2. Leseabschnitt: Erster Teil, Kapitel 10 bis 18 (Ende Erster Teil)

Literaturhexle

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2. April 2017
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Archer ist fasziniert von Kusine Ellen. Sie entspricht so gar nicht der strengen NY Etikette. Ihm fällt der Gegensatz zwischen ihr und seiner Verlobten May auf. "Anständige" Frauen dürfen keine Meinung haben, sie sind Anhängsel ihres Ehemannes. Archer befürchtet, dass ihm das zu wenig werden könnte. Wie um seine Zweifel zu ertränken, kämpft er darum, dass seine Hochzeit nicht erst im nächsten Jahr stattfindet, sondern viel früher.
"Während er sich ihrer Tür näherte, wurde er sich erneut bewusst, wie sonderbar sie (Ellen) seine Wertvorstellungen umkrempelte." (S. 107)

Wie viele Söhne aus besserem Hause ist Archer in einer Rechtsanwaltskanzlei tätig. ("Es ließ sich doch niemand von ihrer vorgespielten beruflichen Betriebsamkeit täuschen:)." (128) Im Auftrag der Familie der Gräfin soll er auf Ellen einwirken, dass sie von einer Scheidung, die ihr so viel bedeuten würde, Abstand nimmt. Ziemlich drastisch macht er ihr klar, dass sie nicht nur Einfluss auf ihr eigenes Leben nähme, sondern auch auf das ihrer Angehörigen. Im Rahmen der Scheidungsauseinandersetzung könnten unangenehme Dinge ans Licht kommen (Archer hat ja gehört, dass Ellen mit einem anderen Mann durchgebrannt sei, darauf bezieht sich wohl auch der Graf in einem Brief). Mit einer Schlammschlacht könne niemand etwas gewinnen.
Obwohl Ellen die Vergangenheit auslöschen und wieder frei sein möchte, fügt sie sich nach dem Gespräch mit Archer dem Familienwunsch und lässt von der Scheidung ab. Archer bringt das viel Wohlwollen ein. Dennoch ist ihm die Tragik durchaus bewusst, auch spürt er, dass Ellen in tiefster Seele unglücklich ist.
"Das Individuum wird in solchen Fällen fast immer dem kollektiven Interesse geopfert..." (115)

Ellen wird von vielen Menschen geschätzt, auch von ihren künstlerisch veranlagten Nachbarn. Allerdings steigen ihr auch Verehrer nach, allen voran der schmierige und verheiratete Beaufort. Vor ihm läuft sie davon, fühlt sich offenbar bedrängt. Archer kann seine Eifersucht nicht recht bezwingen und deutet ihre Gefühle für diesen Mann falsch. Jener will ihr ein anderes Haus vermitteln. Warum? Will er sie in einen Käfig sperren?

May ist mit ihren Eltern nach St. Augustine aufgebrochen. Obwohl es sich nicht gehört, besucht Archer sie dort und drängt erneut auf eine schnelle Heirat. May reagiert überraschend weitsichtig und vermutet eine andere Frau (allerdings liegt sie bei der Person völlig daneben) dahinter: "Ist es ...., weil du dir deiner Zuneigung nicht sicher bist?" (150)
Archer erkennt ganz neue Züge an May, die doch nicht so naiv zu sein scheint, wie er dachte, allerdings scheint ihre Weitsicht nur kurz: ... "und er erkannte, dass sie nur für andere mutig und entschlossen war, nicht für sich selbst."(153)

Wieder daheim schaltet er die Familienoberin, Mrs Manson Mingott, in seine Heiratspläne ein. Jene will Ellen wieder mit dem Grafen zusammenbringen, weil es ihr dort materiell an nichts fehlte. Paradoxerweise soll Archer sich auch dafür verwenden. Für Ellen kommt das gar nicht in Frage. (Hoffentlich geht sie am Ende des Romans nocht doch zu ihm zurück...:eek:)

Archer und Ellen fühlen sich zueinander hingezogen. An einem Abend in ihrem Hause kommt es zum Geständnis und ersten Zärtlichkeiten. Er würde sie heiraten wollen, wenn das möglich wäre (Maulheld?!?). Sie hat letztlich für ihn auf die Scheidung verzichtet! Ein Dilemma.
Das Stelldichein wird nicht nur von Gewissensbissen gestört, sondern auch von einem Telegramm: Mays Eltern haben einer früheren Hochzeit vor Ostern, also bereits in 4 Wochen, zugestimmt! Ende des ersten Teils.

Nach wie vor bildet der Roman die gehobene NY Gesellschaft in ihren Widersprüchen, Grenzen und Dekadenz ab. Für eine geschiedene Frau scheint das Leben "vorbei" zu sein. Es gibt keinen Weg zurück in die richtige, ordentliche Gesellschaft. Es wird deutlich, dass Archer mit diesem ungerechten System, das die Männer eindeutig bevorzugt, hadert. Bisher spricht er diese "revolutionären" Gedanken aber nicht aus, sondern denkt sie nur. Ich kann Archer noch nicht einschätzen. Er ist ein verwöhntes Jungchen und musste noch nie Verantwortung übernehmen. Ich traue ihm kein Rückgrat zu.
 
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Sie entspricht so gar nicht der strengen NY Etikette. Ihm fällt der Gegensatz zwischen ihr und seiner Verlobten May auf.

Ich denke auch, dass er von ihr vor allem fasziniert ist, weil sie anders ist. Der Reiz des Fremden eben.

Wie um seine Zweifel zu ertränken, kämpft er darum, dass seine Hochzeit nicht erst im nächsten Jahr stattfindet, sondern viel früher.

Ich fand es beeindruckend, dass May das durchschaut und auch angesprochen hat. Newman wollte sich wohl tatsächlich so schnell wie möglich binden, um sich selbst zu beweisen, dass er an Ellen nicht interessiert ist. Was für ein Selbstbetrüger!

Wie viele Söhne aus besserem Hause ist Archer in einer Rechtsanwaltskanzlei tätig. ("Es ließ sich doch niemand von ihrer vorgespielten beruflichen Betriebsamkeit täuschen:)." (128)

Hier musste ich herzhaft lachen. Die Bürschen aus der besseren Gesellschaft haben einen Alibijob, damit sie sich wichtig fühlen und anderen ihre angebliche Wichtigkeit vorspiegeln können. Bei einigen meiner Kollegen habe manchmal einen ähnlichen Eindruck. ;)

Allerdings steigen ihr auch Verehrer nach, allen voran der schmierige und verheiratete Beaufort. Vor ihm läuft sie davon, fühlt sich offenbar bedrängt.

Dieser Beaufort ist mir total unsympatisch. Für ihn steht Ellen schon jetzt, als getrennt lebende Frau, nicht auf derselben gesellschaftlichen Ebene. Er will garantiert auf eine Affäre hinaus. Ellen weiß wahrscheinlich, dass sie dann so gut wie gefallen ist.

Archer und Ellen fühlen sich zueinander hingezogen. An einem Abend in ihrem Hause kommt es zum Geständnis und ersten Zärtlichkeiten. Er würde sie heiraten wollen, wenn das möglich wäre (Maulheld?!?). Sie hat letztlich für ihn auf die Scheidung verzichtet! Ein Dilemma.
Das Stelldichein wird nicht nur von Gewissensbissen gestört, sondern auch von einem Telegramm: Mays Eltern haben einer früheren Hochzeit vor Ostern, also bereits in 4 Wochen, zugestimmt! Ende des ersten Teils.

Tolles Zwischenfinale. Jetzt ist der Schlammassel perfekt.
 
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Yolande

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13. Februar 2020
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Das Buch gefällt mir immer noch sehr gut. Der gute Newland ist hin-und hergerissen zwischen seiner lieben May und der "aufregenden", weil völlig anderen Ellen.
Der Reiz des Fremden eben.
Genau, sie fällt total aus dem üblichen Rahmen. Ich glaube, Newland ist von sich als fortschrittlichem und modernem Mann sehr überzeugt. Schließlich fordert er ja, zumindest als Lippenbekenntnis, die gleiche Freiheit für Frauen wie sie für Männer selbstverständlich sind. Nur denke ich, dass er immer noch sehr in seinem alten Leben haftet. Wenn er sich wirklich auf die skandalöse Beziehung mit der bis dahin geschiedenen (shocking!!) Ellen einlässt, befürchte ich, dass er es bald satt haben und sich nach seinem alten Leben zurücksehnen wird.
 

Yolande

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13. Februar 2020
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Dieser Beaufort ist mir total unsympatisch. Für ihn steht Ellen schon jetzt, als getrennt lebende Frau, nicht auf derselben gesellschaftlichen Ebene. Er will garantiert auf eine Affäre hinaus. Ellen weiß wahrscheinlich, dass sie dann so gut wie gefallen ist.
Ein echter Widerling. Wahrscheinlich denkt er, dass er Ellen noch einen Gefallen tut.