2. Leseabschnitt: Judith

Renie

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2. Leseabschnitt: Judith

Der Name stammt aus dem Hebräischen (יהודית Jehudit) und bedeutet Frau von Judäa.

Im Buch Judit der Apokryphen der Bibel wird beschrieben, wie Holofernes, der oberste Hauptmann Nebukadnezars, des Königs von Assyrien, gegen die Israeliten Krieg führt. Judit, eine sehr gläubige Witwe, ruft zum Widerstand auf, obwohl sich alle anderen Völker bereits unterworfen haben. Schließlich begibt sie sich mit ihrer Magd unter dem Vorwand, die Hebräerverraten zu wollen, zu Holofernes und gewinnt so sein Vertrauen. Bei einem Fest betrinkt sich Holofernes, und Judit nutzt diese Gelegenheit und schlägt ihm mit dessen eigenen Schwert im Schlaf den Kopf ab. Den Kopf in einem Sack versteckt, flieht sie aus dem Lager der Assyrer. Durch den Tod ihres Hauptmanns führungslos, werden die Assyrer von den angreifenden Israeliten vernichtend geschlagen.

(Auszug aus Wikipedia; hier geht es zum vollständigen Artikel ...)
 
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Literaturhexle

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Judith ist eine sehr zielstrebige Person. Schon als Schülerin war sie eher vorlaut und kümmerte sich wenig um das, was andere dachten - im Unterschied zu Paula.

Sie ist Ärztin, beruflich sehr erfolgreich. Eine Pianistenkarriere schlug sie wegen Mittelmäßigkeit nicht ein. Sie hörte aber gleichzeitig völlig auf, Klavier zu spielen, obwohl sie klassische Musik liebt. Das zeugt von überdurchschnittlicher Konsequenz, wovon wir uns auch später ein Bild machen können.
Sie glaubt nicht an Schicksal: "Schicksal ist die Summe getroffener Entscheidungen."

Dennoch ist Judith privat unausgefüllt und Kundin bei verschiedenen Dating-Agenturen. Sie sehnt sich... nach was eigentlich? So richtig weiß man nicht, was für einen Mann sie sich wünscht: ein bisschen vollkommene Liebe, ein bisschen Sado-Maso, viel Unabhängigkeit...

Gregor scheint objektiv zu passen, aber sexuell ist er kein Highlight. Dann ist Judith schwanger- als letzte Chance auf einen Kinderwunsch. Ihrem Naturell entsprechend entscheidet sie allein. Es ist ja auch die dritte Abtreibung, fast schon Routine...

Auch Judith hat mich fasziniert. Die Figur ist stimmig herausgearbeitet bis ins Detail. Ich kann sie mir vorstellen, diese Erfolgsfrau, die fast alles hat und doch nicht glücklich ist.

Nun bin ich auf ihre Freundin Brida gespannt .
 

Leseglück

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Dennoch ist Judith privat unausgefüllt und Kundin bei verschiedenen Dating-Agenturen. Sie sehnt sich... nach was eigentlich?
Jetzt habe ich mal den Namen gegoogelt: Gregor: der Wächter, der Hüter. Das gibt vielleicht einen Hinweis dafür, was Judith sucht. Jedenfalls einen Mann, über den sie sich nicht lustig machen kann. Und das ist schwer, denn sie scheint ja hochbegabt zu sein. So schnell findet man da wohl niemand, der auf Augenhöhe ist.
Am Ende des Kapitels gibt es einen Hinweis auf ein Happy End zwischen Judith und Gregor,zumindest wird die Möglichkeit eingeräumt.

Es passt zum Charakter von Gregor, dass er an Judiths Entscheidung sein Kind abzutreiben schwer zu tragen hat und zunächst die Beziehung abbricht. Er hätte sich über etwas Heiles und Helles, also über ein Kind gefreut.

Der Stil des Buches gefällt mir weiter sehr gut. Die Sprache wirkt auf den ersten Blick einfach, aber ich merke, dass ich immer wieder Absätze und auch einzelne Sätze anstreiche, die bei mir nachwirken, die ich noch ein zweites Mal lese.
Gefallen hat mir z.B. die Szene, in der Judith Paula besucht und sie über Abtreibung sprechen. Hier beobachtet Judith ein Kind im Nachbarhaus das schaukelt...das Kind ist zu sehen, dann wieder nicht.

An anderer Stelle erfahren wir, wie Judith als Kind mit ihren Eltern wandern war und ihre Mutter im Stechschritt vorneweg geht, viel zu schnell für ein Kind...Judith hat nicht gelernt, auf ihre Grenzen und Bedürfnisse zu achten. Sie hat den Ehrgeiz und das übermäßige Pflichtgefühl von ihrer Mutter übernommen....vielleicht braucht sie deshalb jemand, der auf sie aufpasst??? (Achtung: Spekulation)
 

Literaturhexle

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Und das ist schwer, denn sie scheint ja hochbegabt zu sein. So schnell findet man da wohl niemand, der auf Augenhöhe ist.
Das hört man auch immer wieder in den Medien. Neulich habe ich eine Whattsapp Grafik bekommen, nach der es kluge Frauen und dumme Männer schwer haben bei der Partnersuche ;)
Es passt zum Charakter von Gregor, dass er an Judiths Entscheidung sein Kind abzutreiben schwer zu tragen hat
Er ist sehr verantwortungsbewusst und hätte sich der Situation gestellt, denke ich. Judith ist geflohen.
Die Sprache wirkt auf den ersten Blick einfach, aber ich merke, dass ich immer wieder Absätze und auch einzelne Sätze anstreiche, die bei mir nachwirken, die ich noch ein zweites Mal lese.
Ja, das ist wirklich wunderbar! Das Kind auf der Schaukel passte ideal zu Judiths Überlegungen. Die Autorin hat wirklich vieles auch zwischen die Zeilen gepackt .
vielleicht braucht sie deshalb jemand, der auf sie aufpasst??? (Achtung: Spekulation)
Das ist nicht von der Hand zu weisen, zumal ihr Körper ihr ja stressbedingt auch die Grenzen aufzeigt.
 
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Auch Judith hat mich fasziniert. Die Figur ist stimmig herausgearbeitet bis ins Detail. Ich kann sie mir vorstellen, diese Erfolgsfrau, die fast alles hat und doch nicht glücklich ist.

Ich finde die Figur auch sehr schlüssig dargestellt. Besonders berührt hat mich Judiths Einsamkeit, ihre Sehnsucht nach Verbundenheit. Ihre Begegnung mit Wenzel Goldfuß - eben jener, der mit Paula später eine Beziehung beginnt - wie er seine kranke Frau pflegt, offenbart ihren Wunsch nach einer solch tiefen Partnerschaft, deren Liebe auch im Ernstfall besteht.


Der Stil des Buches gefällt mir weiter sehr gut. Die Sprache wirkt auf den ersten Blick einfach, aber ich merke, dass ich immer wieder Absätze und auch einzelne Sätze anstreiche, die bei mir nachwirken, die ich noch ein zweites Mal lese.

Das geht mir genauso, es ist kein Roman zum Querlesen ;)

An anderer Stelle erfahren wir, wie Judith als Kind mit ihren Eltern wandern war und ihre Mutter im Stechschritt vorneweg geht, viel zu schnell für ein Kind...Judith hat nicht gelernt, auf ihre Grenzen und Bedürfnisse zu achten. Sie hat den Ehrgeiz und das übermäßige Pflichtgefühl von ihrer Mutter übernommen...

Das hat sie wahrlich und deren Perfektionismus. Sie hat keine Fürsorge kennengelernt, vielleicht von ihrem Vater, aber von ihrer Mutter nur Stärke und Härte (?) erfahren, die sie dazu bringt, ebenso hart gegenüber anderen zu sein.

"Manchmal steht sie fassungslos vor der Großzügigkeit anderer Frauen. Wie mild sie urteilen, wie sanft sie sich ihren Männern zuwenden, wie großherzig sie deren Schwächen hinnehmen und übersehen." (84)

Ob es tatsächlich ein Happy End zwischen ihr und Gregor geben kann. Die Abtreibung ist konsequent, trotzdem hätte ich ihr gewünscht, sie hätte dem Leben eine Chance gegeben.
 

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Judith und Paula sind sehr unterschiedlich in ihrem Naturell. Es ist nicht selbstverständlich, dass sie befreundet sind. Für Paula ist Judith sicherlich eine Freundin, an die man sich anlehnen kann und in deren Schatte man mitschwimmen kann. Aber Judith hätte ich zugetraut, dass sie Paula nur als Last oder Klotz am Bein empfindet, gerade als es Paula schlecht geht. Offenbar ist Judith doch nicht so hart, wie ich glaubte. Denn sie kümmert sich um Paula.
 

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Sie ist Ärztin, beruflich sehr erfolgreich. Eine Pianistenkarriere schlug sie wegen Mittelmäßigkeit nicht ein. Sie hörte aber gleichzeitig völlig auf, Klavier zu spielen, obwohl sie klassische Musik liebt. Das zeugt von überdurchschnittlicher Konsequenz,
Ich empfinde das fast als ungesunde Konsequenz. Alles, was ihre Erwartungen nicht zu 100% erfüllt, wird von Judith wegrationalisiert. Dieser Wesenszug zeigt sich auch bei Judiths Partnersuche. Datingportale sind offenbar der effizienteste Weg möglichst viele, möglichst passende Partnervorschläge zu erhalten, Beim Daten wird sich auch nicht lange mit Kennenlernen und Händchenhalten aufgehalten, weil allen Beteiligten klar ist, worauf es hinausläuft und die Uhr tickt. Gleichzeitig ist aber niemand mehr bereit, Kompromisse zu machen, weil das Angebot ja so riesiig ist. Das muss auch Gregor erleben. Gregor, der eigentlich gut zu Judith passt, hat am Ende keine Chance, und das wahrscheinlich nur, weil er anders als Hans kein „Gott“ im Bett ist.
 

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Dennoch ist Judith privat unausgefüllt und Kundin bei verschiedenen Dating-Agenturen. Sie sehnt sich... nach was eigentlich? So richtig weiß man nicht, was für einen Mann sie sich wünscht: ein bisschen vollkommene Liebe, ein bisschen Sado-Maso, viel Unabhängigkeit...
Ich glaube, den Mann, den Judith sucht, gibt es nicht...
 

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Jetzt habe ich mal den Namen gegoogelt: Gregor: der Wächter, der Hüter. Das gibt vielleicht einen Hinweis dafür, was Judith sucht. Jedenfalls einen Mann, über den sie sich nicht lustig machen kann. Und das ist schwer, denn sie scheint ja hochbegabt zu sein. So schnell findet man da wohl niemand, der auf Augenhöhe ist.
Eine interessante Beobachtung ist, dass Frauen auch heute noch nach Männern streben, die erfolgreicher sind als sie selbst. Das Problem ist, dass viele Frauen heutzutage ebenfalls Karriere machen und die Luft nach Oben dünn wird. Der Oberarzt heiratet weiterhin lieber die Krankenschwester und die Oberärztin findet keinen Mann. Das kenne ich aus dem eigenen Freundeskreis.
 

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Gefallen hat mir z.B. die Szene, in der Judith Paula besucht und sie über Abtreibung sprechen. Hier beobachtet Judith ein Kind im Nachbarhaus das schaukelt...das Kind ist zu sehen, dann wieder nicht.
Diese Bild fand ich auch subtil und wunderschön. Beide Möglichkeiten waren zu deisem Zeitpunkt noch vorhanden.
 
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Zum Titel: Bei Paula hat die Liebe den Ernstfall nicht bestanden. Bei Judith gibt es keine Liebe. Geht es vielleicht um die Abwesenheit von Liebe im Ernstfall?
 
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Ich empfinde das fast als ungesunde Konsequenz. Alles, was ihre Erwartungen nicht zu 100% erfüllt, wird von Judith wegrationalisiert.
Absolut! Gesund ist das nicht!
Das Problem ist, dass viele Frauen heutzutage ebenfalls Karriere machen und die Luft nach Oben dünn wird
Genau diese These vertrat die von mir oben erwähnte Whattsapp-Nachricht: Dadurch haben es kluge Frauen und dumme Männer schwer. Gerade weil die Männer tendenziell angehimmelt werden wollen und die Frauen einen mindestens gleich klugen Partner wünschen. An den Kanten wird die Luft dann dünn :)
 
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Geht es vielleicht um die Abwesenheit von Liebe im Ernstfall?
Im nächsten Abschnitt "Brida" taucht der Titel wörtlich auf.
Ich denke, man darf in den Titel nicht zuviel reininterpretieren. Er ist gut gewählt und unglaublich wirkungsvoll, eben weil er den tatsächlichen Inhalt offen lässt und neugierig macht.
Bei Judith keimt doch am Ende ein bisschen Hoffnung auf, dass es mit Gregor doch noch was werden könnte. Oder habe ich was falsch verstanden? Ich lese gleich nochmal nach ;)
 

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Das muss auch Gregor erleben. Gregor, der eigentlich gut zu Judith passt, hat am Ende keine Chance, und das wahrscheinlich nur, weil er anders als Hans kein „Gott“ im Bett ist.

Ich habe das so verstanden, dass Judith keine Chance bei Gregor hat, da sie das gemeinsame Kind hat abtreiben lassen. ER ist derjenige, der geht, oder habe ich das missverstanden?
Sie leidet darunter und setzt sich während der Lesung bewusst neben ihn.

Geht es vielleicht um die Abwesenheit von Liebe im Ernstfall?
Für mich ist die Schwangerschaft der Ernstfall. Ist Judith wirklich bereit ihre Unabhängigkeit aufzugeben? Für eine gemeinsame Familie?
 

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Ich habe das so verstanden, dass Judith keine Chance bei Gregor hat, da sie das gemeinsame Kind hat abtreiben lassen. ER ist derjenige, der geht, oder habe ich das missverstanden?
Sie leidet darunter und setzt sich während der Lesung bewusst neben ihn.
Ich meine, Judith hat Gregor emotional keine Chance gegeben und sich nicht wirklich auf ihn eingelassen. Sie hat nicht einmal die Abtreibung mit ihm besprochen, sondern ihn vor vollendete Tatsachen gestellt. Das ist für mich kein partnerschaftlicher Umgang. Ich kann Gregor verstehen, dass er nicht noch mehr in diese „Beziehung“ investieren wollte.
 

Literaturhexle

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Ich meine, Judith hat Gregor emotional keine Chance gegeben und sich nicht wirklich auf ihn eingelassen.
So sehe ich das auch. Von Liebe zu sprechen, ist noch zuviel. Einerseits merkt Judith, dass Gregor ihr wichtig ist, sie genießt seinen Schutz und seine Geborgenheit. "Sie schläft besser, seit sie mit Gregor zusammen ist".
Andererseits ist er nicht das, was sie sich vorstellte, insbesondere sexuell. Ihre "Konsequenz" kennen wir bereits.
Gregor spürte das schon vorher: Ficken und Kultur ist ihm zu wenig.

Ich denke auch, dass die Abtreibung einen irreversiblen Bruch darstellt - vielleicht gibt es aber doch ein bisschen Hoffnung ...
 

Renie

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Offenbar ist Judith doch nicht so hart, wie ich glaubte. Denn sie kümmert sich um Paula.
Die Freundschaft der Beiden hat ja bereits in ihrer Jugend, wenn nicht Kindheit, begonnen. Das schweißt zusammen. Ich vermute, dass Judith nicht immer so war wie sie heute ist, zumindest nicht in dieser ausgeprägten Form der Härte, die sie an den Tag legt. Ich bezweifle auch, dass Paula und Judith Freundinnen wären, wenn sie sich als Erwachsene kennengelernt hätten.