@Literaturhexle
Ja, Schwager 1 war mir auch höchst suspekt.
Mir war sehr sympathisch, dass die Erzählerin im Gehen liest, das habe ich als Kind und Teenager gemacht und bin öfter irgendwo gegen gelaufen. Meine Eltern hatten da ähnliche Ansichten drüber wie Schwager 3, die fanden auch, das sollte ich lieber lassen.
@Querleserin
Die Situation mit dem Kompressor bringt die Absurdität des Ganzen wirklich auf den Punkt. Auch die verbotenen Namen wären fast lachhaft, wenn es nicht verdeutlichen würde, wie eingeschränkt die Gesellschaft ist und wie gefährlich Nichtigkeiten hier sein können. Bleiben viele der Figuren deswegen namenlos, ist es eine Verweigerung dieser sinnlosen Unterdrückung – oder wie du sagst, um deutlicher zu machen, dass diese Dinge in der Zeit jedem hätten passieren können? Im Moment ist das für mich noch ganz offen.
Das Verhältnis der Erzählerin zu ihrer Mutter ist sehr problematisch, weil die Mutter sie meines Erachtens gar nicht als eigenständige Person wahrnimmt, sondern auf sie die eigenen Vorstellungen und Ängste sowie die gesellschaftlichen Erwartungen projiziert.
@Literaturhexle
Ich ahne auch Böses, was den Vielleicht-Freund betrifft. An dieser Situation kann man Vieles sehen, was an vielen Orten und zu vielen Zeiten passiert ist. In der DDR zum Beispiel konnte man ja auch nicht sicher sein, wer der Stasi Informationen zuträgt. Immer wieder das gleiche Spiel... Warum müssen Menschen sich gegenseitig immer das Leben schwer bis unmöglich machen?
Bei Chefkoch fühlte ich mich an "Miroloi" erinnert, in dem Buch dürfen Männer auch nicht kochen, singen oder andere "weibische" Dinge tun. Bisher liebe ich diesen Charakter. Auf mich wirkt er ein wenig so, als wäre er im autistischen Spektrum angesiedelt. Auch Atomjunge könnte da zu finden sein.
Ich denke auch, dass der Vater da nicht wirr im Kopf war, sondern dass das wirklich passiert ist. Mit Crombie bezeichnet man meist diese klassischen irischen Mäntel, und ich frage mich die ganze Zeit, wer so etwas am wahrscheinlichsten trägt.
@SuPro
Deine Erklärung für die Namenlosigkeit macht Sinn! Das erklärt für mich auch mehr als das Interview...
Die Vielleicht-Beziehung finde ich gleichzeitig schlüssig und rätselhaft. Man glaubt ja meist, wenn zwei sich lieben, dann wollen sie auch zusammenleben und sich ganz offiziell binden. Aber für diese beiden funktioniert das einfach nicht, und ich spüre oft, dass dieses "Vielleicht" die Beziehung in meinem Kopf als weniger innig erscheinen lässt, als sie sicher ist.
Das Lesen-im-Gehen bringt wirklich auf den Punkt, wie gefährlich das Leben in dieser Zeit tatsächlich war. Fall bloß nicht aus der Reihe, benimm dich so, wie alle sich benehmen.
@Anjuta
Ich habe die Geschichte tatsächlich lange nicht "verorten" können und habe schon erwogen, ob es vielleicht gar kein realer Ort ist, sondern ein fiktiver Ort, in dem reale Konflikte quasi versammelt sind. Aber wenn man erstmal auf Nordirland gekommen ist, macht es absolut Sinn.
Aber ich stimme denen von euch zu, die sagen, es hat Allgemeingültigkeit und kann für viele Orte und Zeiten stehen.
Ja, Atmosphäre schreiben kann Anna Burns absolut! Und sie macht das auf eine sehr eigene, unverwechselbare Art, die es den Übersetzern sicher nicht einfach gemacht hat.
@kingofmusic
Ich habe den Eindruck, dass sie in Vielem sehr aufmerksam ist, aber in manchen Dingen ist sie auch etwas kurzsichtig und unterschätzt Menschen, wie zum Beispiel Schwager 3, dem sie keine politischen Kenntnisse zugetraut hätte. Ich glaube, sie beginnt auch gerade erst, WIRKLICH zu verstehen, wie brisant die ganze Situation ist, weil das wiederholte Kameraklicken ihr verdeutlicht hat, dass es Leute gibt, die sie rund um die Uhr und überall überwachen.
@kingofmusic @SuPro
Ich stimme euch zu, das ist wirklich ein Buch, das man besser zusammen liest!
Ich bin ja auch froh, dass ich bei meinem eBook-Reader ganz bequem Sätze farblich hinterlegen kann, das hilft mir dabei, nicht durcheinander zu kommen!
@MRO1975
Ich finde es immer erstaunlich, dass Frauen in solchen Situationen nicht unbedingt zusammenhalten, sondern manchmal die Unterdrückung untereinander sogar noch verstärken. Sie sind so verwurzelt in einer Welt, in der Frauen keinen Wert haben, dass sie das widerspiegeln, ohne zu erkennen, was sie da tun. So auch die Mutter, die versucht, ihre eigene Tochter zu deckeln, bis sie ins Raster passt.
Ich tendiere noch dazu, Schwager 3 als aufgeschlossen und wohlmeinend einzuschätzen, also den Rat wirklich als Rat und nicht als Vorwurf zu lesen. Aber wer weiß! Ich vermute, dass da noch was passieren wird, dass ihr vielleicht wirklich was Schlimmes geschieht, weil sie zu sehr auf ihr Buch fixiert war.
@Leseglück
Ja, ich stimme dir zu, der Schreibstil passt perfekt zur beschriebenen Situation, das ist der Autorin großartig gelungen.
Angst, Scham und unerwünschte Annäherung, darüber kann man tatsächlich noch gar nicht so lange offen sprechen, und zwar überall auf der Welt. Entweder, weil die Gesellschaft den Betroffenen unterdrückt, oder weil ihm oder ihr dann der Stempel "anders", "hysterisch", "überempfindlich" oder "zickig" (oder Ähnliches) aufgedrückt wird.
Ich habe auch lange überlegt, was genau ein Verweigerer ist. Wen oder was verweigert derjenige, das kann in Nordirland zu der Zeit ja ganz unterschiedliche Bedeutungen haben, je nach Perspektive.