Eines Nachts kommt heimlich und verstohlen ein Jahrmarkt in eine kleine Stadt in Illinois, die identisch ist mit Green Town in Bradburys autobiografischem Episodenroman Löwenzahnwein, und schlägt seine Zelte auf. William "Bill" Halloway und James "Jim" Nightshade, zwei Jungs aus der Stadt, spüren als erste, dass mit dem Jahrmarkt etwas nicht geheuer ist: Traumfiguren wandeln unerkannt unter den Bewohnern der Stadt, und nur die Jugendlichen können sie erkennen, während die Erwachsenen dem Phänomen kaum Beachtung schenken. Die heimlichen bösen Wünsche der Stadtbewohner gehen in Erfüllung, ein Karussell verwandelt Kinder in Greise und Greise in Kinder und der Jahrmarkt selbst stiehlt die Seelen der Menschen. Jim und Bill nehmen den Kampf gegen die Zirkusdirektoren G. M. Dark und J. C. Cooger auf. Hilfe finden sie in der Bibliothek, wo Charles Halloway arbeitet, Williams Vater.
Ray Bradburys unheimlicher Roman hat deutlich allegorischen Charakter (wofür das Buch oft kritisiert wurde), die handelnden Personen sind wenig mehr als Symbole und Metaphern, die Schilderungen des ländlichen Kleinstadtlebens ebenso verklärt wie die der Bibliothek, ein gotisches Schloss des Wissens, dessen Bücher die Lösung zu allen Problemen zu enthalten scheinen (man vergleiche dazu auch Bradburys Fahrenheit 451, wo Bücher von der Regierung als subversiv verboten werden, da ihr Inhalt die Fantasie der Bürger anregen und sie auf dumme Gedanken bringen könnte). Und dennoch -- der Roman beinhaltet bei allen Schwächen einige wahrhaft magische und unheimliche Momente, die die Lektüre zu einem unvergesslichen Erlebnis machen. --Joachim KörberKaufen
Ray Bradbury war mir bisher nur als Autor der Dystopie Fahrenheit 451, bekannt, die er 1953 veröffentlicht hat. Ich kann mich noch gut an die Romanverfilmung mit Oskar Werner in der Hauptrolle des Bücher verbrennenden Feuerwehrmannes erinnern. Doch der Science Fiction Autor Bradbury beherrscht noch ein anderes Genre: Horrorliteratur.
In einer Leserunde bei Whatchareadin bin ich in den Genuss von Horror gekommen, wie ich ihn mag: intelligent, fantasievoll und blutarm. In "Das Böse kommt auf leisen Sohlen" inszeniert Ray Bradbury ein Szenario, das mich mächtig gruseln ließ.
Worum geht es in diesem Roman?
Der Inhalt ist schnell zusammengefasst. Die Handlung spielt in den 20er/30er Jahren. In einer amerikanischen Kleinstadt gastiert ein Wanderzirkus. Doch dieser Zirkus ist kein gewöhnlicher Zirkus: merkwürdige und unheimliche Dinge geschehen mit einigen Leuten, die diesen Zirkus mit seinen Attraktionen - Karussel und Spiegelkabinett - besuchen. Einzig die beiden Jungen Will und Jim - Freunde vom Tag ihrer Geburt an - kommen dem Zirkus und seinem Geheimnis auf die Spur. Sie bringen sich dadurch in große Gefahr, denn die Zirkusleute wollen sich nicht von zwei Kindern ins Handwerk pfuschen lassen.
"Der Zirkus ist wie Menschen - nur menschlicher. Ein Mann und eine Frau gehen nicht voneinander, sie bringen einander nicht um, sondern sie martern einander ein Leben lang, reißen sich die Haare, die Fingernägel einzeln aus, und die Qual des einen ist dem anderen das Narkotikum, das ein Leben erst lebenswert macht. Der Zirkus spürt von Magengeschwüren geplagte Egos aus meilenweiter Entfernung auf und fliegt herbei, um Hand an die Schmerzen zu legen. Er riecht Jungen, die sich damit abquälen, Männer zu werden, und die dabei schmerzen wie große dumme Weisheitszähne aus zwanzigtausend Meilen Entfernung, einen in Winternacht gebetteten Sommer." (S. 192 f.)
Den Anfang dieses Romanes habe ich zwiegespalten erlebt. Bradbury hat einen sehr eigenwilligen Sprachstil: von Metaphern durchzogen und teilweise wirre Gedankengänge. Der Einstieg war daher nicht leicht für mich. Aber irgendetwas hatte die Geschichte, dass ich nicht mehr von ihr lassen konnte. Mit der Zeit habe ich mich an den Sprachstil gewöhnt und konnte ihm sogar einiges abgewinnen. Insbesondere die teilweise sehr morbide Wortwahl hat es mir angetan.
Bradbury entführt den Leser in eine Gedankenwelt, die herzlich wenig mit Logik und Vernunft zu erklären ist. Gerade die beiden Jungs Jim und Will nehmen unglaubliche Dinge wahr, die mich oft verunsichert haben. Häufig tauchte bei mir die Frage auf, ob diese Dinge, die die beiden Jungen erleben, in dem Roman tatsächlich passieren oder nur eine Ausgeburt ihrer kindlichen Fantasie sind. Diese Frage hat mich tatsächlich bis zum Ende nicht losgelassen.
Es gehört schon einiges dazu, wenn ein Autor von der ersten Seite an eine unheimliche Stimmung vermittelt, die bis zur letzten Seite anhält, ohne dass sie jemals merklich nachlässt. Ray Bradbury ist genau dies gelungen. Seine Qualität als Horror-Autor haben auch schon andere namhafte Schriftsteller dieser Zunft erkannt. So ließ sich z. B. Stephen King von Bradbury's Geschichten inspirieren. "Es" lässt grüßen.
Fazit:
Dieser Roman weiß durch seine unheimliche Stimmung zu überzeugen. Bradbury hat es geschafft, mit seinem eigenwilligen Sprachstil, Horror vom Feinsten zu schreiben - intelligent und fantasievoll, dabei relativ blutarm. Das "Böse" ist dem Leser dabei ständig präsent - mal unterschwellig, dann auch wieder sehr direkt. Die eigene Fantasie läuft zur Höchstform auf. Das Kopfkino liefert Bilder, die die Nerven doch sehr strapazieren. Das ist einfach nur gruselig, und so soll es sein!
© Renie