2. Leseabschnitt: Drittes bis Viertes Kapitel (S. 60 bis 120)

Querleserin

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@Literaturhexles Wunsch keine weiteren amourösen Abenteuer des jungen Thomas zu erfahren, geht nicht in Erfüllung. Im Gegenteil, er sammelt einige Erfahrungen, bevor er sich entschließt, Katja Pringsheim zu ehelichen.
Der Reihe nach:
Seinen Job in der Feuerversicherung ist er schnell los, da er Novellen schreibt, statt seine Arbeit zu erledigen. Doch der Erfolg gibt ihm Recht, diese werden veröffentlicht und endlich erhält er die ersehnte Anerkennung seines Bruders.
Gemeinsam reisen sie nach Italien, um dort zu schreiben. Nicht nur Thomas wird von erotischen Fantasien heimgesucht, auch Heinrich träumt, allerdings von vollbusigen Frauen. Beruhigt es Thomas?
Zwei Szenen fand ich sehr interessant: Das Gespräch über Politik, in dem Heinrichs antipreussische Haltung deutlich wird. (Hatte das Vergnügen in der Schule „Der Untertan“ besprechen zu müssen ;) )
Die Entstehung der „Buddenbrooks“, in der die Parallelen zur Familie Mann offen gelegt werden und die aufgrund ihrer Offensichtlichkeit zu einem Skandal geführt haben. Ein Roman sollte sich nicht so mit dem Privatleben befassen, meint sein Bruder Heinrich.
Auch Thomas Mann Arbeitsdisziplin wird beschrieben:
Er legte die Regel fest, dass er, wenn er eine halbe Stunde lang geschrieben hatte, sich für zehn Minuten auf das schmale Bett legen durfte. Tag für Tag machte er sich gleich nach dem Aufwachen an die Arbeit. (72)
Er lernt Paul Ehrenberger kennen, einen Künstler, in den er sich verliebt, und wird endlich Teil der Münchner Boheme.
In der Oper beobachtet er die Geschwister Pringsheim, die Modell für ein Gemälde gestanden haben, dessen Reproduktion Thomas in seinem Lübecker Zimmer hängen hatte - als Beispiel für die Sorte Mensch, mit der er später verkehren wollte. Obwohl er sich offenkundig in Klaus Pringsheim, den Zwillingsbruder Katia verliebt, heiratet er sie.
Die Familie Pringsheim ist unglaublich reich, sie sind assimilierte Juden, die zum Protestantismus konvertiert sind.
Die Entscheidung, Katia einen Heiratsantrag zu machen, fällt nach einem Besuch seines ehemaligen Vorgesetzten bei der Feuerversicherung, der ihn verführt. Thomas will kein Mann werden, der den Ruf hat, dass man ihm „nächtens einen diskreten Besuch abstatten konnte“ (90). Er will Teil der bürgerlichen Gesellschaft werden und das geht nur über eine Ehefrau.
Wie schon bei den „Buddenbrooks“ inspiriert Thomas die besondere Beziehung zwischen Klaus und Katia für eine Novelle aus, und bedient sich dabei auch bei Wagners Wallküre. Alfred Pringsheim verhindert jedoch eine Veröffentlichung, wohingegen der Rest der Familie eher entzückt ist. (Sie ist erst 1921 veröffentlicht worden).
Während Thomas glücklich zu sein scheint, wenn auch als Vater von inzwischen drei Kindern gestresst, geht seinen Schwestern schlechter. Lula lebt in einer unglücklichen Ehe und Carla nimmt sich das Leben. Vor ihrem Tod gesteht sie ihm
Ich wünsche mir Erfolg auf der Bühne und alles, was an Reisen und Aufregung dazugehört. Und ich wünsche mir eine Familie und das dazugehörige ruhige Leben. Und ich kann nicht beides haben. Du hingegen wünschst dir nur das, was du hast. Da bist du der Einzige von uns.“ (115)
 

Literaturhexle

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Hm, ob die ganzen amourösen Verwirrungen wirklich so stattgefunden haben? Sind solche privaten Ereignisse irgendwo niedergelegt? Manches mag in Briefen geschrieben stehen, in Tagebüchern? Mich hat das ganze voreheliche Gebahren jetzt wirklich nicht so interessiert. Auch dass der Kollege von der Feuerversicherung kommt, um sich zu offenbaren und Thomas zu verführen... seltsam - aber natürlich nicht unmöglich.

Eine Frage, die mich beschäftigt: Warum hat Katia Pringsheim, eine Frau aus bester Familie, Thomas Mann geheiratet, über den zumindest Gerüchte in Bezug auf seine Knabenliebe im Umlauf sein müssten oder aber ihr Bruder Klaus sie weitergetragen haben müsste... Er würde doch seine Schwester nicht ins offene Messer laufen lassen?
Katia ist eine beeindruckende Frau, die genau zu wissen scheint, was sie will. Die Kinderschar beweist, dass Thomas Mann durchaus auch heterosexuelle Empfindungen haben muss. Es ist zumindest fair, dass der Autor das auch in der Hochzeitsnacht deutlich macht.

Die Mutter Julia lädt zweifelhafte Herren in den Salon. Die Brüder machen sich Sorgen um den Ruf der Schwestern. Eine Ehe scheint definitiv die einzige Versorgungsmögichkeit für eine Frau zu sein. Insofern ist Familie Pringsheim weit fortschrittlicher, Katia ist eine der ersten Frauen, die in München studieren durfte (angesichts der Großmutter Hedwig Dohm auch wieder kein Wunder;)). Lulu heiratet den Bankdirektor Löhr, der sich recht peinlich bei der Verlobungsfeier seines Schwagers aufführt. Er ist auf alle Fälle sozialneidisch und vielleicht auch ein Antisemit, ich sehe Ansätze dazu. Die Mann-Brüder stehen der Verbindung kritisch gegenüber.

Carlas Tod ist tragisch. Ich bin gespannt, wie Julia darauf reagieren wird. Sie hat sich in Polling ja gerade wieder gefangen und eingelebt. Sie kann Gäste empfangen und wird mit "Frau Senatorin" angesprochen, eine Rolle, die ihr gefällt.

Ich lese den Roman weiterhin gern. Allerdings stören mich tatsächlich diese ständigen homosexuellen Anspielungen. Sie scheinen mir sehr stark hinein interpretiert zu sein vom Autor. Da würde mich nach wie vor die Quellenlage interessieren.
 

Querleserin

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Sie scheinen mir sehr stark hinein interpretiert zu sein vom Autor.
Ein Rezensent der Süddeutschen Zeitung meinte, der Autor habe den Aspekt der Homosexualität deshalb so stark in den Vordergrund gerückt, weil er selbst homosexuell ist. Wenn man allerdings „Tod in Venedig“ liest und davon ausgeht, dass ein autobiografischer Aspekt mit hinein spielt, dann hatte Thomas Mann durchaus homosexuelle Neigungen. Das hat er auch in Briefen und in seinem Tagebuch angedeutet. Ein interessanter Link dazu:
https://www.queer.de/detail.php?article_id=36507
 

Literaturhexle

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Das hat er auch in Briefen und in seinem Tagebuch angedeutet. Ein interessanter Link dazu:
https://www.queer.de/detail.php?
Danke dir!
Vielleicht ist jetzt in unserer aufgeklärten Welt der Zeitpunkt gekommen, auch über so etwas zu sprechen. Allerdings ist mir persönlich die sexuelle Orientierung einzelner Menschen relativ egal und ich möchte mich nicht übermäßig damit beschäftigen. Warten wir mal ab:)
 

Circlestones Books Blog

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Danke dir!
Vielleicht ist jetzt in unserer aufgeklärten Welt der Zeitpunkt gekommen, auch über so etwas zu sprechen. Allerdings ist mir persönlich die sexuelle Orientierung einzelner Menschen relativ egal und ich möchte mich nicht übermäßig damit beschäftigen. Warten wir mal ab:)
Ich sehe das genau so. Auch mir waren die sexuellen Vorlieben, wie auch die Religion der Menschen, die ich in meinem Leben getroffen habe, völlig egal, ich mochte sie einfach, oder aber weniger. Woher sie kamen, interessierte mich, weil es interessant war, aber Sexualität und Religion sind für mich Privatsache. Wer wäre denn jemals auf die Idee gekommen, hetero-Freundinnen und Freunde beim Kaffeeplausch zu fragen, ob, mit wem, wann, ;-) usw. sie ihre Nächte verbringen? Es geht doch um den Menschen und um unsere bunte, interesante Vielfalt.
 

Wandablue

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Ich sehe das genau so. Auch mir waren die sexuellen Vorlieben, wie auch die Religion der Menschen, die ich in meinem Leben getroffen habe, völlig egal, ich mochte sie einfach, oder aber weniger. Woher sie kamen, interessierte mich, weil es interessant war, aber Sexualität und Religion sind für mich Privatsache. Wer wäre denn jemals auf die Idee gekommen, hetero-Freundinnen und Freunde beim Kaffeeplausch zu fragen, ob, mit wem, wann, ;-) usw. sie ihre Nächte verbringen? Es geht doch um den Menschen und um unsere bunte, interesante Vielfalt.
Guck dir die ganzen Boulevardblätter an, die entspr Magazine im TV. Was interessiert mehr als wer gerade mit wem und wie lange und warum?
Das ist heute kein Deut anders als damals. Nur die Bewertung ist anders.
 

Wandablue

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Mich erstaunt, wie früh die Buddenbrooks erschienen sind und geschrieben worden sind und wie schnell Thomas Mann Anerkennung und Erfolg hatte, auch finanziell. Er kaufte sich ein Haus in Tölz. Na ja, obwohl. Die Familie im Hintergrund!

Eine reiche und noch dazu gescheite Frau zu heiraten war ein Geniestreich. Es war bestimmt nicht so leicht, wie Toibin das darstellt: nämlich gar nicht. Beinahe möchte ich hier kritisieren. Als ob sie ihm wie eine reife Frucht in den Schoß gefallen wäre.
Dafür nehmen die homosexuellen Bedürfnisse und Geschehnisse/Gedanken wieder großen Raum ein.

Die Pringsheimser bezahlen eine reichlich und großzügige Wohnung. Und richten sie komplett ein. (Erinnert an TVSerien, die "armen Leuten" das Haus sanieren). Gut, dass Thomas so oft umgezogen ist, so konnte er seinen eigenen Geschmack entwickeln. Jedenfalls, so oder so, über Geld muss sich Thomas keine Gedanken machen. Es lebt sich so viel entspannter. und schreibt sich auch viel besser.

Ob er die Buddenbrooks wirklich so nebenbei geschrieben hat wie der Autor es erscheinen läßt?

Aber was mich interessiert, ist, wie Thomas als Vater war. Schließlich haben seine Kinder der Reihe nach Selbstmord begangen. Das muss ja eine Ursache haben. Und nach Freud, liegt sie in der Kindheit. Oder nach den anderen Analytikern alle.

Manche Ereignisse bekommen nur einen Halbsatz, zum Beispiel das Familienleben von Lulu - in einem Halbsatz werden ihre Kinder geboren und recht groß - anderes wird ausgelatscht, mit Gedichten bedacht. Der Besuch seines Arbeitskollegen... !

Auch Thomas Charakter kommt immer mal wieder nur in einem Satz zum Vorschein, und zwar unverhofft ohne Vorbereitung "weil es ihm am liebsten war, wenn alle ihm zu Füßen lagen". An dieses Sprunghafte muss ich mich doch sehr gewöhnen.

Andererseits hat Toibin ja auch eine gewaltige Aufgabe. Wie soll er ein solches Leben, das umtriebig und inhaltsschwer war, in einen, zwar dickeren, aber nicht fetten, Roman pressen. Er macht das im Prinzip gut. Der Roman ist sozusagen ein Schnelldurchlauf durch Thomas Manns Leben.

Schönster Satz: "Wer zu viel über Geld nachdenkt, ist arm".

Tragisch: Der erste Selbstmord in der Familie. Und er wird nicht der letzte sein.
 

Wandablue

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Eine Auswirkung hat dieses Buch schon jetzt auf mich: ich habe die Buddenbrooks aus meinem Klassiker-Regal geholt und für das nochmalige Lesen in absehbarer Zeit bereitgelegt und den Zauberberg gekauft, den ich bisher nicht lesen wollte.
Das ist ja ein sehr erfreuliches Ergebnis. ich möchte unbedingt Josef und seine Brüder lesen, habe aber bisher noch kein annehmbares Exemplar gefunden.
 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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Beinahe möchte ich hier kritisieren. Als ob sie ihm wie eine reife Frucht in den Schoß gefallen wäre.
Dafür nehmen die homosexuellen Bedürfnisse und Geschehnisse/Gedanken wieder großen Raum ein.
Ja, Wanda, das hätte mich auch interessiert: Warum so eine gescheite, selbständige Frau einen relativ mittellosen Schriftsteller wie Thomas heiratet.

Der Roman ist sozusagen ein Schnelldurchlauf durch Thomas Manns Leben.
Wahrscheinlich gibt es schon 20 Biografien. Wenn man dann erneut zur Feder greift, muss man einen neuen Fokus wählen und es könnte sein, dass Toibin sich eben für die unterdrückte Homosexualität entschieden hat, die möglicherweise bei anderen Schreibern eher im Hintergrund blieb.
 

Wandablue

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Wahrscheinlich gibt es schon 20 Biografien. Wenn man dann erneut zur Feder greift, muss man einen neuen Fokus wählen und es könnte sein, dass Toibin sich eben für die unterdrückte Homosexualität entschieden hat, die möglicherweise bei anderen Schreibern eher im Hintergrund blieb.
Denkbar. Ich bin auch keineswegs unzufrieden! Ich habe keine Biogr von einem Mann gelesen weder vom Heini noch vom Klaus vom Golo oder vom Thomas. Von daher ist vieles tolle Info. Aber ich guck natürlich trotzdem mit dem Auge eine Lit.kritikers. ( :D).
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Ob er die Buddenbrooks wirklich so nebenbei geschrieben hat wie der Autor es erscheinen läßt?
Die Arbeitsweise Manns wird angedeutet, er hat sehr diszipliniert Schreibzeiten eingehalten.
Er legte die Regel fest, dass er, wenn er eine halbe Stunde lang geschrieben hatte, sich für zehn Minuten auf das schmale Bett legen durfte. Tag für Tag machte er sich gleich nach dem Aufwachen an die Arbeit. (72)
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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In der Oper beobachtet er die Geschwister Pringsheim, die Modell für ein Gemälde gestanden haben, dessen Reproduktion Thomas in seinem Lübecker Zimmer hängen hatte
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Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Das ist ja ein sehr erfreuliches Ergebnis. ich möchte unbedingt Josef und seine Brüder lesen, habe aber bisher noch kein annehmbares Exemplar gefunden.
Ich habe mir eines aus einem Antiquariat mitgenommen, ich glaube, das war in Wiesbaden. Es sind vier Einzelbände. Aber ich glaube, das ist nicht leicht zu lesen. In diesem Jahr nicht mehr.

ps. Bei "Er hat uns verraten, wie die Bibel ausgeht, da war die ganze Spannung im Eimer" habe ich schallend losgelacht.
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Ob er die Buddenbrooks wirklich so nebenbei geschrieben hat wie der Autor es erscheinen läßt?

Die Arbeitsweise Manns wird angedeutet, er hat sehr diszipliniert Schreibzeiten eingehalten.

Mich interessiert sein literarisches Schaffen auch sehr. Es taucht in diesem Roman auf, aber für meinen Geschmack dürfte das durchaus ausführlicher behandelt werden. Beim Lesen war mir nicht neu, dass er die „Buddenbrooks“ früh geschrieben hat. Aber in einem solch jungen Alter schon ein solches Werk, das hätte man ruhig mehr würdigen können.