2. Leseabschnitt: 3. und 4. Kapitel (S. 89 bis S. 165)

Renie

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Ehrlich gesagt, hatte ich Verständnis dafür, dass Miranda das Sozialamt nicht gleich einschalten wollte.
Ich fand ihr Verhalten merkwürdig. Da steht ein fremdes Kind vor der Tür, und sie will es behalten. Eine normale Reaktion wäre für mich gewesen, wenn sie von sich aus irgendwelche Behörden benachrichtigt hätte. Aber bei ihr scheint ein übergroßer Mutterinstinkt wach geworden zu sein. Vielleicht ist sie ja tatsächlich eine KI mit programmierten Muttergefühlen.:rolleyes:
 

Renie

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Insgesamt hat sich die Stimmung, die vermittelt wird, in diesem Abschnitt geändert. Im ersten Abschnitt war der Auftritt von Adam noch unheimlich. Mittlerweile habe ich mich an ihn gewöhnt. Und es gibt tatsächlich Momente, die mich zum Lachen bringen: Miranda und Adam beim Sex, ein Stockwerk über Charlie. Seine Reaktion hat mich schon sehr schadenfroh gemacht. Oder Adam in dem Zeitungsladen - also wie er auf andere Menschen losgelassen wird.
 

Sassenach123

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Ich habe eure Beiträge bewusst noch nicht gelesen, da ich noch nicht ganz durch bin. Hole dies nach, wenn ich alles gelesen habe.
Bisher fällt mir auf, dass Charles Adam fast wie ein Kind analysiert, dass er mit Miranda haben könnte. Er fragt sich, ob die programmierten Eigenschaften seinen oder ihren Verhaltensweisen ähneln. Das finde ich irgendwie unheimlich, auf mich wirkt Adam dadurch jetzt schon sehr menschlich, auch wenn mir natürlich bewusst ist, dass er nach wie vor ein Roboter ist, und nichts selbstständig steuert. Da ich wenig über diese Thematik weiß, bin ich bei vielen Aussagen eindeutig überfragt, ob es sich um die Phantasie des Autors handelt, oder ob die Entwicklung auf diesem Gebiet tatsächlich schon soweit fortgeschritten ist.
 

Helmut Pöll

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Zum Schluss sagt Charles, er erkenne Adam als Artgenossen an und sagt, „Ich hasse ihn“ (S. 119). Solche Gefühle bringt man keinem Tisch gegenüber auf.
Das ist mir auch aufgefallen, @MRO1975 . Im Grunde hebt er ihn damit schon auf Augenhöhe. Ich finde Adam mittlerweile etwas gruselig und bin mir auch nicht sicher, ob er nicht auch etwas mitbekommt, wenn er ausgeschaltet ist. :mad:
 

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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@Querleserin

Vielleicht hat er die Geschichte vorverlegt, weil wir uns in der Vergangenheit "heimischer" fühlen als in der Zukunft? Ich kann mich noch an das 1982 erinnern, und wer da noch nicht geboren war, ist durch seine Eltern in der Zeit verwurzelt.

Ich konnte Charlies Wut, dass Miranda ihn mit Adam "betrogen" hat, schon verstehen. Und ich vermute, dass ihr vorher durchaus klar war, dass sie ihn damit verletzt und das durchaus auch beabsichtigt hat. Mein Bauchgefühl ist immer mehr, dass mir Miranda wirklich etwas nicht stimmt. Zwischendrin hatte ich sogar mal den Gedanken, dass sie selber eine künstliche Intelligenz ist... Aber Charlie ist auch nicht unbedingt immer ein Sympathieträger!

Adam scheint sich ja, wenn er das nicht aus irgendeinem Grund vortäuscht, zwischen Charlie und Miranda hin- und hergezogen gefühlt – fast wie ein Kind, wenn die Eltern streiten.

Ich hatte mir schon gedacht, dass wir von Mark noch etwas hören, aber dass seine Eltern (oder zumindest sein Vater) ihn wirklich einfach weggeben wie manche Leute ein nicht mehr erwünschtes Haustier, ist schon ein starkes Stück!

@Anjuta

Ich finde auch sehr interessant, wie ganz beiläufig Dinge aus der Vergangenweit erwähnt werden, die in dieser Realität anders gelaufen sind!

@Leseglück

Oh, ich bin also nicht die Einzige, auf die Miranda irgendwie roboterhaft bzw wie eine KI wirkt!

Irgendwo habe ich schonmal den KI-Experten Rodney Brooks erwähnt, und der ist auch der Meinung, dass Menschen nur eine Art Maschine sind, nur halt mit biologischen statt technologischen Bauteilen.

@Helmut Pöll

Man könnte es KIs eigentlich kaum verübeln, wenn sie zu dem Schluss kämen, die Welt wäre ohne Menschen eine bssere... Wenn man sich anguckt, was wir aus dem Planeten gemacht haben, wieviele Arte wegen uns ausgestorben sind und so weiter.

@Anjuta

Es ist beunruhigend, dass Adam so weit geht, Charlie zu verletzen – was KIs anhand ihrer Programmierung eigentlich nicht können sollten. Das heißt dann wohl, dass er sich aus den Begrenzungen seiner Programmierung befreit hat. Ich konnte allerdings verstehen, dass er nicht will, dass der Knopf weiter benutzt wird – ich würde ja auch nicht wollen, dass die Menschen, mit denen ich lebe, mir einfach mal so zwischendurch K.O.-Tropen verabreichen.

@Mamskit

Sofern Adam seine Gefühle nicht vortäuscht, haben wir jetzt wirklich den Punkt erreicht, wo es ethisch nicht mehr vertretbar ist, ihn einfach auszuschalten oder ihn herumzukommandieren. Dass mit Sklaverei zu vergleichen, ist ein interessanter Gedanke!

@wal.li

Ich hänge ja ziemlich hinterher und viele von euch wissen ja schon, wie es weitergeht – aber ich würde mich sehr wundern, wenn sich NICHT herausstellt, dass Miranda irgendwas im Schilde führt. Aber vielleicht tue ich ihr auch unrecht. Vielleicht will sie deshalb nicht, dass Adam Charlie erzählt, was passiert ist, weil es für sie traumatisch war und nicht, weil es sie in einem schlechten Licht dastehen lässt. Aber ich frage mich schon: hat sie einen Unschuldigen ins Gefängnis gebracht?

@MRO1975

Ich glaube ja, dass unsere Gefühle und unser Bewusstsein auch nur das Ergebnis sehr komplexer Gehirnstrukturen sind, die man künstlich durchaus mit komplexer Programmierung erreichen könnte – nur ist unsere Technik noch nicht ganz soweit.

Vielleicht konnte Adam sich über das Gebot hinwegsetzen, weil er sich selber nicht mehr als Roboter sieht? Oder zumindest als gleichwertig. In seinen Augen wollte Charlie ihm ja im Grunde Gewalt antun und er hat sich nur verteidigt.

@Renie

Ah, dir ist der Gedanke auch schon gekommen, dass Miranda eine KI sein könnte! Da sind wir ja jetzt schon ein paar, die mit dem Gedanken spielen, und ich wäre fast enttäuscht, wenn dem nicht so ist.
 

parden

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Ich finde die ganze Atmosphäre, die hier kreiert wird, richtig unheimlich. Die Geister die ich rief - da schließe ich mich @Mamskit an. Interessante Fragestellungen, die Ian McEwan da aufwirft - Mensch/Maschine, Verortung des Bewusstseins / der Gefühle. Dabei gerät das ganze für mich passagenweise etwas zu arg in Richtung moralisch-philosophisches Essay. Aber die Veränderungen der Figuren sind schon spannend.

Was Mark anbelangt - keine Ahnung, was dieser Junge in dem ansonsten recht statisch wirkenden Kammerspiel zu suchen hat. Ich bin gespannt...
 

parden

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Ich finde, Miranda hat aus Charlies Sicht auch etwas roboterhaftes. Er hat den Eindruck, dass sie ihn nicht persönlich meint, wenn sie mit ihm zusammen ist. Einmal fragt umgekehrt Miranda Charlie ob er echt sei (S. 115).
Mir scheint, dass McEwan uns Leser in vielerlei Hinsicht den Boden unter den Füßen wegziehen will. Er will uns verunsichern, was scheinbare Gewissheiten betrifft. Gewissheiten über den Unterschied Mensch und Maschine, Gewissheiten was unsere Gegenwart betrifft, denn eine andere Gegenwart hätte sich mit der gleichen Wahrscheinlichkeit ergeben können.
Ich glaube, der Gedanke an Miranda als KI ist hier einigen gekommen - mir auch. Ich bin gespannt, welche Überraschungen der Autor da noch parat hat.
 

Sassenach123

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Der Gedanke, dass Miranda eine künstliche Intelligenz ist, ist nicht abwegig. Allerdings hat mich gewundert, dass sie Adams Atem beschreibt wie der Geruch der Rückseite eines Fernsehers. Würde sie dies tun, wenn sie selbst eine KI ist, und würde Charlie dies nicht auch auffallen, zumal sie genau das zu ihm auch gesagt hat? Ich bin echt gespannt.
Charlies Einstellung ist mir nach wie vor suspekt.
Die Entwicklung der Handlung mit dem kleinen Mark habe ich gar nicht kommen sehen, es wirkte ein wenig befremdlich auf mich, trotz der Szene im Park
 

Sassenach123

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Ich fand ihr Verhalten merkwürdig. Da steht ein fremdes Kind vor der Tür, und sie will es behalten. Eine normale Reaktion wäre für mich gewesen, wenn sie von sich aus irgendwelche Behörden benachrichtigt hätte. Aber bei ihr scheint ein übergroßer Mutterinstinkt wach geworden zu sein. Vielleicht ist sie ja tatsächlich eine KI mit programmierten Muttergefühlen.:rolleyes:
Ihr gesamtes Verhalten empfand ich nicht rational. Miranda hätte doch wissen müssen, dass Mark langfristig nicht dort bleiben kann. Außerdem war er nur einen Tag dort, nach so kurzer Zeit eine so enge Bindung aufzubauen,,,,,,unwahrscheinlich. Stimme dir da vollkommen zu. Merkwürdig fand ich, dass Adam sich beim Amt gemeldet hat, obwohl Miranda dies nicht wollte. Charlie erzählt er ja auch auch nichts mehr über das Gerichtsurteil wegen ihrer Bitte. Ich bekomme mehr und mehr das Gefühl, dass Adam sich nicht mehr steuern lässt. Das was er tut, macht er aus Berechnung in meinen Augen, er lässt sich ja auch nicht mehr abschalten.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Irgendwie musste ich bei diesem Abschnitt öfter an "Mensch" von Herbert Grönemeyer und (jetzt gerade aktuell) an Kraftwerk denken, die schon Anfang der 80er Jahre Roboter bauen ließen, die die "Originalmusiker" bei Presseterminen "ersetzt" haben. Von daher ist es mittlerweile gar nicht mehr so ungewöhnlich, dass Ian McEwan die Handlung in die 1980er Jahre geschoben hat, auch wenn die lange Liste an Verbesserungen und Verschlechterungen, die im 4. Kapitel zur Sprache kommen, 1:1 auf heute umgemünzt werden können.

Großartiges Buch - könnte oder wird zu einem Highlight dieses Jahr werden!
 

kingofmusic

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Ich fand ihr Verhalten merkwürdig. Da steht ein fremdes Kind vor der Tür, und sie will es behalten. Eine normale Reaktion wäre für mich gewesen, wenn sie von sich aus irgendwelche Behörden benachrichtigt hätte. Aber bei ihr scheint ein übergroßer Mutterinstinkt wach geworden zu sein. Vielleicht ist sie ja tatsächlich eine KI mit programmierten Muttergefühlen.:rolleyes:
Na ja, Charlie hat ja mit ihr über die Sache im Park geredet - wer würde nicht wollen, dass ein Kind aus so einer Familie rauskommt? Gruselig fand ich eher, dass Adam ohne das Wissen von Charlie und Miranda Kontakt mit den Behörden aufnehmen konnte. Aber er war doch die ganze Zeit mit ihnen in einem Raum...:confused:
 

Renie

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Allerdings hat mich gewundert, dass sie Adams Atem beschreibt wie der Geruch der Rückseite eines Fernsehers. Würde sie dies tun, wenn sie selbst eine KI ist, und würde Charlie dies nicht auch auffallen, zumal sie genau das zu ihm auch gesagt hat?
Sehr scharfsinnig, Miss Marple ;). Darauf wäre ich nicht gekommen.:D
 
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milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Es bleibt immer noch die Frage, warum er seinen Roman ins Jahr 1982 "vorverlegt" hat.

Durch die Anmerkungen hier in der Runde stelle ich mir die Frage nicht mehr so sehr. Ich bin allerdings nach wie vor der Meinung, dass es mir besser gefallen würde, wenn er die Handlung nicht vorverlegt hätte.

Er bittet Adam, ihn nicht wieder zu betrügen, worauf Adam tatsächlich antwortet, er liebe Miranda. Wie kommt er zu diesem Gefühl? Lernen? Reine Fiktion?

Über diese Stelle bin ich auch gestolpert. "Liebe" ist ein großes Wort. Kennt Adam wirklich (schon) die Bedeutung?

Mir scheint, dass McEwan uns Leser in vielerlei Hinsicht den Boden unter den Füßen wegziehen will. Er will uns verunsichern, was scheinbare Gewissheiten betrifft.

Diesen Eindruck habe ich auch. Und ich finde es super. Solche Dinge, die uns zu denken geben...

Im zweiten Teil zeigt sich: Adam ist besser, schlauer, gefühlvoller und damit wohl .... gefährlicher als gedacht.

Ja, das war absehbar. Ich frage mich allerdings, wie weit es noch kommen wird. Ich habe düstere Vorahnungen...

Eine schalen Beigeschmack hat diese Episode bei mir auch hinterlassen. Adam ist eben doch mehr als nur Schalkreise und Plastik. Zumindest kann man sich nicht sicher sein, ob er nicht doch ein Bewusstsein hat. Was ist schon Bewusstsein, auch bei Menschen?

Das ist die(!) Frage überhaupt. Nicht nur in diesem Roman, sondern auch sonst. Ich bezweifele, dass wir darauf eine eindeutige Antwort bekommen. Das kann selbst die Wissenschaft nicht genau sagen. Aber es ist ein spannender Denkanstoß.

Ich finde die ganze Atmosphäre, die hier kreiert wird, richtig unheimlich.

Ich auch. Aber schon von Anfang an. McEwan erzeugt schon eine sehr spezielle Stimmung, finde ich.