2. Leseabschnitt: 2007 - Seite 75 bis 136

otegami

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17. Dezember 2021
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Auf die ein oder andere Weise wurde vermutlich jeder schon mal mit der Befürchtung konfrontiert, was die Nachbarn denken könnten...
Meinst Du, heute auch noch? In mein Repertoire gehört/gehörte diese Befürchtung nämlich nicht! (Haben unsere Kinder auch nie von mir gehört!)
 

Lesehorizont

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29. März 2022
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Meinst Du, heute auch noch? In mein Repertoire gehört/gehörte diese Befürchtung nämlich nicht! (Haben unsere Kinder auch nie von mir gehört!)
Ich bin mit dem Satz groß geworden. Mein Bruder hat Kinder und achtet von sich aus etwas darauf (3 turbulente Pfllegekinder), er sagt es aber nicht zu den kids.
 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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Also ich stimme Lesehorizont zu;)
Wer Kinder hat, kennt das. Dass man manchmal die Terrassentür zu macht, wenn es Knatsch gibt. Man muss ja nicht die ganze Nachbarschaft unterhalten! Das hat nichts mit Gewalt zu tun.
Ich saß manchmal auch im Garten, wenn bei Nachbars das Pubertier tobte und ich froh war, dass es mich nicht betrifft. Wenn dran gedacht wurde, klappte das Fenster zu :rofl
Je nach Grundstücksgröße ist das freilich nicht überall nötig.
 

otegami

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17. Dezember 2021
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Man muss ja nicht die ganze Nachbarschaft unterhalten! Das hat nichts mit Gewalt zu tun.
Ich saß manchmal auch im Garten, wenn bei Nachbars das Pubertier tobte und ich froh war, dass es mich nicht betrifft. Wenn dran gedacht wurde, klappte das Fenster zu :rofl
Och, früher bekamen wir das von unseren Nachbarn mit - die Häuser sind zusammengebaut, inzwischen von unserer Enkeltochter (ein Stockwerk tiefer)! Da hilft auch nicht, die Fenster zu schließen! :rofl
Da sind wir immer nur heilfroh, dass wir nicht mehr an 'vorderster Front' sind! ;)
(Als Großeltern hat das teilweise schon wieder Unterhaltungswert :helo - noch dazu, wenn wir merken, dass sich manche Sachen einfach wiederholen in der neuen Generation! :rofl )
 

Irisblatt

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15. April 2022
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In manchen Fällen wäre es das einzig Richtige. In der Praxis ist das jedoch nicht so leicht. Und genau das können wir auch am Beispiel Julis sehen. Diese ganze Ambivalenz. Genau zu wissen, was einem schadet, aber nichtsdestotrotz sich nicht lösen zu können wegen der Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, möglicherweise auch Selbstvorwürfen.
Ich denke, es wäre in allen Fällen das einzig Richtige auf Distanz zu gehen. Sehe aber auch die Schwierigkeiten in der Praxis. Alex scheint auch als sie noch zuhause lebte emotional viel unabhängiger von ihrer Familie gewesen zu sein. Sie stand eher am Rand, hat oft gelesen, sich zurückgezogen - je weniger Emotionalität im Spiel ist, umso leichter fällt das Gehen.
 

luisa_loves-literature

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9. Januar 2022
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Ich finde den Roman immer noch großartig, wobei ich besonders die Sprache faszinierend, weil so unfassbar authentisch, finde. So präzise den Ton einer Heranwachsenden zu treffen, die sich selbst und ihre Familie doch so klar sieht und und dabei der Situation dennoch so ohnmächtig und völlig überfordert gegenübersteht, empfinde ich als äußerst stark gemacht. Gleichzeitig macht diese Art zu Erzählen Juli ebenfalls zu einer starken Figur, trotz ihrer deutlich zu Tage tretenden Schwäche im täglichen Leben und ihrer durchaus existenten Gewaltbereitschaft.

Die Liebe zur Mathematik erscheint mir absolut nachvollziehbar, die Rationalität und Berechenbarkeit der Wissenschaft erscheint Juli in ihrem konstant von Willkür bedrohten Leben als besonders attraktiv. So richtig gefallen hat mir dieser Studienwunsch aber nicht, gerade weil es so naheliegend und offensichtlich war - da fehlt mir die Überraschung.

Von der Maus bin ich nicht so begeistert (ich habe es gar nicht mit Nagetieren :rolleyes: und stelle sie mir beim Lesen auch nur äußerst ungern vor; das hat mich bei Yaa Gyasis "Ein erhabenes Königreich" schon viele Nerven gekostet). Mir ist das Maus-Bild grundsätzlich ebenfalls zu offensichtlich, ähnlich wie hier ja auch allen schon Böses schwante. Da ich es aber sehr gut fand, wie die Mutter sich in Bezug auf die Maus (mal wieder) zur Handlangerin des Bösen macht, bin ich im Großen und Ganzen mit diesem Strang wieder versöhnt.

Die Mutter ist für mich mittlerweile fast die schlimmste Person in der ganzen "Melange". Der Vater ist gewalttätig, aber bei der Mutter geht das Ganze irgendwie noch einen schlimmen psychologischen Schritt weiter.
Entscheidend ist die Erkenntnis (auch für Juli), dass die Mutter Mittäterin ist. Sehr treffend finde ich in diesem ganzen Täter-Komplex auch die Bezeichnung der Mutter als „Tatortreinigerin“ (S. 106) und ihr Einwirken darauf, dass nichts nach draußen dringt: „Aber was Papa gemacht hat, erzählst du keinem, gell? Alles ist gut, mein Schatz, …“ (S. 106).
"Mittäterin" reicht für mich da schon nicht mehr aus. Die Mutter ist wesentlich für die Durchführung der Gewalt des Vaters (man denke an die Schuhe im "Traum"). Dazu kommt noch, dass die "Gewalt" der Mutter auf psychologischer Ebene wahrscheinlich noch viel furchtbarer wirkt. Sie sollte die Kinder schützen und behüten, stattdessen liefert sie sie aus und bietet, selbst wenn es nur um Erinnerungen geht, keine Verlässlichkeit und Sicherheit.

Insgesamt nehme ich bei Juli ein fortgesetztes "Austesten" der Grenzen war - es gab schon so einige Szenen, bei denen ich dachte, dass es gleich ins Auge gehen könnte...wahrscheinlich kommt da noch etwas.
 

Lesehorizont

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29. März 2022
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"Mittäterin" reicht für mich da schon nicht mehr aus. Die Mutter ist wesentlich für die Durchführung der Gewalt des Vaters (man denke an die Schuhe im "Traum"). Dazu kommt noch, dass die "Gewalt" der Mutter auf psychologischer Ebene wahrscheinlich noch viel furchtbarer wirkt. Sie sollte die Kinder schützen und behüten, stattdessen liefert sie sie aus und bietet, selbst wenn es nur um Erinnerungen geht, keine Verlässlichkeit und Sicherheit.
Ich bin immer der Meinung, dass die klassischen Opfer-Täter Zuschreibungen hier an ihre Grenzen stoßen. Aber ja: Für Juli ist das Verhalten der Mutter besonders schwer auszuhalten. Sowieso denke ich, ist psychische Gewalt oft brutale als körperliche Gewalt.
Nichtsdestotrotz: Ich finde die Mutter sehr realistisch dargestellt, denn genauso sieht die Realität de facto oft aus. Leider!
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Dazu kommt noch, dass die "Gewalt" der Mutter auf psychologischer Ebene wahrscheinlich noch viel furchtbarer wirkt.
Auch und gerade deshalb, weil Juli die Mutter auch liebt. Diese mag sich zwar oft und gerne selbst in den Mittelpunkt stellen. Trotzdem hat Juli bis jetzt eher ein Mitopfer in ihr gesehen. Es gibt ja auch schöne (z.B. Shopping)Erlebnisse, die verbinden.
Juli liebt mit Sicherheit beide Elternteile. Da wiegt der Verrat der Mutter besonders schwer, weil sie ihn nicht einkalkulieren konnte.
 

luisa_loves-literature

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9. Januar 2022
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Ich finde die Mutter sehr realistisch dargestellt, denn genauso sieht die Realität de facto oft aus.
Auf jeden Fall. Der Text rüttelt einen gerade wegen seiner authentischen Darstellung so durch.
Da wiegt der Verrat der Mutter besonders schwer, weil sie ihn nicht einkalkulieren konnte.
Ja, das denke ich auch. Der Vater ist in seiner Gewalt "verlässlich", er setzt sie zwar auch willkürlich ein, aber die Art seiner Reaktion ist vorhersehbarer. Bei der Mutter ist das Verhalten auf eine schockierende Weise "überraschend". Dazu kommt auch für uns Leser einfach eine gewisse Sprachlosigkeit, weil das Verhalten der Mutter überhaupt nicht dem entspricht, was man allgemein so von der Mutterrolle erwartet.
 

Naibenak

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2. August 2021
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Oh Himmel... Bin noch nicht ganz durch, aber innerlich gerade mega aufgeregt! Großer Gott! Diese Szene mit Bruno, der Mutter und Juli! Irre! Wie mutig Juli ist!!! Und nichtmal Bruno nimmt sie ernst! Ich hab echt Angst , dass Juli sich da in eine mordsgefährliche Sache manövriert! Aber sie hat ja so Recht! Krass und tragisch... Und nun brauch ich erstmal nen Schnaps zur Beruhigung :D
 

Naibenak

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2. August 2021
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Der Text rüttelt einen gerade wegen seiner authentischen Darstellung so durch.
Aber sowas von! Ich habe lange kein Buch mehr gelesen, dass mich dermaßen durchrüttelt. Ich fühle mich beim Lesen total in Juli hineinversetzt, als würde ich selbst das Haus zusammenbrüllen und nicht sie ;) Okay, ich übertreibe ein wenig :D Aber es fehlt nicht viel und das ist stark!
Bei der Mutter ist das Verhalten auf eine schockierende Weise "überraschend". Dazu kommt auch für uns Leser einfach eine gewisse Sprachlosigkeit, weil das Verhalten der Mutter überhaupt nicht dem entspricht, was man allgemein so von der Mutterrolle erwartet.
Ja, die Mutter ist schlimm, absolut grausam. Zuckerbrot und Peitsche würde man wohl sagen (was aber durchaus auch auf den Vater zutrifft). Ich frage mich, warum die Mutter das so mitmacht. Hat sie dermaßen Angst vor ihrem Mann? Es gäbe doch aber Möglichkeiten da rauszukommen. Ich fürchte, sie ist überhaupt nicht mehr sie selbst, sondern total fremdgesteuert. Der brutale Ehemann, der "gute" Ruf.... all das. Dass man aber dennoch als Mutter so weit gehen kann und Mittäterin bei der physischen und psychischen Misshandlung der eigenen Kinder wird, das raff ich nicht. Ist ihre Angst wieder verprügelt zu werden größer als die Angst, dass den Kindern Schlimmes widerfährt? (Wenn ich diesen Roman lese, denke ich so sehr an meine Mutter. Sie hat fast genau diese Szenarien am eigenen Leib erfahren müssen...)
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Es gäbe doch aber Möglichkeiten da rauszukommen.
Sie ist schwach und sie blendet vieles aus, wie du später noch sehen wirst. Sie redet sich selbst ein, dass alles nicht so schlimm ist. Außerdem will sie natürlich die Fassade erhalten. Äußerlichkeiten sind ihr sehr wichtig.
"Normale"Menschen können das nicht verstehen.

Wenn ich diesen Roman lese, denke ich so sehr an meine Mutter.
Dann wirst du hoffentlich nicht getriggert und runter gezogen. Das Buch bleibt sehr intensiv. Aber saugut;)
 

Naibenak

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2. August 2021
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Warum tut der Vater das? Möchte er einfach nur verletzen? Ist es ihm zuwider, dass Juli etwas „Eigenes“ hat, das ihr etwas bedeutet?
Juli trifft es selbst ganz gut: er ist eifersüchtig und muss seine Macht demonstrieren.
Für Juli war die Maus weit mehr. Sie war ein Gleichnis für ihr eigenes Leben, sie war etwas, was sie lieben konnte, ohne Angst enttäuscht zu werden.
Ja ganz genau! Für Juli wäre ein Haustier wirklich wichtig um genau dies tun zu können: lieben ohne hinterrücks sofort wieder betrogen und gedemütigt zu werden. Diese Demütigungen im Übrigen: Sätze, die vom Vater kommen, aber auch von der Mutter. So absolut bar jeden Respekts und jeder Liebe. Die ziehen mir regelmäßig die Schuhe aus (einige Zitate wurden hier schon genannt). Das ist unglaublich schockierend und macht auch mich total sprachlos. Und wütend.
Was mich über den gesamten Abschnitt beeindruckt hat, ist Julis Klugheit. Sie kann klare Analysen treffen, sie hat das Familiendrama kapiert, weiß wie wer tickt und warum.
Ich glaube, das ist genau ihr Vorteil. Durch ihre Klugheit und Affinität zur Mathematik schafft sie es, genau diese Zusammenhänge zu analysieren und zu verstehen. Es ist regelmäßig schier erstaunlich, welchen Durchblick Juli bei all dem Desaster hat! Irre!
Juli muss hochbegabt sein (IQ Test!). Wie sonst sollte sie ihre Spitzennoten unter diesen Bedingungen erreichen?
Ja, ganz bestimmt! Gleichzeitig ist es aber auch sicher eine Flucht, indem sie sich verlässlichen Themen/ der Schule zuwendet und ihre Gedanken dadurch abzulenken weiß.
Man hört ja immer wieder davon, dass Opfer in solchen Szenen, eher dissoziieren, also quasi alles über sich ergehen lassen, aber quasi aus ihrem Körper steigen und das Ganze sozusagen ubeteiligt wahrnehmen.
Das stimmt. Aber ich glaube, dass jeder Mensch anders tickt. Einige ziehen sich komplett raus (wobei ich im Falle von Alex trotzdem glaube, dass sie seelisch nicht unversehrt geblieben ist), einige ziehen sich in sich selbst zurück, andere werden wiederum selbst gewalttätig. Hier sind alle dieser Fälle bei den Kindern zu beobachten. Vielleicht trifft das, was du beschreibst eher auf diejenigen zu, die nicht wissen, was eigentlich gerade passiert. Vielleicht hat Juli da den Vorteil, dass sie diese Spielchen total durchschaut. Aber ehrlich gesagt... ich kann es auch nicht sagen ;-) ;-)