18. Juni 1953 - 19. Juni 1953 (Seite 5-82)

ElisabethBulitta

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8. November 2018
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Dann mache ich mal den Anfang.

Obwohl ich die Vorgängerbände nicht kenne, bin ich gut ins Lesen reingekommen. Allerdings muss ich sagen, dass ich das Buch zeitgeschichtlich fast interessanter finde als als Kriminalroman.
Sehr gut dargestellt finde ich die DDR-Propaganda, die im 17. Juni einen faschistischen/imperialistischen Anschlag sah bzw. dieses der Bevölkerung weismachen wollte. Ebenso gut dargestellt finde ich die Person Heller, die etwas gegen diese Parteigenossenschaft hat. Ich hatte ja schon in der Vorstellungsrunde geschrieben, dass meine Mutter 1952, nach ihrem Abitur, gerade aus diesen Gründen (und auch noch aus anderen) aus der DDR abgehauen ist. Insofern ist dieser zeitgeschichtliche Hintergrund für mich nichts Neues, allerdings finde ich auch da, dass, genau wie in Bezug auf den Nationalsozialismus, einfach nicht genug erinnert werden kann. Und natürlich ist dieser "Überbau", dass von offizieller Seite ein Mord "einfach so" oder aus Habsucht ... in einem Vorbildstaat wie der DDR einfach unmöglich war, erwähnenswert und authentisch. Entsprechend wird die Suche nach dem Täter/den Tätern auch erst einmal auf die Reihen der "Aufständischen" beschränkt. Echte Polizeiarbeit ist dabei natürlich nicht vonnöten. Der Tonfall der Offiziellen ist ebenfalls gut getroffen (Bsp. "der Fall Schuster").

Die Darstellung von Baumgarts Tod ist gruselig und schrecklich. Gestopft wie eine Gans mit Glaswolle!
Ein wenig an mich erinnert hat mich Hellers Juckerei, wenn bei uns wieder mal Läuse ihr Unwesen treiben. Da beginnt bei mir auch gleich alles zu jucken und ich bin total unsicher, ob ich die Tierchen habe oder nicht. Glaswolle ist jedenfalls auch was ganz Fieses.

Eine weitere Geschichte dreht sich um Frau Marquart, und auch diese Geschichte kann ich absolut nachvollziehen. Senilität ist etwas ganz Schreckliches, und dass Karin am Ende ist mit den Nerven, kann ich total verstehen. Wobei ich mir auch nicht vorstellen mag, wie die Heime in der DDR waren.
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

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Ich muss gleich mal am Anfang etwas hinzufügen. Meine Augen stolperten gleich am Anfang über HO-Konsum (S.5). Ich weiß, das ist eher nebensächlich. Aber wenn dies ein Buch über die DDR sein möchte, dann sollte es richtig entweder HO oder Konsum sein. Es gab zwei unterschiedliche Handels-Organisationen in der DDR, entweder ich ging in den Konsum oder in die HO.

https://de.wikipedia.org/wiki/Handelsorganisation

https://de.wikipedia.org/wiki/Konsum_(Handelskette)

Sorry, aber das musste sein. :)
 

ElisabethBulitta

Bekanntes Mitglied
8. November 2018
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Meine Augen stolperten gleich am Anfang über HO-Konsum (S.5). Ich weiß, das ist eher nebensächlich. Aber wenn dies ein Buch über die DDR sein möchte, dann sollte es richtig entweder HO oder Konsum sein.

So nebensächlich finde ich das gar nicht, und gut, dass du darauf hinweist, denn mir war diese Kombination auch neu; aber ok, das war auch alles vor meiner Zeit und ich bin "Wessi", sodass ich nicht alles wissen kann.
 

Amena25

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23. Oktober 2016
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Da ich die Vorgängerbände fast alle kenne, ist für mich Max Heller ein ,,lieber Bekannter". Wie immer hat er seine festen Prinzipien und versucht, diese umzusetzen, im Rahmen seiner Möglichkeiten. So wie er bisher keiner Partei angehört hat, will er es auch weiterhin halten. Damit blockiert er aber natürlich auch seinen Weg nach oben. Interessant bei Goldammers Krimis finde ich immer, dass Zeitgeschichtliches auch in Hellers Familie eine zentrale Rolle spielt, dass z.B. seine Frau Karin gern in den Westen gehen möchte, was Heller in Nöte bringt.
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

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Der erste Leseabschnitt liegt hinter mir und ich fühle mich gut unterhalten bisher. Die handelnden Personen sind gut beschrieben, Heller wird sehr schnell zur sympathischen Person, ebenso schnell, wie Bech zu einer zu hassenden Person wird. Der Kriminalfall ist interessant und ist in einen interessanten historischen Kontext eingebunden, beides ist für mich fast gleichwertig zu nennen. So dass dieses Buch nicht nur Krimi ist. Die Dialoge sind manchmal etwas hölzern, aber es ist ja auch ein unterhaltendes Buch, ein Nicht-Nur-Krimi, aber kein Roman.

Ein Kommissar, der nicht in der Partei war erscheint mit etwas abwegig, aber gut, so sei es halt und bei den ganzen Telefonen in den Büros, hhmm, ich weiß nicht. In der DDR drehten sich die Uhren langsamer und ob Anfang der Fünfziger Jahre schon so viele Telefone zu finden waren, auch hier habe ich gestutzt, aber auch hier kann man sagen so sei es halt.

Auf jeden Fall ist das Buch sehr spannend geschrieben und unterhält mich wunderbar.
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

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Und natürlich ist dieser "Überbau", dass von offizieller Seite ein Mord "einfach so" oder aus Habsucht ... in einem Vorbildstaat wie der DDR einfach unmöglich war, erwähnenswert und authentisch. Entsprechend wird die Suche nach dem Täter/den Tätern auch erst einmal auf die Reihen der "Aufständischen" beschränkt. Echte Polizeiarbeit ist dabei natürlich nicht vonnöten. Der Tonfall der Offiziellen ist ebenfalls gut getroffen (Bsp. "der Fall Schuster").

Dieser politische Überbau in allen Instanzen des Lebens ist etwas gewöhnungsbedürftig, war aber recht oft im Unterton zu hören. Obwohl es natürlich auch in der DDR die Verbrechen aus Leidenschaft und ohne politische Beifärbung gab. Vermittelt wurde es aber anders.

https://de.wikipedia.org/wiki/DIE_–_Delikte_Indizien_Ermittlungen

https://de.wikipedia.org/wiki/Polizeiruf_110
 
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10. September 2015
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Tatsächlich geht es mir auch so wie @ElisabethBulitta, als Krimi hat mich das Buch noch nicht so richtig gepackt, aber als Zeitbild finde ich es unheimlich interessant.
Ich hatte erst vor einiger Zeit etwas aus den 50iger in der DDR gelesen und finde das Beschriebene hier auch wieder. Es erstaunt mich, (genau wie Heller) dass es nicht mal 10 Jahre gedauert hat, bis das gleiche Vokabular wieder auftaucht, nur mit anderen Vorzeichen.

Glasfasern werden verarbeitet, ohne Atemschutz, ohne Lüftung unter unglaublichem Normdruck. Die ach so gelobten Arbeiter waren den Funktionären in DDR wohl ziemlich egal. Das kommt in Bech auch ganz gut zum Ausdruck, dem ähnlich wie die Nazis kurz zuvor, überhaupt nicht an der Wahrheit gelegen ist, sondern nur wie er die Vorkommnisse in sein Weltbild pressen kann.

Heller muss sich fragen, ob sein Sohn Klaus auch so ist wie Bech. Das ist ein ganz schrecklicher Gedanke.
 

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Insofern ist dieser zeitgeschichtliche Hintergrund für mich nichts Neues, allerdings finde ich auch da, dass, genau wie in Bezug auf den Nationalsozialismus, einfach nicht genug erinnert werden kann.

Das meine ich auch und man sollte nicht aus lauter "Ostalgie" das ausblenden. Aber da ich die Verhältnisse im Osten nicht aus eigener Anschauung kenne, möchte ich da auch nicht verurteilen.
 

Bibliomarie

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Ein Kommissar, der nicht in der Partei war erscheint mit etwas abwegig, aber gut, so sei es halt und bei den ganzen Telefonen in den Büros, hhmm, ich weiß nicht. In der DDR drehten sich die Uhren langsamer und ob Anfang der Fünfziger Jahre schon so viele Telefone zu finden waren, auch hier habe ich gestutzt, aber auch hier kann man sagen so sei es halt.

In den Büros und bei den amtlichen Stellen war es wohl anders, als bei Privatpersonen.
Dass Heller sich immer noch standhaft gegen die Vereinnahme als "Genosse" wehrt, macht ihn sympathisch. Er kommt deshalb ja beruflich nicht weiter. Wahrscheinlich würde er in der Realität in ein - zwei Jahren abgesägt werden,
 

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Ich muss gleich mal am Anfang etwas hinzufügen. Meine Augen stolperten gleich am Anfang über HO-Konsum (S.5). Ich weiß, das ist eher nebensächlich. Aber wenn dies ein Buch über die DDR sein möchte, dann sollte es richtig entweder HO oder Konsum sein. Es gab zwei unterschiedliche Handels-Organisationen in der DDR, entweder ich ging in den Konsum oder in die HO.

https://de.wikipedia.org/wiki/Handelsorganisation

https://de.wikipedia.org/wiki/Konsum_(Handelskette)

Sorry, aber das musste sein. :)

Das finde ich schon wichtig, besonders wenn Goldammer ein sehr viel Wert auf die Zeitgeschichte legt.
 
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Das finde ich schon wichtig, besonders wenn Goldammer ein sehr viel Wert auf die Zeitgeschichte legt.
Das ist halt immer so die Frage, was man unter Zeitgeschichte versteht. Bei den meisten Menschen im Osten hat Politik nicht so eine übergeordnete Rolle gespielt. Es waren die Bechs und die Klaus's und ihre Gegenspieler, denen Politik wichtig war und dem Rest war das mehr oder weniger egal. Das Leben war wichtiger!
 
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wal.li

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1. Mai 2014
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Da ich die Reihe kenne, ist es für mich wie ein Wiedertreffen mit alten Bekannten. Gerade findet der Arbeiteraufstand statt und die Demonstrierenden werden zurückgedrängt. Als in einer Fabrik für Glaswolle ein Mord geschieht, wird sofort die Staatssicherheit eingeschaltet. Kommissar Heller ermittelt auch, aber eigentlich steht das Ergebnis schon fest. Es muss was Politisches sein. Doch Heller geht der Sache auf den Grund. Er will die Wahrheit.
Mir gefällt sehr gut, dass der Autor den Arbeiteraufstand thematisiert. Das kommt sonst eher zu kurz.
Heftig waren wohl auch die Arbeitsbedingungen in dieser Fabrik. Was für Heller schon nach wenigen Minuten ausgesprochen unangenehm ist, müssen die Arbeiter schutzlos immer ertragen.
Wieso geschah der Mord? Und was wird mit Heller und seiner Familie? Da er nicht in der Partei ist, verläuft seine Karriere eher schleppend und an bestimmte Annehmlichkeiten kommt er auch nicht so leicht heran. Das kennt man doch.
 
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Das ist halt immer so die Frage, was man unter Zeitgeschichte versteht. Bei den meisten Menschen im Osten hat Politik nicht so eine übergeordnete Rolle gespielt. Es waren die Bechs und die Klaus's und ihre Gegenspieler, denen Politik wichtig war und dem Rest war das mehr oder weniger egal. Das Leben war wichtiger!

Wahrscheinlich war es für die meisten Leute einfacher sich zu arrangieren und sich aus der Politik herauszuhalten. Je stärker sich der junge Staat DDR zu einer Diktatur wandelte, umso mehr hielt man sich zurück.
So passiert es in jeden autoritären Staatsgebilden, wir sehen es ja gerade wieder in einigen Ländern.
 

ElisabethBulitta

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8. November 2018
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Es erstaunt mich, (genau wie Heller) dass es nicht mal 10 Jahre gedauert hat, bis das gleiche Vokabular wieder auftaucht, nur mit anderen Vorzeichen.

Wirklich erstaunen tut es mich nicht, wenn man bedenkt, dass dort im Grunde die Sowjets die Zügel in der Hand hatten, die - ohne das Naziregime verteidigen zu wollen - den Nazis in nichts nachstanden.
Übrigens lohnt es sich in diesem Zusammenhang auch mal, das Buch "Die Revolution entlässt ihre Kinder" von Wolfgang Leonhard zu lesen.
 

Xanaka

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12. Juli 2015
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Berlin
Ich muss gleich mal am Anfang etwas hinzufügen. Meine Augen stolperten gleich am Anfang über HO-Konsum (S.5). Ich weiß, das ist eher nebensächlich. Aber wenn dies ein Buch über die DDR sein möchte, dann sollte es richtig entweder HO oder Konsum sein. Es gab zwei unterschiedliche Handels-Organisationen in der DDR, entweder ich ging in den Konsum oder in die HO.

https://de.wikipedia.org/wiki/Handelsorganisation

https://de.wikipedia.org/wiki/Konsum_(Handelskette)

Sorry, aber das musste sein. :)

Das stimmt auf jeden Fall. Aber gerade damals gab es diese kleinen Läden, die entweder von der HO oder vom Konsum betrieben wurden. Und diese kleinen Läden hießen eben alle Konsum. Ich würde denken, dass es hier umgangssprachlich zu deuten wäre. Ach ja und die großen Läden waren dann eben die Kaufhalle - so konnte man die Läden gut unterscheiden.