1. Leseabschnitt: Seite 11 bis 65

12. Januar 2021
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Hamburg
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Du hast absolut recht, objektiv betrachtet ist es sehr düster. Aber bis ich es bei dir gelesen habe, habe ich das seltsamerweise gar nicht so empfunden. Ich frage mich, woran das liegt? Vielleicht daran, dass die Figuren spürbar im Aufbruch begriffen sind? Dass sie den Willen haben, etwas zu ändern?
Zwei Charaktere werden hier vorgestellt, die unabhängig von ihrem großen Altersunterschied und verschiedenen Lebensphasen beide noch nicht zu sich selbst gefunden haben.

Der eine jahrzehntelang gefangen im immergleichen engen Dorfleben und in einer Rolle, in die er zwangsläufig hineingewachsen ist. Nun, nach dem Tod der Mutter, ist er aus der Rolle entlassen und weiß nicht wohin mit sich. Einfach bei seiner alten Liebe weiterzumachen, die vor kurzem ins Dorf zurückgekehrt ist, kommt ihm wohl auch nicht richtig vor. Das gefundene Sparbuch gibt ihm den Anstoß, seinem Leben eine neue Richtung zu geben, wohin auch immer. Jedenfalls weg, mit aller Macht.

Die andere hadert mit sich seit sie denken kann. Ständig das Gefühl zu haben 'falsch' zu sein, stelle ich mir sehr anstrengend vor. Nicht den Erwartungen entsprechen aber auch nicht aus seiner Haut zu können. Sie versucht mit Musik alles zu überspielen, es weniger 'wirklich' und bedeutsam werden zu lassen, lebt dadurch aber am Leben vorbei und auch an der Chance zu erkennen, wer sie wirklich ist. Alva lässt nach ihrer großen Liebe niemanden mehr wirklich an sich heran, die Liebe ihrer Tochter macht ihr Angst. Das klingt alles irgendwie traurig. Doch auch sie macht sich auf den Weg, um sich womöglich selbst zu finden...
Sicherlich ist Alva extrem belastet - im Handeln und im Fühlen -, aber vielleicht kennen wir es ja aus unserem eigenen Leben: das Gefühl, nicht zu genügen, den Ansprüchen und Aufgaben nicht gerecht werden zu können.
 

MRO1975

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Für mich sind das absolut keine Kindergeschichten, das sind die nordischen Sagen und Mythen!
Alva sagt selbst, dass sie hinfährt, um später Lina von den Trollen usw. zu erzählen. Für Erwachsene sind solche Geschichten natürlich auch interessant. Frag mich nur für wie viele und ob das wirtschaftlich für den Arbeitgeber eine Festanstellung rechtfertigt. Ist aber kein Problem, wenn ihr das anders seht.
 

MRO1975

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Während ich Edvards vertrakte Lage verstehen kann, fehlt mir die Empathie für Alva fast völlig. Ich empfinde sie hochgradig verantwortungslos. Sie setzt ein Kind in die Welt, kümmert sich aber nur rudimentär darum und wie es ihr in den Zeitrahmen passt. Ab und zu ein bisschen heile Welt spielen, dann die Kopfhörer auf und abtauchen. Für mich ist sie emotional schwer gestört. Ihre Mutter mag zwar die Schwester vorgezogen haben, allerdings ist dies Alvas Perspektive und die meisten Kinder fühlen sich den Geschwistern gegenüber benachteiligt... Ob wir noch eine Ursache für ihre Bindungsschwäche erfahren? Die Musik ist doch eine Macke: immer dieselben Songs, die sie wieder zu sich holen und beruhigen. Arme Lina! Wirklich. Auch Alvas Anrufe kommen zur Unzeit. Alva müsste sich nach den Bedürfnissen des Kindes richten und nicht nach ihren eigenen.
Da sprichst du mir aus der Seele. Alva hat einen psychischen Knacks. Bin gespannt, ob es dafür noch eine objektive Erklärung gibt und ob und wie sie es schafft, darüber hinwegzu kommen.
 
12. Januar 2021
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Da sprichst du mir aus der Seele. Alva hat einen psychischen Knacks. Bin gespannt, ob es dafür noch eine objektive Erklärung gibt und ob und wie sie es schafft, darüber hinwegzu kommen.
Es gibt in Alvas "Lebensgeschichte" Hinweise darauf, was sie zu dem gemacht haben könnte, was sie ist. Aber ist es nicht auch so, dass es sich bei Menschen oft gar nicht letztendlich klären und begründen lässt, was sie zu Taten und Gedanken motiviert, sich plötzlich Abgründe auftun. Das kann natürlich erschrecken, aber auch sehr spannend sein. Mich interessiert das immer besonders.
 

Literaturhexle

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Aber ist es nicht auch so, dass es sich bei Menschen oft gar nicht letztendlich klären und begründen lässt, was sie zu Taten und Gedanken motiviert, sich plötzlich Abgründe auftun.
Absolut. Häufig wissen es die Menschen ja auch selbst nicht. Alva leidet ja sichtlich darunter. Sie hat es sich nicht selbst gewählt. Sie möchte gar nicht anders als die anderen sein.
Aber ihr Verhalten ist stellenweise sehr befremdlich.... In sich aber glaubwürdig.
 

Barbara62

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Absolut. Häufig wissen es die Menschen ja auch selbst nicht. Alva leidet ja sichtlich darunter. Sie hat es sich nicht selbst gewählt. Sie möchte gar nicht anders als die anderen sein.
Aber ihr Verhalten ist stellenweise sehr befremdlich.... In sich aber glaubwürdig.
Die Recherchereise unternimmt sie vor allem, um mit einem Manuskript für einen Fernsehbeitrag eine feste Stelle zu erhalten. Nicht unbedingt, weil sie das möchte, sondern weil sie dann die Anforderungen der anderen erfüllen würde. Damit kann sie aber das Wochenende nicht mit Lina verbringen, was sie in einen unlösbaren Zwiespalt führt.
 

Literaturhexle

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Damit kann sie aber das Wochenende nicht mit Lina verbringen, was sie in einen unlösbaren Zwiespalt führt.
Wobei Sie auvh die Zeit, die sie mit Lina verbringt, nicht immer als schöne Mutter/Tochter-Zeit erinnert... Sie ist zerrissen zwischen Erwartungen, Ansprüchen und dem, was sie wirklich leisten kann....
 

MRO1975

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Es gibt in Alvas "Lebensgeschichte" Hinweise darauf, was sie zu dem gemacht haben könnte, was sie ist. Aber ist es nicht auch so, dass es sich bei Menschen oft gar nicht letztendlich klären und begründen lässt, was sie zu Taten und Gedanken motiviert, sich plötzlich Abgründe auftun. Das kann natürlich erschrecken, aber auch sehr spannend sein. Mich interessiert das immer besonders.
Das stimmt. Hinweise habe ich auch gesehen. Die Beziehung zu ihrer Mutter war ja schon belastet. Ich schließe aber auch nicht aus, dass Alva einfach ist wie Alva ist und dass das der Grund für ihre schwierige Beziehung zur Mutter und ihre Schwierigkeiten generell mit anderen Menschen ist. Nicht für jeden Knacks gibt es einen Grund, mancher hat einfach einen.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Hui, hier ist ja schon mächtig was los :).

Ich muss gestehen, dass ich zu Anfang leichte Schwierigkeiten mit dem Buch hatte, die sich aber mittlerweile aufgelöst haben. Auch wenn ich momentan viele Bücher mit extrem bildhafter Sprache lese, ist das hier doch noch "extremer".

Sowohl Edvard als auch Alva haben Probleme mit sich und ihrer "Umwelt". Beide fühlen sich nicht wohl in ihrer Haut und wollen ihr Leben ändern. The times they are a-changin...
 

Xirxe

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Aber ist es nicht auch so, dass es sich bei Menschen oft gar nicht letztendlich klären und begründen lässt, was sie zu Taten und Gedanken motiviert, sich plötzlich Abgründe auftun.
Nicht für jeden Knacks gibt es einen Grund, mancher hat einfach einen.
Genau, man muss doch nicht alles erklären können. Manches muss man einfach akzeptieren.
Alva leidet ja sichtlich darunter. Sie hat es sich nicht selbst gewählt. Sie möchte gar nicht anders als die anderen sein.
Sie ist zerrissen zwischen Erwartungen, Ansprüchen und dem, was sie wirklich leisten kann....
Das ist vermutlich ihr grösstes Problem: Sie ist anders als die Anderen, was man sie auch wissen lässt, was ihr Selbstbewusstsein nicht gerade sehr stärkt. Und das Bewusstsein, für ein Kind verantwortlich zu sein, hat schon ganz 'normale' Menschen in Ängste und Sorgen gestürzt. Wie soll das jemand bewältigen, der von sich glaubt, den Ansprüchen von wem auch immer nicht genügen zu können?!
 

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Entschuldigt, dass ich so spät dazu stoße! Mir kam alles Mögliche dazwischen, aber ab jetzt wird konzentriert gelesen. ⠀

Die zwei hier im Fokus stehenden Mutter-Kind-Beziehungen sind beide auf ihre ganz eigene Art gestört und bis zu einem gewissen Grad auch toxisch.⠀

Ich tue mich schwer mit Edvard, denn wie er mit Elsie umging, war ihr gegenüber nicht fair – und für einen jungen Mann auch nicht gesund. ⠀

Natürlich erfährt man dann später, dass seine Mutter ihn nach dem Verschwinden des Vaters in die Erwachsenenrolle gedrängt und damit in seiner Entwicklung sicher sehr beeinflusst hat. Aber er hat das ja anscheinend in all den Jahren seither nie wirklich hinterfragt... War es ihm wirklich so unmöglich, sein eigenes Leben für sich zu beanspruchen? So zwang er auch Elsie in die Opferrolle, bis die die Reißlinie zog. ⠀

Alva scheint schwerwiegende mentale Probleme zu haben, und besonders die Abschottung durch die laute Musik per Kopfhörer ist ja allgegenwärtig... Spätestens nach diesem Nervenzusammenbruch, als sie das ganze Geschirr zerschmiss, hätte ihr jemand professionelle Hilfe verschaffe sollen. ⠀

Sie ist schwer zu fassen, aber ich denke schon, dass sie ihre Tochter liebt — nur ist sie überfordert mit dem, was sie als die "normale" Art wahrnimmt, diese Liebe zu zeigen. Im Umkehrschluss sieht sie selber sich ja als nicht normal. ⠀

@Yolane⠀

Ich vermute, dass das Geld vom Vater stammt und dass die Mutter womöglich die ganzen Jahre wusste, wohin dieser verschwunden ist. Hat der Vater womöglich woanders eine neue Familie angefangen, nach einer Affäre?⠀

@RuLeka⠀

Ja, das Verhalten der Mutter war selbstsüchtig und unverzeihlich. Falls sie all die Jahre Geld vom Vater angenommen hat und ihrem Sohn gegenüber nur so tat, als wäre dieser auf Nimmerwiedersehen verschwunden, dann wäre das ein starkes Stück...⠀

Die Sprache gefällt mir auch sehr gut.⠀

@Barbara62⠀

So wütend mich die Mutter auch macht, so stimme ich dir doch zu: irgendwann wäre es seine Aufgabe gewesen, sich zu lösen.⠀

@MRO1975⠀

Ich habe mich schon gefragt, ob Alva womöglich auf dem autistischen Spektrum ist. ⠀

@ulrikerabe⠀

Ich frage mich, ob ein Mann in dem Alter sich wirklich noch lösen kann, nach all der Zeit? Ich würde es ihm wünschen, aber Menschen neigen dazu, sich in den oft befahrenen Wegen festzufahren.⠀

@parden⠀

Liebe generell macht ihr Angst, denke ich, weil sie den Eindruck hat, dass das immer mit einer Erwartung an sie verbunden ist, von der sie nicht weiß, wie sie sie erfüllen kann.⠀

@Die Häsin⠀

Ich glaube ja nicht so recht an die Existenz dieser Streichholzfabrik... Heimlich, still und leise hat sie ja ständig Geld eingezahlt, was sicher NICHT daher kam. ⠀

@Literaturhexle⠀

Oh, "realistische Poetik" gefällt mir, das passt sehr gut! ⠀

Die Wiederholung der immer gleichen Songs lässt mich auf Autismus tippen.⠀

@Alexander Häusser⠀

Ah, das ist natürlich wahr, es ist selten so einfach, dass man den Finger darauf legen kann und sagen: das hier, GENAU das hat ihn/sie zu dem gemacht, der er/sie ist. Interessant ist es auf je⠀