2. Leseabschnitt: Judith

Renie

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Ich glaube, den Mann, den Judith sucht, gibt es nicht...
Judith hat das Problem, dass sie immer stark sein will. Das ist fast schon manisch bei ihr. Wenn sie sich auf einen Partner einlässt, bedeutet dies, dass sie etwas von ihrer Stärke abgeben muss. Wenn sie es zulässt, dass ein Mann sich um sie kümmert, empfindet sie dies als Schwäche. Deshalb funktioniert auch ihre "Beziehung" zu Hans (?) so hervorragend, denn hier droht keine Partnerschaft.
 

Momo

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Nun langsam hole ich auf, und lese eure Beiträge aber erst später ...

Judith hat mich ganz lange beschäftigt. EIne hochintellektuelle Persönlichkeit, die beruflich sehr weit gekommen ist, aber ewig auf Partnersuche ist. Durch Zeitungsannoncen hofft sie den richtigen Mnn für sich zu finden, doch leider zieht sie hier permanent Nieten, lediglich mit einem Partner hätte es klappen können, mit Gregor, der selbst partnerlos ist, da er von seiner Frau geschieden ist. Gregor ist deutlich älter als sie, der Altersunterschied sollte hier aber keine Rolle spielen, obwohl man Judith dabei ertappt, als sie sich ausmalt, dass Männer ab 50 im Bett nachlassen ...

Judith wird von ihm schwanger, treibt aber ab. Sie weiht Gregor erst ein, als sie das Knd abgetrieben hat. Das führte schließlich zum Abbruch dieser Beziehung, denn Gregor hätte das Kind gerne gehabt ...

Rätselhaft erscheint mir, dass eine so hochintelligente Persönlichkeit wie Judith sie ist drei Mal schon eine Schwangerschaft abgebrochen hatte, obwohl heutzutage jeder über mögliche Verhütungsmittel Bescheid weiß ...

Man hätte darüber nachdenken können, dass Judith vielleicht keine Pillen und dergleichen mag und immer sind es die Frauen, die chemich verhüten sollen. Vielleicht hat sie davor eine Aversion.

Mir kommt Judith, nicht nur sie, sehr ambivalent vor. EInerseits lehnt sie die klassiche Rolle als Frau ab, andererseits kann sie mit sich nicht ins Reine kommen als eine vollwertige Frau ohne Partnerschaft.

Ihre Ansprüche scheinen sehr hoch zu liegen, sie lassen sich beruflich leichter umsetzen als in einer menschlichen und partnerschaftlichen Beziehung. Ich bin mal gespannt, ob es hierzu eine Wende geben wird.
 
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Noch einen Gedanken zu Judith hinterhergeschoben.

Judith ist äußerlich eine wahnsinnig erfolgreiche Frau, innerlich aber tief vereinsamt. Warum schafft sie es nicht, sich mit sich als eine emanzipierte und partnerlose Frau auszusöhnen? Weil es auch die Gesellschaft ist, die einen mitprägt. Eine Frau ohne Partner wird häufig belächelt. Wir als eine Person dargestellt, die keinen abgekriegt hat. In meiner Arbeit mit psychisch kranken Menschen habe ich viele partnerlose Frauen, die von ihren Psychotherapeut*innen Druck gemacht bekommen, dass es nun an der Zeit sei, ihnen ab einem bestimmten Alter, 35 Jahre aufwärts, einen Partner zu finden. Frauen ohne Partner werden in der Psychoanalyse häufig als Frauen mit Makel bezeichnet.

Wenn die Seele mit dem Verstand nicht in EInklang ist, dann entsteht im Verhalten diese Ambivalenz, diese Diskrepanzen zwichen Innen und Außen. Jeder möchte in der Gesellschaft dazugehören, auch Intellektuell*innen, wie Judith sie ist.

Später, bei Brida, möchte ich noch ein paar Gedanken zu Judith erwähnen.
 
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Jetzt habe ich mal den Namen gegoogelt: Gregor: der Wächter, der Hüter. Das gibt vielleicht einen Hinweis dafür, was Judith sucht. Jedenfalls einen Mann, über den sie sich nicht lustig machen kann. Und das ist schwer, denn sie scheint ja hochbegabt zu sein. So schnell findet man da wohl niemand, der auf Augenhöhe ist.
Am Ende des Kapitels gibt es einen Hinweis auf ein Happy End zwischen Judith und Gregor,zumindest wird die Möglichkeit eingeräumt.

An anderer Stelle erfahren wir, wie Judith als Kind mit ihren Eltern wandern war und ihre Mutter im Stechschritt vorneweg geht, viel zu schnell für ein Kind...Judith hat nicht gelernt, auf ihre Grenzen und Bedürfnisse zu achten. Sie hat den Ehrgeiz und das übermäßige Pflichtgefühl von ihrer Mutter übernommen....vielleicht braucht sie deshalb jemand, der auf sie aufpasst??? (Achtung: Spekulation)

Judith ist eine nach außen hin stark erscheinende Frau, die früh gelernt hat Masken zur eigenen Sicherheit zu tragen und ein hohes Pflichtgefühl entwickelt hat. In der Medizin fast eine Wichtigkeit. Es ist nur schade wenn das eigene Leben leidet. Und auch ein hoher Anspruch kann etwas hinderlich sein. Schön finde ich auch die Freundschaft zwischen Paula und Judith. Schön finde ich ebenso, dass am Ende des Kapitels die Möglichkeit eines Weiterführens der Interaktion zwischen Judith und Gregor angedeutet wird.
 
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Ich finde die Figur auch sehr schlüssig dargestellt. Besonders berührt hat mich Judiths Einsamkeit, ihre Sehnsucht nach Verbundenheit. Ihre Begegnung mit Wenzel Goldfuß - eben jener, der mit Paula später eine Beziehung beginnt - wie er seine kranke Frau pflegt, offenbart ihren Wunsch nach einer solch tiefen Partnerschaft, deren Liebe auch im Ernstfall besteht.

Das habe ich ebenso empfunden! Da war die Person Judith mir ganz nah und sympathisch. Aber die harte Schale ist ja eigentlich ein Schutz. Und darunter ist sie ja auch wie jeder Andere.
 
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Zum Titel: Bei Paula hat die Liebe den Ernstfall nicht bestanden. Bei Judith gibt es keine Liebe. Geht es vielleicht um die Abwesenheit von Liebe im Ernstfall?

Es ist die Frage wie Liebe definiert wird. Man kann ja vieles lieben. Mir kommt es so vor, als ob die Beziehung zwischen Paula und Judith auch sehr tief ist.
 
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Ich habe das so verstanden, dass Judith keine Chance bei Gregor hat, da sie das gemeinsame Kind hat abtreiben lassen. ER ist derjenige, der geht, oder habe ich das missverstanden?
Sie leidet darunter und setzt sich während der Lesung bewusst neben ihn.


Für mich ist die Schwangerschaft der Ernstfall. Ist Judith wirklich bereit ihre Unabhängigkeit aufzugeben? Für eine gemeinsame Familie?

Ist das zwischen Judith und Gregor schon Liebe? Oder entwickelt diese sich erst? Aber da sie sein gehen stört und sie deswegen leidet, könnte man das denken. Hhmm.

Wenn man lange allein lebt, ist eine Veränderung sicher schwer.
 
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Literaturhexle

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Frauen ohne Partner werden in der Psychoanalyse häufig als Frauen mit Makel bezeichnet.
Das ist ja regelrecht schlimm!
In der heutigen Zeit sollte da mehr Offenheit und Toleranz bestehen.
Wenn die Seele mit dem Verstand nicht in EInklang ist, dann entsteht im Verhalten diese Ambivalenz, diese Diskrepanzen zwichen Innen und Außen.
Ich hätte es nicht so fachgerecht ausdrücken können. Ich pflege zu sagen, der Mensch muss in seiner Mitte sein. Dann ist er auch zufrieden ;)
 
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Das ist ja regelrecht schlimm!
In der heutigen Zeit sollte da mehr Offenheit und Toleranz bestehen.

Ich hätte es nicht so fachgerecht ausdrücken können. Ich pflege zu sagen, der Mensch muss in seiner Mitte sein. Dann ist er auch zufrieden ;)

Ich arbeite auch in der Psychiatrie und ich sage dazu folgendes: Psychiatrie und Psychologie steht und fällt auch immer mit den Mitarbeitenden. Oft sind es ja auch die verschiedenen Sichten der Mitarbeiter, die schlussendlich dem Patienten weiterhelfen. Und was ist ein Makel? Wichtig ist in meinen Augen nur, ob sich ein Mensch in seiner Situation wohlfühlt, und ich setzte meine Arbeitskraft ein, um ein Wohlfühlen zu erzeugen.
 

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Ist das zwischen Judith und Gregor schon Liebe? Oder entwickelt diese sich erst? Aber da sie sein gehen stört und sie deswegen leidet, könnte man das denken. Hhmm.

Wenn man lange allein lebt, ist eine Veränderung sicher schwer.

Das habe ich auch so verstanden, dass die Beziehung zwischen Judith und Gregor noch am Anfang stand. Aber er hat die Beziehung abgebrochen, als Judith ihm mit der Abtreibung gestand. Sie hätte mit dem Kind bei ihm eine Chance gehabt, wäre interessant zu beobachten, ob diese Beziehung mit Kind gepast hätte. Man weiß aber aus vielen anderen Fällen, dass ein Kind nicht immer die Beziehung der Eltern zu retten in der Lage ist.
 

Momo

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Ich arbeite auch in der Psychiatrie und ich sage dazu folgendes: Psychiatrie und Psychologie steht und fällt auch immer mit den Mitarbeitenden. Oft sind es ja auch die verschiedenen Sichten der Mitarbeiter, die schlussendlich dem Patienten weiterhelfen. Und was ist ein Makel? Wichtig ist in meinen Augen nur, ob sich ein Mensch in seiner Situation wohlfühlt, und ich setzte meine Arbeitskraft ein, um ein Wohlfühlen zu erzeugen.

Leider sind meine Erfahrungen nicht so wohlwollend. Häufig kommen die Menschen zu uns, in die psychiatrische Tagesstätte, wenn die Therapie erfolglos geblieben ist. Und in der Therapie findet eine zweipersonen face to fache Interakton statt. Dort gibt es keine weiteren Mitartbeiter*innen.
 
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Das habe ich auch so verstanden, dass die Beziehung zwischen Judith und Gregor noch am Anfang stand. Aber er hat die Beziehung abgebrochen, als Judith ihm mit der Abtreibung gestand. Sie hätte mit dem Kind bei ihm eine Chance gehabt, wäre interessant zu beobachten, ob diese Beziehung mit Kind gepast hätte. Man weiß aber aus vielen anderen Fällen, dass ein Kind nicht immer die Beziehung der Eltern zu retten in der Lage ist.

Kinder sollten niemals Beziehungen retten. Das sollten die betroffenen "Liebenden" schon selbst klären.
 

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Eine Frau ohne Partner wird häufig belächelt. Wir als eine Person dargestellt, die keinen abgekriegt hat. In meiner Arbeit mit psychisch kranken Menschen habe ich viele partnerlose Frauen, die von ihren Psychotherapeut*innen Druck gemacht bekommen,
Ja, das ist seltsam. Alleinstehende Frauen gelten immer noch als Sonderlinge. Als ob sie ein Stigma hätten, das kein Mann sie wollte. Dabei wird es oft umgekehrt sein. Dass aber selbst Psychotherapeuten in dieses Horn stoßen, spricht nicht gerade für die Profession.
 
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Ja, das ist seltsam. Alleinstehende Frauen gelten immer noch als Sonderlinge. Als ob sie ein Stigma hätten, das kein Mann sie wollte. Dabei wird es oft umgekehrt sein. Dass aber selbst Psychotherapeuten in dieses Horn stoßen, spricht nicht gerade für die Profession.

Denke an den Herrn Freud. Der hat auch heute noch Fans.:confused:

Ich sage bei uns den Patienten immer, sie sollen sich jemanden suchen, mit dem sie vom Wesen her können. Ist schwierig bei den Wartelisten, aber schlussendlich hilfreich.