2. Leseabschnitt: Kapitel 4 bis 7 (Seite 49 bis 92)

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Wir erfahren einiges über Gus' Kindheit, die ein Alptraum war, hauptsächlich wegen der Mutter (die reinste Horrorfigur!). Die Ehe seiner Eltern bestand nur aus Streit und Gewalt, bis die Mutter den Vater mit der Forke erstochen hat. Darauf verschwand sie fünfzehn Jahre hinter Gittern, währnddessen betrieb Gus den Hof selbständig (die Oma, die er sehr geliebt hat, starb kurz vor dem Vater). Am Tage ihrer Rückkehr aus dem Knast hat sich die Mutter in der Scheune erhängt. Diese Szene ist ein weiterer Alptraum. Grässlich.
Dass Gus nach alledem ziemlich menschenfeindlich geworden ist, verwundert nicht. Einen Bänker, der ihn auf dem Hof aufgesucht hat, putzt er ebenso herunter wie einen Missionar, der nach den Beerdigungsfeierlichkeiten für den Abbé erscheint. (Letzterer wird als "Bibellutscher" bezeichnet - ein Ausdruck, den ich im Leben noch nicht gehört habe!)
Auch Abel kommt. Zu ihm muss Gus nachbarschaftlich-höflich sein, aber Abel ist nicht gut auf ihn zu sprechen. Er hat herausgefunden, dass Gus ihn durch die Scheunenluke beobachtet hat, und droht ihm unverhohlen. Für die Schießerei hat er auch eine Erklärung; er habe (wegen des Nebels versehentlich) seinen Hund erschossen. Schön und gut, aber am Tage drauf wird Gus' eigener Hund am Hals verletzt, und Gus findet Spuren von nackten Füßen im Schnee - sowie auch einen Schlüsselring mit den Buchstaben VW (man denkt natürlich an einen Autoschlüssel, aber das müsste Gus doch erkennen?).
Gus ist krank geworden und behandelt seinen Husten mit Grog. Die Zigarette scheint ihm immer noch zu schmecken.
Das Ganze ist sehr geheimnisvoll; ich frage mich, ob dieser angebliche Missionar vielleicht unter falscher Flagge segelt.
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
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@Die Häsin hat den LA perfekt zusammengefasst. Ergänzen möchte ich noch einige Zitate.
Gus Mutter:
Seine Mutter hingegen sagte beim Verprügeln auch noch Dinge, die man zu einem Kind niemals sagen durfte, erst recht nicht zu seinem eigenen, Dinge, die ihn denken ließen, dass es besser wäre, wenn er in einer mit frischer Erde bedeckten Grube läge, dass dies vermutlich der beste Ort für einen wie ihn wäre. (52)
Das ist wirklich grausam, was bewegt sie dazu, sich so zu verhalten?
Fast kann man verstehen, dass er sie nicht rettet, obwohl,er noch die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Da ist gar keine Liebe in ihm zu ihr.
Witzig finde ich, wie Gus gegenüber dem Banker hart bleibt, der ist sicherlich verzweifelt. Ebenso wie die Politiker, die ihn vom Wählen überzeugen wollen.
Auch gegenüber dem „Bibellutscher“ verhält er sich extrem unfreundlich, der tat mir echt Leid.
Abels Geschichte mit dem Hund ist völlig unglaubwürdig, wer hat dann geschrieen? Da kommt sicherlich noch etwas.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Ich glaube, das mit den Erdbröckchen, die die Mutter ihm in die Grube nachgeworfen hat, ist metaphorisch gemeint. Die Mutter scheint eine Totalversagerin gewesen zu sein.
Ich habe mich gefragt, ob die Dialoge mit dem Banker und mit dem Missionar nur zitiert wurden, um zu zeigen, wie Gus auf Fremde reagiert. Zu Hause wurde er gequält, in der Schule gemobbt; man braucht sich nicht zu wundern, wenn er noch als Erwachsener jede menschliche Gesellschaft am liebsten gleich in die Flucht schlägt. (Von dem Banker war es aber auch reichlich blöd, mit rosa Schlips auf diesem Bauernhof zu erscheinen!)
 

wal.li

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Zu Hause wurde er gequält, in der Schule gemobbt;
Warum eigentlich, das habe ich noch nicht verstanden. Haben die Eltern ihn adoptiert oder hat er irgendwelche äußerliche Merkmale, die ihn zum Außenseiter werden lassen. Oder ist es die Stellung der Eltern, die auf ihn abfärbt.
 

Die Häsin

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Warum eigentlich, das habe ich noch nicht verstanden. Haben die Eltern ihn adoptiert oder hat er irgendwelche äußerliche Merkmale, die ihn zum Außenseiter werden lassen. Oder ist es die Stellung der Eltern, die auf ihn abfärbt.
Ich vermute, er hat aufgrund seines katastrophalen familiären Hintergrunds einfach ein geducktes, verdruckstes Auftreten. Kinder merken das sehr schnell, dazu muss man nicht besonders aussehen oder abgerissen angezogen. Wahrscheinlich sendet er nonverbale Signale aus, ohne es zu wollen, in der Art von "meine Eltern sind Außerirdische". :eek:
 

Literaturhexle

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Das ist wirklich grausam, was bewegt sie dazu, sich so zu verhalten?
Die Mutter ist selbst ein Opfer, das darf man nicht vergessen. Vielleicht hat sie einen Hass auf alles Männliche? Vielleicht will sie Gus büßen lassen für das, was sein Vater ihr antut? Weil sie es kann? Weil sie hier die Mächtigere ist?
Die Mutter hat Gus gehasst. Solche extremen Gefühle hatte er dem Vater gegenüber nicht. Der hat nur geschlagen, aber keinen Psychoterror betrieben.
 

Literaturhexle

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Für mich ist im Moment Abel eine verdächtige Person. Die Sache mit dem Fuchs glaube ich nicht, auch wenn die Geschichte unseren Gus stark beruhigt hat. Der Missionar hat noch ein paar Kollegen in der Gegend rumlaufen. Hat Abel vielleicht einen davon erledigt? Und ist dieser jetzt auf der Suche nach dem Kollegen?
Gus ist wirklich hartnäckig und lehnt es ab, dem Bibelmann ein warmes Plätzchen anzubieten. Kurze Zeit später hört er wieder einen Schuss... Hat Abel den Mann erschossen/in die Flucht geschlagen? Sehr spannend!

Auch die Szene im Wald. Wie ich schon im letzten LA sagte: Ich habe Angst um den Hund Mars. Die kleine Verletzung am Hals könnte eine Warnung sein. Aber von wem? Wer läuft barfüßig im Wald herum? Vielleicht auch Abel? Der klüger sein will als sein Nachbar, die Schuhe zu Hause lässt und sich fakirmäßig durch den Schnee kämpft, um Gus eins auszuwischen?

Gus hatte sich langsam in den Hof zurückgzogen und sich dann im Haus versteckt, in der absoluten Gewissheit, eine faule Frucht zu sein, die in Gewalt und Hass gezeugt worden war und noch immer am Baum hing. 54
Dieses Bild ist schockierend für einen 10-jährigen. Das hat er auch in der Schule bestätugt bekommen, wo er gemobbt wurde, weil er schwach war. Kein Wunder, dass er niemandem mehr traut und Banker, Prediger oder Bürgermeister abfahren lässt.

Dem gegenüber steht Gus´Verehrung für Abbé Pierre. Dieser scheint der einzige zu sein, dem Gus es abnimmt, dass er Gutes ohne Gegenleistung tun wollte. Hoffentlich erfahren wir dazu noch die Hintergründe. Auch mit den Indianern solidarisiert er sich.
Es war die Würde, mehr noch als der Stolz, das hatte Gus begriffen. Und die Freiheit, sie lag seiner Überzeugung nach zwischen zwei Schritten, in der Möglichkeit zu wählen, wohin man ging. 92

Man fraternisiert als Leser irgendwie mit Gus, oder? Man nimmt seine Perspektive ein, sieht die Dinge mit seinen Augen. Dem Prediger gegenüber verhält er sich wenig freundlich. Gus Gedanken sind sehr pragmatisch, aber auch kritisch reflektiert. Er lässt sich keine Bären aufbinden, hat klare Standpunkte. Seine Weisheiten gefallen mir, er wirkt überhaupt nicht einfältig oder dumm. Beispiel:
Es gibt einen Haufen Kinder, die er wohl nicht anerkannt hat, wenn ich mir all die Elenden auf dieser Erde ansehe. 86
 

Querleserin

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Man fraternisiert als Leser irgendwie mit Gus, oder? Man nimmt seine Perspektive ein, sieht die Dinge mit seinen Augen. Dem Prediger gegenüber verhält er sich wenig freundlich. Gus Gedanken sind sehr pragmatisch, aber auch kritisch reflektiert.
Da gebe ich dir Recht, doch was mich beim Banker amüsiert hat, fand ich beim Prediger nicht mehr in Ordnung. Den armen Kerl in der Kälte zu Abel zu schicken, dem er gerade selbst nicht traut. Das zeugt davon, dass er kein Menschenfreund ist. Dumm ist er definitiv nicht, das kann man auch an seinem Widerstand dem Banker und dem Prediger gegenüber erkennen, die treibt er beide in die Ecke.
 

Renie

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Dem gegenüber steht Gus´Verehrung für Abbé Pierre. Dieser scheint der einzige zu sein, dem Gus es abnimmt, dass er Gutes ohne Gegenleistung tun wollte.
Das ist mutig interpretiert. Denn ich habe nicht herausgelesen, dass Gus den Abbé verehrt. Er weiß ja selbst nicht genau, warum ihm der Tod des Abtes nahe geht. (s. S. 14)
Sein Interesse für die Beerdigung ist für mich (noch) nicht nachvollziehbar. Wenn er ihn verehren würde, müsste die Mildtätigkeit und Nächstenliebe doch zumindest im Ansatz auf ihn abfärben, oder? Der Abbé hätte sicherlich keinen leichtbekleideten Menschen in die Kälte geschickt, wenn dieser ihn um HIlfe gebeten hätte.

Seine Weisheiten gefallen mir, er wirkt überhaupt nicht einfältig oder dumm.
Erstaunlich, wie schnell man einen Menschen unterschätzt, bloß weil er introvertiert ist und ein Außenseiter ist. Mich hat seine Wortgewandheit in den Gesprächen mit dem Bibelheini und dem Banker völlig verblüfft. Bei jemandem, der sich nur mit seinem Hund unterhält, ab und zu mit dem Nachbarn und ansonsten nur seinen Gedanken nachgeht, hätte ich eher erwartet, dass er Schwierigkeiten hat, seine Gedanken in passende Worte zu fassen und weniger schlagfertig ist.
 

Renie

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Durch den Banker und den Bibelmenschen tun sich in diesem Krimi völlig neue Möglichkeiten auf. Bisher hatte Abel für mich ein finsteres Geheimnis, das Dreh- und Angelpunkt für die Handlung sein wird. Doch die beiden anderen Figuren sind auch nicht ganz koscher. Ich wittere weitere Verschwörungen :cool:
 
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Denn ich habe nicht herausgelesen, dass Gus den Abbé verehrt
Ich meine, seine Gedanken über ihn sind sehr anerkennend. Auch wenn Gus aufgrund seiner eigenen Erfahrungen kein Menschenfreund ist, kann er durchaus erkennen, dass es einige wenige gibt, die wirklich GUT sind. Der Abbe zählt m.E. dazu.

Erstaunlich, wie schnell man einen Menschen unterschätzt, bloß weil er introvertiert ist und ein Außenseiter ist
Das ist die eine Seite. Auf der anderen hat er auch keinerlei Bildung genossen (sehr kurze Schulzeit), wurde gemobbt (was der Konzentration sicher nicht gut tat) und von seinen Eltern geschlagen sowie nicht gerade in seiner eigenen Meinungsbildung gefördert. Insofern darf man über Gus und seine wohlfeilen klugen Äußerungen schon überrascht sein.
 

Die Häsin

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Das ist die eine Seite. Auf der anderen hat er auch keinerlei Bildung genossen (sehr kurze Schulzeit), wurde gemobbt (was der Konzentration sicher nicht gut tat) und von seinen Eltern geschlagen sowie nicht gerade in seiner eigenen Meinungsbildung gefördert. Insofern darf man über Gus und seine wohlfeilen klugen Äußerungen schon überrascht sein.
Es gibt in diesem Buch einiges, was für mich nicht recht zusammenpasst.
Gus ist vereinsamt und verbittert, lässt sich aber auf Dialoge ein, die auf ein gewisses Vergnügen am Wortgefecht schließen lassen.
Schlagfertig ist er auch.
Auf der anderen Seite werden - in meinen Augen - mit der Person des Bankers und des Evangelisten Feindbilder bedient, die ich ein bisschen übertrieben finde ...
 
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Auf der anderen Seite werden - in meinen Augen - mit der Person des Bankers und des Evangelisten Feindbilder bedient, die ich ein bisschen übertrieben finde ...
Das stimmt alles. Aber es stört mich nicht. In jedem Schmöker würde ich vielleicht die Krise kriegen...
Aber hier nehme ich es hin. Die Figur Gus gefällt mir. Vielleicht ist er wirklich mit überdurchschnittlichem Intellekt gesegnet. Vielleicht hat die Oma ihn mehr prägen können, als geäußert wird. Es bleiben eben Leerstellen.
 
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Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Das stimmt alles. Aber es stört mich nicht. In jedem Schmöker würde ich vielleicht die Krise kriegen...
Aber hier nehme ich es hin.
Ja, das verstehe ich.
Du hast es gut auf den Punkt gebracht. Es gibt Dinge, die im einen Buch No-Gos sind und in einem anderen Buch ein so organischer Teil des Ganzen, dass man sie einfach akzeptiert.
Ich bin da bei diesem Buch sehr hin- und hergerissen. (Ich habe es heute morgen ausgelesen, deshalb lieber später zu diesen Fragen mehr.)
 
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Wandablue

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18. September 2019
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Wir erfahren einiges über Gus' Kindheit, die ein Alptraum war, hauptsächlich wegen der Mutter (die reinste Horrorfigur!). Die Ehe seiner Eltern bestand nur aus Streit und Gewalt, bis die Mutter den Vater mit der Forke erstochen hat. Darauf verschwand sie fünfzehn Jahre hinter Gittern, währnddessen betrieb Gus den Hof selbständig (die Oma, die er sehr geliebt hat, starb kurz vor dem Vater). Am Tage ihrer Rückkehr aus dem Knast hat sich die Mutter in der Scheune erhängt. Diese Szene ist ein weiterer Alptraum. Grässlich.
Hm, ich zweifle an Gus Darstellung. Bestimmt ist er ein unzuverlässiger Erzähler. Wer weiß, ob er die Mama nicht selber aufgeknüpft hat und wer weiß, ob sie wirklich so schlimm war. Dass sie sich gewehrt hat als ihr Mann sie erneut vergewaltigen wollte, finde ich sehr richtig.

ob dieser angebliche Missionar vielleicht unter falscher Flagge segelt.
Nö, der ist harmlos.
Aber Gus ist schon sehr unfreundlich zu seinen Besuchern.

Die Mutter scheint eine Totalversagerin gewesen zu sein.
Wir wissen nichts über sie, nur das, was Gus erzählt hat. Und ich traue ihm nicht.

Die Mutter ist selbst ein Opfer, das darf man nicht vergessen.
Ebent.

Der klüger sein will als sein Nachbar, die Schuhe zu Hause lässt und sich fakirmäßig durch den Schnee kämpft, um Gus eins auszuwischen?
Nö. Abel ist harmlos.

Dem gegenüber steht Gus´Verehrung für Abbé Pierre.
Seltsam im Zeitalter des Geistlichenmobbings. Vllt stellt sich noch was anderes heraus. Kindesmissbrauch (an Abel?) oder so. Oder an Gus?