2. Leseabschnitt: Kapitel 5 bis 9 einschließlich

Skadi Auriel

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12. März 2021
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Im sechsten Kapitel unterhalten sich Lord Henry und Basil über Dorians Verlobung. Er kommt hinzu. Thema Frauen, aber in einem eher negativen Licht, Frauen werden als minderwertiger gesehen, habe ich den Eindruck. Außerdem gibt es wieder moralische Gespräche über Selbstlosigkeit und Lord Henry offenbart wieder seine sympathische Ader. Ich fand es blöd, dass er sich wünscht, dass die Beziehung mit Sibyl auseinandergeht und er dies beobachten kann. Als wäre Dorian nur Unterhaltungsprogramm für ihn. Am Ende lässt Lord Henry anklingen, er hätte alles kennengelernt. Ein Stück weit hört sich das verbittert ein, so als wäre seine harte und egozentrische Art ein Schutzpanzer.

Lord Henry, Dorian und Basil besuchen das Theater, indem Sibyl spielt. Lord Henry mag wohl den Chef von Sibyl. Das passt gut zu ihm, da beide ausnutzend wirken. Die drei finden das Etablissement nicht sehr ansprechend, höre ich raus. Basil widerspricht Henrys kalten Worten und rät Dorian, nicht darauf zu hören. Er sagt es sei gut andere zu inspirieren, zu „veredeln“. Den Sinn für Schönheit zu wecken. Dorian preist, wie Sibyl andere inspiriert und „veredelt“, dass sie eine „Göttin“ sei. Er wirkt total verknallt. Lord Henry stimmt ihm zu, dass Sibyl entzückend ist. Allerdings bringt sie keine gute Schauspielleistung und das macht Dorian verlegen. Bedeuten ihm „Freunde“ mehr als sie? Aber er ist auch besorgt um sie. Dann folgt das Gespräch mit Sibyl, ohne Basil und Lord Henry. Sibyl sagte Schauspielerei wäre Kerkerhaft, die einzige Wirklichkeit im Leben gewesen. Dorian hätte ihr andere Wirklichkeit gezeigt und das auch außerhalb von Theater Leben sein kann. Das Schauspielerei käme ihr wie Hohlheit ist und Betrug vor. Daraufhin ist Dorian schockiert, tief enttäuscht und wirft ihr vor, sie hätte seine Liebe getötet. Ich fand das richtig Sch**** von Dorian, da ich mir dachte: „Liebt er sie oder die Schauspielerei von ihr? Ist sie Unterhaltungsprogramm für ihn wie andere Menschen Unterhaltungsprogramm für Lord Henry sind?“ Ich denke, dass das ein Wendepunkt ist, zumindest ein Schritt in Richtung kaltherzig. Mir tat es weh den Schmerz von Sibyl zu lesen, die vor den Kopf gestoßen wurde und nicht wusste, was gerade mit ihr geschah. Wie sie bettelte und sich unterwirft war traurig. Dann ist Dorian Gray bei sich zu Hause, geht in Raum mit Bild von ihm, was Basil gemalt hat. Das Bild veränderte sich und zeigte einen grausamen Ausdruck. Er erinnert sich dann an ausgesprochen Wunsch im Atelier das Bild sein Altern und seine Sünden tragen solle. Dachte eigentlich, es gäbe eine Art Deal mit dem Teufel. Er erkennt, dass er Furchtbares getan hat und will sich von Lord Henry distanzieren und Bild als Wahrzeichen seines Gewissens zu sehen. Er beschließt sich bei Sibyl zu entschuldigen.

Am nächsten Tag, schon nach dem Mittag, sichtet Dorian die Post. Er hat verschlafen. Lustig ist, dass es schon damals Spam gab, ungefragte Werbung, Einladungen und Nachrichten über neue Dinge im Bereich der Kunst (sein Interesse). Wie wenig sich die Welt verändert hat :)! Und er kauft teuer an und traut sich nicht, es seinen Vormündern vorzulegen. Er kümmert sich um das Bild und empfindet Reue. Dorian traut sich erst nicht, das Bild anzuschauen und schreibt einen Entschuldigungsbrief an Sibyl, dann klopft Lord Henry, leider muss man sagen. Ich ahne Schlimmes. Beide unterhalten sich über den vergangenen Abend und wie er Sibyl verletzt hat, Dorian sagt ein Gewissen sei das Göttlichste, was man haben kann. Aber dann meldet Lord Henry, dass Sibyl tot sei, hätte Blausäure aus Versehen getrunken. Ich vermute Selbstmord dahinter. Dies löst große Schuldgefühle in ihm aus. Henry versucht ihm das schlechte Gewissen auszureden und sagt Dorian, dass Sibyl ihn nur verdorben hätte, er nicht glücklich geworden wäre. Er fühlt sich herzlos, weil er nicht stark empfindet, aber das ist eine normale Schockreaktion nach so einer Nachricht, emotionale Betäubung tritt dann ein als Schutzmechanismus. Henry aber auf seine gewohnt sympathische Art schildert, dass eine Frau ihm vorgeworfen hätte, sei Leben zerstört zu haben und er hätte ihr bloß einen dummen Spruch gesteckt. Mag ihn nicht. Lord Henry lädt Dorian ins Theater ein, er will aber bleiben und schaut sich das Bild an, was sich nicht verändert hat. Er entschied sich dazu, skrupelloser zu werden, lese ich heraus, und das Bild alles trage zu lassen. Daraufhin mach er sich auf den Weg zur Oper und scheint das schlechte Gewissen rund um Sybil vergessen zu haben.

Im 9. Kapitel ist die Wandlung zu einem nicht mitfühlenden und eher an sich selbst orientierten Menschen erfolgt und das hat mich traurig gemacht. Ich mochte Dorian.
 

Literaturhexle

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Der zweite Leseabschnitt steht ganz im Zeichen der Liebe. Skadi hat ihn sehr gut zusammengefasst. Hab Dank dafür!
Die arme Sibyl hat dem Märchenprinzen geglaubt, unterstützt wurde sie von ihrer Mutter, die es eigentlich besser wissen sollte (toll die Szene, als der Sohn die Mutter zur Rede stellt, die offenbar auch in einer Traumwelt des Theaters lebt). Nur der Bruder ist skeptisch. Leider muss er das Land verlassen. Wir sollten aber in Erinnerung behalten, dass er zweimal geschworen hat, Dorian zu töten, sollte seiner Schwester etwas zustoßen.

Nach dem Tod Sybils treten die Unterschiede der beiden Mentoren Dorians deutlich zu Tage. Der Lord ist unglaublich oberflächlich, er lebt nur für den Moment, nur für sein Vergnügen. Dabei ist er ein schlauer Kopf, der andere Menschen für sich und seine Zwecke einzunehmen weiß.

Dass Dorian seine Verliebtheit im Angesicht seiner Freunde und des schlechten Schauspiels seiner Geliebten völlig verliert, hat etwas von großer klassischer Tragödie. Und der Freitod der verstoßenen Sybil erst recht! Diese Dialoge könnten fürś Theater geschrieben sein, ebenso wie das ganze Setting.

Sehr spannend empfinde ich die Veränderung des Bildes. Dorian bleibt jung, das Bild übernimmt die Zeichnungen seines Lebens.
[zitat]Für jede Sünde, die er beging, würde ein Makel seine Schönheit beflecken.[/zitat]
Offenbar ist D. auf dem besten Wege, dem Lord nachzueifern und ein Dandy zu werden. Seine Trauer um Sybil währt nur einen Moment, dann geht er zur Tagesordnung über. Er ist extrem beeinflussbar, hat an Harry einen Narren gefressen. Der Lord mutet sehr gefühllos an. Geschmunzelt habe ich auch hier über den Vergleich zwischen GB und F:
[zitat]Dinge dieser Art machen einen Mann in Paris zum Helden. Hier in London haben die Leute aber viel zu viele Vorurteile. Hier darf man nicht mit einem Skandal debütieren.[/zitat]

Ja, und die Frauen - die sind einfach hohl und leiden unter geistigem Stillstand. Wie müssen sich die Frauen jener Zeit gefühlt haben, wenn sie dieses Buch lasen? Gewiss ist alles sarkastisch überzogen, grundsätzlich scheint mir an dieser Denke aber etwas dran zu sein.
[zitat]Wir haben sie emanzipiert, wir haben ihnen ihre Freiheit gegeben, aber sie bleiben trotzdem Sklavinnen, die nach ihrem Gebieter Ausschau halten....[/zitat]

Im letzten Kapitel wird deutlich, dass Basil aus einem gänzlich anderen Holz geschnitzt ist als der Lord. Zum Glück scheint er sich von seiner Abhängigkeit zu Dorian etwas gelöst zu haben. Dieses Dreiergeflecht der Männer wird sicherlich weiterhin eine Hauptrolle spielen. Mal sehen, wie sich Dorian weiter entwickelt.
 
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Für mich ist es ein bisschen sehr "romantisch" und schwer nachvollziehbar, dass sich Sybil von einer überragenden zu einer grottenschlechten Schauspielerin entwickelt haben soll, nur weil sie verliebt ist. Das zeugt von einem Mangel an Professionalität, der sich mit wahrem Künstlertum nur schwer vereinbaren lässt.
Aber, wie ich sagte, es ist vermutlich ein romantischer Kunstgriff des Erzählers: Sybil ist eigentlich keine "richtig professionelle Schauspielerin", sondern kann nur deshalb so toll spielen, weil sie in einer Traumwelt lebt und die Bühnenatmosphäre für das wahre Leben hält.
 

Literaturhexle

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Aber, wie ich sagte, es ist vermutlich ein romantischer Kunstgriff des Erzählers:
So sehe ich es auch. Die ganze Handlung rund um Sybil ist nicht sehr realistisch, sondern theatralisch, tragisch und überzogen dargestellt.
Wir haben ja auch magische Elemente im Buch. Das passt doch alles in die Romantik, die Zeit der großen Gefühle - zu dieser Epoche müsste das Buch doch gehören, oder?
 
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Das passt doch alles in die Romantik, die Zeit der großen Gefühle - zu dieser Epoche müsste das Buch doch gehören, oder?
Englische Literaturgeschichte ist nicht mein Spezialgebiet ;), die Deutsche Romantik ist im Jahr 1890 längst vergangen. In England ist es das viktorianische Zeitalter, der Roman gehört/kritisiert den Ästhetizismus, eine Strömung des Fin de Siecle (die Epoche, die uns Julian Barnes nahe gelegt hat). Dargestellt wird die Dekadenz der Oberschicht, verkörpert vor allem durch Lord Henry und Dorian Gray, dessen Grausamkeit erst seinen Anfang nimmt. Man darf gespannt sein, wie sich das Bild weiterentwickeln wird. Nicht zum Guten fürchte ich...
 

Die Häsin

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Was die Charakterisierung einer Schauspielerin angeht, kann ich nicht umhin, als das Buch mit "Juliette Faustin" von Edmond de Goncourt zu vergleichen. Das entstand 1882, also wenige Jahre vor Dorian Gray, und beschreibt das Verhältnis der Schauspielerin zu ihrer Kunst als wesentlich professioneller. Die Faustin denkt über ihre Rollen und Stücke eingehend nach, probt und übt, während ich von Sybil Vane den Eindruck habe, dass sie rein instinktiv tut, was sie tun muss.
Aber man muss wohl tatsächlich davon ausgehen, dass Goncourt, als Mitglied des Kreises um Flaubert und Zola, einen wesentlich realistischeren Ansatz hat.
 
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Das zeugt von einem Mangel an Professionalität, der sich mit wahrem Künstlertum nur schwer vereinbaren lässt.
Du darfst nicht vergessen, sie war erst 17 Jahre alt. Und ich glaube nicht, dass sie jemals ernsthaften Unterricht hatte.

Was mich an diesem Buch immer wieder fasziniert, sind die vielen Gedanken und Sätze, die zum Nachdenken anregen. Einerseits sind sie in gewisser Weise böse, andererseits aber durchaus auch richtig. Beispielsweise "Und uneigennützige Menschen sind farblos. Es fehlt ihnen an Individualität." So böse dieser Satz auch sein mag, es ist etwas Wahres dran. Wenn ich nur an Andere denke, dann gehe ich sozusagen in denen auf und das eigene Ich verschwindet. Oder die Sache mit dem Trost: "Sie kommen hierher um mich zu trösten. ... Sie stellen fest, daß ich bereits getröstet bin, und regen sich darüber auf. Das nennt sich dann Anteilnahme." Wilde hat wirklich die Fähigkeit, die Finger genau auf die offene Wunde zu legen bzw. die Widersprüche, mit denen wir alle leben
Dass Dorian sich nun doch in Lord Henrys Richtung entwickelt, finde ich nicht weiter verwunderlich. Tag für Tag wird ihm erklärt, wie schön er sei, wie besonders, wie aussergewöhnlich - kein Wunder, dass man sich mit irgendwelchen Niederungen des gemeinen Lebens nicht aufhalten möchte. Hat man ja auch nicht nötig. Und so lange das Alles auch her sein mag - ich bin mir sicher, dass es auch in unserer Gesellschaft noch immer genügend Menschen gibt, die genauso denken und handeln wie Lord Henry und Dorian Gray.
 
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