2. Leseabschnitt: Erster Teil - Kapitel 5 bis 8

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Die Schilderung des Duells hat mich wieder mit dem Roman versöhnt. Es ist einfach großartig gestaltet, wie hier buchstäblich bis zur letzten Sekunde die Illusion "alles wird gut" aufrechterhalten wird, wie Demant auch nach dem gezielten Absetzen der Brille glasklar sieht und sich vornimmt, dieses Phänomen wissenschaftlich zu untersuchen - wie gesagt, in der Minute bevor das Duell beginnt, in dem er chancenlos ist. Und dann wird, in der allerletzten Sekunde aller letzten Sekunden, der Fokus verlagert auf Carl Joseph auf dem Exerzierplatz. Das ist eine dramatische Aufgipfelung, wie ich sie sonst nur von Stefan Zweig und von Lernet-Holenia kenne. Erzählkunst vom Allerfeinsten!

Angemerkt habe ich mir die Stelle, als Demant mit der Hellsichtigkeit seiner letzten Nacht zu Carl Joseph sagt: "Du bist auch ein Enkel!"
Nachdem Carl Joseph ihm sagte: "Ich hab Angst, überall!"
Das hat er wohl auch nur zu sagen gewagt, weil Demant ein Todeskandidat war. Der Druck, der auf diesen Menschen lastet, ist maßlos. Dass so etwas nicht von Dauer sein kann, dass dieses System untergehen muss, ist klar.

Ich glaube, ich muss doch noch in diesem Jahr "Die Welt von gestern" lesen. Das schiebe ich seit Jahren vor mir her ...
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Mir gefällt der Roman auch immer besser. Man spürt die Last, die auf den Menschen liegt.
Demant und Trotta ähneln sich in vielem. Beide spüren, dass sie aus sich und ihrem Leben nicht das Beste machen. Es passiert ihnen, sie handeln kaum. Beide sind Enkel, die ihren Vorbildern, den Großvätern, nicht das Wasser reichen können. Das waren Männer, die noch wussten, weshalb sie was taten.
Trotta „ rettet“ seinen Kaiser, in dem er sein Bild aus dem Bordell entfernt. Eine lächerliche Szene im Vergleich zu der seines Großvaters.
Ich glaube, ich muss doch noch in diesem Jahr "Die Welt von gestern" lesen. Das schiebe ich seit Jahren vor mir her ...
Das denkt ich auch immer mal wieder.

Trotta passt nicht in die Armee, so wenig wie Demant. Es sind grüblerische, schwache Männer. Das Gebaren dort widert sie eher an.
Was für ein sinnloser Tod! Das denk ich jedes Mal, wenn ich von Duellen lese. Aber Roth beschreibt die Szene großartig, wie @Häsin schreibt.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Was für ein sinnloser Tod! Das denk ich jedes Mal, wenn ich von Duellen lese. Aber Roth beschreibt die Szene großartig, wie @Häsin schreibt.
Ich denke, Roth macht auch hinreichend klar, was er selbst von dem System hält. Alle sind Opfer in diesem Ehrenkodex, keiner ist Gewinner.
Interessant ist übrigens auch der Kommentar des Papas (brieflich, im nächsten LA). Für mich ist der Roman jetzt doch richtig lesenswert geworden; auch glänzend geschrieben, so dass das Lesen Freude macht trotz des traurigen Themas.
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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"Witwen gehören verbrannt!" ein Ausspruch Taittingers (Kap VII). Unglaublich! Erst diesen Skandal, dass Trotta mit Frau Demant nachts gesehen wurde, aufbauschen und wenn "Frauchen" Grund genug war, soll sie gleich mit abtreten.

Allerdings könnte ich mir sehr gut vorstellen, dass die Witwe bei Trottas Kondolenzbesuch weitergegangen wäre, wenn ihr Vater nicht aufgetaucht wäre. Wieder ein Frauenbild, welches mir ganz und gar nicht gefällt.

Sowieso, die Männer rüsten und trainieren sich für Krieg und Totschlag und erschießen sich gegenseitig für die Ehre... das ist in meinem Schädel noch nie reingegangen.

Trotta ist bei aller Uneignung und Weichheit aber auch ziemlich trottelig. Kann er nicht mal alle zur Rede stellen und die Situation aufklären?!
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Trotta ist bei aller Uneignung und Weichheit aber auch ziemlich trottelig. Kann er nicht mal alle zur Rede stellen und die Situation aufklären?!
Da gibt es nichts aufzuklären, die Umstände sind ja jedem bekannt. Was das Duell erzwungen hat, sind nicht die Umstände, sondern Tattenbachs Beleidigung, die mit den Worten "Servus Doktorleben" begann. Das ist die Karikatur einer in der jüdischen Gesellschaft üblichen Anrede. Von diesem Moment an waren die Weichen gestellt, da war nichts mehr zu machen.
Natürlich ist das Frauenbild in dieser Gesellschaft ein Problem - dass die Frau von einem Mann "heimgeführt", diesem "anvertraut" oder "übergeben" werden muss - und ebenso der Antisemitismus in der Gesellschaft. Aber wenn die Leute Zivilisten gewesen wären, hätte kein Hahn danach gekräht, man hätte einander allenfalls die Nase blutig gehauen.
Diese militärische Vorstellung von Ehre, wonach kein Leben mehr möglich ist, solange auch der Beleidiger noch lebt (siehe Effi Briest), das ist die eigentliche Ursache des Elends. Und komischerweise ist ja jedem bewusst, wie überholt und sinnlos das ist, auch in "Effi Briest" weiß es jeder und trotzdem hält man sich daran.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Wieder ein Frauenbild, welches mir ganz und gar nicht gefällt.
Vielleicht entspricht das Bild aber der Realität. Es sind in der Regel keine Liebesheiraten, viele Frauen hatte keine erfüllende und sinnvolle Aufgabe. Kein Wunder suchen manche Abwechslung bei den jungen Leutnants. ( Roth beschreibt hier keine Arbeiterfrauen und Bauersfrauen, deren Tag angefüllt war mit Plagerei und der Sorge, die Familie durchzubringen. Diese Soldatenfrauen sind finanziell versorgt, die Männer sind tagsüber und oft abends unterwegs. Womit vertreibt man sich die Zeit?
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Diese Soldatenfrauen sind finanziell versorgt, die Männer sind tagsüber und oft abends unterwegs. Womit vertreibt man sich die Zeit?
Kennst du Buddenbrooks? Da gibt es eine Stelle, wo sich die Bürgersfrau Tony bei ihrem Mann - ich glaube, es ist ihr erster, Bendix Grünlich oder so ähnlich - beschwert, sie habe zuviel zu tun, um sich um das gemeinsame Kind zu kümmern, sie brauche eine Kinderfrau. Zu diesem Zeitpunkt sind im Haushalt, wenn ich es richtig behalten habe, eine Köchin und ein "Folgmädchen" zum Servieren und für die leichteren Putzarbeiten. Man kann wohl annehmen, dass es für die groben Arbeiten wie Scheuern usw. noch eine Zugehfrau gibt, Wäsche wird aus dem Haus gegeben, und trotzdem hat Tony zuviel zu tun. Sie erklärt auch, warum - und es klingt durchaus glaubhaft. Schon mit dem Arrangement dieses gemeinsamen Frühstücks, wie es im Buch beschrieben wird, hätte ich ewig zu tun. "Du isst schon am Morgen Koteletts", hält sie ihrem Mann vor. Das macht natürlich Arbeit (abgesehen davon, dass mir schon bei der Vorstellung übel wird ...).

ps. Ich habe übrigens inzwischen mal nachgesehen, was ein Folgmädchen ist. Es ist ein Dienstbote für alles, der einfach "zu folgen" hat, also zu tun hat, was die Herrin anordnet. In der Rangordnung steht das Folgmädchen unterhalb der Köchin.
 
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RuLeka

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30. Januar 2018
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Kennst du Buddenbrooks? Da gibt es eine Stelle, wo sich die Bürgersfrau Tony bei ihrem Mann - ich glaube, es ist ihr erster, Bendix Grünlich oder so ähnlich - beschwert, sie habe zuviel zu tun, um sich um das gemeinsame Kind zu kümmern, sie brauche eine Kinderfrau. Zu diesem Zeitpunkt sind im Haushalt, wenn ich es richtig behalten habe, eine Köchin und ein "Folgmädchen" zum Servieren und für die leichteren Putzarbeiten. Man kann wohl annehmen, dass es für die groben Arbeiten wie Scheuern usw. noch eine Zugehfrau gibt, Wäsche wird aus dem Haus gegeben, und trotzdem hat Tony zuviel zu tun. Sie erklärt auch, warum - und es klingt durchaus glaubhaft. Schon mit dem Arrangement dieses gemeinsamen Frühstücks, wie es im Buch beschrieben wird, hätte ich ewig zu tun. "Du isst schon am Morgen Koteletts", hält sie ihrem Mann vor. Das macht natürlich Arbeit (abgesehen davon, dass mir schon bei der Vorstellung übel wird ...).

ps. Ich habe übrigens inzwischen mal nachgesehen, was ein Folgmädchen ist. Es ist ein Dienstbote für alles, der einfach "zu folgen" hat, also zu tun hat, was die Herrin anordnet. In der Rangordnung steht das Folgmädchen unterhalb der Köchin.
Tony und ihr Mann sind schon speziell.
 
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Emswashed

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9. Mai 2020
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Da gibt es nichts aufzuklären, die Umstände sind ja jedem bekannt.

Wurde dem vermeintlichen Paar nicht Fremdgehen unterstellt? Oder war der in aller Unschuld vollzogene Spaziergang schon unanständig genug?
Das ist die Karikatur einer in der jüdischen Gesellschaft üblichen Anrede.

Das! ist mir allerdings entgangen. Dann gehts wohl nicht so sehr um die Frau, sondern um Antisemitismus. Allerdings verstehe ich Trottas Selbstbeschuldigung dann nur insoweit, dass er einen unerheblichen Anlass für diese Beleidigung gegeben hat.

Andererseits, hat nicht Tattenbach Demant zum Duell gefordert? Hätte es dann nicht genau umgekehrt sein müssen?

Bestimmt habe ich auch da wieder was missverstanden (so wie ich im ersten Abschnitt eine ganze Generation überlas) und ich gebe Roth zum Teil die Schuld;).
Kaum ist man ganz bei einer Person, wird ruckzug ein Sidestep zum Großvater, Diener, oder sonstwen getan.... aber ich mags, weil es ein lebendiges Bild erzeugt. Roth lässt sich Zeit mit seinen (männlichen) Figuren.