1. Leseabschnitt: Kapitel I. - IV. (Beginn bis S. 104)

parden

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Uäh. Gleich im ersten Absatz drei Fußnoten. Aber wo sind sie? Nicht ganz hinten, aber recht weit hinten - doch jedesmal suchen? 103 Anmerkungen auf 26 kleinbedruckten Seiten, na. Da werde ich vermutlich nicht oft nachschlagen, nur wenn ich etwas nicht verstehe...

Das Cover ist aber bildschön, das Format (Taschenformat???) ist eher ungewöhnlich. Liegt gut in der Hand... :)
 

Barbara62

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Ich liebe die kleinen Manesse-Bändchen mit der farbigen Fadenbindung und dem wertigen Papier. Der Umschlag ist wunderschön. Ein Glück, dass Penguin Random House sie immer noch macht, auch wenn sie wohl nicht der große Geldbringer sind. Nicht nur hier ist die Buchpreisbindung ein großer Segen, Verlustsparten können mit "Brottiteln" anderer Konzernteile ausgeglichen werden.

Der Name Grazia Deledda begegnet mir hier zum ersten Mal, obwohl sie 1926 den Literaturnobelpreis bekommen hat. Vermutlich liegt es daran, dass sie sich für Mussolini eingesetzt hat, was ihren Nachruhm deutlich schmälerte. "Schilf im Wind" ist allerdings schon 1913 erschienen und damit unverdächtig. Es spielt in ihrer Heimat Sardinien.

Die Hauptaufgabe im ersten Leseabschnitt ist die Ordnung der zahlreichen Figuren. Wir sind im Dorf Galte (eigentlich Galltelì) im Nordosten Sardiniens, einer armen, heruntergekommenen Siedlung im Landesinneren, überragt von einer Burgruine, Malariagebiet. "Die Vergangenheit herrschte immer noch über diese Gegend; die Gebeine der Toten waren ihre Blüten und die Wolken ihr Diadem" (S. 34). Den Ort kannte Grazia Deledda von Sommeraufenthalten im Hause von Damen, die die Vorbilder für die Hauptfiguren wurden.

Das ganze Tal gehörte einst der mächtigen Adelsfamilie Pintor, geblieben ist den drei unverheirateten Schwestern Ruth, Ester und Noemi allerdings nur noch ihr verfallendes Haus und ein kleines Gut hoch oben, das der Knecht Efix bewirtschaftet und das sie kaum ernährt. Sie haben sogar Schulden bei Efix, behandeln ihn jedoch wie einen weit unter ihnen stehenden Mann. Trotzdem holen sie sich Rat bei ihm, er gleicht bei Diffenzen unter den Schwestern diplomatisch aus.

Das Unglück kam vor 20 Jahren, als die Mutter der Schwestern, die sagenhafte Donna Maria Christina, starb, und der sittenstrenge, despotische Vater, Don Zame, sie fortan wie Sklavinnen hielt. Daraufhin ergriff die vierte der Schwestern, altersmäßig die dritte, Donna Lia, die Flucht. Sie lebte ihr Leben weit weg von Galte, war verheiratet und hatte einen Sohn, ist jedoch mittlerweile verstorben. Die drei zurückgebliebenen Schwestern konnten ihr die Flucht nicht verzeihen, denn ihr Ruf war dahin, sie waren entehrt und fanden keine Ehemänner. Ihr Vater wurde noch strenger und starb schließlich, nachdem er durch Prozesse den ganzen Reichtum eingebüßt hatte, auf der Landstraße. Das Geld besitzen inzwischen andere: der reiche Kaufmann Milese und der Verwandte Don Pedru.

Die Rolle von Efix bei Lias Flucht ist mysteriös. Er mochte sie jedenfalls sehr gern und freut sich, dass sich nun Lias Sohn, Don Giacinto, angekündigt hat. Die Schwestern sind über dessen Kommen uneins, vor allem Noemi lehnt es ab. Er trifft ausgerechnet ein, als sie allein zuhause ist. Ruth und Ester sind beim einzigen Fest in Galte, einem neuntägigen religiös begründeten Großereignis im Mai mit viel Tanz.

Sofort stürzen sich zwei junge Frauen auf Giacinto, die schöne Grixenda, Enkelin der alten Dienerin Pittoi, und Natòlia, Magd des Priesters. Wahrscheinlich ist er seit Menschengedenken der einzige Fremde in diesem verschlafenen Dorf.

Im Mittelpunkt des ersten Leseabschnitts steht Efix. Er hält die Damen durch seine Arbeit mehr schlecht als recht am Leben, aber er ist zufrieden mit seiner Armut und seinem Leben. Und er ist der Einzige, der sich auf Giacintos Kommen wirklich freute.

Das Buch macht mir bisher Spaß, vor allem die ausgiebigen Schilderungen des Dorfes und die Charakterisierung der Figuren. Die meisten Anmerkungen schenke ich mir allerdings. Das titelgebende Schilf taucht immer wieder auf: als Grundstoff für Matten, als Charakteristikum der Natur und als Geldquelle für die armen Damen Pintor. Interessant sind auch die Rolle der Religion und des tief verwurzelten Aberglaubens.

Nun bin ich gespannt, was ihr sagt!
 

parden

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Ich liebe die kleinen Manesse-Bändchen mit der farbigen Fadenbindung und dem wertigen Papier. Der Umschlag ist wunderschön. Ein Glück, dass Penguin Random House sie immer noch macht, auch wenn sie wohl nicht der große Geldbringer sind. Nicht nur hier ist die Buchpreisbindung ein großer Segen, Verlustsparten können mit "Brottiteln" anderer Konzernteile ausgeglichen werden.

Der Name Grazia Deledda begegnet mir hier zum ersten Mal, obwohl sie 1926 den Literaturnobelpreis bekommen hat. Vermutlich liegt es daran, dass sie sich für Mussolini eingesetzt hat, was ihren Nachruhm deutlich schmälerte. "Schilf im Wind" ist allerdings schon 1913 erschienen und damit unverdächtig. Es spielt in ihrer Heimat Sardinien.

Die Hauptaufgabe im ersten Leseabschnitt ist die Ordnung der zahlreichen Figuren. Wir sind im Dorf Galte (eigentlich Galltelì) im Nordosten Sardiniens, einer armen, heruntergekommenen Siedlung im Landesinneren, überragt von einer Burgruine, Malariagebiet. "Die Vergangenheit herrschte immer noch über diese Gegend; die Gebeine der Toten waren ihre Blüten und die Wolken ihr Diadem" (S. 34). Den Ort kannte Grazia Deledda von Sommeraufenthalten im Hause von Damen, die die Vorbilder für die Hauptfiguren wurden.

Das ganze Tal gehörte einst der mächtigen Adelsfamilie Pintor, geblieben ist den drei unverheirateten Schwestern Ruth, Ester und Noemi allerdings nur noch ihr verfallendes Haus und ein kleines Gut hoch oben, das der Knecht Efix bewirtschaftet und das sie kaum ernährt. Sie haben sogar Schulden bei Efix, behandeln ihn jedoch wie einen weit unter ihnen stehenden Mann. Trotzdem holen sie sich Rat bei ihm, er gleicht bei Diffenzen unter den Schwestern diplomatisch aus.

Das Unglück kam vor 20 Jahren, als die Mutter der Schwestern, die sagenhafte Donna Maria Christina, starb, und der sittenstrenge, despotische Vater, Don Zame, sie fortan wie Sklavinnen hielt. Daraufhin ergriff die vierte der Schwestern, altersmäßig die dritte, Donna Lia, die Flucht. Sie lebte ihr Leben weit weg von Galte, war verheiratet und hatte einen Sohn, ist jedoch mittlerweile verstorben. Die drei zurückgebliebenen Schwestern konnten ihr die Flucht nicht verzeihen, denn ihr Ruf war dahin, sie waren entehrt und fanden keine Ehemänner. Ihr Vater wurde noch strenger und starb schließlich, nachdem er durch Prozesse den ganzen Reichtum eingebüßt hatte, auf der Landstraße. Das Geld besitzen inzwischen andere: der reiche Kaufmann Milese und der Verwandte Don Pedru.

Die Rolle von Efix bei Lias Flucht ist mysteriös. Er mochte sie jedenfalls sehr gern und freut sich, dass sich nun Lias Sohn, Don Giacinto, angekündigt hat. Die Schwestern sind über dessen Kommen uneins, vor allem Noemi lehnt es ab. Er trifft ausgerechnet ein, als sie allein zuhause ist. Ruth und Ester sind beim einzigen Fest in Galte, einem neuntägigen religiös begründeten Großereignis im Mai mit viel Tanz.

Sofort stürzen sich zwei junge Frauen auf Giacinto, die schöne Grixenda, Enkelin der alten Dienerin Pittoi, und Natòlia, Magd des Priesters. Wahrscheinlich ist er seit Menschengedenken der einzige Fremde in diesem verschlafenen Dorf.

Im Mittelpunkt des ersten Leseabschnitts steht Efix. Er hält die Damen durch seine Arbeit mehr schlecht als recht am Leben, aber er ist zufrieden mit seiner Armut und seinem Leben. Und er ist der Einzige, der sich auf Giacintos Kommen wirklich freute.

Das Buch macht mir bisher Spaß, vor allem die ausgiebigen Schilderungen des Dorfes und die Charakterisierung der Figuren. Die meisten Anmerkungen schenke ich mir allerdings. Das titelgebende Schilf taucht immer wieder auf: als Grundstoff für Matten, als Charakteristikum der Natur und als Geldquelle für die armen Damen Pintor. Interessant sind auch die Rolle der Religion und des tief verwurzelten Aberglaubens.

Nun bin ich gespannt, was ihr sagt!
Schön zusammengefasst, @Barbara62
 

parden

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Ich mag das kleine Buchformat auch sehr, auch wenn es neben den "normalen" Formaten im Regal wohl etwas untergeht. Tatsächlich habe ich aus anderen Verlagen noch zwei weitere Taschenformat-Bücher:
Buchinformationen und Rezensionen zu Komm, ich erzähl dir eine Geschichte von Jorge Bucay
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Im normalen Buchhandel habe ich dieses Format bislang nicht gesehen? Übersehen?
 
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Barbara62

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Im normalen Buchhandel habe ich dieses Format bislang nicht gesehen? Übersehen?

Doch, das gibt es dort auch. Manchmal in Drehständern an der Kasse, eben weil es so leicht untergeht. Und bestellen kann man es auch ganz normal.

Aber die Manesse-Bändchen sind schon noch mal ganz besonders, finde ich. Auch wenn sie inzwischen nicht mehr aus Leinen sind.
 

parden

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Jetzt aber zum eigentlichen Roman. Tja. Ich habe für den ersten Abschnitt jetzt zwei Tage gebraucht, weil ich mich mit dem Schreibstil ehrlich gesagt schwertue. Es liest sich - vermutlich erwartungsgemäß - altertümlich. Der erste Abschnitt stellt die Landschaft und die Menschen ausführlichst vor. Wenn man sich darauf einlässt: sehr bildhaft und stellenweise poetisch - aber die teilweise langen Sätze mit den vielen (Farb-)Details bei den zahllosen Beschreibungen sind durchaus auch anstrengend. Für mich. Auch die vielen Fußnoten: ich verstehe die Absicht dahinter, mich stresst das aber. Mein Problem, klar. Folge ich den Fußnoten nicht, habe ich Sorge, wichtiges Wissen zu verpassen. Schaue ich aber hinten nach (jedesmal ein Suchen), stört das meinen Lesefluss gewaltig. Da fehlt mir wohl der nötige Pragmatismus.

Die Stimmung der Erzählung ist leise, melancholisch, und oftmals fast traumhaft (im Sinne von: wie in einem Traum). Ich habe den Eindruck, in etwas Vergangenem festgehalten zu werden, gemeinsam mit den Figuren. Ein karges, armes Leben, abgesehen von den täglichen Ritualen gibt es kaum Erwähnenswertes. Viel Kirche, viele Lästereien, viel Tradition. Jetzt kommt der Neffe (Sohn der Schwester, die sich durch ihre Flucht zur Persona non grata gemacht hat) und bringt vermutlich frischen Wind in die ganze Angelegenheit...
 
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Barbara62

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Jetzt aber zum eigentlichen Roman. Tja. Ich habe für den ersten Abschnitt jetzt zwei Tage gebraucht, weil ich mich mit dem Schreibstil ehrlich gesagt schwertue. Es liest sich - vermutlich erwartungsgemäß - altertümlich. Der erste Abschnitt stellt die Landschaft und die Menschen ausführlichst vor. Wenn man sich darauf einlässt: sehr bildhaft und stellenweise poetisch - aber die teilweise langen Sätze mit den vielen (Farb-)Details bei den zahllosen Beschreibungen sind durchaus auch anstrengend. Für mich. Auch die vielen Fußnoten: ich verstehe die Absicht dahinter, mich stresst das aber. Mein Problem, klar. Folge ich den Fußnoten nicht, habe ich Sorge, wichtiges Wissen zu verpassen. Schaue ich aber hinten nach (jedesmal ein Suchen), stört das meinen Lesefluss gewaltig. Da fehlt mir wohl der nötige Pragmatismus.

Die Stimmung der Erzählung ist leise, melancholisch, und oftmals fast traumhaft (im Sinne von: wie in einem Traum). Ich habe den Eindruck, in etwas Vergangenem festgehalten zu werden, gemeinsam mit den Figuren. Ein karges, armes Leben, abgesehen von den täglichen Ritualen gibt es kaum Erwähnenswertes. Viel Kirche, viele Lästereien, viel Tradition. Jetzt kommt der Neffe (Sohn der Schwester, die sich durch ihre Flucht zur Persona non grata gemacht hat) und bringt vermutlich frischen Wind in die ganze Angelegenheit...

"Altertümlich" trifft es gut. die Übersetzung ist wohl schon aus den 1950er-Jahren und wurde nur überarbeitet. Manche Sätze musste ich auch zweimal lesen und der Zusammenhang der Personen ist nicht ganz leicht zu verstehen. Ich war mir zeitweise unsicher, ob Grixenda die Enkelin der Geldverleiherin oder der Dienerin ist - oder beider? Ich habe die Stelle nicht wiedergefunden und es ist vielleicht auch egal. Aber die Bilder gefallen mir sehr und das Dorf und die Landschaft stehen sehr lebhaft vor meinen Augen, obwohl ich noch nie auf Sardinien war (nur auf Korsika).

Ich denke auch, dass Don Giacinto die eingerostete Gemeinschaft aufmischen wird...
 

Barbara62

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Kann man es Autoren/Menschen wirklich übelnehmen, wenn sie eine politische Bewegung nicht auf Anhieb richtig einschätzen?

So, wie ich es bei Wikipedia verstehe, war sie schon ganz schön in die Propaganda verstrickt, also aktiv beteiligt, nicht nur Mitläuferin. Unter "auf Anhieb" würde ich etwas anderes verstehen. Ich werde das aber am Ende nochmal genauer recherchieren, bevor ich hier etwas Falsches verbreite. Und ja, sollte es so gewesen sein, dann wäre es für mich schon ein Grund fürs Übelnehmen.
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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Jetzt aber zum eigentlichen Roman. Tja. Ich habe für den ersten Abschnitt jetzt zwei Tage gebraucht, weil ich mich mit dem Schreibstil ehrlich gesagt schwertue. Es liest sich - vermutlich erwartungsgemäß - altertümlich. Der erste Abschnitt stellt die Landschaft und die Menschen ausführlichst vor. Wenn man sich darauf einlässt: sehr bildhaft und stellenweise poetisch - aber die teilweise langen Sätze mit den vielen (Farb-)Details bei den zahllosen Beschreibungen sind durchaus auch anstrengend. Für mich. Auch die vielen Fußnoten: ich verstehe die Absicht dahinter, mich stresst das aber. Mein Problem, klar. Folge ich den Fußnoten nicht, habe ich Sorge, wichtiges Wissen zu verpassen. Schaue ich aber hinten nach (jedesmal ein Suchen), stört das meinen Lesefluss gewaltig. Da fehlt mir wohl der nötige Pragmatismus.
Ich brauche auch vergleichsweise lang (gemessen an meinem sonstigen Lesetempo) Ich habe estern die ersten beidne Kapitel in diesem Abschnitt glesen und werde heute Abend Kapitel III und IV lesen. Es ist ein Buch, das sprachlich nicht so "flutscht", aber ich mag diese altertümliche Schreibweise, vor allem die genauen Beschreibungen der Umgebung. Ich war einmal auf Sardinien und dort gibt es Ecken, in denen die Zeit scheinbar stillgestanden ist, wenn ich diesen doch über 100 Jahre alten Text lese.
Mit den Fußnoten geht es mir übrigens ähnlich wie @parden
 

Literaturhexle

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Nicht nur hier ist die Buchpreisbindung ein großer Segen, Verlustsparten können mit "Brottiteln" anderer Konzernteile ausgeglichen werden.
Da bin ich ganz deiner Meinung, wobei der Preis dieses Bändchens wirklich etwas für Liebhaber und ausgesprochene Sammler sein dürfte.
Sie haben sogar Schulden bei Efix, behandeln ihn jedoch wie einen weit unter ihnen stehenden Mann. Trotzdem holen sie sich Rat bei ihm, er gleicht bei Diffenzen unter den Schwestern diplomatisch aus.
Die Rolle von Efix ist durchaus interessant. Formal ist er ein unbezahlter (!) Diener. Man legt auf beiden Seiten Wert auf die Standesunterschiede, die durch die Herkunft festgelegt sind. De facto sind die Damen aber fast so arm wie Efix. Würde er das Land nicht mit Herzblut bearbeiten, wären sie noch schlechter dran. Dass er sich nicht traut, den ausstehenden Lohn anzusprechen und stattdessen zu einer Wucherin gehen muss, die ihn auch noch verspottet, hat mich empört.
(Mich erinnert das Buch an den letzten Prinz: auch er genoss obwohl verarmt großes gesellschaftliches Ansehen auf seiner Insel Lampedusa)
Efix mochte die geflohene Schwester und hegt jetzt große Hoffnungen auf deren Sohn, dem er am liebsten auch gleich ein Pferd kaufen würde. (Hat er das sogar getan? Wo kommt das Pferd mit den Satteltaschen sonst her?) Hoffentlich bringt er sich selbst nicht ins Unglück. Er ist mir bislang der liebste, bodenständigste Charakter.
Das Buch macht mir bisher Spaß, vor allem die ausgiebigen Schilderungen des Dorfes und die Charakterisierung der Figuren.
Absolut. Man kann sich alles sehr gut vorstellen. Ich mag die altertümliche Sprache der Klassiker. Die Dorfbewohner muss ich noch sortieren. Wie die beiden jungen Frauen um den Neuzugang buhlen, hat etwas Klischeehafte, ist aber auch amüsant zu lesen.

Mich interessiert, was in dem Brief an Giacinto stand. Die Tanten haben ihm gegenüber sehr unterschiedliche Empfindungen. Er hat streng genommen ja auch Erbansprüche - zumal er ein männlicher Nachfahre ist...

Ich empfinde es nicht so, dass Lias Flucht den Schwestern ihr Leben geraubt hat. Ich glaube vielmehr, dass das schon vorher durch den despotischen Vater zerstört war. Sie durften auch zuvor schon keinen Blick heben und am Leben nicht teilnehmen. Natürlich stand der Satz so im Text, dass sie ihr Ansehen dadurch verloren hatten - aber auch zuvor standen die Freier nicht Schlange. Aber darauf kommt es wahrscheinlich nicht an.
 

Literaturhexle

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Aufgefallen ist mir noch der omnipräsente Aberglauben: leere Häuser könnten von Geistern Verstorbener oder von Kobolden bevölkert werden... Man hat im Dunklen viele Ängste in dieser Richtung.
Dabei ist Italien doch erzkatholisch? Da muss ich wohl auch nochmal nachforschen.
 

ulrikerabe

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Aufgefallen ist mir noch der omnipräsente Aberglauben: leere Häuser könnten von Geistern Verstorbener oder von Kobolden bevölkert werden... Man hat im Dunklen viele Ängste in dieser Richtung.
Dabei ist Italien doch erzkatholisch? Da muss ich wohl auch nochmal nachforschen.

Diese Diskrepanz ist mir auch aufgefallen. Immer wieder "mit Gottes Hilfe" und gleichzeitig so viel Aberglauben.

Andererseits geht Aberglaube und Religion ja oft Hand in Hand. Religion ist doch auch nichts anderes als institutionalisierter Aberglaube.

Die Nuraghen Kultur gab es nur auf Sardinien, nicht am Festland. Ich denke auch Sardinien war schon immer eine Art "geschlossene Gesellschaft", die mit Italien und den Italienern nichts gemein hat und haben will. (ähnlich wie die Korsen und Franzosen)
 

Die Häsin

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Mich irritiert, dass "Peseten" das Zahlungsmittel sind. Ich habe ja keine erklärenden Anmerkungen zum Text - könnte vielleicht eine von denen, die das Buch haben, kurz etwas dazu schreiben? Wann spielt die Geschichte? Gibt es einen Hinweis auf spanische Spuren in der Verwaltung? Bei Wiki habe ich gelesen, dass vor Ewigkeiten Sardinien mal spanisch war, aber so weit zurück wird der Roman doch wohl nicht gehen.
 
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Literaturhexle

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Mich irritiert, dass "Peseten" das Zahlungsmittel sind. Ich habe ja keine erklärenden Anmerkungen zum Text - könnte vielleicht eine von denen, die das Buch haben, kurz etwas dazu schreiben? Wann spielt die Geschichte? Gibt es einen Hinweis auf spanische Spuren in der Verwaltung? Bei Wiki habe ich gelesen, dass vor Ewigkeiten Sardinien mal spanisch war, aber so weit zurück wird der Roman doch wohl nicht gehen.
Seit der Gründung des Königreiches Italien1861 war die Lira offizielles Zahlungsmittel. Die alte Münzbezeichnung Scudo wurde weiter für silberne 5- Lire Münzen benutzt.

Die Handlung scheint zeitlos. Im Nachwort werden aber Hinweise gesehen, dass sie 1911/12 spielt. Erschienen ist das Buch 1913.

Sardinien war von Festland recht isoliert, daraus ergeben sich auch die Angst vor Kobolden, Vampiren etc.
Man gehörte zu italienischen Landeskirche.
Ich habe das Nachwort aber nicht komplett gelesen, sondern nur auf deine Fragen hin gescannt;)
 

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Ich muss mich noch ein wenig an die "gottesfürchtige" Sprache gewöhnen - im Moment habe ich da noch meine Probleme mit. Die Landschaftsbeschreibungen hingegen sind großartig.
 
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[zitat]...vor allem aber durften sie nie den Blick in Gegenwart der Männer heben, noch war es ihnen gestattet, auch nur an einen Mann zu denken, der nicht zu ihrem Bräutigam auserkoren war. (S. 17)[/zitat]

Von dieser "Tradition" habe ich aktuell auch in
Buchinformationen und Rezensionen zu Im Licht der Lagune. Roman von Hanns-Josef Ortheil
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gelesen - und das spielt gut 120 Jahre vor dieser Geschichte. Ich wusste, es würde ein "Vorteil" sein, mich in die italienische Atmosphäre einzulesen :D.
 

Die Häsin

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Ich finde eine ähnliche Grundsituation in Franz Werfels "Die Geschwister von Neapel" kurz vor dem zweiten Weltkrieg.
Eine Patrizierfamilie (die Mutter ist seit langem tot) verliert ihr gesamtes Vermögen. Der Papa, selbstherrlich und diktatorisch, bestimmt, dass die gesamte Dienerschaft gehen muss bis auf den alten "Butler", der gar nichts mehr taugt, er repräsentiert nur noch. Der Haushalt, einschließlich der richtigen Dreckarbeit, muss von den drei Töchtern gemacht werden. Ausgänge sind nicht erlaubt, nicht mal das Radio darf laufen, das ist alles dekadent.

Natürlich belässt Werfel es nicht dabei; er sorgt dafür, dass sich den Geschwistern, besonders auch den Töchtern, Räume öffnen - es ist übigens mein Lieblingsbuch von Werfel.