2. Abschnitt: Regentageblau bis Föhnblond (S. 88 - 156)

Literaturhexle

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In diesem zweiten Teil spielt das Mädchen Tanja eine zentrale Rolle, die mir noch nicht so ganz klar wird.
Karl hat sich ja entschlossen, allein in Leinsee zu bleiben. Er schläft nach wie vor auf dem Boden seines ehemaligen Kinderzimmers, wo er sich aus Kleidung ein "Nest" gebaut hat. Später wird er dieses mit einer Matratze ergänzen.

Täglich wartet er auf Tanja. Er hat verschiedene Sachen in den Kirschbaum gehängt, um sie anzulocken, späht ständig nach ihr aus. Bei einem Besuch im Ort sieht er sie zufällig mit einem Freund und verfolgt sie. Beide machen sich ein Spiel daraus, kleine Dinge fallen zu lassen oder auszulegen. Der Erzähler nennt das "Austausch von Schätzen". Das ganze geschieht jedoch ohne Worte und noch aus der Distanz.
Sowohl das Schlafnest (das zudem mit diesen "Schätzen" ausgestaltet wird) als auch diese eigenartige Verbindung zu Tanja machen mir deutlich, dass mit Karl im psychologischen Sinn etwas nicht stimmt.

Ein bisschen Slapstick hat die Szene mit der Polizei: Zwei Beamte kommen zu Karl, weil er angeblich auf die Kinder im Garten geschossen haben soll. Schnell schaltet der Beschuldigte um und erzählt "eine Geschichte", in der er sich seine Rolle als Künstler zu Nutze macht und den Staatsdienern einen Bären über die tatsächlichen Geschehnisse aufbindet, die sie schließlich auch glauben.

Karl bekommt die Nachricht, dass seine Mutter wieder ansprechbar sei und fährt ins Krankenhaus. Die Mutter begrüßt ihn liebevoll, Karls aufgestaute Emotionen lösen sich in einem Tränenmeer, zum ersten Mal seit langem fühlt er sich geliebt...
Als er merkt, dass Ada ihn mit ihrem Mann August verwechselt, ist das ein (im tiefsten Inneren aber erwarteter) Schock. Hier tat mir der Protagonist entsetzlich leid. Dennoch spielt Karl das Verwechslungsspiel weiter mit, auch um die Mutter zu schonen. Sehr befremdlich fand ich, als er sich von der Mutter küssen ließ und sich dieser Kuss "nicht seltsam anfühlte". Als Karl die Mutter mit in die Villa nimmt, fangen beide sogar an, das unvollendete Kunstprojekt beider Elternteile weiter zu bearbeiten. Karl übernimmt die Rolle von August.

Eine Szene, die ich nicht so recht verstanden habe, ist die, in der die Mutter im Garten des Krankenhauses die sternenförmigen Kaugummikleckse zeichnen will. Karl benimmt sich sehr rücksichtsvoll, übernimmt die Aufgabe und zeichnet nicht nur die Kleckse, sondern auch die Mutter und die Umgebung...
Später hängt das Bild im Krankenzimmer. Was hat das zu bedeuten?

Karl beginnt eine intime Beziehung mit Schwester Alexandra, die sich sehr gut in ihn hineinversetzen kann, ohne Ansprüche zu stellen. Mara gegenüber scheint er dabei kein schlechtes Gewissen zu haben. Vielleicht hat @Bibliomarie Recht, die in jener Beziehung nur eine zweckmäßige Verbindung sah.

In diesem Abschnitt wird sehr deutlich, wie stark Karl psychisch verletzt ist. Er hat kein gesundes Verhältnis zu seinem Elternhaus, zu seiner Mutter, zu Tanja. Kann er überhaupt tragfähige Beziehungen eingehen?
Der Alkohol diente ihm schon oft als Flucht, offensichtlich kann er aber auch einige Tage ohne auskommen. Der Arzt seiner Mutter hat das diesbezügliche Problem erkannt, weil er fordert, dass Karl "absolut nüchtern" zu erscheinen habe, wenn er Ada mit dem Auto abholen komme.
 

Renie

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19. Mai 2014
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Sowohl das Schlafnest (das zudem mit diesen "Schätzen" ausgestaltet wird) als auch diese eigenartige Verbindung zu Tanja machen mir deutlich, dass mit Karl im psychologischen Sinn etwas nicht stimmt.
Sehe ich auch so. Irgendwie ist mir das Verhältnis zwischen Tanja und Karl sehr suspekt. Bei Tanja wird es kindliche Neugier sein, schließlich versteht er es auch gut, sie mit seinen kleinen Überraschungen zu locken. Aber Karls Verhalten finde ich fast schon grenzwertig für einen Erwachsenen. Seine Sehnsucht nach der Präsenz des Kindes hat fast schon etwas Stalker-haftes.
Eine Szene, die ich nicht so recht verstanden habe, ist die, in der die Mutter im Garten des Krankenhauses die sternenförmigen Kaugummikleckse zeichnen will. Karl benimmt sich sehr rücksichtsvoll, übernimmt die Aufgabe und zeichnet nicht nur die Kleckse, sondern auch die Mutter und die Umgebung...
Später hängt das Bild im Krankenzimmer. Was hat das zu bedeuten?
Das habe ich gar nicht so wahrgenommen. Für mich übernimmt Karl die Rolle seines Vaters, was sich für ihn "auch nicht seltsam anfühlt". Da ist mir zuviel Selbstverständlichkeit im Spiel, fast als würde er es genießen, in diese Rolle gedrängt zu werden. Der Rolle entsprechend hilft er "seiner Frau", die ihre Kreativität ausleben will, aber körperlich nicht in der Lage ist. Daher übernimmt er das Zeichnen. Das Bild wird zu einem Liebesbeweis von Augusts und Adas Liebe. Das mit dem Kaugummi ist bestimmt Zufall.
Ich habe kein gutes Gefühl bei Karl und frage mich, welchen Verlauf der Roman noch nehmen wird.
 

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Ein bisschen Slapstick hat die Szene mit der Polizei: Zwei Beamte kommen zu Karl, weil er angeblich auf die Kinder im Garten geschossen haben soll. Schnell schaltet der Beschuldigte um und erzählt "eine Geschichte", in der er sich seine Rolle als Künstler zu Nutze macht und den Staatsdienern einen Bären über die tatsächlichen Geschehnisse aufbindet, die sie schließlich auch glauben.
Die Szene ist genial! Ich habe wirklich laut gelacht dabei.
Bin noch nicht ganz durch mit dem Teil, aber Karls psychische Verfassung ist wirklich grenzwertig. Die Fixierung auf das Mädchen und die Rolle des Vaters, die er (un-)freiwillig übernimmt. Ich bin wirklich gespannt, wie es sich weiter entwickelt.
 

wal.li

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Die Szene mit der Polizei ist wirklich klasse, Karl ist wie so eine Art Stand-Up-Comedian.
Welche Bedeutung Tanja für Karl hat, erschließt sich mir auch nicht. Es fühlt sich schon irgendwie verkehrt an.
Es muss aber auch ziemlich schlimm für Karl sein, dass seine Mutter ihn mit seinem Vater verwechselt und ihn selbst offensichtlich vergessen hat. Er hat ziemlich viel auf einmal zu verarbeiten, der Tod des Vaters, die Krankheit und ihre Folgen der Mutter, seine eigene Berühmtheit als Künstler. Ich glaube, von seiner Freundin wird er sich trennen. Es prasselt ziemlich viel auf ihn. Ich hoffe, er fängt sich wieder.
 
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Da ist mir zuviel Selbstverständlichkeit im Spiel, fast als würde er es genießen, in diese Rolle gedrängt zu werden.
Er selbst bringt Ödipus ins Spiel, dass er auch an Marty McFly denkt hat schon wieder eine gewisse Komik, aber liefert auch einen Hinweis. Der ist ja in der Zeit zugereist und trifft auf seine junge Mutter. Karl sieht beim Küssen eine junge Frau.
Dass er sich nicht dagegen wehrt, es genießt, kann damit zusammenhängen, dass er seine Mutter für ihn nie eine Mutter in dem Sinne gewesen ist. Er wurde früh abgeschoben - vielleicht sehnt er sich nach ihrer Wärme und Nähe und wenn es nur auf dem Weg geht...geht er mit.
Die Beziehung zu Tanja ist seltsam, aber mir erscheint es wie ein Spiel zwischen den beiden - nichts Bedrohliches.
Und als würde er in Tanja sich selbst wiederentdecken -unbeschwert, fröhlich.
 

Literaturhexle

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Er wurde früh abgeschoben - vielleicht sehnt er sich nach ihrer Wärme und Nähe und wenn es nur auf dem Weg geht...geht er mit.
Die Beziehung zu Tanja ist seltsam, aber mir erscheint es wie ein Spiel zwischen den beiden - nichts Bedrohliches.
Das ist ein interessanter Gedanke, dass er die versäumte Mutterliebe auf diese Art nachholen will.... Vielleicht hat er im Internat auch noch andere schlimme Erfahrungen gemacht? Er ist ja wirklich emotional "von der Rolle". Wir werden es erfahren.

Im zweiten Punkt bin ich voll bei dir: ich sehe auch (noch) nichts Bedrohliches zwischen Tanja und Karl. Es scheint eher ein Spiel zu sein, das Karl allerdings obsessiv wichtig ist.
 

Bibliomarie

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Die Tage im Elternhaus, das so gar nicht sein Zuhause ist, scheinen Karl zu verstören. Der einzige Lichtblick ist das Mädchen Tanja, mit dem er wortlos über "Schätze" kommuniziert. Kleine Dinge, wie eine Gürtelschnalle, ein paar Blätter oder Beeren, werden gesammelt und getauscht. Ich finde es seltsam, wie wichtig ihm das ist, ohne dass ich dabei einen sexuellen Hintergrund vermute. Aber es ist eine ganz besondere Intimität, die diese Szenen vermitteln. Auch für Tanja, wie ich vermute, denn sie sucht oft seine Nähe, bleibt aber auf Distanz.

Eine witzige Episode war das Kunstwerk mit dem Luftgewehr. Wie die beiden Polizisten an seinen Worten hängen, wie sie das Kunstblabla aufsagen, war schon unterhaltsam.

Im Krankenhaus, als seine Mutter wach wurde, übermannten Karl seine Gefühle. Anfangs war er so glücklich, als seine Mutter ihn Schatz nannte und umarmte. Aber dann dämmert ihm, dass sie ihn für August hält. Das hat ihn sehr getroffen, aber er hält sich gut. Ihren Kuss muss er aber verarbeiten.

Die Beziehung mit der Krankenschwester erdet ihn etwas. Sie stellt keine Ansprüche, ist einfach da. Berlin scheint immer weiter weg zu sein. Er verschwendet jedenfalls wenig Gedanken daran, die Telefonate mit Mara sind ihm lästig.
 

Bibliomarie

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Als er merkt, dass Ada ihn mit ihrem Mann August verwechselt, ist das ein (im tiefsten Inneren aber erwarteter) Schock. Hier tat mir der Protagonist entsetzlich leid. Dennoch spielt Karl das Verwechslungsspiel weiter mit, auch um die Mutter zu schonen.

Hier spürt man auch, wie Karl sich nach mütterlicher Zuneigung sehnte.
 

Renie

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Ich glaube, von seiner Freundin wird er sich trennen. Es prasselt ziemlich viel auf ihn. Ich hoffe, er fängt sich wieder.
Kann man ihm auch nicht verdenken. Mara ist schon sehr speziell. Sie behandelt ihn wie ein kleines Kind und ist nicht glücklich, wenn er nicht so funktioniert, wie sie das gerne möchte.
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Die Anziehungskraft von Tanja auf Karl ist wirklich erstaunlich. er, der Schwierigkeiten mit Beziehungen zu so quasi jedem Menschen hat, fühlt sich gerade zu einem 8-jährigen Mädchen hingezogen und sieht dieses Mädchen als seinen Quell für Kreativität (der Schrottbaum) Sie ist also sozusagen seine Muse. Ich denke so auf die Kunst bezogen muss man dieses Verhältnis und die Anziehungskraft primär (aber wohl nicht ausschließlich) sehen und werten.
Die Schuss-Skulptur-Szene ist wirklich super. Das habt ihr oben auch schon hervorgehoben. Den Harz wieder wegschießen - und schon kommt ein neuer "Stiegenhauer" raus. Das hält auch der Kunstszene einen Spiegel vor, der zumindest zum Schmunzeln herausfordert.
Zusätzlich finde ich an diesem Teil noch wichtig: Hier wird aus Karl Sund wieder Karl Stiegenhauer. Ein dritter Lebensabschnitt, auf den Karl mindestens verwirrt reagiert. Gewünscht jedenfalls hat er sich diese Rückverwandlung sicher nicht.
Zudem schlüpft er ja auch noch in die Rolle des Vaters in den Augen der "verwirrten" Mutter und er lässt sich nach einigem Widerstreben auf dieses merkwürdige Spiel ein. Zum ersten Mal in seinem Leben knüpft er so eine Beziehung zu seiner Mutter und das in einer falschen Rolle (nicht im Sinne von Mutter-Sohn-Beziehung; das geht ja bis zu einem richtigen Kuss). Aber er spielt mit, denn er hat doch einiges nachzuholen in Sachen Nähe zur Mutter und da ist ihm auch diese falsche Rolle letztlich recht.
Der vehemente Ruf nach Berlin (durch Mara und seinen Galeristen) stellt für ihn einen großen Druck dar, dem er nicht nachgeben möchte. Die Sorge um die wieder aufgewachte Mutter ist da ein willkommener Grund und Vorwand zu bleiben und sich nicht wieder in den vibrierenden Kunstbetrieb der Hauptstadt zu begeben.
Und dann taucht da noch immer stärker in diesem Teil Alexandra auf. Noch eine Person, der er nicht mit seiner autistischen Angst/Ablehnung vor Menschen begegnet. Warum? Keine Ahnung.
 

Bibliomarie

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Zum ersten Mal in seinem Leben knüpft er so eine Beziehung zu seiner Mutter und das in einer falschen Rolle (nicht im Sinne von Mutter-Sohn-Beziehung; das geht ja bis zu einem richtigen Kuss). Aber er spielt mit, denn er hat doch einiges nachzuholen in Sachen Nähe zur Mutter und da ist ihm auch diese falsche Rolle letztlich recht.

Das ist mir auch so gegangen, lieber eine falsche Rolle und einmal seiner Mutter, dieser für ihn eigentlich fast fremden Frau, nahe zu sein.
 
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Literaturhexle

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Sie ist also sozusagen seine Muse.
Das hält auch der Kunstszene einen Spiegel vor,
Hier wird aus Karl Sund wieder Karl Stiegenhauer. Ein dritter Lebensabschnitt,
Zum ersten Mal in seinem Leben knüpft er so eine Beziehung zu seiner Mutter
Das hast du alles sehr genau auf den Punkt gebracht und ich stimme dir uneingeschränkt zu!
 

Momo

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10. November 2014
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Nun habe auch ich den zweiten Abschnitt geschafft. Durch mein ruheloses Wochenende bin ich euch eher hinterhergeschleift, ohne eure Beiträge gelesen zu haben, um meine eigenen Entdeckungen erstmal machen zu können. Habe aber an der Anzahl der Posts zu den jeweiligen Abschnitten gesehen, wo ihr schon gelandet seid. Das Buch gefällt mir mit Ausnahme einer Szene nocht immer gut.

Der Künstlerkarl und seine Schießerei; die Szene mit der Polizei wegen des Schießens in der Öffentlichkeit hat mich nicht überzeugt. Die Kunst bestaunend in der Art, wie es die Polizisten taten, wirkten sie auf mich ein wenig naiv.

Die Kapiteln sind durchweg farbennuanciert. Was hat sich die Autorin dabei gedacht? Ein Künstlerroman? Ist das alles an Erklärung? Ehrlich gesagt, reicht mir dies als Antwort nicht aus, ich habe aber selber keine Ideen dazu. Der Roman ist allerdings noch lange nicht beendet. Vielleicht kommen mir die Ideen ja noch.

Beschäftigt hat mich auch Tanja, als ich anfangs dachte, sie sei ein fiktionales Wesen, da Carl anfangs sich selber nicht sicher war, ob dieses Mädchen real war, doch mittlerweile ist es raus. Tanja gibt es wirklich, doch welche Beziehung Karl zu diesem Mädchen tatsächlich hat, habe ich auch noch nicht raus. Irgendwie scheint ihm das Mädchen unbewusst Kraft zu schenken.

Eine Expedition durch das Elternhaus? Finde ich eine wunderschöne Metapher, und sie zeigt, wie fremd Carl in seinem Elternhaus ist. Auch auf Seite 102 wird das Fremde nochmals deutlich, als es um seinen Familiennamen geht. Karl Stiegenhauer; er habe länger ohne diesen Namen gelebt als mit ihm. Durch den Tod seines Vaters betrachtet Karl sich gezwungenermaßen als den neuen Stiegenhauer.

Karl geht seine Mutter in der Klinik besuchen, nach dem der Facharzt ihn telefonisch kontaktiert hatte, dass die Mutter einigermaßen wiederhergestellt sei und in der Lage wäre, zu reden.
Karl sitzt still weinend am Krankenbett seiner Mutter. Möchte die vielen zärtlichen Worte genießen, die er als Kind sosehr vermisst hatte. Die Mutter sieht Karl weinen, und findet tröstende Worte, so lange sie zusammen sind, sei alles gut. Doch leider waren diese Worte gar nicht an ihn gerichtet, sondern an seinen Vater. Karl war nun August. Wie traurig für den armen Karl ... Und was für eine verrückte Geschichte. August liegt unter der Erde, die Mutter weiß nichts um diesen Verlust. Sie hat Karl, erinnert sich aber nicht an diesen Sohn, sie wusste nicht einmal, dass der Sohn existierte ...

Doch Karl spielt das Spiel mit, auch wenn es ihm schwer fällt. In der Betrachtung alter Fotos hat er die Hoffnung, die Mutter könne aus ihrer partiellen Amnesie erwachen ...

Karl versteht sich selbst nicht mehr. Er weiß nicht einmal, weshalb er solange in der Welt und der Heimat seiner Eltern verweilt? Er hat, aus meiner Sicht, noch immer die Hoffnung, etwas zu finden, was ihn mit den Eltern verbindet.

Karl überlegt, wer von den Menschen eine ähnliche Erfahrung mit den Eltern gemacht haben könnte, da er sich mit dieser Erfahrung, von den Eltern nicht ausreichend geliebt worden zu sein, alleine fühlt. Ihm fielen ein paar fiktive Namen wie z.B. Õdipus ein. Nein, diese fiktiven Figuren gaben ihm nichts, er sucht echte Menschen mit diesem seelischen Trauma. Auf Seite 147 stellt er sich die Frage, weshalb er sich nicht schon früher mit diesen Fragen beschäftigt hat, als beide Elternteile noch da waren? Er reflektiert sein Leben und gelangt zu der Erkenntnis, dass er sich gegenüber seiner Eltern hätte wehren können.

Eine Seite später ist sich Karl nicht mehr sicher, wem Unrecht getan wurde? Seinen Eltern? Oder nur der Mutter, weil Karl nicht aufklärt, dass er nur der Sohn sei, und August eigentlich schon tot? Den süßlichen Kuss der Mutter hinnehmend, der nicht ihm galt ... Alle Küsse würden gleich schmecken, ganz gleich, wem diese Küsse gelten ... Geht Karl damit falsche Kompromisse ein, indem er seine Mutter täuscht?

Ich bin sooo neugierig zu erfahren, wie Karl seine Probleme meistern wird.
 

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Karl hat sich in meinen Augen nie ganz lösen können aus einer kindlichen Rolle, weil seine Eltern ihm eine normale Kindheit zu früh verweigert haben. Deswegen sehe ich in seiner Besessenheit mit Tanja erstmal nichts Pädophiles, was man ja sonst denken könnte - ich glaube, ein Teil von ihm fühlt sich sozusagen mit ihr auf Augenhöhe, nämlich der Teil, der sich wünscht, die eigene Kindheit nachholen zu können.

Aber er könnte sich damit in übelste Schwierigkeiten bringen, und ich halte es auch für möglich, dass er unbeabsichtigt Grenzen überschreitet! Die Sache mit dem Eisstil habe mir da etwas zu denken. Auf jeden Fall ist diese Beziehung nicht ganz gesund, finde ich. Er ist ein erwachsener Mann, der auf ein Kind etwas projiziert, was sie nicht leisten kann.

Auch der Kuss mit seiner Mutter... Das ist für mich die andere Seite der gleichen Medaille.

Ich glaube, die Beziehung mit Alexandra hätte das Potential, die erste Beziehung zu werden, die Karl wirklich guttut, aber das ist natürlich schwierig, wegen Mara...

Interessant finde ich immer noch, wie durch und durch künstlerisch Karls Blick auf die Welt ist, und dabei fühlt er sich im Grunde doch wie ein Hochstapler, der nur durch Glück bekannt wurde.

Ist euch ürigens aufgefallen, dass Karl seine Mutter nicht mal so *zeichnen* kann, als würde sie ihn wirklich sehen?

"Schon nach ein paar Strichen schaute Ada Stiegenhauer vom Blatt aus an ihm vorbei."
 

Momo

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Ich sehe es auch wie Mikka. Auf pädophile Ideen
wäre ich nie gekommen, weil es dazu keine ausreichenden Indizien gibt. Aber man hatte sich schon die Frage gestellt, was Karl dazu treibt, die Nähe eines Kindes aufzusuchen. Karls Kindheit verlief größtenteils ohne seine Eltern, was dazu geführt hat, dass seine Psyche sich nicht hat ausreichend entwickeln können. Karl sieht in Tanja etwas, was er auch gerne sein würde. Aber wer sind Tanjas Eltern, die es zulassen, dass das Kind sich mit einem Erwachsenen abgibt?
 

Momo

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Das ist mir auch so gegangen, lieber eine falsche Rolle und einmal seiner Mutter, dieser für ihn eigentlich fast fremden Frau, nahe zu sein.

Das finde ich sehr schade, weil sich seine psychischen Probleme so nicht lösen lassen. Irgendwie ein fauler Kompromiss.
Mich beschäftigt noch der Vater, der in seinem Brief hingewiesen hatte, dass Karl sich von den Eltern zurückgezogen hätte, ohne den Grund zu kennen. Der Vater hat es auch versäumt, Missstände aufzudecken. Es scheint wohl in der Familie zu liegen, Konflikte lieber offen zu lassen, als darin zu bohren.
 

Literaturhexle

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Aber wer sind Tanjas Eltern, die es zulassen, dass das Kind sich mit einem Erwachsenen abgibt?
Zumal sie Karl ja nicht kennen. Ob da seine Berühmtheit ein Bonus ist?

Auch später, als Tanja bei Karl einzieht, habe ich mich darüber gewundert, dass die Eltern das ihrer minderjährigen Tochter einfach erlauben.
Das sollte ein Spoiler Feld werden :confused:
 

Momo

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Zumal sie Karl ja nicht kennen. Ob da seine Berühmtheit ein Bonus ist?

Auch später, als Tanja bei Karl einzieht, habe ich mich darüber gewundert, dass die Eltern das ihrer minderjährigen Tochter einfach erlauben.
Das sollte ein Spoiler Feld werden :confused:

Tja, das werden wir wohl nie erfahren. Schade, wie ich finde.
 
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