2. Leseabschnitt: Kapitel 10 bis 21 (Seite 71 bis 144)

GAIA

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2021
2.228
10.399
49
Thüringen
Es ist sicher nicht immer ganz leicht, aus dem jeweilig behandelten Abschnitt heraus zu kommentieren- aber versuchen sollte man es.
Es ist ja nicht so als ob ich gespoilert hätte. Aber mir ist aufgrund der starken Gegenreaktion zu meiner Deutung der Nutzung von "Mai" als vermeintlicher Vorname aufgefallen, dass der Eindruck bei mir sich erst im zweiten Abschnitt verfestigt hatte. Deshalb habe ich dazu auch dann im ersten Abschnitt nichts mehr geschrieben. Verwerflich wäre es gewesen, wenn ich dann an der Stelle dort geschrieben hätte: Aber später wird deutlich, dass... und dann aus dem 2. LA Beispiele bringe. Also keine Angst: Ich "versuche" das durchaus, aber manchmal entstehen einfach Eindrücke, die dann nicht einfach abzuschütteln sind.
aber emanzipiert waren sie deswegen noch lange nicht.
Habe ich nie behauptet. Es ging mir allein um die Kinderbetreuung und dass allein vor 30 Jahren noch innerhalb von Deutschland diesbezüglich Unterschiede herrschten.
Ich bin eine Wessi, aber war es wirklich eine Wahlfreiheit? War es nicht eher so, dass man schief angeschaut wurde, wenn man sein Kind zu Hause behalten hätte in den ersten Jahren, und dass es einen Zwang/ eine feste Erwartung gab, das Kind in frühe öffentliche Obhut zu geben?
Das sind jetzt die Normen, die außerhalb der rechtlichen/staatlichen Möglichkeiten bestehen. Keine Frage. Es war grundsätzlich möglich, diese Entscheidung zu treffen, auch wenn man dann mit schiefen Blicken rechnen musste. Wenn hingegen gar nicht erst ein Kindergartenplatz vor 3 Jahren möglich war und danach auch ausschließlich halbtags, ist das von den Gegebenheiten her schon eine Einschränkung der objektiven (nicht subjektiven!) Wahlmöglichkeit.
 

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
9.371
21.161
49
Brandenburg
Auch zum Aufbegehren muss man erzogen werden.
Es geht nicht darum, wie wir Mais Haltung bewerten. Wir dürfen sie ganz wie Suni und ihr Bruder bedauern, beschimpfen, wie auch immer. Davon hängt aber die Qualität des Romans nicht ab: im Gegenteil, dass er so heftige Reaktionen auf Mai hervorruft, ist eher ein Plus. Niemanden lässt dies kalt !!!
Zur Bewertung: Es gibt eben viele Arten zu leben. Man konnte auch als Sklave (in anderen Ländern) wahrscheinlich ein innerlich zufriedenes Leben haben, wenn die Bedingungen einigermassen angemessen waren - obwohl man total fremdbestimmt war. Ist das nicht wahre Freiheit, trotz äusserer Fremdbestimmtheit innerlich frei zu sein? Und das ist Mai.
Ein ganz starkes Bild ist ihr gebeugter Rücken, der in scharfem Gegensatz zu ihrem ungebeugten Willen steht.
 

Irisblatt

Bekanntes Mitglied
15. April 2022
1.284
5.353
49
53
Ihr habt bereits viel geschrieben, auf das ich vereinzelt dann noch eingehen werde.
Beachtlich finde ich, dass auf relativ wenigen Seiten auf eine beiläufige Art so viel von der Lebensweise dieser Familie, ihren kulturellen Prägungen, den Wertvorstellungen, aber auch den gesellschaftlichen Wandlungsprozessen vermittelt wird - letztere vor allem beschleunigt durch die Öffnung des indischen Marktes 1991 und durch westlich geprägte Bildungssysteme.
Die gechlechtsspezifische Erziehung setzt sich an der christliche Schule fort. Während Subodh mit Literatur vertraut gemacht wird, empfehlen die Nonnen Sunaina schmalzige, romantische Unterhaltungslektüre mit christlich-moralischem Touch. Außerdem werden die Mädchen mit Äpfeln verglichen :rolleyes:
Nur über Subhod bekam Sunaina auch Zugang zu anspruchsvoller westlicher Literatur.
Überhaupt wird im 10. Kapitel deutlich, in welcher Parallelwelt die Geschwister leben, wenn sie in der Schule sind - später dann auch an der Universität bzw. im Wohnheim. Das hat wenig mit ihrer kulturellen Lebenswelt zuhause zu tun. Es ist folgerichtig, dass sich dadurch das Frauenbild und das Rollenverständnis verändern. Das ist sogar bei Mai zu beobachten, die sehr interessiert zuhört, wenn ihre Kinder von der Welt jenseits des „Vorhangs“ erzählen. Letztendlich ermöglich sie ihrer Tochter das Wunschstudium, lässt ihren Kindern Freiraum, in dem sie sie durch die Hintertür hinaus- und wieder hineinlässt. Sie lässt sich sogar auf das ein oder andere Abenteuer außerhalb des Hauses ein (Kino usw.), macht aber gleichzeitig klar, dass sie selbst gerne den Haushalt erledigt, kocht und ihren Lebensmittelpunkt weiterhin im häuslichen Rahmen sieht.
 

Irisblatt

Bekanntes Mitglied
15. April 2022
1.284
5.353
49
53
Ich habe zunehmend das Gefühl, dass hier eine Anekdote an die nächste gereiht wird, fast so, wie wenn jemand mündlich von seinem Aufwachsen erzählt und es fällt der Person immer wieder hier und dort, zu diesem und jenem Thema etwas ein. Dann springt ja auch häufig das Ganze in der Zeit.
Das trifft es ganz gut. Die Anekdoten sind für mich passend gewählt, weil sie einen facettenreichen Einblick auf unterschiedliche Lebensbereiche ermöglichen.
Man könnte jetzt sagen, dass es ja unerheblich sei, wann diese ganzen Anekdoten geschehen in Bezug zum Alter der Erzählerin, aber für mich geht damit auch immer einher, wie belastbar die Erzählung ist. Umso weiter weg, umso verschwommener die Erinnerung, umso mehr geprägt von späteren Einstellungen. Umso frischer die Erinnerung, meist umso genauer und reflektierter i.d.R.
Ich verstehe Deine Bedenken, glaube aber nicht, dass sich das hier im Einzelnen aufdröseln lässt. Gerade in Bezug auf die "Medizin" ist interessant, dass in dieser doch recht religiösen Familie (Hindus dürfen streng genommen keinen Alkohol trinken, was faktisch trotzdem viele tun, vor allem Männer) ein Weg gefunden wurde Alkohol offen konsumieren zu können, weil er als Medizin bezeichnet wurde. Das gehört für mich in die Kategorie "Freiheiten herausnehmen", aber auf eine Art, bei der alle das Gesicht wahren können. Das gleiche gilt, wenn Mai ihre Tochter durch die Hintertür nach draußen lässt. Selbst wenn es der Vater mitbekäme, könnte er so tun als wisse er von nichts und es deshalb akzeptieren. Ist das verständlich ausgedrückt, was ich meine?
Der Roman ist aus dem Jahre 1993 und es kommt bereits berfekt erklärt, die "Blase", die "bubble" vor, in der wir heutzutage noch viel stärker jeder für sich leben. Jede und jeder denkt, man habe die Weisheit mit Löffeln gefressen.
Das finde ich unglaublich, dass die Autorin das bereits 1993 so klarsichtig formuliert.
Doch irgendwie hat es Mai geschafft, dass sich ihre Kinder einen eigenen Willen bewahrt haben und diesen auch durchsetzen wollen, komme, was wolle.
Ich sehe das weniger als Mais Verdienst, sondern dem Bildungssystem geschuldet bzw. dem Kontakt zur "Außenwelt".
Doch Mai legt ihr eigenes Tempo vor und natürlich sind ihr auch andere Sachen wichtig als S+S. Sie hält an traditionellen Grundsätzen fest, insbesondere, was das Frausein betrifft.
Zu Bedenken ist natürlich auch, dass Mai kein anderes Leben kennt. Die Außenwelt macht sie nervös und unsicher - dem möchte sie sich auch deshalb nicht aussetzten, weil es ihr Stress bereitet. Gerade nach dem Tod der Schwiegereltern hat sich ihr Leben sehr verändert, was sie - so denke ich - genießt. Sie hat seitdem mehr Kontakt zu anderen Frauen, hat weniger Arbeit, wird nicht mehr gegängelt und herumkommandiert. Diese Veränderungen haben sich aber in ihrem häuslichen Bereich vollzogen, in dem sie sich sicher fühlt. Dagegen hat sie von Alltagshandlungen draußen keine Ahnung. Für mich hat das weniger mit Festhalten an einer traditionellen Frauenrolle zu tun, sondern damit, dass sie sich ihre Freiräume lieber innerhalb der eigenen vier Wände schafft.
Vorauszusetzen, dass man besser weiß, was die andere möchte ist ganz schön vermessen und ignorant.
Ignoranz ist übrigens ein Vorwurf, den Suni ihrer Mutter macht. Wer ist hier wohl die Ignorante?
Suni jung und aus ihrer Perspektive verstehe ich, dass sie ihre Mutter "retten" möchte - es klingt zwischendurch auch bereits eine Ahnung durch, dass es vielleicht gar nichts zu retten gibt. Suni ist jung, vermessen, ignorant und dabei auch erstaunlich reflektiert, auch wenn das erst einmal ein Widerspruch zu sein scheint.
 

Irisblatt

Bekanntes Mitglied
15. April 2022
1.284
5.353
49
53
Ich kann Suni in ihren nostalgischen Momenten so gut verstehen. Auch ich kann heute noch mit geschlossenen Augen durch mein Elternhaus gehen, vom Keller bis zum Dachboden, wo Vati die Wäsche für Mutti aufhängte.
Und sogar mein Großelternhaus ist so für mich für ewig verfügbar.
Das geht mir auch so - inklusive der unterschiedlichen Gerüche im Haus.....
Die Rettung der Mutter ist einer der Albträume und Albdrücke und Schuldgefühle verursachenden Problematiken in Sunis Leben. Ein Problemkreis, von dem sie momentan noch nicht los kommt. Es ist nur natürlich, dass sie immer wieder in Schleifen darauf zurückkommt: es lässt sie nicht los. Wir werden sehen, ob die Therapie des Schreibens am Ende geholfen hat und sie Frieden findet.
Ganz spontan fällt mir hier die Episode mit der Puppe ein, die Suni näht und bei der sie daran scheitert den Kopf zu befestigen. Mir ist dabei noch nicht so ganz klar, für was dieses Bild genau steht und warum es mir gerade nach Deinem Kommentar hier eingefallen ist.
Und langweile mich kein bisschen.
Ich langweile mich auch nicht.
Auch die Hausangestellten mucken nicht auf. Jeder fügt sich in seine Rolle.
Das hängt u.a. auch mit dem zyklischen Weltbild von Tod/Wiedergeburt und Karma zusammen. Es gibt das Verständnis, dass z.B. die Geburt in eine niedere Kaste selbst verschuldet ist durch Fehlverhalten im vorangegangenen Leben. Dadurch gibt es die Tendenz, das eigene Schicksal hinzunehmen und die Hoffnung, dass es im nächsten Leben besser ist.
Vllt ist das Individuum in der indischen Gesellschaft nicht so wichtig.
Die individuellen Bedürfnisse stehen nicht an erster Stelle, sondern die Familie. In diesem Beziehungsgeflecht gibt es klare Erwartungshaltungen und die eigenen Handlungen haben immer auch Auswirkungen auf alle anderen Familienmitglieder. Wenn z.B. eine Frau mit 30 Jahren noch nicht verheiratet ist, dann kommt weniger die Frage auf, ob sie vielleicht nicht heiraten wollte oder bisher nicht den richtigen Partner gefunden hat - sondern, die Menschen fragen sich, was mit dieser Familie nicht stimmt. Irgendetwas muss faul sein und diese Denkweise bewirkt dann z.B. dass jüngere Geschwister nicht heiraten können, weil es Vorbehalte gegen die Familie gibt. Das erzeugt natürlich auch Druck und bewirkt häufig ein normenkonformes Verhalten, weil man der Familie nicht schaden möchte.
Natürlich gibt es inzwischen in Indien viel junge Leute, die ohne Einwilligung der Eltern heiraten, auch über Religionsgrenzen hinweg oder überzeugte Singles. Eltern willigen in Verbindungen ein, weil sie ihre Kinder nicht verlieren wollen und wissen, dass sie in manchen Fällen keine Chance hätten, sich durchzusetzen. Je größer die Stadt, umso anonymer das Umfeld und umso leichter lassen sich individuelle Bedürfnisse ausleben. Das ist wohl überall auf der Welt so. Da Kinder aber mit dem Bewusstsein aufwachsen, dass die Familie als Ganzes wichtiger ist als der einzelne, ist der Drang zur Selbstverwirklichung weniger ausgeprägt.
Sie ist passiv widerständig (à la Gandhi?). Sie lässt die Kinder durch die Hintertür hinaus, deckt sie, unterschreibt für das College usw.
Zumindest scheut sie bis auf wenige Situationen (Subhods Haarschnitt) den offenen Konflikt. Ihre Taktik ist eher im Hintergrund verdeckt zu agieren. Hier würden wir ihr vermutlich vorwerfen, etwas hinter dem Rücken zu tun - im indischen Kontext sehe ich es aber eher als eine erfolgreiche Form der Problemlösung, bei der alle das Gesicht wahren können.
 
Zuletzt bearbeitet:

parden

Bekanntes Mitglied
13. April 2014
5.835
7.675
49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Die Autorin wirft ganz schön viele Situationsbeispiele in den Ring. Ich habe zunehmend das Gefühl, dass hier eine Anekdote an die nächste gereiht wird (...) Das finde ich mitunter anstrengend. Aber hier greife ich mal das Bild des Kaleidoskops auf. Es ist zwar anstrengend, aber gibt doch dadurch ganz verschiedene Einblicke. Von der Kleidung, über das Fasten zum Alkohol und was weiß ich, die Obstbäume im Garten.
Das ist gut auf den Punkt gebracht, so empfinde ich es auch. Anstrengend und interessant zugleich. Zeitweise tritt bei mir aber auch das Gefühl auf, das ähnliche Aussagen in verschiedenen Kontexten immer wiederholt werden. Das ermüdet mich doch etwas...

Jemanden retten zu wollen, der nicht gerettet werden will - das Problem kristallisiert sich immer weiter heraus. Die Kinder, die meinen zu wissen, was das Beste für ihre Mutter ist. Die Mutter, die sich aber gerade nach dem Tod der Schwiegereltern gut in ihrem traditionellen Leben arrangiert hat und im Grunde ganz zufrieden wirkt. Und die ihre Demut tatsächlich zu einer Stärke entwickelt hat: mittels passivem Widerstand und ihrer Politik des sich Heraushaltens ermöglicht sie ihrer Tochter, die Freiheit zu wählen, die sie sich so ersehnt hat, und ihre eigenen Erfahrungen zu machen. Dabei stellt sich aber heraus, dass Sunaina sich über ihre eigene Rolle in der Gesellschaft keineswegs im Klaren ist. Sie will keinesfalls so werden wie ihre Mutter, die sie doch retten will. Gleichzeitig spürt sie aber deutlich das Erbe ihrer Mutter, die Tradtion, an die sie geknüpft ist, ob sie es nun will oder nicht. Spannend...
 

Anjuta

Bekanntes Mitglied
8. Januar 2016
1.635
4.771
49
62
Essen
Die Idee, Mais Leben verändern zu wollen, sie aus der täglichen Demütigung und aus dem Parda herauszuholen wird immer mehr auch Ausdruck des Problems Sunis mit ihrem eigenen Leben. Sie fühlt durchaus in sich noch die traditionelle Rolle der Frauen Indiens und dem Fallenlassen dahinein in sich immer aber verbunden mit dem Kampf gegen diese Rolle, zu dem sie eine Verpflichtung gerade ihrem Bruder gegenüber fühlt.
Ich will Mai mit einem Ruck aus mir herausreißen. Ich will diese ganze Aufopferungsgesinnung loswerden und weit von mir werfen. Sie ist durch und durch falsch, ich muss ihr ein Ende setzen.
So überzeugt das klingt und formuliert ist, so klar kommen hier aber auch die Hindernisse und Hemmungen zu diesem Handeln zum Vorschein. Und so verlässt Suni in diesem LA auch das Haus, um auf eine Schule zu gehen, aber wir lernen sie nicht wirklich als Frau außerhalb der Mauern (außerhalb des Parda?) wirklich kennen. Sie erscheint uns ausschließlich in der abgeschlossenen Welt des Haushaltes wie es auch Mai tut.
 

Irisblatt

Bekanntes Mitglied
15. April 2022
1.284
5.353
49
53
Die Idee, Mais Leben verändern zu wollen, sie aus der täglichen Demütigung und aus dem Parda herauszuholen wird immer mehr auch Ausdruck des Problems Sunis mit ihrem eigenen Leben. Sie fühlt durchaus in sich noch die traditionelle Rolle der Frauen Indiens und dem Fallenlassen dahinein in sich immer aber verbunden mit dem Kampf gegen diese Rolle, zu dem sie eine Verpflichtung gerade ihrem Bruder gegenüber fühlt.

So überzeugt das klingt und formuliert ist, so klar kommen hier aber auch die Hindernisse und Hemmungen zu diesem Handeln zum Vorschein. Und so verlässt Suni in diesem LA auch das Haus, um auf eine Schule zu gehen, aber wir lernen sie nicht wirklich als Frau außerhalb der Mauern (außerhalb des Parda?) wirklich kennen. Sie erscheint uns ausschließlich in der abgeschlossenen Welt des Haushaltes wie es auch Mai tut.
Wir lernen hier niemanden "wirklich" außerhalb kennen, weil der Fokus auf Mai liegt. Wir wissen aber, dass sowohl Subodh als auch Sunaina studieren, ausgehen, Liebesbeziehung eingehen, nicht vegetarisch leben usw.
 

luisa_loves-literature

Aktives Mitglied
9. Januar 2022
836
3.350
44
Ich habe zunehmend das Gefühl, dass hier eine Anekdote an die nächste gereiht wird, fast so, wie wenn jemand mündlich von seinem Aufwachsen erzählt und es fällt der Person immer wieder hier und dort, zu diesem und jenem Thema etwas ein. Dann springt ja auch häufig das Ganze in der Zeit. So auch hier. Manchmal kann ich gar nicht mehr einschätzen, ob das Geschilderte jetzt spielt während Sunaina und ihr Bruder noch Kinder, Jugendliche oder schon junge Erwachsene sind. Das finde ich mitunter anstrengend.
Das ist gut auf den Punkt gebracht, so empfinde ich es auch. Anstrengend und interessant zugleich. Zeitweise tritt bei mir aber auch das Gefühl auf, das ähnliche Aussagen in verschiedenen Kontexten immer wiederholt werden. Das ermüdet mich doch etwas...
Absolut. Es verhindert bei mir mittlerweile auch, dass ich mich so richtig in den Roman reinfallen lassen kann und von seinem Erzählfluss mitgerissen werde. Auch wenn die Geschichte an sich nicht stagniert, gefällt mir die ständige Betonung des Anliegens der Rettung nicht.
Denn ganz ehrlich, so langsam geht es mir auf die Nerven, dass die Erzählerin immer wieder betonen muss, dass die Mutter zu retten sei. Schon beim dritten oder vierten Mal habe ich gedacht: Ja, ich habs ja jetzt verstanden!
Ja, da tritt der Roman unfassbar auf der Stelle. Zwar kommt ein bisschen mehr Reflexion darüber, dass die Mutter vielleicht gar nicht gerettet werden kann/will hinzu, aber in jedem Kapitel dieses Thema - da fehlt mir doch die Variation.
Interessant sind für mich die Veränderungen der Kinder und von Mai, wobei diese Veränderungen in einem unterschiedlichen Tempo stattfinden.
Genau das ist auch für mich das Reizvolle an diesem Abschnitt gewesen. Die sich wandelnde Dynamik und sich verschiebende Sichtweise durch Reifen und Altern. Das ist sehr spannend und faszinierend, weil doch auch recht sanft eingeflochten, dargestellt.
Für mich hat das weniger mit Festhalten an einer traditionellen Frauenrolle zu tun, sondern damit, dass sie sich ihre Freiräume lieber innerhalb der eigenen vier Wände schafft.
Für mich auch. Das interessante ist doch, dass auch wir hier nur schwer akzeptieren können, dass Mai ihr Leben vielleicht so mag, wie es ist, sich darin wohlfühlt. Es sollte doch jeder nach seiner Fasson glücklich werden dürfen - auch wenn die Kinder hier es nicht glauben können, dass man so ein Leben mag.
Ganz spontan fällt mir hier die Episode mit der Puppe ein, die Suni näht und bei der sie daran scheitert den Kopf zu befestigen. Mir ist dabei noch nicht so ganz klar, für was dieses Bild genau steht und warum es mir gerade nach Deinem Kommentar hier eingefallen ist.
Das ist tatsächlich meiner Meinung nach die bisher wichtigste Passage im ganzen Roman, weil es eine klare Anspielung auf Identität und Identitätsbildung ist. Man kann sich neu stylen, man kann ein anderes Äußeres annehmen, aber das, was man ist (der Kopf) passt trotz allem nicht dazu. Suni ist hier einfach noch nicht fertig, wird in zwei Richtungen gezogen, die nicht zusammenpassen wollen und sie weiß nicht, wie sie sie vereinbaren soll.

Es ist so wie @parden zusammengefasst hat:
Dabei stellt sich aber heraus, dass Sunaina sich über ihre eigene Rolle in der Gesellschaft keineswegs im Klaren ist. Sie will keinesfalls so werden wie ihre Mutter, die sie doch retten will. Gleichzeitig spürt sie aber deutlich das Erbe ihrer Mutter, die Tradtion, an die sie geknüpft ist, ob sie es nun will oder nicht.
Und damit muss sie klarkommen. Das ist das, was ich mir für den letzten Abschnitt erwarte.
Wenn z.B. eine Frau mit 30 Jahren noch nicht verheiratet ist, dann kommt weniger die Frage auf, ob sie vielleicht nicht heiraten wollte oder bisher nicht den richtigen Partner gefunden hat - sondern, die Menschen fragen sich, was mit dieser Familie nicht stimmt. Irgendetwas muss faul sein und diese Denkweise bewirkt dann z.B. dass jüngere Geschwister nicht heiraten können, weil es Vorbehalte gegen die Familie gibt. Das erzeugt natürlich auch Druck und bewirkt häufig ein normenkonformes Verhalten, weil man der Familie nicht schaden möchte.
Ganz wie in Europa zu Jane Austens Zeiten - man denke an "Stolz und Vorurteil".
 
  • Like
Reaktionen: GAIA und parden

luisa_loves-literature

Aktives Mitglied
9. Januar 2022
836
3.350
44
Ich kann kaum etwas Neues ergänzen. Mir ist der Text etwas fragmentarisch, mitunter redundant - ich bekomme keinen Flow, das stört mich etwas, ist aber nicht wirklich schlimm, weil ich mich immer noch angesichts der Üppigkeit der Sprache begeistern kann und in Mai den roten Faden sehe. Es ist doch überaus spannend, wie im Grunde diese kleine gebeugte Person, die angeblich gerettet werden muss, das Denken und Fühlen und das Universum ihrer Kinder beherrscht.

Ich empfinde Mai gar nicht als sonderlich passiv, sie ist im Rahmen ihrer Möglichkeiten doch sehr aktiv, probiert neue Dinge aus und erweitert ihren Aktionsradius. Auf keinen Fall befindet sie sich in einer Lage, aus der Errettung notwendig wäre - auch wenn die Kinder sich dies immer weiter vorzumachen geneigt sind. Nur weil sie die Lebensart und Lebensentscheidungen ihrer Mutter nicht nachvollziehen können, müssen diese ja nicht falsch sein oder für Unzufriedenheit sorgen. Insofern ist der Roman eigentlich ein klassisches Lehrstück über perspektivengebundene Wahrnehmung.
 
  • Like
Reaktionen: GAIA und parden

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
9.371
21.161
49
Brandenburg
Ich kann kaum etwas Neues ergänzen. Mir ist der Text etwas fragmentarisch, mitunter redundant - ich bekomme keinen Flow, das stört mich etwas, ist aber nicht wirklich schlimm, weil ich mich immer noch angesichts der Üppigkeit der Sprache begeistern kann und in Mai den roten Faden sehe. Es ist doch überaus spannend, wie im Grunde diese kleine gebeugte Person, die angeblich gerettet werden muss, das Denken und Fühlen und das Universum ihrer Kinder beherrscht.

Ich empfinde Mai gar nicht als sonderlich passiv, sie ist im Rahmen ihrer Möglichkeiten doch sehr aktiv, probiert neue Dinge aus und erweitert ihren Aktionsradius. Auf keinen Fall befindet sie sich in einer Lage, aus der Errettung notwendig wäre - auch wenn die Kinder sich dies immer weiter vorzumachen geneigt sind. Nur weil sie die Lebensart und Lebensentscheidungen ihrer Mutter nicht nachvollziehen können, müssen diese ja nicht falsch sein oder für Unzufriedenheit sorgen. Insofern ist der Roman eigentlich ein klassisches Lehrstück über perspektivengebundene Wahrnehmung.
Mai hätte jederzeit oder sagen wir besser nach einiger Zeit - aus ihrer Rolle ausbrechen können, wenn sie es denn gewollt hätte. Denn unterschwellig ist sie die wahre Autorität im Haus.