Was für eine Sprachgewalt James Baldwin in diesem Buch entfaltet! Ich habe von ihm bisher nur "Von dieser Welt" gelesen, was auch großartig war, aber hier ist die Sprachmelodie meines Empfindens nach eine ganz andere.
Es ist unglaublich traurig, wie sehr der Protagonist versucht, den Teil von sich zu verleugnen, der sich von Männern angezogen fühlt. Er versucht, sich selbst als Lebemann zu präsentieren, der nur am Rande in homosexuellen Kreisen verkehrt, ohne selber so orientiert zu sein. Heute ist das für einen Jugendlichen und jungen Mann sicher einfacher, aber wahrscheinlich immer noch nicht so selbstverständilich, wie es sein sollte.
Diese merkwürdige, zombieartige Gestalt, der er begegnet, hatte für mich einen Hauch von Shakespeare: er scheint artverwandt mit Shakespeares Hexen. Hat mich an Gestalten erinnert, die ich in Amsterdam mal in einer Underground-Kneipe im Rotlichtviertel gesehen haben, die gehörten wohl irgendwie zur Sadomaso-Szene. (Unser "Hotel" war da ums Eck und wir hatten nach einem Bowie-Konzert noch Durst und wurden auf der Straße von einem Werber angequatscht. Sagen wir mal so: es war eine echt interessante Erfahrung.)
Renie sprach an einer Stelle das tuntige Gehabe an, dass manche Gäste der Bars an den Tag legen, und da fiel mir wieder ein früherer Arbeitskollege ein. Der war noch in einer Zeit großgeworden, in der er es als schwuler Jugendlicher sicher nicht leicht hatte, und er entsprach vom Auftreten her so dermaßen den Klischees, dass ich ihn als Buchcharakter wohl nicht geglaubt hätte. Jeden Morgen dackelte er mit Hüftschwung in unsere Buchhandlung (er war der Hausmeister, der Paketpacker, das Mädchen für alles), meist mit Sprüchen wie "Hach, schönen guten Moooorgen, meine Lotosblüte!", und manchmal ging er ans Telefon, wenn sonst keiner frei war: "Ach, Schätzelein, da kann ich dir auch nicht helfen, aber gleich kommt jemand, der das kann."
Bei ihm hatte ich das Gefühl, dass es eine Art des Sich-Behauptens war: JA, ich bin schwul und ich stehe dazu und es darf, es SOLL auch jeder wissen. Vielleicht ist das einfach eine Art, mit einer gewissen Hilflosigkeit klarzukommen, weil man in den prägenden Jahren nicht so akzeptiert wurde, wie man war. Derweil hat eine lesbische Kollegin versucht, das krampfhaft vor allen zu verstecken, und ich wusste es auch nur, weil sie eine Affäre mit meiner besten Freundin hatte. Die Kollegin hat mir später mal erzählt, ihre Eltern hätten sie rausgeschmissen und ihre Tante hätte sie nur unter der Bedingung aufgenommen, sie würde solche "widernatürlichen Dinge nicht unter ihrem Dach treiben".
Ich bin auch darüber gestolpert, wie ablehnend der Protagonist auf die Transvestiten reagiert. Ich vermute, dass es eher ein Abbild der Zeit ist als eine echte Ablehnung seitens des Autors, aber mit Sicherheit kann man es natürlich nicht sagen...