Ein kleines Ungleichgewicht in der Ehe habe ich herausgelesen. Benjamin scheint emotional stärker an Helen zu hängen als sie an ihm. Sie empfindet “ aufrichtige Zuneigung“, ist immer freundlich, aufmerksam und zärtlich, doch nach der großen Liebe hört sich das nicht an. Er dagegen erlebt zum ersten Mal in seinem Leben eine innige Verbindung zu jemanden, bewundert und verehrt seine Frau und spürt dabei , dass etwas fehlt. Trotzdem scheinen beide glücklich zu sein.
Allerdings hat Benjamin von Anfang an Angst vor dem Verlust dieses Glücks. Tragisch, dass sich seine Angst später bewahrheitet: Er verliert seine Frau auf schreckliche Weise.
Kinder bekommt das Paar keine, obwohl das einer der Gründe war, weshalb Benjamin eine Ehe eingehen wollte. Doch der Kinderwunsch scheint nicht so groß gewesen zu sein. Will Helen keine oder gibt es organische Gründe für die Kinderlosigkeit ?
Dann kommt der große Börsenkrach. Sehr schön formuliert Hernan Díaz , dass der Mensch Erfolge immer dem eigenen Können zuschreibt, für den Misserfolg aber andere verantwortlich macht.
Benjamin verdient am großen Crash. Seine Transaktionen mögen legal gewesen sein, aber moralisch verwerflich. Er wird danach von den Leuten gemieden. Das verzeiht ihm niemand. Auch Helen bekommt das zu spüren. Alle, die sie zuvor gefördert und unterstützt hat, ziehen sich zurück. Das Paar ist gesellschaftlich isoliert. ( Auch hier hat das der Autor raffiniert dargestellt. Die Briefe, anfangs noch freundlich, verschämt, am Ende kurz und knapp.)
Danach beginnt Helens Weg in die Krankheit. Benjamin versucht alle Hebel in Bewegung zu setzen, um seiner Frau zu helfen. Durch seinen Reichtum und seinen Einfluss kann er das. Doch all das hilft nichts. Helen stirbt infolge einer dubiosen Behandlung.
Danach verlässt Benjamin auch sein berufliches Glück. Er macht Verluste. Trotzdem arbeitet er wie gewohnt weiter, er kennt nichts anderes. Und nach dem Tod seiner Frau scheint ihn auch nichts anderes mehr zu interessieren.
Was haben wir hier: Das Portrait eines ungewöhnlichen Paares, der Aufstieg und Fall eines erfolgreichen Mannes, ein Gesellschaftsportrait?
Mal sehen, wie es weitergeht.
Wie beneidenswert: Als Helen der Platz ausgeht für ihre vielen Bücher, lässt sie im Haus einfach zwei Wände durchbrechen und hat so mehr Platz. Mein Problem ist, dass es keine Wände mehr gibt um Regale aufzustellen.
Nun weiß ich, warum ich so gerne Konzerte besuche. Man ist unter Leuten, aber nicht gezwungen, mit ihnen zu reden.