2. Leseabschnitt: "Die Sintflut" (S. 37 bis S. 62)

KrimiElse

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Das Buch ist für mich inzwischen eine Brücke (oder eine Kluft? Ich bin mir da nicht so ganz sicher) zwischen Brutalität und Grausamkeit auf der einen Seite und Hoffnun& und Liebe auf der anderen Seite.
Voller Poesie wird der Duft des Brotes beschrieben, der allabendlich durch das Viertel Wehr und sogar den Säufer dazu bringt, dem Alkohol abzuschwören. Das Brot als menschliches oder kirchliches Symbol spielt für mich hier keine Rolle, der Duft ist der Friedensstifter, der die Wellen des Tages zu glätten vermag und die Gransamkeiten zurückdrängt.
Außer bei Cristofano, denn für ihn bedeutet der Brotduft das unausweichliche Nahen seiner Prügel. Ich glaube, der Autor zeichnet die Kinder noch so unschuldig, dass sie der Verheißungen widerstehen, ebenso heben sie sich vom alltäglichen Dreck ab, indem sie einander lieben.

Aber mir ist nicht klar, wie genau der „Ungehorsam“ von Celestine zu sehen ist. Okay, sie lehnt sich durch das Lernen gegen die für sie vorgesehene Rolle Im Viertel (Nachfolgerin ihrer Mutter oder etwas ähnlich Hoffnungsloses) auf, aber gleich die Sinnflut als Bestrafung? Soll das heißen, sie kann sowieso nicht entkommen, egal was sie tut? Aber dennoch empfängt sie auf denn Dach die Liebe ihrer Mutter, darf sanft in ihren Armen einschlafen und die Sterne sehen...
Ich weiß das nicht gut zu deuten, und zu viel Pathos ist es mir auch hier, ebenso wie bei der Beschreibung des Brotduftes.

Völlig wie nebenbei sind im Gegensatz dazu wahre Grausamkeiten beschrieben, wie zum Beispiel die Geschichte des „Grützkopfes“ Nicola und den Umgang mit ihm. Es gibt sicher Bezug zu testamentarischen Geschichten, im Sinne vom Bild der Krippe und des Schafstalls, aber das ist so gar nich meins...vor allem ist Nicola am Ende in den Fluten vermisst - wieder so ein hoffnungsloses Bild.
Ich lese jetzt einfach mal eure Ausführungen dazu.
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Was Mimmo über Celeste und Carmela denkt bzw. dem Pferd erzählt, impliziert ein wenig, dass er zwischen Sex und Liebe nicht unterscheiden kann. Aber wahrscheinlich wächst er in einer Gegend auf, in der eben Liebe an sich eine nur sehr geringe Rolle spielt.

Die Geschichte rund um Nicola fand ich absolut schlimm zu lesen - sowas von unmenschlich. Da fehlen mir echt die Worte. Das sagt mir viel über den Umgang mit Behinderten. Auch wenn es überzogen ist, findet sich hier doch ein Körnchen Wahrheit.

Auch die Szene mit den Polizisten hat mich schockiert. Wobei mir dabei aber auch klar wird, weshalb niemand sich um Cristofaros' Schicksal kümmert. Ein wahres "Sodom und Gomorrha". Selbst der Priester mischt mit. Den Trick mit dem Tabernakel fand ich einfach toll. Wobei mich da, das ist jetzt Korinthenkackerei, der Artikel "das" ein wenig irritiert hat. Ich weiß, dass es beide Artikel gibt, aber "der" ist eindeutig verbreiteter.



Ich habe es eher so verstanden, dass Gott den Regen schickt als Strafe für Carmelas Verhalten. Esoterisch finde ich es nicht, eher alttestamentlich: Gott straft die Menschen für ihr sündiges Verhalten. Dazu passt auch die Sintflut, die Gott ja gesendet hat, um die Menschen "auszurotten" und anschließend einen Neubeginn zu starten. Hier werden eher althergebrachte Glaubensvorstellungen transportiert, was m.E. zu der ganzen dort dargestellten Gesellschaft passt. Dieser unmittelbare Zusammenhang, Gott schickt gleich die Strafe, bestraft oder belohnt unmittelbar für ein Verhalten, hat für mich was mit mangelnder Bildung zu tun. Wahrscheinlich weil ich mit einem anderen Gottesbild aufgewachsen bin.
Celestes Lesen sehe ich eher als Zeichen für den Willen, diesem Leben zu entgehen. Ich hoffe nur, dass es ihr auch gelingt.

Was mir ansonsten auffällt, sind die zahlreichen religiösen Symbole: das Brot (hier als Brotduft) als Zeichen für Leben und Lebenskraft, das Lamm als Opfertier, das zur Schlachtbank geführt wird (und dann noch als Weihnachtsbaum geschmückt. Das hat mich an Bachs Weihnachtsoratiorium erinnert, in dem er als ersten Choral "Wie soll ich dich empfangen" auf die Melodie von "Oh Haupt voll Blut und Wunden" singen lässt, hier also auch schon in der Weihnachtsfreude einen Ausblick auf die Passion gibt, allerdings weiß ich nicht, ob der Autor hier auch beides in Verbindung bringen will.). Ebenso die Sintflut ... Mich würde wirklich interessieren, was der Autor mit diesen Symbolen bezwecken will. Ich fürchte ja fast, dass das Buch negativ endet ...
darauf hatte ich gehofft, dass du ein paar Deutungen zu den verwendeten Bildern schreibst.
Ich bin ganz bei dir, was Glauben und Bildung angeht. Je bildungsferner umso gläubiger und empfänglicher für Drohungen und Strafen scheint hier voll zuzutreffen. Aber ich frage mich wie du, was der Zweck der Symbole ist...
 
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KrimiElse

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Das hast du sehr gut zusammengetragen, Elisabeth! Genau so würde ich das auch verstehen. Auch ich habe eher das Bild des verständigen, verzeihenden Gottes in mir und nicht das des bestrafenden, unbarmherzigen.

In einer (kleinen) Sache widerspreche ich: aus Südniedersachsen stammend heißt es für mich DAS Tabernakel ;) :D
Den Gott aus dem Alten Testament kenne ich eher als strafenden und rachsüchtigen denn als nachsichtigen und liebenden Gott. Aber ich bin weder bibelfest noch gläubig in irgendeinem kirchlichen Sinn (wenn auch getauft und konfirmiert)...
 
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Die oben genannte Zwiespältigkeit empfinde ich auch. Sodom und Gomorrha - das passt.
In diesem Ort geschehen so viele unglaubliche Dinge, dass es schwer fassbar ist. Der schwachsinnige Nikola, dem regelmäßig der Freund vor seinen Augen abgeschlachtet wird, die Sintflut (ein sehr biblischer Begriff!), die sich aus Zorn über Celestes Lerneifer auf den Ort ergießt,....
Dann die Komik bezüglich der Waage, der Fische, Cristofaros Versteckspiels, des Bettentauschs,...
Die Poesie: der wabernde Brotgeruch, der magische, unglaubliche Ausmaße annimmt...

Meine Zwischenmeinung ist noch ebenso ambivalent wie die oben genannten verschiedenen Stilrichtungen:confused:
an sodom und Gomorrha hatte ich auch gedacht, insbesondere würde der strafende Gott hier passen.
 
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KrimiElse

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Ich habe immerhin mittlerweile herausgefunden, dass es einen Stadtteil/ein Viertel mit dem Namen Borgo Vecchio in Palermo gibt. Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr kommt mir der Gedanke, dass Zeit und Ort im Grunde einerlei sind. Die Probleme und Missstände, die hier behandelt werden, die Hoffnungen und Nöte der Menschen, der "Kampf" zwischen Gut und Böse ... all das sind Aspekte des menschlichen und gesellschaftlichen Lebens, die die Menschheitsgeschichte durchziehen. Nur hier eben ganz extrem auf den Punkt gebracht.
Ein einzelnes Dorf ist es definitiv nicht, denn die wohlhabenden Damen kamen mit gefüllten Geldbörsen aus den vornehmen Geschäften durch das Viertel Borgo Vecchio, vorbei bei Toto, der sie auf seiner Schwelle mit brutalem Sex und einer Pistole bedrohte und übt und enttäuscht zurückließ (das hat mich übrigens schmunzeln lassen)
Ich habe im ersten Abschnitt übrigens eine Rezension vonnöten DLF verlinkt, da ist von Palermo die Rede.
 

ElisabethBulitta

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Je bildungsferner umso gläubiger und empfänglicher für Drohungen und Strafen scheint hier voll zuzutreffen.

Dass man gläubiger ist, je bildungsferner man ist, wollte ich, entschuldige, falls ich dich missverstanden habe, nicht sagen. Aber dass es einen Einfluss auf den Umgang mit Religion und Glauben hat, denke ich sehr wohl. Ebenfalls was den Zusammenhang zwischen Glauben/Religion und Strafe darstellt.
 
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ElisabethBulitta

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Den Gott aus dem Alten Testament kenne ich eher als strafenden und rachsüchtigen denn als nachsichtigen und liebenden Gott. Aber ich bin weder bibelfest noch gläubig in irgendeinem kirchlichen Sinn (wenn auch getauft und konfirmiert)...

Nun ja, immerhin verspricht Gott Lot, Sodom zu verschonen, wenn es dort auch nur zehn Gerechte gibt (wobei die Zahl wiederum eine symbolische ist). Aber wie dem auch sei. M.E. spielt in das Bild eines rachsüchtigen Gottes ein Urbedürfnis des Menschen nach Gerechtigkeit rein, welche es auf der Erde allerdings nicht gibt und auch nie geben wird. In Märchen z.B. gibt es ähnliche Motive.
 
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Dass man gläubiger ist, je bildungsferner man ist, wollte ich, entschuldige, falls ich dich missverstanden habe, nicht sagen. Aber dass es einen Einfluss auf den Umgang mit Religion und Glauben hat, denke ich sehr wohl. Ebenfalls was den Zusammenhang zwischen Glauben/Religion und Strafe darstellt.
Dann habe ich deine Aussage falsch gelesen, und du hast recht. Der Umgang mit dem Glauben (unmittelbarer) ist ein anderer.
 
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