2. Leseabschnitt: Die zweiten 6 Kapitel (Seite 34 bis 67)

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.473
50.026
49
Wir diskutieren über die zweite Hälfte der Erzählung. Das siebte Kapitel heißt "Die Schildkröte".
 

Anjuta

Bekanntes Mitglied
8. Januar 2016
1.639
4.795
49
62
Essen
Babette und die zwei Schwestern leben jahrelang in häuslicher Gemeinschaft. Von der Autorin erfahren wir sehr wenig über die Art dieses Zusammenlebens und die Gefühlswelt insbesondere der Titelfigur Babette. Immerhin ist sie ein Flüchtling, hat ihr gesamtes Leben in Paris hinter sich gelassen und lebt nun gleichsam im Anti-Paris. Denn von nichts, was ihr Leben dort ausgemacht hat, findet sie hier im Norden Norwegens auch nur ansatzweise eine Spur. Keine politischen Auseinandersetzungen - der protestantisch christliche Kanon ist unverbrüchlich - keine kulinarischen Highlights - Kartoffeln und Fischklöße als Grundnahrungsmittel zum puren Überleben. Genuss als geschmähtes Wohlleben - diese Lebensphilosophie lässt keinen Raum für Ausflüge und Abweichungen. Und doch ist das Zusammenleben wohl auch für Babette nicht nur Darben sondern auch eine Art von Erfüllung, denn nach ihrem Losgewinn nutzt sie diesen nicht zur Rückkehr in ihr altes Leben. (Gibt es das noch?) Sondern ergänzt nur ihr jetziges Leben auf spektakuläre Art und Weise mit Zutaten ihrer Vergangenheit. Sie organisiert ein Gastmahl, bei dem alle eher griesgrämigen Mitglieder der Gemeinde und überraschenderweise auch der General (einstiger Verehrer Philippas) als weltgewandter Gast teilnehmen. Wie ein Komet schlägt dieses Gastmahl, mit dem Babette ein Stück Pariser Lebensart in die trüben Bauernkaten des Nordens holt, ein in diese Gesellschaft und hinterlässt doch keine Verwüstung, sondern bringt die Gemeinde im Gegenteil wieder näher zusammen, schafft Übereinkommen und Zusammengehörigkeitsgefühl. Und Babette bleibt. Die Schwestern, die damit gerechnet hatten, Babettes Abschied zu begehen, da sie sich mit dem gewonnenen Geld nun eine Zukunft anderswo leisten kann, dürfen erfahren: sie bleibt, sie hat ihren Gewinn (für sie gewinnbringend) ganz bewusst in genau dieses Gastmahl investiert und ist damit glücklich. Was hat sich Babette damit erkauft bzw. geleistet? Worauf kam es ihr an? Noch einmal eintauchen in das, was sie wirklich kann und liebt? Eine Demonstration ihrer Meisterschaft? Die Befriedigung nostalgischer Gefühle?
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.545
24.643
49
66
Ich bin begeistert von der Sprache und von der Art des Erzählens, so z. B. lässt die Autorin den alten und den jungen Löwenhielm aufeinandertreffen- sehr schön und aufschlussreich, wie sie das macht.
Auch der liebevoll ironische Blick der Autorin, wenn sie die Brüder und Schwestern und den General gegenüberstellt, gefällt mir sehr gut. Der General ist verblüfft, was er in diesem einfachen Haus aufgetischt bekommt, die Mit- Esser am Tisch tun, als wäre das selbstverständlich. Dabei weiß der General natürlich nichts von der Abmachung, über das Essen zu schweigen, der Leser aber schon.
Die Rede des Generals:
Hier wiederholt er eingangs wörtlich, was damals der Probst sagte: „ Barmherzigkeit und Wahrheit begegnen einander… S. 56 und S. 10
In der Schlussszene begegnen sich zwei Welten, die vergangene von Babette, in der ein Abendessen ein Vermögen gekostet hat und die Welt der beiden Schwestern. Verstehen sie einander?
Babette kehrt nicht nach Frankreich zurück. Die Welt, die sie kannte, gibt es nicht mehr. Sie selbst hat für deren Untergang gekämpft.
Die Menschen, die ihr Können zu schätzen gewusst haben, waren böse Menschen. Bei diesem Festmahl saßen Menschen am Tisch, die sich so ein Essen nie leisten könnten.
Was hat sich Babette damit erkauft bzw. geleistet? Worauf kam es ihr an? Noch einmal eintauchen in das, was sie wirklich kann und liebt? Eine Demonstration ihrer Meisterschaft? Die Befriedigung nostalgischer Gefühle?
Das sind die Fragen, die wir diskutieren können.
Das alles, was Du schreibst , aber noch mehr.
Das Geld gab ihr die Möglichkeit, nochmals aus dem Vollen zu schöpfen. Sie konnte ihr Können unter Beweis stellen, vor allem für sich selbst, die Menschen, die sie aufgenommen haben, fürstlich bewirten ….
 

otegami

Bekanntes Mitglied
17. Dezember 2021
1.888
6.561
49
71
Ich bin begeistert von der Sprache und von der Art des Erzählens, so z. B. lässt die Autorin den alten und den jungen Löwenhielm aufeinandertreffen- sehr schön und aufschlussreich, wie sie das macht.
Fand ich auch! Auch die Worte, die er zuletzt mit Martine beim Abschied wechselte - schlicht, aber sehr beeindruckend!
Der General ist verblüfft, was er in diesem einfachen Haus aufgetischt bekommt, die Mit- Esser am Tisch tun, als wäre das selbstverständlich. Dabei weiß der General natürlich nichts von der Abmachung, über das Essen zu schweigen, der Leser aber schon.
Das war wieder so eine Szene, in der wir den feinen Humor der Autorin erkannten - einfach nur herrlich!
Das Geld gab ihr die Möglichkeit, nochmals aus dem Vollen zu schöpfen. Sie konnte ihr Können unter Beweis stellen, vor allem für sich selbst, die Menschen, die sie aufgenommen haben, fürstlich bewirten ….
Ja, das war großes Können! Wie Babette auch sagte 'Ich bin eine große Künstlerin'. Das kam bei mir sehr selbstbewusst an, jedoch nicht so 'ätschi bätschi', Euch hab' ich's jetzt gezeigt'! Sehr beeindruckend!
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.473
50.026
49
Also mich hat dieser Abschnitt ehrlich gesagt mit seinen zahlreichen Bibelanlehnungen überfordert. Mir fehlt das Interesse, da einzusteigen, die Parallelen zu suchen und zu interpretieren. Deshalb beziehe ich mich auf das, was ich verstanden habe;)

Sehr schön herausgearbeitet wird das magische Moment, das Babettes Kochkunst anhaftet. Babette wird "mit dem Dschinn in der Flasche" verglichen, das geplante Gastmahl mit einem Hexensabbat und einiges mehr.
Später harmonisiert ihr Fest auch ehemalige Streithähne, die auf wunderschöne Weise das Verbindende wiederentdecken. Es grenzt an ein Wunder.

Manche Szene wird auch mit feinem Humor ausgestaltet. So z.B. die Vereinbarung zum Schweigen auf S.37 durch die Schilderung des Wesens der Zunge. Oder die Fassungslosigkeit des Generals, dass die anderen all diese Köstlichkeiten kommentarlos verspeisen.

Babette bleibt auf der Insel, hat sich selbst und anderen bewiesen, dass sie eine Künstlerin am Kochtopf ist (kann man da nicht sogar etwas Arroganz heraushören?). So what? Was will der Künstler damit sagen?

Ich hoffe auf einige Erkenntnis durch das Nachwort. Irgendwie will sich die komplette Begeisterung für diesen Text noch nicht einstellen.
 
  • Like
Reaktionen: Barbara62 und RuLeka

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.473
50.026
49
Was hat sich Babette damit erkauft bzw. geleistet? Worauf kam es ihr an? Noch einmal eintauchen in das, was sie wirklich kann und liebt? Eine Demonstration ihrer Meisterschaft? Die Befriedigung
Ah. Beruhigend. Für dich erschließt es sich also auch nicht.

begegnen sich zwei Welten, die vergangene von Babette, in der ein Abendessen ein Vermögen gekostet hat und die Welt der beiden Schwestern. Verstehen sie einander?
Gute Frage. Auf die ich gleichfalls keine spontane Antwort habe. Man hat Babette ja fast um den Ruhm ihrer Kunst gebracht aus Rücksicht auf die Alten Damen, weil niemand das Essen loben durfte. Man hört doch als Köchin zu gerne ein "hat gut geschmeckt".
 
  • Like
Reaktionen: Barbara62

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.545
24.643
49
66
Alten Damen, weil niemand das Essen loben durfte.
Das dürfte Babette nicht gewundert haben. In den vielen Jahren, in denen sie schon da war, wird sie gemerkt haben, dass es hier keine Verfechter irdischer Genüsse gibt. Die Stimmung war gut, auch durch das gute Essen und den Wein, die Menschen waren danach wie verwandelt. Mehr konnte sie nicht erwarten.
Dass es hier nicht das frühere Publikum gibt, war klar.
 

otegami

Bekanntes Mitglied
17. Dezember 2021
1.888
6.561
49
71
Das dürfte Babette nicht gewundert haben. In den vielen Jahren, in denen sie schon da war, wird sie gemerkt haben, dass es hier keine Verfechter irdischer Genüsse gibt.
Sehr treffend ausgedrückt! ;)
Die Stimmung war gut, auch durch das gute Essen und den Wein, die Menschen waren danach wie verwandelt. Mehr konnte sie nicht erwarten.
Erwartete, denke ich, sie auch nicht! Ihr war es genug, dass s i e sich kochmäßig wieder einmal 'austoben' konnte, ihr Können zeigen konnte.
Dass es hier nicht das frühere Publikum gibt, war klar.
Dieses Publikum hatte sie wohl 'gebauchpinselt', aber geschätzt hat Babette dieses frühere Publikum nicht - sie hatte ja auch gegen diesen Personenkreis gekämpft. Ich habe die Vermutung, dass sie von einer tiefen Dankbarkeit erfüllt war, dass sie so viele Jahre ruhig leben durfte. Und das überwog bei ihr.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.473
50.026
49
Erwartete, denke ich, sie auch nicht! Ihr war es genug, dass s i e sich kochmäßig wieder einmal 'austoben' konnte, ihr Können zeigen konnte.
Ja. Aber wo ist der tiefere Sinn, die zweite Ebene? Mir ist das zu wenig Inhalt. Aber ich bin auch mit dem Nachwort noch nicht fertig.

aber geschätzt hat Babette dieses frühere Publikum nicht - sie hatte ja auch gegen diesen Personenkreis gekämpft.
Guter Einwand.

Aber selbstlos ist sie auch nicht. Sonst würde sie sich selbst nicht als Künstlerin feiern.
 

otegami

Bekanntes Mitglied
17. Dezember 2021
1.888
6.561
49
71
Guter Einwand.

Aber selbstlos ist sie auch nicht. Sonst würde sie sich selbst nicht als Künstlerin feiern.
Wer ist schon selbstlos? (Bin ich immer seeeehr vorsichtig bei solchen Leuten, die sich so darstellen! ;) ) 'Jeder denkt an sich, nur ich denk' an mich'! :D
Also ich habe ihr dieses Glücksgefühl von Herzen gegönnt!
 
  • Stimme zu
Reaktionen: Barbara62

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
4.632
16.679
49
Rhönrand bei Fulda
Mich beschäftigt sehr die Rede des Generals.

"Wir zittern, bevor wir unsere Wahl im Leben treffen, und wenn wir sie getroffen haben, zittern wir aufs Neue, aus Furcht, daß wir falsch gewählt haben. (...) Sehet an! Was wir uns erwählt haben, das wird uns geschenkt, aber auch, was wir von uns wiesen, wird uns gleichermaßen zuteil."

Aus der Sicht des Generals bezieht sich das wahrscheinlich auf Martine, die er nicht gewählt hat, was er - zumindest andeutungsweise - bereut. Vielleicht hat ihm die Erinnerung an den Oberst, der meinte, Babettes Gerichte schmeckten "wie eine Liebesaffäre", diesen Gedanken eingegeben. Auf die Schwestern und die ganze pietistische Gemeinde bezogen ist das Gastmahl wahrscheinlich ein Ersatz für alle weltlichen Genüsse, die sie verworfen haben - nicht in dem Sinn, dass sie erkennen, was ihnen entgangen ist, sondern in dem Sinn, dass sie es eben nicht als "weltlichen Genuss", sondern als Genuss der göttlichen Gnade verstehen.

Für jemanden wie mich, die sich mit dem Begriff der göttlichen Gnade immer schwertut, ist das nicht leicht zu verstehen. Andererseits kennt wohl jede(r) von uns Erlebnisse der Transzendenz durch die Kunst - den Moment, wo man das Gefühl hat, nicht mehr "durch einen Spiegel in einem dunklen Wort" zu sehen, sondern dahinter.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.473
50.026
49
Auf die Schwestern und die ganze pietistische Gemeinde bezogen ist das Gastmahl wahrscheinlich ein Ersatz für alle weltlichen Genüsse, die sie verworfen haben - nicht in dem Sinn, dass sie erkennen, was ihnen entgangen ist, sondern in dem Sinn, dass sie es eben nicht als "weltlichen Genuss", sondern als Genuss der göttlichen Gnade verstehen.
Damit ein sehr schönes Bild und dahin geht auch die Interpretation von Fosnes Hansen.
Wobei der General Martine wohl schon erwählt hätte - sie wollte ihn nicht.
 

ulrikerabe

Bekanntes Mitglied
14. August 2017
3.050
7.678
49
Wien
www.facebook.com
Ich hoffe auf einige Erkenntnis durch das Nachwort. Irgendwie will sich die komplette Begeisterung für diesen Text noch nicht einstellen.
Das erste, dass sich bei mir beim Lesen einstellte war Hunger. Andererseits - ich weiß andere Zeiten und Sitten - aber wer in meiner Küche eine Schildkröte zubereiten wollte, fliegt raus.
Ich stehe dem Text also hilflos gegenüber und brauche offensichtlich eine Nachwort, dass ungefähr genauso lang ist wie die Erzählung an sich.
Aus der Sicht des Generals bezieht sich das wahrscheinlich auf Martine, die er nicht gewählt hat, was er - zumindest andeutungsweise - bereut.

Das habe ich wohl auch so verstanden.

Diese kleine Geschichte mit dem kannibalistischen Stammeshäuptling fand ich richtig gruselig. Und das fällt Martine dazu ein: Babette hat also ihre Altersvorsorge an die guten Christenmenschen verfüttert. Ich brauche ganz dringend dieses Nachwort.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.473
50.026
49

ulrikerabe

Bekanntes Mitglied
14. August 2017
3.050
7.678
49
Wien
www.facebook.com
Ich könnte dich knutschen! Lauter so verständige, bibelkundliche Leute um uns rum...
Ich bin wahrlich nicht bibelfest und die göttliche Gnade interessiert mich auch nicht.

Bevor ich mich ans Nachwort mache noch ein Einwurf: das ganze Bibelgetue dient nur zur Ablenkung. Es geht nur um die Künstlerin. Babette kocht. Niemand kann es (bis auf den General vielleicht) richtig zu schätzen wissen. Niemand weiß was drin ist. (Um das zu wissen, braucht es vielleicht das Kochbuch.) Die Gäste konsumieren, fühlen sich ganz wohl, das Essen ist fertig. Sie gehen heim schlafen. Will uns das die Künslerin, als Tania Blixen sagen? Dann binich wohl so ein Gast bei diesem Gastmahl. Jetzt lese ich das Kochbuch, also Nachwort.
 

otegami

Bekanntes Mitglied
17. Dezember 2021
1.888
6.561
49
71
Bevor ich mich ans Nachwort mache noch ein Einwurf: das ganze Bibelgetue dient nur zur Ablenkung. Es geht nur um die Künstlerin.
Mein Eindruck: mit dem ganzen 'Bibelgetue' sollte dargestellt werden, welcher Geist im Hause des verstorbenen Probstes herrscht, so der ganze Kontrast zwischen Babette und den Schwestern!
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.545
24.643
49
66
Babette, die Künstlerin, hat hier ein Publikum, das ihre Kunst nicht schätzen kann. Die Brüder und Schwestern haben ihr Leben auf das Jenseits ausgerichtet, irdische Genüsse sind nicht nötig, oder , schlimmer noch, des Teufels. Sie können Babettes Können garnicht schätzen. Trotzdem bewirkt das Festmahl etwas bei Ihnen.
Einzig der General weiß, was er hier vorgesetzt bekommt. Er kennt den Vergleich, er ist einer aus der Welt draußen.
Es ist schon ein sehr gemischtes Publikum an diesem Tisch, auf der einen Seite die bibeltreuen Schwestern und ihre Getreuen, denen gegenüber Babette und der General.
Braucht ein Künstler das richtige Publikum oder genügt es , sein Bestes zu geben ?
Babette, als Kommunardin, hat die Menschen bekämpft, die ihre Kunst zu würdigen wissen? Auch ein Zwiespalt!
 

otegami

Bekanntes Mitglied
17. Dezember 2021
1.888
6.561
49
71
Braucht ein Künstler das richtige Publikum oder genügt es , sein Bestes zu geben ?
Es heißt ja so schön: 'Applaus ist das Brot des Künstlers'! Babettes Verhalten straft das aber Lügen! Seltsam!
Babette, als Kommunardin, hat die Menschen bekämpft, die ihre Kunst zu würdigen wissen?
Ja, dieser exklusive 'Haufen' in Paris wusste ihre Kunst zu würdigen, aber sie empfand diese Menschen als 'böse Menschen'. Vielleicht war das auch ein Entwicklungsprozess bei ihr und sie hatte diese Einstellung noch nicht von Anfang an?! (Mich würde ein Gespräch mit Babette reizen - möchte sie zu gerne 'ausquetschen' und Näheres erfahren! ;) )