1. Leseabschnitt: Teil I. (Beginn bis Seite 64)

ThomasWien

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19. März 2021
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Wien
Ich darf also mal den Anfang machen. Ich muss gestehen, der Name Joseph Conrad war mir zwar bekannt, aber ich hatte noch keinen seiner Romane gelesen bzw. Filme etc. gesehen. Mir war also zu Beginn nicht eindeutig klar worauf ich mich eingelassen habe. Ein Abenteuerroman der zu einem großen Klassiker geschafft hat? Nein nach ein paar Seiten war mir klar, da steckt mehr dahinter, scheinbar eine Art Abrechnung mit dem Kolonialismus und der Industrialisierung die damals begann. Mir fällt es unheimlich schwer immerzu das Wort "Neger" zu lesen. Dieses Wort gibt es zwar noch aber aufgrund meiner Erziehung und natürlich Einstellung bringe ich dieses Wort nur schwer über die Lippen.
Unabhängig von der Grausamkeit, wie neue Gebieter erobert und enteignet wurden, muss es damals eine spannende Zeit für alle die sich mit Erdkunde beschäftigten. Weiße Flecken auf den Landkarten wurden in regelmäßigen Abständen mit neuen spannenden Gebieten aufgefüllt. Meistens Länder der dritten Welt mit Rohstoffen, die wir in Europa ganz gut gebrauchen konnten. Sobald ein neues Land auf unseren Landkarten erschienen ist, hatte dies meist keine guten Folgen für die Bevölkerung des selbigen. In unserer Zeit wurde ja bereits alles entdeckt, dass sich auf der Erdoberfläche befindet. Uns bleiben nur noch Höhlen und Weltall - für mich nicht so spannend.
Kolonialismus unter dem Deckmantel des Welthandels. Nichts anderes als Eroberung - Enteignung - Unterdrücking und Erniedrigung, alles unter der Prämisse Geld zu verdienen. Das Leben der bisher dort lebenden Menschen hingegen war nix wert nur deren Arbeitskraft und die Rohstoffe die das Land zu bieten hatte bzw. hat. Irgendwie ein Blick in die Zukunft die Joseph Conrad hier unterbewusst gezeichnet hat. Mit Enteignung, Erniedrigung und Menschen die nichts Wert waren, kennen wir uns ja auch in Europa zu gut aus. Leider. Aber diese Geschichte kommt ja erst ein paar Jahrzehnte später.
 

Lesehorizont

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29. März 2022
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Mainz
Ich lese das Buch zwar zum ersten Mal, aber mir war bewusst, dass wir es hier mit einem Koloinlalismus-kritischem Buch zu tun haben. Das kommt auch gleich im ersten Abschnitt sehr gut zum Ausdruck, wie ich finde. Wir lernen hier die Hauptprotagonisten kennen, aber auch die klassische Unterteilung von Mächtigen und Unterdrückten, Schwarzen und Weißen...
Ich bin sehr gespannt, mehr von Marlow und Kurtz zu lesen. Noch bin ich nicht ganz angekommen in der Geschichte, aber Abenteuerromane lese ich auch recht selten. Reizvoll finde ich aber die Kolonialismuskritik, und immer mal wieder ein Klassiker hat ja bekanntlich noch niemanden geschadet.
Ist übrigens mein erster Klassiker aus der Penguin Edition.
 

Lesehorizont

Bekanntes Mitglied
29. März 2022
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Mainz
Ich habe gerade mal in die editorische Notiz am Ende reingeschaut.
Und ja, ich kann die Einwände gegen eine Vermeidung des N.Wortes und anderer Rassismen durchaus verstehen. Literatur muss ja im historischen Kontext betrachtet werden. So begrüßenswert all die postkolonialen Kritiken sind, übertriebene political crorrectness, die zur Umschreibung von Klassikern führt, finde ich nicht notwendig. Wichtiger ist doch die Entwicklung eines Problembewusstseins.
Wir befinden uns ja erst noch am Anfang, aber man merkt schon, wie hier eine Gegenwelt zur zivilisierten entsteht, die man im Anschluss an Edward Said durchaus als imaginäre Geographie beschreiben kann, inkl. der entsprechenden Distanzierungsstrategien, die dazu führen, dass den Einen eine eigene Geschichte aberkannt wird während die Anderen als überlegen aufgewertet werden.
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Oben wird von Kolonialismus-Kritik geschrieben. Ja, aber, was zunächst einmal mein Eindruck ist, dass wir es hier mit einem Text zu tun haben, der aus unserer heutigen Sicht vollkommen unsensibel in der Beschreibung der Exotik und ihrer Menschen in den fernen Ländern der Kolonien ist. Das N-Wort ist allgegenwärtig und wird ergänzt durch stereotype Bilder, die in unserer Zeit einfach nicht salonfähig sind. Wir müssen dabei natürlich bedenken: Wir lesen einen Text aus einer anderen Zeit mit einem anderen geistigen Hintergrund. Dennoch macht mir das die Lektüre nicht gerade erbaulich. Und zudem: Hier macht der Erzähler bei Weitem nicht Halt. Er ist seinen Figuren gegenüber insgesamt vollkommen gnadenlos und negativ. So bekommen auch die weißen "Kollegen" stereotypisch und unbarmherzig ihr Fett weg. Hier ein Beispiel:
Ich ließ ihn reden, diesen Miniatur-Mephistopheles. Mir war, ich könnte den Zeigefinger glatt durch ihn hindurchstecken, wenn ich wollte, ohne dort drinnen etwas zu finden als vielleicht etwas Schutt.
Diese misanthropische und dabei sich selbst oftmals überhöhende Sichtweise des Erzählers erreicht den Leser mit aller Wucht und Härte. Denn selten wird der egozentrierte Blickwinkel des Erzählers verlassen. So gibt es in dem Text auch fast gar keine wörtliche Rede. Nein, das übernimmt der Misanthrop und Egozentriker lieber selbst und vermittelt uns alles durch seine graue Brille der Menschendeutung.
Puh, das ist für mich wirklich ein harter Tobak und ich schaue mal, wie ich durch diese etwa 170 Seiten kommt, ohne Gift und Galle zu spucken.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Uns bleiben nur noch Höhlen und Weltall - für mich nicht so spannend.
Und die Tiefsee.
durch seine graue Brille der Menschendeutung.
Ich bin erst auf Seite 50+. Aber ich finde, der Erzähler Marlow ist erst einmal erstaunlich neutral. Er schildert nur einfach, was er sieht. Er sagt uns nicht, was er fühlt. Kritik übt er an den Zuständen, durch die europäischen Verwalter. Es passiert nix. keiner tut was. Was zu tun ist, kann nicht getan werden (Backsteine oherzustellen), keiner zeigt Initiative.
Das N wort stört mich nicht im Geringsten. Negra - schwarz. Was stört, sind Ketten und Zwangsarbeit.
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Mir fällt es unheimlich schwer immerzu das Wort "Neger" zu lesen.
Das geht mir genauso. Dennoch bin ich froh, dass Penguin es nicht geändert hat. Eben weil es als historisches Dokument zu lesen ist, wie es auch in der Notiz steht.
Ich lese das Buch zwar zum ersten Mal, aber mir war bewusst, dass wir es hier mit einem Koloinlalismus-kritischem Buch zu tun haben.
Einerseits spürt man das. Andererseits sind die Schwarzen für mich total stereotyp dargestellt. Nach dem Motto: hehre Idee, schlechte Umsetzung.
Ja, aber, was zunächst einmal mein Eindruck ist, dass wir es hier mit einem Text zu tun haben, der aus unserer heutigen Sicht vollkommen unsensibel in der Beschreibung der Exotik und ihrer Menschen in den fernen Ländern der Kolonien ist.
Genau, das habe ich auch so empfunden. Joseph Conrad differenziert überhaupt nicht. Die Schwarzen haben keine Charakteristika, außer wild oder gepeinigt umherzurennen. Die Weißen kommen aber überwiegend auch nicht besonders gut weg. Ist unser Marlow ein Misanthrop?
 

Christian1977

Bekanntes Mitglied
8. Oktober 2021
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Es ist ja immer schwierig, einen Klassiker zu kritisieren. Ich fange deshalb mit dem Positiven an.

Joseph Conrad gelingt es gut, Atmosphäre zu schaffen. Insbesondere am Anfang ist mir das aufgefallen, in den Szenen auf der Themse. Auch später schafft er immer wieder schöne bzw bedrohliche Bilder.

Erzählerisch geht es mir wie Wanda, ich langweile mich. Die Erzählung ist schon recht kurz, kommt mir aber ewig lang vor und es tut sich kaum etwas.

Auch der Perspektivwechsel hat sich mir nicht erschlossen. Es sei denn, Marlows kommende Erlebnisse sind so schlimm, dass wir Distanz zu ihm wahren sollen. Ansonsten erschließt sich mir die Funktion des eingeschobenen Ich-Erzählers bislang nicht.

Die undifferenzierte Darstellung der Schwarzen ist ein Ärgernis, siehe oben. So wirkt die Kritik am Kolonialismus halbherzig.

Mal sehen, wie es weiter geht. Bislang verstehe ich nicht wirklich, warum das Buch solch einen Klassikerstatus innehat.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Einerseits spürt man das. Andererseits sind die Schwarzen für mich total stereotyp dargestellt.
Zu diesem Zeitpunkt kennt der Erzähler noch keinen einzigen schwarzen Menschen persönlich. Wie soll er sie differenziert darstellen? Er schildert einfach nur die Zustände, die er vorfindet.
Ich muss mal die Lebensdaten von Conrad googeln.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Natürlich ist einem klar, wie die Schwarzen damals behandelt wurden, es hier zu lesen, an dem Beispiel desjenigen der für den Brand verantwortlich sein soll, und der sehr große Schmerzen nach der Strafe hat, ist schon was anderes. Es geht unter die Haut, zumal ich mich frage, ob seine Schuld überhaupt bewiesen ist? Aber das scheint sowieso zweitrangig, man muss sie züchtigen, schrecklich.
Der Erzähler bleibt mir fremd, ich kann momentan nicht sagen, dass ich in der Geschichte aufgehe.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Über dem ganzen Geschehen herrscht eine morbide Stimmung, überall Verfall und Vernachlässigung, keiner weiß so richtig, was er tut, es erscheint alles sinnlos. Conrad geht mit der westlichen "Zivilisation" hart ins Gericht.
Diese Stimmung drückt beim lesen gewaltig runter, natürlich befasst Conrad sich mit einem sehr emotionalen Thema, das geht allerdings sicher auch anders. Mir fällt jetzt auch kein vergleichbares Werk aus der Zeit des Autors ein, vielleicht tun wir uns mit unserem heutigen Denken auch einfach nur besonders schwer
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Wie soll er sie differenziert darstellen? Er schildert einfach nur die Zustände, die er vorfindet.
Das stimmt, aber er (bzw. Conrad) befasst sich bisher auch gar nicht wirklich mit ihnen. Obwohl es ja ein Kolonialismus-kritisches Werk sein soll, stellt er die Weißen eindeutig in den Vordergrund.
Ich muss mal die Lebensdaten von Conrad googeln.
Musste ich auch erstmal. Ich habe auch gar nichts zum Datum der Erstveröffentlichung gefunden in der Penguin-Ausgabe.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Er sagt uns nicht, was er fühlt. Kritik übt er an den Zuständen, durch die europäischen Verwalter.
Und das ist schade, ich habe gehofft, dass hier eine Stimme gegen die Zustände laut wird, das wäre für mich dann auch ein Kriterium für einen Klassiker gewesen. Die Fakten sind ja damals wie heute bekannt, doch die eigene Wertung war damals sicher anders gerichtet, so dass ein Erzähler der hier die Zustände anprangert mutig gewesen wäre
 

Wandablue

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18. September 2019
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Natürlich ist einem klar, wie die Schwarzen damals behandelt wurden, es hier zu lesen, an dem Beispiel desjenigen der für den Brand verantwortlich sein soll, und der sehr große Schmerzen nach der Strafe hat, ist schon was anderes. Es geht unter die Haut, zumal ich mich frage, ob seine Schuld überhaupt bewiesen ist? Aber das scheint sowieso zweitrangig, man muss sie züchtigen, schrecklich.
Der Erzähler bleibt mir fremd, ich kann momentan nicht sagen, dass ich in der Geschichte aufgehe.
Nein, ich auch nicht. und ich fürchte mich regelrecht vor dem Weiterlesen. Aber wir sind halt auch erst am Anfang. Urteilen wir vom Ende her.
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Ich hänge an Marlows Lippen, eines Mannes, der in den Abgrund geschaut hat und mir spannungsaufbauend seine Geschichte erzählt, während vor den Toren Londons die Nacht hereingebrochen ist.
Das unsagbare N-Wort, die Beschreibungen der Verhältnisse vor Ort, das alles versetzt mich in die richtige Zeit und an den richtigen Ort.
Ein Loszetern gleich zum Anfang, wäre der Glaubwürdig des Erzählers abtrünnig gewesen, denn noch hat er sich kein Urteil gebildet und beobachtet seine Mitmenschen in diesen, zumindest noch für ihn, weißen Fleck auf der Landkarte.

Er hat das Wort des Untersuchungsarztes noch im Ohr, der gerne seine Neugier hinsichtlich der Veränderungen der Pilger während der Zeit in Afrika befriedigt sehen würde.
Marlow macht sich schon Gedanken um Gleichheit und Unrecht: "Weiß der Himmel, es gibt doch etwas auf der Welt, das den einen berechtigt ein Pferd zu stehlen, während ein anderer ein Zaumzeug nicht einmal anschauen darf!" (S.50)

Seine Haltung wird auch ersichtlich, als er sich auf Seite 56 wieder an seine Zuhörer wendet und mit der Frage "Seht ihr die Geschichte?" sich seines Alptraums bewusst wird: " ...niemals können nämlich Worte das Traumgefühl vermitteln, diese
Verquickung von Staunen und Bestürzung, mit der man sich gegen etwas Widersinniges auflehnt..."

1899 erschien diese Erzählung Conrads zum 1. Mal und ich finde es erstaunlich gut zu lesen.
 

Circlestones Books Blog

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28. Oktober 2018
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Wienerin auf Rügen
www.circlestonesbooks.blog
Auch ich bin, wie hier nun schon mehrmals zu lesen, froh, dass die Sprache in der Form des Entstehens dieser Erzählung belassen wurde. Klassiker sollen Klassiker bleiben dürfen. Mich beeindrucken die Schilderungen, schon zu Beginn diese Stunden des Wartens auf das Auslaufen auf der Themse. Auch die Erzählung von Marlow mit dem Schwenk zurück in die Gegenwart auf Seite 56 wirkt auf mich modern und davor zeigten einige Szenen durchaus Humor, den man Josph Conrad ja meistens abspricht. Andererseits beeindruckt mich gerade die Sachlichkeit, mit denen er die Situation in Afrika schildert, die Gier nach Elfenbein und die skrupellose Ausbeutung von Mensch und Natur. Wieder einmal muss ich sagen "Lesen bildet" denn ich wusste bisher nicht (oder habe es früher nicht für wichtig gehalten), dass Herz der Finsternis auch die Grundlage für Apocalypse Now war, der Coppola Film, der mich schon vor vielen Jahren, als ich den Film zum ersten Mal im Kino sah, enorm beeindruckt hat. Auch jetzt beim Lesen habe ich die Bilder der Natur aus dem Film vor Augen, was sich für mich sehr gut mit der Lektüre dieser Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen Erzählung verbindet.