1. Leseabschnitt: Kapitel I. bis III.

Emswashed

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9. Mai 2020
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Ich habe mich gleich im doppelten Sinne in meine Schulzeit zurückversetzt gefühlt. Zunächst ist da dieses ungewöhnliche Liwi-Format, das mich doch arg an ein Schulbuch erinnert und besser in den Ranzen als ins Regal passt und zum anderen das Wesen der Schule selbst.
Spitznamen der Lehrer werden über Schülergenerationen weitergegeben und selbst als Neueinsteiger darf man sich auf gewisse Gepflogenheiten verlassen und sich entweder darauf einlassen, oder dagegen rebellieren.
Mit Professor Raat haben wir aber auch gleich einen Mustermisanthropen (Dostojewski wäre stolz) an Land gezogen, der sich sosehr in seiner Rolle verloren hat, dass er sich sogar selbst Unrat nennt.
Die Schüler von Ertzum, Kieselack und Lohman sind seine Hauptwidersacher und Unrat ist versessen darauf, ihre Karriere zu zerstören.
Er muss unbedingt diese Künstlerin Rosa finden, die scheinbar mit Lohman in einer skandalösen Beziehung ist. Er irrt durch die Gegend und landet schließlich vor dem Blauen Engel, einer zwielichtigen Einrichtung.

Die Sprache ist doch sehr ungewöhnlich. Auf der einen Seite diese hochgestochene, verschwurbelte Sprache in der Schule und dann die Gossensprache in den Gassen, wunderbar gemixt mit Platt.

Anfängliche Schwierigkeiten, dem doch sehr zwanghaften Verhalten Unrats zu folgen, waren schnell überwunden und ich konnte flott weiterlesen.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Dieser Professor Unrat ist schon ein sonderbarer Zeitgenosse. Unsympathisch und dann doch wieder mitleiderregend. Manches hat was von der „ Feuerzangenbowle“, diese kauzigen Lehrer und die aufmüpfigen Schüler, nur etwas schärfer Im Ton.
Die Sprache ist doch sehr ungewöhnlich. Auf der einen Seite diese hochgestochene, verschwurbelte Sprache in der Schule und dann die Gossensprache in den Gassen, wunderbar gemixt mit Platt.
Die Sprache hatte ich so garnicht mehr in Erinnerung.
Die Suche nach der Sängerin hat gleich zu Beginn was Zwanghaftes. Der Philister, der das Verbotene bekämpft und gleichzeitig davon angezogen wird.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Ich muss sagen, mich hat die Lektüre erstmal amüsiert. Zum einen, weil ich selbst einen Lehrer kenne, der - wenn man etwa mit ihm durch die Gemeinde fährt - links und rechts auf die Leute zeigt, die er hat durchfallen lassen. Zum anderen, weil ich insbesondere die Szene mit dem Schuhmacher umwerfend komisch fand. Ich habe schallend zu lachen angefangen.

Jener Lehrer, den ich genannt habe, ist allerdings zum Glück weit entfernt davon, seine Schüler - wie "Unrat" es tut - bewusst reinzureißen, indem er ihnen unlösbare Aufgaben stellt. Die Geschichte mit dem "dritten Gebet des Dauphins" ist eigentlich unverzeihlich, und der zitierte Aufsatz hätte mit einer glatten Eins benotet werden müssen.

Ich freue mich, doch noch mit der Lektüre angefangen zu haben; ich hatte sie nicht mehr als so unterhaltend in Erinnerung. Nun bin ich mit Unrat im "Blauen Engel" und warte mit Spannung, was als nächstes passiert.
 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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Mit Professor Raat haben wir aber auch gleich einen Mustermisanthropen (Dostojewski wäre stolz) an Land gezogen, der sich sosehr in seiner Rolle verloren hat, dass er sich sogar selbst Unrat nennt.
Ja wirklich. Ich bin sofort in die Sprache und ins Geschehen eingetaucht. Schon der erste Satzbist ähnlich markant, wie der beim Untertan. Man nennt ihn ja nicht nur wegen seines Namens Unrat, er verhält sich auch so. Doch das blendet der Despot erfolgreich aus. Schon schlimm, wie er den jungen Menschen grundlos zusetzt, völlig ungebremst.
die Szene mit dem Schuhmacher umwerfend komisch fand
Jaaaa. Hier wird wirklich einer vorgeführt, der es verdient hat. Man bekommt keine Möglichkeit Empathie mit Unrat zu entwickeln und kann sich frei heraus amüsieren.
und der zitierte Aufsatz hätte mit einer glatten Eins benotet werden müssen.
Genau. Aber das geht natürlich nicht und zeigt die damalige Willkür im Schulsystem.
 
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münchnerkindl

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23. Februar 2022
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Ich hatte einen guten Start mit dem Professor. Nachdem ich vorher den Felix Krull vom kleinen Bruder gelesen habe, sind mir die ersten Seiten relativ leicht gefallen.
Was für ein armer Mensch. Was für ein Opfer hätten meine Kinder gesagt.
Wenn man Raats Gedankengänge liest, sein Selbstmitleid spürt,, dann geht es einem selbst schon nicht gut dabei. Wie schrecklich muss er sich fühlen.
Die Gegenüberstellung von Unrat und Lohmann finde ich besonders gelungen. So ein intelligenter, schöner und gesellschaftlich höhergestellter Mensch, der ihn den ihm gebührenden Respekt nicht zollt, das muss geradezu Eifersucht und Hass in einem Menschen wie dem Professor hervorrufen. Raat fühlt sich so ungerecht behandelt, er hadert so sehr mit seinem Schicksal, dass er gar nicht anders kann als so tyrannisch zu reagieren und sich dabei auch noch voll im Recht fühlt. Ja er empfindet Genugtuung . Es tut ihm gut. In Wirklichkeit ist natürlich das Gegenteil der Fall. Ich sags ja. Mit tut er leid.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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In Wirklichkeit ist natürlich das Gegenteil der Fall. Ich sags ja. Mit tut er leid.
Spannend, welch unterschiedliche Gefühle die Figur hervorzubringen vermag! Mich stößt er in seinem Selbstmitleid ab. Er ist ein Lehrer, der seinen Schülern keinerlei Zuwendung entgegenbringt, sondern nur darauf wartet, sie zu erniedrigen und ins Messer laufen zu lassen. Seinen "Namen" hat er sich redlich verdient, der kommt nicht von ungefähr. Klar ist er eine "arme Haut", aber eine mit Stacheln und scharfen Kanten. Der Untertitel sagt uns ja bereits, wie die Geschichte ausgeht. Aber sie liest sich deutlich leichter als Bruder Thomas, oder? Du hast ja den direkten Vergleich.
 
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münchnerkindl

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23. Februar 2022
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Spannend, welch unterschiedliche Gefühle die Figur hervorzubringen vermag! Mich stößt er in seinem Selbstmitleid ab. Er ist ein Lehrer, der seinen Schülern keinerlei Zuwendung entgegenbringt, sondern nur darauf wartet, sie zu erniedrigen und ins Messer laufen zu lassen.
Natürlich ist er mir sein Benehmen auch höchstgradig zuwider. Trotzdem denke ich mir bei solchen Menschen immer " Du armer Mensch!!!!!! Wieviel besser würde es dir mit ein bisschen Toleranz und Offenheit gehen." Diese Boshaftigkeit ist ein Ausdruck extremer Unsicherheit.Ich habe das selbst schon bei einem mir nahe stehendem MEnschen beobachten können. Die Menschen, die unter ihm leiden sind sehr bedauernswert, aber er auch. Stell dir nur mal vor wie es sein muss sich immer verfolgt zu fühlen und diesen Hass in sich zu tragen. Was für ein Leben.
Tja aber jeder Mensch ist letztendlich seines Glückes Schmied und für seine Taten verantwortlich.
 
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RuLeka

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30. Januar 2018
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Natürlich ist er mir sein Benehmen auch höchstgradig zuwider. Trotzdem denke ich mir bei solchen Menschen immer " Du armer Mensch!!!!!! Wieviel besser würde es dir mit ein bisschen Toleranz und Offenheit gehen." Diese Boshaftigkeit ist ein Ausdruck extremer Unsicherheit.
So sehe ich das auch. Kein angenehmer Mensch, sondern einer, der sich selbst im Weg steht. Er ist ein typischer Vertreter seiner Zeit. Beziehungen zwischen Menschen sind für ihn nur hierarchisch denkbar. Er ist kein Lehrer, der mit Liebe unterrichtet. Es geht ihm dabei um Macht und Unterdrückung. Die Schüler sollen ihn fürchten und jeder Widerspruch ist ein Angriff an seine Autorität. So etwas zeugt aber nur von wenig Selbstbewusstsein. Weil er keine natürliche Autorität besitzt, muss er seine überlegene Position die Schüler spüren lassen.