Ich war auf dieses Buch, was ja dann doch nicht, wie im Entwurf des Verlags nur "Mädchen" sondern "Es ist ein Mädchen" heißt, sehr gespannt.
Interessant ist, dass der Originaltitel ja "Fille" ist, also auch "Mädchen" hätte bleiben können. Zunächst hatte ich beim Lesen der ersten Seite Angst, dass die Übersetzerin recht frei entschieden hat, auch aus dem ersten ausgesprochenen Satz statt "Mädchen." ein "Es ist ein Mädchen" zu machen. Aber ein Blick in die Leseprobe des französischen Originals zeigt, dass auch hier der erste und im späteren Verlauf ja so wichtige Satz "C'est une fille." heißt. So viel erst einmal dazu.
Der Gesamteindruck: Mir gefiel besonders auf den ersten 20+ Seiten der Einfallsreichtum, wie die Autorin (und Übersetzerin!) sprachlich die Misogynie gegenüber Mädchen (und auch Frauen) geschafft hat darzustellen wirklich sehr. Die Sprache war für mich das Herausstechendste an diesem Romananfang. Diesbezüglich habe ich mir so viele Stellen im Text markiert, die mit der Grammatik spielen bzw. aufzeigen, wie Sprache schon im negativen Sinne den Unterschied zwischen biologisch weiblichen und männlichen Personen festnagelt. Auch die Sprachbilder als solche haben mir sehr gut gefallen. Wie z.B. auf S. 19 "das Platsch des schräg auf der relativ glatten Oberfläche des Schweigens aufprallenden Steins...und die Kiesel, die von Mund zu Mund springen."
Inhaltlich stellt die Autorin zügig klar, dass hier harte Wahrheiten angesprochen werden, wie dass das Mädchen schon längst tot sei, wäre es in China oder Indien geboren. Keine Frage, diese Sachen fand ich beeindruckend.
ABER: Tatsächlich ging mir mit der Zeit die Dichte der aneinandergereihten Anekdoten, vor allem dann wenn der (gekonnt eingeführte!) Wechsel der Erzählperspektive einsetzt. Danach habe ich das Gefühl, das weniger ein Plot sich entwickelt, als eben vielmehr eine Anekdote nach der nächsten kommt. Das soll vielleicht ermüden, weil Misogynie kraftraubend und ermüdend für die betroffenen Frauen (erst einmal bezogen auf die Generation, wie im Buch dargestellt, geb. um 1959) ist. Trotzdem hoffe ich, dass der Erzählstil in den späteren Kapiteln bzw. Teilen des Romans etwas "langsamer" wird. Nicht mehr so zackig von hier nach da springt und auch mal ruhiger bestimmte Beziehungen, Szenen, Gefühlslagen betrachtet.
Zum zackigen Wechsel: Mir kamen im ersten Teil so einige knallharte Szenen zu "vor die Füße geworfen" vor. So z.B. auf S. 32, wenn mal eben gesagt wird, dass das dritte Mädchen stirbt bzw. dann gestorben ist. Da bin ich als Leserin überrumpelt und werde diesbezüglich auch nicht groß mitgenommen. Wie gesagt, wird sicherlich alles so konstruiert sein von der Autorin, aber ich fühlte mich da mit dem lapidaren Ton eher "brüskiert" (mir fällt grad keine bessere Formulierung ein). Generell ist der Ton ja so dahergeredet, halb mit einem Augenzwinkern mitunter, läppisch manchmal. Da lief in meinem Kopf so ein tragikomischer Film ab. Independent Kino, man sieht ein Kind wird geboren und aus dem Off kommt die lapidare Stimme, die so ein bisschen bemitleidend auf das Kind schaut, da die Stimme ja schon weiß, wohin die Reise/das Leben/der Filmplot gehen wird. Die Bilder wechseln zügig und sind mit den ganzen Verwandten usw. immer etwas schräg und humoristisch aufgemacht. Wisst ihr was ich meine?