also klar geworden, Benny leidet an einer psychischen Störung. Das eigentliche Problem aber ist seine Messiemama - und das wird so schnell keiner erkennen oder etwas dagegen unternehmen. So traurig. Ich will in das Haus gehen und alles wegschmeissen, was ich finde, es juckt mich in den Fingern.
Es wird sehr schön erzählt, ich bin angekommen.
Der Vorfall mit der Fensterscheibe hat mich gerührt. Wer hat das nicht schon einmal mit ansehen müssen, wie so ein armer Vogel gegen etwas Gläsernes knallt. Man sollte mehr dagegen unternehmen.
RL. Die Leute, die ich kannte, die Stimmen hörten, haben das akzeptiert, als sie austherapiert waren. Einige haben Therapie auch abgelehnt. Solange die kranken Menschen nicht gefährlich sind, müssen die Leute, die mit ihnen in Beziehung stehen, dies einfach auch akzeptieren. Ich habe ein wenig Übung gebraucht ...
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Ich bin gespannt, ob wir noch mehr Extrakte aus "Tidy Magic" zu Gesicht bekommen werden.
Bestimmt. Ich hoffe immer noch, dass Annabelle aufäumt.

Aber nun mache ich gern Platz für die Pragmatikerinnen unter euch
Diesmal bin ich aber ganz bei dir. Ich würde mir ein paarmal weniger "holte tief Luft" wünschen, aber sonst, gefällt mir der Text.

Von der Psychiaterin halte ich momentan nicht allzu viel, sie scheint vorgefertigte Ansichten zu haben und versucht ihm Dinge in den Mund zu legen.
Dagegen hat mir der Pfleger gefallen: "ich sag es nicht weiter, dass du mit deinem Schuh sprichst". Jaja, das Problem ist die Mutter.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Ich habe die Szene gut gefunden, wo Benny über den Penner spricht und sagt, er meine es gut mit ihm. Ich glaube, wir sind zu berührungsscheu. In einer der Orte, in denen ich bisher lebte, gab es eine Tourettefrau. Die ging durch die Stadt und brüllte. Leider habe ich mich damals auch nicht an sie herangetraut, aber ich glaube, oft brauchen die Menschen einfach auch normale Ansprache. Bis zu einem gewissen Grad sind sie nämlich ganz normal. Aber man hat Angst. Und das ist die Krux. Wir werden alle viel zu wenig darüber aufgeklärt, wie man mit den schwierigen Menschen umgeht. Ich habe auch noch nie eine entsprechende Doku dazu gesehen.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Nach dem zweiten LA hat mich das Buch endgültig gepackt.
Es wird für Benny immer schlimmer. So ein Zustand, bei dem alles Geräusche macht, Aufmerksamkeit von einem fordert, macht einem noch verrückter.
Die Vorstellung, dass sich die Stimmen von menschengemachten Dingen von denen der Natur unterscheiden, hat was. Da schwingt sehr viel Kritik am menschlichen Umgang mit den Ressourcen mit. Unser Forscher- und Erfindungsdrang, früher einmal positiv, weil es uns Fortschritt gebracht hat, ist nun dabei, alles zu zerstören.
Wir produzieren zunehmend, um es kurz darauf für wertlos zu erklären und zu entsorgen. Doch am Ende „ feiert die Materie ein Comeback“.
In diesem Zusammenhang gefiel mir natürlich auch der Abschnitt über das Buch. Auch die Bibliothek als magischer Ort für Kinder ist eine schöne Vorstellung.

Die Psychiaterin ist kein Vorzeigebeispiel ihrer Zunft. Sie fällt sehr schnell Urteile, hat ihre Raster, in die sie ihre Patienten einteilt. Ich habe nicht den Eindruck, dass sie sich sehr viel Mühe gibt, Benny zu verstehen.

Annabelle bekommt noch mehr Probleme, die ihr über den Kopf wachsen. Die drohende Arbeitslosigkeit bedeutet in den USA auch, dass die Krankenversicherung nur noch wenig übernimmt.

Für Benny ist der Aufenthalt in der Psychiatrie erstmal auch eine Entlastung. Hier sind alle verrückt, da musste er sich nicht verstellen.

Das Mädchen Alice gefällt mir. Auf ihren Zetteln macht sie sich über die üblichen Psycho- Tipps lustig, die sich in Ratgebern finden, wie „ Umarme Dich selbst“ , die sie ins leicht Absurde verfremdet.

Annabelle hat leider so gar kein Gefühl für das , was Benny bräuchte. So z.B. die Feuer zu seinem Schulabschluss. Nur peinlich!
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Mir kommt es manchmal so vor, als ob die Unordnung seiner Mutter das alles ausgelöst hat, denn in seinem Zimmer ist alles penibel aufgeräumt, und dort lassen ihn die Gegenstände in Ruhe…
Ausgelöst glaube ich nicht. Aber dieses Chaos, diese Anhäufung von Dingen verstärken seine Krankheit. Je weniger Dinge um ihn herum sind, desto weniger Stimmen, je mehr Ordnung, desto weniger Kakophonie.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Mir kommt es manchmal so vor, als ob die Unordnung seiner Mutter das alles ausgelöst hat, denn in seinem Zimmer ist alles penibel aufgeräumt, und dort lassen ihn die Gegenstände in Ruhe…
Genau den Hinweis habe ich auch gelesen. Benny ist von seiner Anlage her ein ordnungsliebender, strukturierter Mensch. Das Chaos zu Hause belastet iin. Kommen daher Unruhe und Stimmen und verbinden sich mit dem Trauma der Trauer? Er genießt die Zeit in der Klinik fast, auch weil da die "Milch niemals ausgeht". Mir tut Benny leid. Allerdings klingt das Ganze für mich als Laien wie eine ziemlich heftige Störung, ich kann nicht glauben, dass das so schnell wieder vergeht. Wie gut, dass er es geschafft hat, die Schere gegen sich selbst zu richten. Hätte er die Lehrerin erwischt, wären die Konsequenzen weit härter.
Ich würde mir ein paarmal weniger "holte tief Luft" wünschen, aber sonst, gefällt mir der Text.
Warum fällt mir das gar nicht auf?!
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Der zweite Abschnitt befeuerte leider mein Misstrauen. Erst die Sprüche aus den Glückskeksen (S. 94), die mir zu unverschlüsselt gegenüber Annabelle (sie hatte ja die künstlichen Weihnachtssterne gekauft) waren, dann die arroganten Münzen an der Registrierkasse (S.98), die schon sehr moralisierend rüberkamen.
Dem Quarzsand eine Stimme zu verleihen, weil es durch Menschenhand zu durchsichtigem Glas wurde und damit zur tödlichen Falle für den Vogel, sprach mir in dem Moment jegliche Existenzberechtigung ab und verleidete mir das Lesen.
Ich bin weder empört, noch regt es mich zum Umdenken an, es ist einfach nur niederschmetternd und demoralisierend.

Dr. Melanie finde ich unglaubwürdig, sie hat "kein Auge" für Benny, schaut sich aber die Schere an, als wäre sie Kriminalbeamtin und "entdeckt" das Made in China.

Dann wird Benny erst mit Ritalin behandelt und muss dann doch in die Psychatrie, das ging mir erst einmal sehr nah, wurde aber schnell und oberflächlich abgehandelt. Er musste seine 5 Punkte auf der Liste so lange ändern, bis es im "Wissensbereich" des Therapeuten lag.

Es tut mir leid, aber das ist mir eindeutig zu holprig und mit zu offensichtlichem Holzhammer geschrieben.

Alice (oder Athena?) scheint dasselbe Mädchen, wie aus dem Müllkontainer zu sein und an ihr ist bestimmt auch ein Zen-Meisterin verloren gegangen. An ihren Zettelchen ist bestimmt ein weiteres Buch im Buch verloren gegangen.

Das unbelebte Dinge eine Stimme bekommen, war in Gerda Blees "Wir sind das Licht" eine tolle Idee und wurde auch gut umgesetzt. Ähnliches hatte ich auch hier gehofft, statt dessen ist dieses Buch für mich erst einmal eine einzige Anklage. Eine Anklage gegen Arbeitsbedingungen, gegen das amerikanische Gesundheitssystem, gegen sämtliche Produkte, die Menschen so herstellen, ja, gegen den Menschen selbst. Mmmpf!
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Ich finds erheiternd ... kannst du mir demoralisierende erklären?

Dr. Melanie finde ich unglaubwürdig
Ich auch. Hier sind wir uns einig; so doof sind Psychiater nicht.

Es tut mir leid, aber das ist mir eindeutig zu holprig und mit zu offensichtlichem Holzhammer geschrieben.
Na ja, ich nehms nicht so ernst.

Eine Anklage gegen Arbeitsbedingungen, gegen das amerikanische Gesundheitssystem, gegen sämtliche Produkte, die Menschen so herstellen, ja, gegen den Menschen selbst. Mmmpf!
Mal sehen, ob wir eine LR finden, wo wir gleich schwingen. Du hast natürlich recht, Emsi, wie fast immer, wenn man den Roman so ernst nimmt - aber ich denke, er will das gar nicht. Er will ein wenig spielen und gleichzeitig ein ernstes Problem anbringen, aber ganz spielerisch und humorig. oder? Na ja, ich weiss es ja noch nicht. Kommt mir wie ein Kinderbuch vor.
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Ich finds erheiternd ... kannst du mir demoralisierende erklären?

Ausgehend von dem Vogel, der gegen die Scheibe fliegt, oder den Plasitkbechern und Strohhalmen, die (wahrscheinlich wegen dem heißen Kaffee) schreien, dürften wir Menschen eigentlich gar nicht existieren. Aber wenn wir schon mal da sind, bitte nichts essen und trinken, nicht bewegen und möglichst auch nichts anderes tun, um zu überleben (wie Fenster in Gebäude bauen, damit wir Licht in der Bude haben).
aber ganz spielerisch und humorig. oder?

Überhaupt nicht. Sowohl der Tod des Vaters, als auch Bennys Aufenthalt in der Klinik haben mir schwer zu schaffen gemacht.
. Kommt mir wie ein Kinderbuch vor.

Bis jetzt würde ich es meinem Kind nicht vorlesen.... kommt vielleicht/hoffentlich noch.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Bis jetzt würde ich es meinem Kind nicht vorlesen.... kommt vielleicht/hoffentlich noch.
Ich aber schon. Guck dir Märchen an, ein Thema, das ich nicht grundlos zum Donnerstagsthema machte - aber ihr wolltet bisher nicht diskutieren - was da nicht alles vorkommt bis zu meinem momentanen Lieblingsmärchen, wo man einen abgeschlagenen Pferdekopf an ein Tor nagelt! ! und Rotkäppchen könnte grausiger nicht sein - Kinder nehmen (anscheinend) die Dinge nicht wirklich wahr, oder nicht ernst - mir haben die Märchen nicht geschadet. Aber vllt gehen ja die Meinungen der Pädagogikerinnen hier auseinander ... die Art und Weise wie die Stimmen und Benny geschildert wird, ist leicht. Mir geht nur Annabelle nahe mit ihrer Messiewohnung. So was geht mir auf die Nerven. Obwohl ich weiß, dass man nicht hilft, wenn man deren Wohnung leer räumt - im Gegenteil.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Aber wenn wir schon mal da sind,
Also, Überbevölkerung ist ein ernsthaftes Problem, das mir weit mehr unter die Haut geht als die doofe Annabelle oder ihr dummer Kerl, der sich auf die Strasse legt um überfahren zu werden (ein Idiot) - but, das ist ja nicht das Thema. An gläserne Scheiben gehören Elemente, die es als gläsern kenntlich machen, ein alter Hut. Es ist doch unbestritten, Emsi, dass wir Menschen mit den meisten Dingen gedankenlos umgehen. Und dass Tiere auf unserer Agenda ganz weit unten rangieren, warum werden in meiner Stadt alle freien Flächen, die bisher eigentlich den Lebensgenuss der Stadt ausmachen und sein Flair, bebaut. Wohin sollen die Tiere eigentlich gehen, die wir angeblich doch so gern haben?
Aber im Buch ist das Thema, dass Benny Stimmen hört und Annabell ein Messie wurde. Und dass die USA ein Scheissgesundheitssystem hat (sorry, aber musste mal gesagt werden).
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Überbevölkerung ist ein ernsthaftes Problem,
und das, wie wir mit den Dingen umgehen. Wir sehen das doch in der aktuellen Situation. Die Welt steht vor schier unlösbaren Problemen und wir schreien weiter nach Wachstum. Porsche geht an die Börse und feiert sich für ein Produkt, das die Welt nicht braucht und das sich auch nur ein geringer Prozentsatz leisten kann.
Der Roman spricht das an auf ungewöhnliche Weise.