Rezension Rezension (5/5*) zu Kleine Feuer überall: Roman von Celeste Ng.

Anjuta

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8. Januar 2016
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Aufflackerndes Leben in Shaker Heights

In dem Roman fängt alles damit an, dass am Ende das Haus brennt.
Die Autorin von „Kleine Feuer überall“ Celeste Ng rollt für den Leser die im Roman erzählte Geschichte von hinter her auf und entwickelt langsam und behutsam, wie dieses Ende (der Brand) zustande gekommen ist und was dazu geführt hat. Dabei geht es um die Geschichte des Aufeinandertreffens von zwei ungemein unterschiedlichen Familien: den Richardsons und den Warrens. Die Richardsons, deren Haus am Ende in Flammen steht, leben schon ihr ganzes Leben in Shaker Heights, wohin es auf einer ihrer unzähligen Lebensstationen auch Mia und Pearl Warren für einige Zeit verschlagen hat. Shaker Heights ist für dieses Aufeinandertreffen ein ganz besonderes Pflaster, denn es handelt sich hierbei nicht nur um eine architektonisch vollkommen durchgeplante Siedlung, nein, diese Siedlung hat ihren Bewohnern viel mehr an Planung und Regelung zu bieten. Hier ist an alles gedacht und alles ist geregelt, damit ein Flecken Perfektion für die Bewohner geschaffen werden kann. Dass ein Scheitern dieses Bemühens vorherbestimmt ist, deutet sich in dem Roman schon mit dem Brand des Hauses im Eingangskapitel an. In dieser Welt von Shaker Heights ist für die Bewohner alles so vorausgeplant und geregelt, dass ihnen Überraschungen, und zwar sowohl unliebsame, als aber eben auch eventuell liebsame, weitestgehend erspart bleiben. Doch dieser Regelungswahnsinn hat im wirklichen Leben natürliche Grenzen und so bleibt Unvorhergesehenes dann eben doch nicht aus. Insbesondere, wenn Fremdkörper, wie Mia und Pearl Warren in diese Welt eindringen und Dinge anstoßen, die eine nicht mehr zu kontrollierende Eigendynamik entfalten. Celeste Ng kann das bei glatter Fassade untergründig Wirkende in dem Roman ungemein gut beschreiben und erzählen und hält den Leser in Atem und bei der Lektüre fest. Denn der erkennt immer mehr, dass das regelhafte Leben, in dem einfache Wertungen möglich sind zu den Fragen des Gut und Böse, des Richtig und Falsch, des Recht und Unrecht immer mehr an seine Grenzen stößt und die Menschen gezwungen sind, eigene, d.gh. schwierigere Wege zu gehen und mitunter schmerzhafte Entscheidungen zu treffen. Die Konstruktion der Romanhandlung bringt das Thema des Romans – für mich ist das "Regeln und ihre Auswirkungen auf das Leben" – weit voran durch das Aufeinandertreffen so unterschiedlicher Lebensentwürfe wie die der Richardsons und die der Warrens. Sesshaftigkeit trifft dabei auf ständigen Wandel. Lange hält die Zentralfigur des Romans, Mrs Richardson, dabei an ihrem Weltbild fest. Sie erkennt dabei sehr wohl, dass die sie „rettenden“ Regeln ihr auch einige Wege verschließen (ihre Karriere z.B.), aber dass für sie das Gute daraus deutlich überwiegt:
<I><B> "Regeln gab es aus einem bestimmten Grund. Wer sie befolgte, kam voran; wer es nicht tat, drohte die Welt in Asche zu legen." </I></B>
Doch am Ende hat diese Einstellung auch bei ihr wohl einige Risse bekommen. Herausgehoben deutlich macht das die Autorin in dem Verhältnis von Mrs Richardson zu ihrer jüngsten Tochter Izzy (der Brandstifterin, soviel sei ruhig verraten, da ja jeder Leser das auf den ersten Seiten sowieso schon erfährt), die für sie ihr Leben lang das Problemkind innerhalb ihrer Kinderschar war, da sie am wenigsten der Regelhaftigkeit ihres Weltbildes entsprach und am meisten in der Welt von Shaker Heights und in der der Mrs Richardson aneckte. Doch am Ende hat das reinigende Feuer es wohl doch vermocht, dass das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter sich in der Zukunft deutlich verändern wird. Und auch die Warrens haben ihre Lektion am Ende des Romans gelernt. Geheimnisse und vertuschte Lebenswahrheiten kommen irgendwann ans Licht und müssen akzeptiert und in das Leben integriert werden. Das alles aber erzählt der Roman nicht mehr, aber er gibt dem Leser doch den guten Glauben und die gute Hoffnung an eine positive Veränderung für beide Familien.

FAZIT:
Eine große Empfehlung für Celeste Ngs Roman, der tiefgründig in die amerikanische Gesellschaft einsteigt und dem Leser Anregungen gibt aber nicht den Raum nimmt für eigenes Denken, Werten und die-Geschichte-Weiterspinnen. Es ist ein Appell gegen den Glauben an einfache Wahrheiten, ein Appell für das eigene Denken und Gestalten und damit für mich höchst aktuell nicht nur in der US-amerikanischen Literatur, sondern auch bei uns.
Dass dabei noch in einer unaufgeregt feinen und sehr treffsicheren Sprache erzählt wird, macht den Roman noch lesenswerter.
Natürlich 5 Sterne!